Читать книгу Ariowist und Birkenfeuer - Lennart Pletsch - Страница 12

1. Der Überfall

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Über dem Schloss stand der Mond am Himmel und tauchte die Dächer in ein blasses Licht. Dirion schob den schweren Vorhang vor dem Fenster ein Stück zur Seite, um herausschauen zu können. Die Wolken wirkten so unerschütterlich, wenn sie am Mond vorbeizogen, immer im gleichen Tempo, nur an die Launen des Windes gebunden, aber sonst frei und unendlich weit von den Fesseln der Erde entfernt. Es war ruhig, in der Ferne glaubte Dirion den Waldkauz schreien zu hören. Seit er ein kleiner Junge gewesen war, hatte sich das Geräusch für ihn angehört wie die Einladung eines Vagabunden, der ihm zurief „Komm mit!“, bevor er wieder in der Dunkelheit verschwand.

Dirion ließ den Vorhang zurückfallen und nahm den gusseisernen Kerzenständer wieder in die Hand, den er auf einem Tisch nahe dem Fenster abgestellt hatte. In diesen Nächten musste man die Vorhänge immer geschlossen halten, sonst fuhren böse Geister durch die Fenster ins Schloss, denn es war Vollmond. Dirion amüsierte der Aberglaube des Volkes, der auch vor dem Hofstaat nicht Halt machte. Aber aus irgendeinem Grund schauderte es ihm bei dem Gedanken, dass vielleicht doch ein Funken Wahrheit daran sein mochte, wie es so oft bei Erzählungen der Fall war.

Lautlos ging Dirion durch die langen Gänge von einem prachtvollen Saal in den nächsten. Was würde der nächste Tag bringen? In den letzten Wochen war es immer wieder zu Angriffen der Triganer gekommen, die von der Küste her in das Land einfielen. Nun musste sein Vater reagieren, wenn ihm die Krone lieb war. Lange würden es die Grafen und Herzöge nicht mehr hinnehmen, dass ihre Ländereien nach und nach überfallen und geplündert wurden, ohne dass der König es zu verhindern wusste.

So in Gedanken versunken hatte Dirion nicht auf seinen Weg geachtet und stand auf einmal im Thronsaal. Langsam durchschritt er die hohen Gewölbe, bis er an der hinteren Wand angelangt war, über die das königliche Banner auf mannsgroßem Leinen gespannt hing.

Dirion setzte seine Füße bedächtig auf die vier Treppenstufen, die hier den Saal trennten und stand schließlich vor dem ehrerbietenden Thron. Kraftlos ließ er sich darauf sinken. Den Kopf auf seine linke Hand gestützt und den Arm auf das Polster des Throns gelehnt, sah er in den dunklen Saal hinein, der nur vom Mondlicht beschienen war und von dem kleinen flackernden Licht seiner Kerze, die er wieder neben sich abgestellt hatte. Ein paar Mal tanzte die Flamme wild umher, dann erlosch sie plötzlich. Ein kalter Luftzug hatte sie ausgeblasen.

Eben aus diesem Grund hatte Dirion die alten Gemäuer des Schlosses noch nie gemocht. Er hatte zwar durchaus etwas übrig für die Schönheit der Bauten, die man im letzten Jahrhundert überall errichtet hatte. Sie hatten etwas Erhabenes an sich, das ihm sehr gefiel. Doch ganz offensichtlich hatte keiner der Architekten dieser Prachtwerke einen Gedanken daran verschwendet, tatsächlich einmal in einem solchen wohnen zu wollen. Ihm jedenfalls erschien der Nutzen eines Hauses, das die Kälte nicht abhielt, zu gering zu sein, um darin sein Leben verbringen zu wollen.

Natürlich hatte er als Prinz keine Wahl, wo er sein Lager aufschlug, das Schloss war nun einmal der Sitz der Krone. Mit den Jahren hatte er es sich so eingerichtet, dass es ihm zumindest so erschien, als würde er wahrhaft königlichen Komfort genießen. So waren seine eigenen Gemächer mit Teppichen ausgehängt, es lagen Felle auf dem Boden und in der Feuerstelle brannten immer ein paar Scheite, sobald die Tage kürzer wurden. Auch jetzt hatte er sich eine wärmende Robe übergezogen, bevor er sich auf seinen nächtlichen Spaziergang gemacht hatte, um endlich zur Ruhe zu kommen.

Denn Ruhe fand er nicht mehr. Seitdem sein Leben jene wunderbare Wendung genommen hatte.

Jäh wurde der junge Mann aus seinen Träumen gerissen, als er Schritte hörte, die sich dem Thronsaal näherten. Und im nächsten Moment betrat auch schon eine groß gewachsene Gestalt den Raum und wanderte quer hindurch direkt auf Dirion zu. Dieser erschrak, weniger ob des mitternächtlichen Besuchers selbst, sondern mehr, weil man ihn offenbar dabei erwischt hatte, wie er es sich in seinen Nachtkleidern auf dem Königsthron gemütlich gemacht hatte.

„Was treibt Ihr denn hier?“, fragte er dann auch einigermaßen beschämt, als er den Ankömmling im Mondlicht endlich erkannte. Das kriegsgegerbte Antlitz des Mannes erschien im Schleier der Nacht älter, als es war. An dem verschmitzten Grinsen, das sogleich über sein bärtiges Gesicht huschte, schienen die finsteren Zeiten jedoch spurlos vorbeigegangen zu sein. Mit rauer Stimme antwortete der Feldmarschall: „Das wollte ich Euch auch gerade fragen. Solltet Ihr nicht erschöpft sein vom Ausritt und Euch auf Eurem Lager erholen?“

Dirion entspannte sich, denn offenbar war es dem Marschall egal, wo er ihn vorgefunden hatte. „Ich komme nicht zur Ruhe“, antwortete er und fragte schnell „und weswegen seid Ihr noch auf den Beinen?“, um vom Thema abzukommen.

Marschall Eristrian machte ein paar Schritte durch den Raum und blickte forschend auf dem Tisch herum, der an der Seite des Saals stand. Doch konnte er in der Dunkelheit nicht entdecken, was er suchte. „Mir geht es genauso. Morgen wird Euer Vater verkünden, wohin er weitere Streitkräfte entsenden will. Und da hielt ich es für angemessen, mir ein Bild von unserer derzeitigen Lage zu machen. Bevor ich in die unangenehme Situation komme, dass er mich unverhofft um Rat fragt“, er zuckte die Schultern, „dummerweise habe ich meine Öllampe vergessen. Ich dachte, hier im Saal würde immer Licht brennen.“

Dirion ging die Stufen hinunter in Richtung des Tisches, auf dem sich Karten und Schlachtpläne häuften. Doch es war tatsächlich zu finster, um irgendetwas davon erkennen zu können. „Wie Ihr seht, ist es hier düster wie eh und je, wenn eine Ratsversammlung ansteht. Die Palastwachen haben beschlossen, die Lichter nachts zu löschen, um uns nicht zu gefährden.“

„Das ist ausnahmsweise mal eine gute Idee gewesen von denen! Ich habe den Eindruck, dass die Triganer sich keine Chance entgehen lassen, um uns beim Schopf zu packen. Da muss man jedes noch so kleine Mauseloch stopfen, das sich auftut.“ Dirion schüttelte den Kopf. „Ihr seid zu lange fort gewesen. Hier ist es so ruhig, dass man gar nicht glauben könnte, dass wir im Krieg sind, wenn nicht täglich versehrte Ritter vom Feld zurückkämen.“

„Da mögt Ihr Recht haben“, der Marschall seufzte, „besonders oft habe ich das Schloss in den letzten Monaten wirklich nicht aufgesucht. Aber ich habe den Eindruck, dass man mich da draußen braucht. Wenn ich den Triganern nicht ordentlich in den Arsch trete, dann tut es vermutlich keiner!“

Dirion schmunzelte. Er mochte diesen Mann deswegen so gerne, weil er zwar schroff war und nie ein Blatt vor den Mund nahm, aber dennoch so erfahren und auf seine spezielle Art sogar als weise zu bezeichnen, wie man es selten am Hof sah. Sie verließen den Thronsaal langsamen Schrittes und gelangten in den Bogengang, der deswegen so hieß, weil dort Fenster und Türen zum Innenhof abgingen, die allesamt hohe Spitzbögen besaßen. Zum Glück fiel auch in den Bogengang etwas Mondlicht hinein, sodass man zumindest die eigenen Füße noch erkennen konnte.

„Ihr habt es doch gar nicht nötig, Euch über die Lage zu belesen. Ich meine, niemand von den Edelleuten hier weiß so viel darüber, was draußen passiert, wie Ihr.“

„Und wieder liegt Ihr richtig. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, sage ich mir. So wenig, wie die den Geschmack von Blut und Dreck kennen, so wenig kann ich mir gewiss sein, was inzwischen in den Ratskammern vor sich geht. Und letztlich wird hier über Leben und Tod entschieden.

Ein tapferer Krieger auf dem Feld ist immer dem Tod geweiht, wenn der Schlachtplan nicht sauber ausgearbeitet wurde … wenn ihm nicht genug Mittel zur Verfügung stehen, keine Nachhut bereit ist, keine Heiler, keine Handwerker, keine Köche in seinem Lager und zu seinen Diensten stehen.“

Sie waren nur ein kurzes Stück gegangen, da hatten sie bereits die Gemächer des Marschalls erreicht. Er öffnete die Tür und bat Dirion hinein.

„Kommt schon, Prinz, Ihr werdet doch nicht die kleinen Freuden des Lebens zu schätzen verlernt haben, während ich nicht hier war?“ Der Marschall legte Dirion seine Hand auf die Schulter, doch dieser blickte nur ausweichend mit einem verlegenen Grinsen in den Raum hinein, der von warmem Kerzenschein beleuchtet wurde. In den vergangenen Jahren hatte er es genossen, die Abende und Nächte mit dem Marschall bei Bier und Wein über die Themen der Welt zu diskutieren, auch wenn ihre philosophischen Ergüsse meist im Alkohol ertrunken waren. Dirion dachte gerne daran zurück und ein wohliges Gefühl der Geborgenheit überkam ihn. Doch das war zu einer anderen Zeit gewesen. Ob der Marschall das wusste?

„Eristrian, ich würde sehr gerne…“

Doch Marschall Eristrian unterbrach ihn lächelnd. „Nein? Ihr braucht mir nichts zu erklären.“ Dirion sah ihn fragend an, dann wurde ihm klar, dass sein Gegenüber natürlich längst Bescheid wusste. Der Marschall klopfte auf seine Schulter: „Geht besser zurück, bevor man Euch vermisst!“

***

Dirion schob die schwere Tür langsam auf, in der Hoffnung, keinen unnötigen Lärm zu machen. Auf Zehenspitzen schlich er zum Bett, während er seine Robe auf einen Stuhl gleiten ließ. Dann hob er die Decke und kroch vorsichtig darunter. Er drehte sich beinahe lautlos auf die Seite und stellte beruhigt fest, dass es ihm gelungen war. Gleichmäßig wölbte sich die Decke neben ihm und fiel dann wieder in einem weichen Zug ein. Kyjera war nicht aufgewacht. Das war gut, dachte er bei sich, denn sie war tatsächlich erschöpft gewesen vom Ausritt. Als er sie im Schlaf betrachtete, wurde ihm warm ums Herz. Was für ein unermessliches Glück ich mit dir habe.

Die dunklen Locken fielen ihr über die Schultern, sodass er ihr Gesicht kaum sehen konnte. Nur der zierliche Mund, ihre Nase und die Wangen waren von Dirions Kissen aus zu erkennen. Vorsichtig ließ er seine Hand unter der Decke zu ihr wandern, rückte noch ein Stück näher an sie heran und legte behutsam den Arm um sie.

Er hatte heute alles richtig gemacht, so dachte er bei sich. Und er würde diese Entscheidung niemals bereuen, dafür war er sich zu gewiss gewesen und das seit vielen Monaten schon. Nun fühlte er sich sicher. Noch einmal ließ er die Ereignisse des Tages an sich vorbeiziehen. Alles wandte sich nun zum Guten.

***

Er konnte noch nicht lange geschlafen haben, als das scharfe Läuten der Alarmglocken ihn aus den Träumen riss. Auf einen Schlag war Dirion hellwach, sein Herz pochte wild, die Augen weit aufgerissen. Um im Dämmerlicht etwas zu erkennen, bahnte er sich einen Weg zu einem Kerzenständer in der Ecke des Raumes und entzündete das Licht an der Feuerstelle. Jetzt war auch Kyjera erwacht. Sie warf die Decke beiseite, hüllte sich in ihr Gewand und eilte zur Tür. Dirion zog sich Hose und Stiefel an und schloss dann zu ihr auf.

Sie eilten durch die Gänge in Richtung der Waffenkammer, denn hier hatte man sich beim Ertönen der Glocke unverzüglich zu versammeln. Da die Waffenkammer der Ritter in einem Keller des Schlosses lag, der weit hinter den dicksten Mauern errichtet worden war, hielt die Palastwache diese Gewölbe für den sichersten Ort.

Dirion trat als Erster ein, in der Halle waren bereits einige Ritter und auch zwei der Edelleute, deren Gemächer näher am Keller lagen. Doch keiner von ihnen wusste Genaueres, sicher war nur, dass allergrößte Gefahr herrschte. Wenn die Glocken gingen, wurde das Schloss bedroht.

Das Murmeln einer aufgebrachten Menschenmenge näherte sich dem Keller und kurz darauf strömte ein Pulk von Hofleuten in die Gewölbe, unter ihnen alles, was Rang und Namen hatte. Dirion sah sich um, aber auf den ersten Blick konnte er in der Traube von Leuten weder seinen Vater noch seinen Bruder entdecken.

Marschall Eristrian löste sich aus der Menge und ging auf Dirion und Kyjera zu. „Milady“, er nickte ihr zu. Kyjera erwiderte seinen Gruß nur wortlos, denn er wandte sich an Dirion: „Das kommt überraschend!“

Dirion sah den Marschall selten so besorgt. „Wir wissen bisher nur von einer Handvoll, die es über die Stadtmauer geschafft hat. Aber wenn es ein paar von ihnen möglich war, dann scheinen sie irgendwo ein Schlupfloch gefunden zu haben.“

In diesem Augenblick eilten zwei Palastwachen in den Raum und nahmen Haltung an. Die Piken fest in der Hand und die Blicke geradeaus, geboten sie den Umstehenden genug Ehrfurcht, um einen mehrere Schritt großen Platz in der Mitte der Halle zu schaffen. Der König betrat die Gewölbe, seine Miene ernst, aber ohne jede Regung von Furcht, gekleidet in ein einfaches, doch edles Gewandt aus blauem Samt.

Er ließ den Blick kurz in die Runde schweifen und räusperte sich, während hinter ihm Prinz Aldrĭn die Waffenkammer betrat. Die Menschen im Raum, inzwischen an die sechzig Frauen und Männer verschiedener Funktionen, aber alle mindestens dem Ritterstand angehörig, wurden mit einem Mal still.

Prinz Aldrĭn drängte sich unterdessen zu seinem älteren Bruder Dirion durch. Sie tauschten kurz sorgenvolle Blicke, dann wandten sie sich dem König zu und erwarteten seine Erklärung.

König Arkil der Dritte erhob seine Stimme: „Ohne Euch in falscher Sicherheit wiegen zu wollen, kann ich sagen, Ihr befindet Euch zu diesem Zeitpunkt außer Gefahr! Diese Mauern stehen fest, solange ich stehe.“

Sein Vater beherrschte es, mit seinen Worten die Ängste der Menschen zu bändigen, dachte Dirion bei sich, während er in die Runde blickte und bemerkte, wie die größte Anspannung in den Gesichtern ein Stück weit abzuklingen schien. Zumindest die Grafen und Herzöge, die nur das Leben in ihren Herrenhäusern kannten, schienen im Angesicht wahrer Bedrohung jedes Mal dem Herztod nahe zu sein.

„Und seid gewiss, dass wir die Bedrohung für unsere Stadt abgewendet haben, noch ehe die Sonne sich über den Horizont erhebt!“

„Wie kann er sich so sicher sein?“, flüsterte Dirion dem Feldmarschall zu. „Gar nicht, er setzt auf sein Glück“, antwortete dieser.

„Jeder mutige Ritter greife zu seinen Waffen und begebe sich zur Zugbrücke! Seid Ihr gerüstet, Marschall Eristrian?“

Eristrian trat entschlossen vor und antwortete mit lauter Stimme, sodass es der ganze Raum hören konnte: „Wir werden diese Ratten zurück ins Meer jagen! Reitet Ihr hinter mir, Männer?“ Ein Grölen von der versammelten Ritterschaft kam dem Marschall als Antwort entgegen und er nickte zufrieden dem König zu: „Zu Euren Diensten, mein Herr!“

Alle, die sich nicht am Kampf beteiligten, verließen nun die Waffenkammer und die Knappen spurteten zu ihren Herren, um ihnen in die Rüstung zu helfen. Der König war in der Tür stehen geblieben, wo ihm Gorakon Esefo entgegengetreten war, der Primus der Palastwache. Dirion konnte sehen, wie sein Vater in Gedanken versunken nickte, während er sich über den grauen Bart strich. Esefo unterrichtete ihn über die Vorgänge in der Stadt, welche Arkil mit der üblichen stoischen Gelassenheit aufnahm, gleichwohl es in seinem Kopf unermüdlich arbeitete.

Kyjera wandte sich Dirion zu, der scheinbar unentschlossen das Treiben besah. „Gehen wir zu den anderen in den Thronsaal?“ Dirion sah ihr kurz in die Augen und bemerkte, dass sich auf ihrem Gesicht große Sorge abgezeichnet hatte. Dann nickte er: „Du wirst gehen.“

Kyjera griff nach seiner Hand und ihre Stimme klang beinahe flehend: „Du musst nicht reiten! Es ist nicht deine Aufgabe als Prinz, mit den Rittern zu reiten!“ Dirion versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch innerlich war er hin und her gerissen. Was brachte es ihm, dass er sich gestern erst mit dieser Frau verlobt hatte, wenn er heute Nacht das Leben verlieren sollte?

Mit einem Blick zu seinem Vater hinüber wurde ihm jedoch klar, dass er keine Wahl hatte, wenn er sich vor dem König beweisen wollte. Er wandte sich wieder Kyjera zu, zog sie an seine Brust und küsste sie innig. Ein kurzer Abschied schmerzt weniger.

Er drehte sich zu seinem Bruder: „Kriegen wir noch die erste Gruppe?“ Aldrĭn nickte und holte tief Luft, als würde er sie vor Anspannung in den nächsten Stunden anhalten müssen. Dann machten sie sich auf zu ihren Rüstkammern. Kyjera sah Dirion mit steinerner Miene hinterher, wie er mit seinem Bruder am König vorbeischritt und den Keller verließ.

Als die beiden jungen Männer gegangen waren, verfinsterte sich ihr Antlitz jedoch und sie kämpfte mit ihrem Zorn. Mit geballten Fäusten und strammen Schrittes verließ sie ebenfalls die Waffenkammer und ging durch den Bogengang in Richtung Thronsaal, wo sich diejenigen versammeln würden, die nicht ins Feld zogen.


***

Dirion wies seine Diener an, ihm als einzigen Panzer den Brustharnisch anzulegen, seine anderen Gliedmaßen würde er mit den schwarzen Lederschienen schützen. Auch den Helm wies er zurück, als man ihm die goldene, mit Federn verzierte Haube darreichte. Er mochte die schweren Panzerplatten der Ritter nicht, denn sie schränkten ihn in seiner Beweglichkeit ein. Der Helm nahm ihm die Sicht und die ganze Rüstung war um einiges schwerer als er selbst. Dirion setzte auf seine Geschwindigkeit und sein Geschick, Muskelkraft hingegen hatte ihn noch nie beeindruckt.

Aldrĭn trug das komplette königliche Rüstzeug, als er auf seinem schwarzen Hengst auf Dirion zutrabte. „Bleib in meiner Nähe!“, wies Dirion seinen jüngeren Bruder an. Aldrĭn nickte schweigend, dann schwang Dirion sich auf den Sattel seines Pferdes. Es war ein brauner Halmgarther und Dirion hatte ihn Vyliss getauft, was in der Sprache der Alten Völker etwa „aufziehender Sturm“ bedeutete. Dirion schloss sich einigen Rittern auf ihren Pferden an, die durch das südliche Tor über die breite Zugbrücke zum vereinbarten Treffpunkt ritten.

Aldrĭn folgte ihm und musterte seinen Bruder von hinten, während dieser aus einer Satteltasche Lederhandschuhe nahm und sie sich überzog. Er war von Dirion beeindruckt, weil dieser auf ihn immer einen derart standhaften Eindruck machte, dass er sich fragte, ob er überhaupt durch irgendetwas zu erschüttern war. Im Gegensatz zu ihm musste Aldrĭn sich alle Mühe geben, sich zusammenzureißen und nicht einfach davonzulaufen, wenn er wie jetzt dazu gezwungen war, sich in Lebensgefahr zu begeben.

Genaugenommen zwang ihn selbstredend niemand, als Prinz mit in die Schlacht zu ziehen. Das wusste er zwar. Doch würde er sich niemals den Respekt der Männer verdienen, welche er befehligte, wenn er nicht selbst - an ihrer Seite - bei jeder Gelegenheit dem Tod ins Gesicht sah.

Aldrĭn war nicht zum Kämpfen geboren und hielt es für absolut widernatürlich, dass jemand darin Erfüllung finden könne, andere Menschen zu töten. Trotzdem, vielleicht auch gerade deswegen, bewunderte er Dirion für dessen Mut und seine Furchtlosigkeit, als Erster in den Reihen zu stehen, wenn die triganischen Krieger über sie herfielen.

Marschall Eristrian war am raschesten auf dem Sammelplatz vor dem Schlossgraben gewesen und teilte nun die Flanken auf. Eine Seite sollte Dirion anführen, während der Marschall an der Spitze der mittleren Phalanx ritt. Eine dritte Formation würde einen kleinen Umweg reiten, um dem Gegner gegebenenfalls die Fluchtwege in der Stadt zu versperren.

In der Ferne hörte man Schreie und Feuer loderten über den Dächern auf. Aldrĭn war sich sicher, dass es jetzt mehr als nur eine Handvoll sein musste, die dort ein solches Chaos anrichtete.

„Gibt es einen Freiwilligen für die linke Flanke?“, fragte Eristrian in die Runde. Natürlich konnte er darauf vertrauen, dass jeder der Männer, die hier auf ihren Pferden saßen, dazu fähig war, das Kommando zu übernehmen und dies auch ohne jeden Zweifel tun würde.

Doch nutzte der Marschall solche Momente, um vor allem den jüngeren Rittern eine Gelegenheit zu geben, sich zu profilieren und seine Gunst zu erlangen. Oder sogar den König auf sich aufmerksam zu machen. Der Krieg würde sich noch einige Monate, vielleicht sogar Jahre hinziehen, so dachte Eristrian, deswegen war es ständig von Nöten, eine nächste Generation an fähigen Anführern herauszubilden.

„Ich werde die Führung übernehmen!“, rief Aldrĭn. Er hatte in diesem Moment all seine Tapferkeit zusammengenommen, doch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, wurde ihm bereits mulmig zumute. Eristrian schien nicht sonderlich erstaunt, dass sich der junge Prinz zu Worte meldete, auch wenn es das erste Mal war, dass er sich in die vordere Reihe begeben wollte.

Der Marschall nickte: „Sehr gut! Dann wäre das entschieden. Das Ross unter Euch und der Mann an Eurer Seite, hütet beide wie Euren Augapfel, solange seid Ihr unbesiegbar. Und möget Ihr alle in einem Stück zurückkehren!“ Mit diesen Worten klappte Eristrian das Visier seines Helmes herunter, gab seinem Pferd das Zeichen, loszureiten und zog sein Schwert, während ihm ein Dutzend Ritter folgte.

Dirion sah zu Aldrĭn hinüber, der sich an die Spitze einer Reitergruppe von ebenfalls zwölf Mann setzte, und beobachtete jede seiner Bewegungen. Es war der notwendige nächste Schritt gewesen, dass sein Bruder einen Angriff führte. Doch Dirion hatte insgeheim gehofft, dass der Krieg vorbei war, bevor es dazu kam.

„Bist du bereit?“, rief er zu Aldrĭn hinüber. „Bereit!“, bestätigte dieser, als hätte es zu diesem Zeitpunkt noch ein Zurück gegeben. „Denk daran, was du gelernt hast, dann ist es schnell vorbei!“ Aldrĭn nickte nur, dann trabte er los und ging bald in den Galopp über, während sich die Ritter hinter ihm ebenfalls in Bewegung setzten.

Dirion sah ihm noch einen Augenblick hinterher, so als könnte er das Schicksal seines Bruders vorhersehen anhand dessen, wie er den Hügel hinabritt. Dann versuchte er, die Gedanken in seinem Kopf zu unterdrücken und alle Bilder zu verdrängen, seinen Geist ganz und gar frei von allem zu machen, was ihn belastete. Er brauchte jetzt nur noch seine Sinne und seinen Instinkt, jeder Moment, den er zu lange mit Nachdenken verbrachte, könnte der verheerende letzte sein.

Also gab auch er seinem Pferd das Zeichen zum Aufbruch und ritt in Richtung der Flammen. Es war zwar deutlich auszumachen, aus welchem Stadtviertel die Feuer kamen, doch Dirion konnte nicht erkennen, welche Gebäude wohl betroffen waren. Die Unsicherheit darüber, was sie erwartete, zermürbte ihn.

Letztlich aber waren die Kämpfe, die er ausgefochten hatte, immer gleich. In der Schlacht angekommen blieben nur wenige Augenblicke, um die Lage einzuschätzen und kurz zu prüfen, ob man für den Feind gewappnet war, dann hieß es: Kämpfen oder Flüchten. Und der Tod hatte sein Gesicht nicht geändert, seitdem Dirion ihm zum ersten Mal gegenüber getreten war.

Die Reiter eilten durch die breiten Hauptstraßen, welche kaum beleuchtet waren. Wer jetzt ihren Weg kreuzte, musste zwangsläufig unter die Hufe geraten, denn Dirion und die Ritter bahnten sich ihren Weg beinahe blind. Geleitet wurden sie nur von den Schreien und den flackernden Lichtern, die immer näher kamen. Die Hufe der Pferde knallten auf den Steinen der Straße und der kalte Wind der Nacht wehte Dirion um die Ohren. Dafür wäre der pelzgefütterte Helm vielleicht doch nützlich gewesen, schoss es ihm durch den Kopf.

Sie stoben vorbei an den Häusern der Stadt, die das fahle Mondlicht bloß als düstere Schattenrisse zu erkennen gab. Die Balken der Fachwerke prangten wie Gerippe aus dem weißen Putz hervor und die Fensterverschläge erschienen wie dunkle Augenhöhlen, die den Reitern auf ihrer Hetzjagd hinterherschauten.

Nur noch wenige Augenblicke, dann waren sie auf dem Marktplatz vor dem großen Tempelgebäude, von wo der Tumult zu kommen schien. Dirion zog die Zügel an, als er um die Ecke eines Badhauses bog und nun den Marktplatz vor sich liegen sah. Die Dächer einiger Wohnhäuser, die dem Platz anlagen, standen in Flammen. Überall rannten Menschen umher. Männer mit Wasserkübeln, die sie aus den Becken des Badhauses oder dem Brunnen in der Mitte des Platzes auffüllten. Frauen mit Kindern auf den Armen oder an der Hand flohen vor den Flammen.

Irgendwo zwischen ihnen mussten die Triganer ihr Unheil anrichten, doch Dirion konnte nicht ausmachen, welche der hin und her huschenden Gestalten er verfolgen sollte. Denn obwohl das Feuer alles in ein warmes rotgoldenes Licht tauchte, waren die Menschen nur schemenhaft zu erkennen.

„Ritter Alvarn!“, rief Dirion in Richtung seiner Männer. Einer der Reiter kam zu ihm getrabt: „Herr?“ „Nehmt vier Mann mit Euch! Wir teilen uns auf und umkreisen den Marktplatz.“ „Ja, mein Prinz!“ Der Ritter winkte vier der anderen Männer zu sich, dann hielt er inne. „Sollte die restliche Reiterei nicht längst hier sein?“ Dirion nickte: „Sie werden jeden Moment eintreffen. Nehmen wir ihnen ein bisschen Arbeit ab!“

Dirion war dieser Gedanke allerdings auch schon gekommen und er hatte keinen blassen Schimmer, warum die anderen Gruppen noch nicht eingetroffen waren. Auch hätte die Stadtwache längst vor Ort sein müssen, vielleicht hatte Dirion sie schlicht noch nicht ausmachen können in dem Getümmel.

Er versuchte den beunruhigenden Gedanken zu verdrängen, dass sie womöglich tatsächlich allein waren. Also gab er den übrigen vier Rittern das Zeichen zum Galopp und preschte los, vorbei an den panischen Menschen, den brennenden Gebäuden und hinein in die Ungewissheit, die vor dem Tempel auf ihn wartete.

Vyliss schnaubte, zeigte aber keine Furcht im Angesicht des Chaos. Er war es gewohnt, mit Dirion durch die furchteinflößendsten Szenen zu hasten und Dirion konnte sich ausnahmslos auf ihn verlassen.

Der Prinz versuchte indes, in der Mitte des Platzes etwas zu erkennen. Aber während er ritt, schien das Geschehen nur noch mehr vor seinen Augen zu verschwimmen, weswegen er sich schließlich auf den Weg direkt vor ihm konzentrierte. Er kam mit seiner Gruppe vor dem großen Tempel zum Stehen.

Gigantische Säulen trugen das Vordach, welches einen Platz von vielleicht acht Klaftern Länge und an die zwanzig Klafter Breite überdeckte. Dahinter lag das Hauptportal, durch das man in das Mittelschiff des Tempels gelangte.

Das Dach der Anlage war flach, wie es bei den Drakentempeln üblich war, nur in der Mitte erhob sich ein eckiger Turm, der an die hundert Klafter hoch war und in dem sich die Glocken des Tempels befanden, die jeden Mittag und jeden Abend zum Gebet riefen. Die Spitze des Turmes war mit einer Kuppel aus schimmerndem Kupfer versehen, die jeder, der sich der Stadt näherte, schon von weitem sehen konnte, zumindest bei klarem Sonnenschein. Denn dann glitzerte sie wie ein Edelstein weit über alle Lande.

An den Seitenwänden war der Tempel mit großen Fenstern aus buntem Glas versehen, durch die man zwar nicht erkennen konnte, wer oder was sich darin befand, wo jedoch immer der Schein von Kerzenlicht leuchtete, das tags und nachts von den Priestern am Leben gehalten wurde.

Alvarn kam ihm mit seiner Gruppe entgegen, auch ohne Erfolg. „Warten wir?“, fragte der Ritter. Dirion hielt einen kurzen Moment inne, sah wie das Feuer sich weiter ausbreitete und dachte angestrengt nach, welcher Schritt als nächster sinnvoll war. „Ihr werdet mit Euren Männern zur Kaserne reiten und in Erfahrung bringen, warum die Stadtwachen nicht hier sind! Ich bleibe hier, für den Fall, dass sie kommen!“ „Die Reiterei?“, fragte Alvarn, „oder die Triganer?“ Dirion zuckte mit den Achseln und schmunzelte grimmig: „Kommt drauf an, irgendwer wird unsere Gesellschaft schon aufsuchen.“

Alvarn nickte, zog sein Pferd herum und gab den Befehl, zur Kaserne aufzubrechen. Da er immer noch keinen Überblick über das Geschehen gewonnen hatte, entschied Dirion sich dazu, von Vyliss abzusteigen und zu Fuß in Richtung des Brunnens zu gelangen.

Ihm strömten hunderte aufgebrachte Menschen entgegen, keiner hatte Augen für ihn, aber er sah niemanden, der verwundet war oder eine Waffe trug, also schienen sich die Triganer tatsächlich nicht in unmittelbarer Nähe zu befinden.

Dirion erkannte einen der Freiwilligen von der städtischen Miliz an seinem grünen Leinenhemd und der Lederkappe, der an ihm vorbeieilte. Er fasste ihn am Arm und hielt ihn fest: „Kannst du mir sagen, wohin die Triganer geflohen sind?“ Der junge Mann hatte im ersten Moment den Impuls, sich loszureißen. Doch dann erkannte er, wen er vor sich hatte. „Mein Prinz!“ „Wo sind die Triganer?“, widerholte Dirion seine Frage eindringlich, um die Förmlichkeiten zu übergehen, zu denen der Milizsoldat anhob. „In Richtung der Westmauer! Braucht Ihr Verstärkung?“

Dirion hielt die Unterstützung durch einen Laien, der kaum ein Schwert führen konnte, zwar für beinahe überflüssig. Allerdings war es sicherlich sinnvoll, jemanden an seiner Seite zu haben, der sich in der Unterstadt besser auskannte, sollte es zu einer Verfolgung kommen. Also nickte er nur kurz: „Komm mit!“

Sie drängten sich zurück in die Richtung, aus welcher der Prinz gekommen war. Jetzt war Dirion froh, dass er keine Rüstung trug, die ihn daran hinderte, sich durch Engstellen, zwischen menschlichen Gliedern, trampelnden Füßen und aufgebrachten Ziegen, Schweinen und Pferden hindurchzuschlängeln. Der Mann von der Miliz hatte alle Mühe, mit Dirion Schritt zu halten und der Prinz musste einen Moment auf ihn warten, als er bereits bei seinem Pferd angelangt war.

Er war vermutlich Schmied, vielleicht aber auch irgendein anderer Handwerker, der viel Körperkraft in Ausübung seiner Tätigkeit brauchte, Dirion hatte seine muskulösen Unterarme aus dem Hemd ragen gesehen. Doch alle Muskelkraft nützte ihm nichts, wenn es darum ging, sich schnell durch eine Menschenmasse zu bewegen.

„Noch immer nichts?“, fragte Dirion einen der Ritter, die vor dem Tempel auf ihn gewartet hatten. „Nein, mein Prinz!“ „Die Triganer sind in Richtung der Westmauer unterwegs!“ „Dann müssen sie die kleineren Gassen genommen haben“, entgegnete der Ritter, „auf dem Markt begrenzt der Tempel die Weststadt.“

Mit einem Mal fiel es Dirion wie Schuppen von den Augen. „Der Tempel!“, rief er seinen Rittern zu. Nun war auch der Milizmann zu ihnen gestoßen und die sechs Bewaffneten pirschten sich an das Portal heran. Dirion sah sich in der Runde um, sich versichernd, dass alle für einen etwaigen Kampf bereit waren. Jeder von ihnen hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf das Tor vor ihnen gerichtet, die Hand auf den Knauf des Schwertes gelegt.

So näherten sie sich dem Tempeleingang, bis Dirion als Erster direkt davor stand, die schwere Klinke heruntergedrückte und dann ruckartig die Tür aufstieß. Als sei es eine eingeübte Bewegungsabfolge, zog er sein Schwert aus der Scheide, noch bevor er ganz begriff, was ihn so in Aufruhr versetzte. Sein Herz klopfte, die Muskeln in seinem Schwertarm waren allesamt angespannt und die Finger krallten sich um den Griff. Er ließ seinen Blick kurz in alle Richtungen wandern, um eine Übersicht zu bekommen.

An die dreißig triganischen Krieger duellierten sich mit etwa ebenso vielen Soldaten von der Stadtwache. Bänke, Kerzenständer und etliche Reliquien lagen teilweise zerstört auf dem Boden des Tempels herum, einige der Kämpfenden auf beiden Seiten waren bereits verletzt zu Boden gegangen, andere schleppten sich mit blutenden Wunden aus dem Kampfgeschehen. Es schien sich eine Front im Mittelgang gebildet zu haben, wobei die Königstreuen aus Dirions Perspektive auf der linken und die Triganer auf der rechten Seite kämpften. Am nächsten stand ihm einer der Triganer, der im raschen Rhythmus Pfeile mit einem Bambusbogen auf die Stadtwachen verschoss.

Diese Eindrücke genügten ihm.

Dirion spurtete auf den Bogenschützen zu, sprang aus der Laufbewegung heraus auf eine der Gebetsbänke und nahm diese als Rampe, um in einem einzigen großen Satz vor dem Triganer zu landen, welcher - noch ehe er es sich versah - von der Klinge des Prinzen getroffen wurde. Die Triganer trugen kaum Rüstungen, sondern bloß Waffenröcke aus Leinen und Leder. Also riss das Eisen die Haut über der Brust auf wie Papier. Das Letzte, was der Krieger wahrnahm, war das Blut, das als roter Sturzbach über seinen Körper rann. Dann sackte er auf die Knie und ging tot zu Boden.

Dirion hatte indes schon zum nächsten Hieb ausgeholt und ließ die Klinge auf einen Angreifer niedersausen, der offenbar zu den Anführern der Gruppe gehörte. Er trug einen Lendenschurz, der mit Lederstreifen zum Schutz, aber auch mit allerhand Pailletten und Edelsteinen besetzt war, die im flackernden Kerzenlicht des Tempels wild funkelten. Sein muskulöser Oberkörper war entblößt und auf beiden Armen hatte der Mann Tätowierungen, die seine Stammeszugehörigkeit auf Triga erkennbar machten. Schnell genug gelang es ihm, das Schwert des Prinzen mit seinem eigenen zu parieren und so dem tödlichen Schlag zu entgehen. Die Eisen schepperten aufeinander und Dirion konnte das Vibrieren seiner Klinge durch den ganzen Arm spüren.

Mit Kraft war dem Triganer nicht zu kommen, stellte er fest, während dieser zum Gegenangriff ausholte und seine Waffe durch die Luft wirbeln ließ. Über ihren Köpfen kreuzten Dirion und sein Gegenüber die Klingen, mehrmals hieben sie aufeinander ein, doch jedes Mal wurde Dirion ein Stück weiter zurückgedrängt. Schließlich gelang es ihm, einen besonders heftigen Schlag auf seiner Klinge abgleiten zu lassen, sodass die geballte Wucht des Angriffs ins Leere ging.

Der Triganer taumelte einen Schritt nach vorne, vom Gewicht seines Schwertes mitgerissen. Nur einen Wimpernschlag lang hatte der Krieger sich eine Blöße gegeben, doch das war genug Zeit für Dirion, um den Knauf seines Schwertes herumzuschwingen und sie seinem Gegner in den Nacken zu schlagen, während der Prinz selbst einen Satz nach vorne machte und sich Platz verschaffte.

Der Triganer stöhnte auf und taumelte noch einige Schritte nach vorn, sodass er erst unmittelbar vor der Bank zum Stehen kam, die Dirion eben noch hinter sich gehabt hatte. Dieser umklammerte sein Schwert jetzt mit beiden Händen und ließ es nach vorn schnellen, während er einen langen Ausfallschritt machte, sodass das Eisen die Brust des Triganers traf. Der Mann war sofort tot und mit aller Kraft zog Dirion seine Waffe wieder aus dem leblosen Körper.

Im Augenwinkel konnte er sehen, dass seine Ritter sich ebenfalls in den Kampf gestürzt hatten und zusammen mit der Stadtwache die triganischen Eindringlinge in Richtung der Opferschalen des Tempels drängten.

Da schnellte auf einmal etwas Glänzendes auf sein Gesicht zu. Reflexartig hob Dirion das Schwert über sein Haupt und ein Axtkopf sauste auf die Parierstange hinab, wieder durchzog die Erschütterung seine Waffe und das schrille Scheppern des Metalls verhallte im Tempel wie ein Aufschrei. Das Blut des Mannes, den er soeben erstochen hatte, leckte über seine Finger, als er schon den nächsten Axthieb abwehrte.

Der Triganer, der ihn angriff, war schmächtiger als der Anführer. Doch war sein Gesicht komplett mit Kriegsbemalung bedeckt. Das Weiß seiner Augäpfel stach aus den dunklen Farben hervor wie die Augen eines Raubtieres, weit aufgerissen, seine Beute mit Blicken gefesselt. Dirion hatte alle Mühe, die Axt mit dem Schwert von sich fernzuhalten, ohne an Hand oder Arm getroffen zu werden, denn der Axtkopf ragte immer ein wenig über seine Klinge hinaus, mit der er nur den Stiel der Waffe abzuhalten vermochte.

Deswegen wartete er einen günstigen Moment ab, wich dann einem Hieb aus, indem er in die Hocke ging und dem Triganer einen Tritt gegen das Schienbein versetzte, was diesen umriss. Dirion erhob sich wieder und ging auf den Mann am Boden zu. Der hatte beim Sturz seine Waffe fallen gelassen und versuchte verzweifelt, sich aufzurappeln, bevor Dirion ihn erreicht hatte.

Doch als er auf allen vieren seine Axt zu greifen bekam, ließ Dirion sein Schwert in den Rücken des Triganers fahren. Der streckte mit einem markerschütternden Aufschrei die Arme von sich und glitt tot an der Klinge zu Boden. Dirion stellte seinen Stiefel auf den Leichnam, um sein Schwert herauszuziehen. Dann richtete er es wieder schützend vor sich, den nächsten Angriff abwartend.

Als kein weiterer Krieger auf ihn einstürzte, nahm er sich die Zeit, noch einmal die Situation zu überblicken. Erst jetzt, wo er seine Sinne ausstreckte, drang das Getöse der Kämpfenden wieder an sein Ohr. Seine Männer hatten die Triganer einige Treppenstufen hinaufgedrängt und sie befanden sich jetzt im hintersten Teil des Tempels, wo mannsgroße Schalen auf Marmorsäulen standen. In den Gefäßen wurden an Feiertagen die Opfergaben verbrannt, meist Feldfrüchte und Vieh. Von den dreißig Triganern waren vielleicht noch zehn übrig, doch auch einige der Stadtwachen waren in der Zwischenzeit gefallen und lagen tot auf den Treppenstufen.

Einige Schritt ab vom Geschehen, an eine Säule des Tempels gelehnt, sah Dirion nun Walther von Waren sitzen, der mit ihm geritten war. Der Mann war kraftlos zusammengesackt und seine Hände umklammerten einen Pfeil, der ihn in den Unterleib getroffen hatte. Dirion eilte auf den Ritter zu und beugte sich hinab zu ihm: „Blutet es sehr?“

Da Dirion im anhaltenden Lärm des Kampfes keine Antwort verstehen konnte, griff er kurzerhand selbst zu dem Pfeil, schob das Kettenhemd beiseite, soweit es ging, und betrachtete die Wunde. Ein Rinnsal aus Blut hatte sich daraus ergossen und war über das Bein des Ritters auf den Steinboden geflossen. „Haltet aus!“, rief Dirion im Versuch, den Kampflärm zu übertönen. Als er aber aufsah, erkannte er, dass die Augen des Edelmannes unter den geneigten Lidern längst ins Leere blickten und er nicht mehr auf dieser Welt war.

„Ach, verdammt…“, ging es Dirion über die Lippen. Er richtete sich auf, sah noch einmal kurz zum Toten hinab, dann griff er wieder zu seinem Schwert und eilte auf die fechtende Menge zu. Der Kampf war viel chaotischer, als es ihm zu Beginn den Anschein gemacht hatte, denn die Triganer – nun in der Unterzahl – kämpften unerschütterlich und mit dem Mut der Verzweiflung. Sich zu ergeben, bedeutete für einen triganischen Krieger immer eine Schande, die ihm bis zu seinem Lebensende anhaftete, das hatte Dirion inzwischen begriffen. Deswegen machte man auf dem Feld auch kaum Gefangene. Selbst dieses Häuflein Elend würden sie bis auf den Letzten erledigen müssen, um die Stadt von ihnen zu befreien.

Klingen krachten aufeinander, schlugen und stachen in Rüstungen und Körper, Pfeile flogen, bis auch der letzte Triganer zu Boden ging und es gekommen war, wie Dirion geahnt hatte. Als der letzte Schrei verhallte, hielt er einen Moment inne.

All das, das Betreten des Tempels, die drei Krieger, die er besiegt hatte, der Kampf die Treppe hinauf, es hatte alles nur wenige Augenblicke gedauert. Und erst jetzt wurde Dirion jeder einzelnen Bewegung gewahr. Er verstand jetzt erst, welche Gegner ihm gegenübergestanden hatten, wo und wie er sie zu Boden gebracht hatte und dass er noch eben beim toten von Waren gestanden hatte. Er blickte zur Leiche hinüber, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich geschehen war. Dann wandte er sich an die Soldaten: „Verletzte oder Tote?“ „Nein, Herr! Niemand von uns“, erwiderte ein Ritter, „die Stadtwachen haben einige Mann verloren.“ Dirion nickte mit dem Kopf zum toten Ritter hinüber: „Einer!“

Die Männer schritten mit ungläubigen Gesichtern die Treppe hinunter zur Säule, wo der kalte Körper lag und noch immer den Pfeil in seinem Leib umklammerte. Von Waren hatte großes Ansehen unter den Rittern, denn er hatte sich in den Jahren des Krieges durch Tapferkeit und Großmut hervorgetan. Es herrschte eine betretene Stille, als die Männer ihren toten Gefährten betrachteten. Dirion sah kurz in die Runde der Stadtwachen. Außer den Gefallenen, die er bereits ausgemacht hatte, war niemand mehr zu Schaden gekommen. Er wandte sich dem verlorenen Ritter zu. Doch blieb er einige Schritte hinter den anderen Männern stehen, die sich im Halbkreis um den Leichnam versammelt hatten.

„Die Kehle durchgeschnitten“, murmelte Feros von Falckenstein, der Älteste in der Runde. Dirion sah erst jetzt, dass eine große Wunde unter dem Kinn des Ritters klaffte, das Blut jedoch gänzlich vom Wams aufgesogen worden war, sodass ihm die Verletzung entgangen war. Er sah in die Gesichter der Ritter und wartete ihre Reaktion ab.

Auch wenn er nun schon Jahre lang mit ihnen Seite an Seite kämpfte, fiel es ihm schwer, ihre Eigenarten zu verstehen und vorauszusagen, wie sie sich in besonderen Momenten verhielten. Denn obwohl er mit einigen gut befreundet war und bei fast allen einen guten Ruf genoss, so bildeten sie doch ihre eigene, geschlossene Gemeinschaft, zu der er als Prinz niemals gehören würde. Und diese Gemeinschaft hatte ihre eigenen Regeln, die nur ihren Anhängern vertraut waren.

Zorn spiegelte sich in den Gesichtern der Männer wieder, soviel konnte Dirion erkennen. Als Erster löste sich von Falckenstein aus der Runde. Er zog den Helm vom Kopf und legte ihn auf eine Gebetsbank. Dann zog er sein Schwert, packte einen toten Triganer im Nacken und warf ihn auf die Stufen, wo der Leichnam liegen blieb. Mit einem kräftigen Hieb ließ er das Schwert niedersausen. Der Hals des Toten wurde mit einem Knacken durchtrennt.

Der Ritter griff nach dem krausen schwarzen Haar und riss den Kopf von den Schultern. Er stieg die Treppen hinauf und warf den Schädel mit einer verabscheuenden Miene in eine Opferschale, als handele es sich dabei um Unrat. Wortlos sah er zu seinen Mitstreitern hinab. Ein kurzer Blickwechsel genügte, um die Ritter ihre Klingen zücken zu lassen und sie nahmen sich nacheinander alle Triganer vor, die im Tempel verstreut herumlagen.

Dirion schauderte es beim Anblick des grausamen Schauspiels. Er schluckte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Im Grunde genommen wurde nur der Gerechtigkeit Genüge getan. Tot waren sie ohnehin, da tat es auch keinem mehr Leid, wenn ihre Leichen derart geschändet wurden.

So sagte er zu sich.

Doch glaubte er sich keines seiner Worte.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch die bunten Fenster des Tempels strahlten, hatten die Ritter ihr Werk vollbracht. Von Falckenstein nahm einen der Pechkübel, mit denen die Priester an Feiertagen die Opfergaben verbrannten und goss die Schalen damit voll, bis sie überquollen. Dann nahm er eine Kerze aus ihrem Ständer und warf sie auf die pechtriefenden Schädel. Einige andere Ritter taten es ihm gleich und bald standen alle Opferschalen in Flammen. Der Rauch schlängelte sich die Tempelmauern empor und stieg durch die Abzugsöffnungen im Dach hinaus, während sich der widerliche Gestank von verbranntem Fleisch im Gebäude verbreitete.

Die Stadtwachen und Ritter verließen den Schlachtplatz, nur Dirion blieb noch eine Weile stehen und betrachtete das Spiel der Flammen. Die Götter wären über das prächtige Feueropfer erfreut. Hoffentlich wussten sie nicht, mit welchen Früchten es heute entfacht worden war.

***

Die ersten Strahlen der Morgensonne schienen über die Firste der Dächer auf den Marktplatz und tauchten die Stadt in ein warmes Rot. Dirion atmete in tiefen Zügen die frische Spätsommerluft ein. Beißender Rauchgeruch durchschnitt die leichte Brise, die vom Hafen herüber geweht kam. Er trat unter dem Tempelvordach hervor, um den Schaden zu begutachten, den der Kampf zurückgelassen hatte.

Einige Häuser waren bis auf die Grundmauern abgebrannt, weitere Dächer qualmten noch, während Bürger und Stadtwachen unermüdlich Wasserkübel aus dem Brunnen auf die Brandherde schütteten. Dirion bemerkte eine spürbare Ruhe, die sich über die Stadt gelegt hatte, seitdem er den Tempel betreten hatte. Der Angriff schien erstaunlich schnell zurückgeschlagen worden zu sein.

Langsamen Schrittes ging der Prinz auf Vyliss zu, der immer noch dort stand, wo er ihn zurückgelassen hatte. Dirion strich dem Pferd vorsichtig über die Nüstern, dann streichelte er seine Mähne. „Na, was hast du erlebt, während ich weg war?“ Der Halmgarther schnaubte, als würde er seinem Herrn eine Antwort geben. In dem Moment merkte Dirion, wie eine gewaltige Anspannung von ihm abfiel und ihn im gleichen Augenblick die Müdigkeit überkam.

In der Nähe waren auf einmal Hufe zu hören, die auf das Pflaster schlugen und näher kamen. Eine Gruppe von Rittern kam aus der Bucklergasse geritten. Als sie sich Dirion näherten, erkannte er Aldrĭn und Eristrian, die mit dem Tross ritten. Als die Pferde unmittelbar vor Dirion angekommen waren, machten die Reiter halt. Dirion sah blinzelnd zu ihnen hinauf, von den stärker werdenden Sonnenstrahlen geblendet.

„Ihr kommt reichlich spät, meine Herren! Ich habe Euch leider nichts übrig gelassen“, sagte Dirion mit einer übertriebenen Lässigkeit. Sein Bruder und Eristrian stiegen ab und gingen auf ihn zu. „Früher habt Ihr Euch noch nach meinem Wohl erkundigt, wenn wir eine Schlacht geschlagen hatten!“, entgegnete der Marschall in einem ironisch vorwurfsvollen Ton. Dirion schmunzelte: „Da Ihr den Kampfhandlungen fern geblieben seid, wart Ihr heute aber auch nicht in Gefahr, nicht wahr? Oder gab es Probleme?“

Jetzt meldete sich Aldrĭn zu Wort: „Wir hatten uns in der Greifengasse getroffen. Da standen bestimmt drei Dutzend Triganer als Nachhut bereit“, er nahm den Helm ab und strich sich durch die strohblonden Haare, die schweißnass an seinen Schläfen klebten, „ich glaube, sie haben versucht, das Schloss über den Marktplatz zu erreichen.“ Dirion hob zweifelnd die Augenbrauen. „Warum der lange Weg? Das ist doch schwerer als von jeder anderen Richtung aus.“ Eristrian nickte: „In der Tat, aber ich habe aufgehört, mich zu fragen, was hinter deren Taktik steckt. In hundert Kämpfen habe ich versucht, irgendein Muster zu erkennen, nach dem die Spinner vorgehen, doch inzwischen bin ich mir fast sicher, dass es keines gibt!“

„Zermürbung“, murmelte Dirion, während er die verkohlten Dachstühle betrachtete. „Wie meint Ihr?“, fragte der Marschall.

„Findet Ihr nicht, dass es umso erschöpfender ist, gegen jemanden zu kämpfen, den Ihr nicht versteht?“

Der Marschall dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: „Ich finde es eigentlich immer erschöpfend. Man darf sich nur nicht unterkriegen lassen!“ Eristrian lachte herzlich über seine Worte, auch wenn Dirion nicht verstand, was daran so erheiternd war. „Wir sehen uns oben!“, verabschiedete sich der Marschall und schwang sich wieder aufs Pferd. Aldrĭn und Dirion nickten bloß und sahen ihm hinterher. Dann ritten auch einige der Ritter ab.

Dirion musterte seinen jüngeren Bruder einen Moment. Er sah zwar angestrengt aus, der Schweiß stand ihm noch auf der Stirn, die Adern auf seinen Händen waren hervorgetreten, Blutstropfen klebten auf seiner Rüstung. Doch er schien längst nicht entkräftet und weder Angst noch Reue zeigte sich in seinem Blick, während er die verbrannten Häuser betrachtete.

„Wie war es?“, fragte Dirion.

Aldrĭn zuckte die Schultern. „Ich dachte, es wäre schlimmer. Den Befehl zu haben ist kaum anders, als ihn auszuführen, denke ich. Du musst schneller denken, aber alles andere ist schließlich wie immer, oder?“

Das war definitiv nicht die Antwort, welche Dirion erwartet hatte. „Die Verantwortung liegt ganz bei dir! Wenn einer deiner Männer nicht mehr lebend zu seiner Familie zurückkehrt, ist das letztlich deine Schuld.“

Aldrĭn sah zu Boden und hielt einen Moment inne, dann sah er Dirion durchdringend an: „Ich bringe die Männer ja schließlich nicht um, sondern die Triganer.“

So hat man es uns auf der Militärakademie beigebracht, schoss es Dirion durch den Kopf.

Doch nicht, dass es natürlich falsch war!

Als hätten sie auf diesen Augenblick gewartet, kamen der Ritter von Falckenstein und seine Männer die Tempelstufen herab und Dirion wurde aus seinen Gedanken gerissen. Schweigend bahrten sie vor den Prinzen den toten Walther von Waren auf.

Ariowist und Birkenfeuer

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