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4. Juliana und Ekiredis

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Aldrĭn schlenderte um den Brunnen herum, der im Innenhof stand, und wartete auf seine Verabredung. Er hatte dem Kammerdiener der Familie von Klyenna aufgetragen, die Geschwister in den Hof kommen zu lassen, da er beim Nachtmahl keine Gelegenheit gehabt hatte, bei ihnen zu sitzen. Bevor sie allerdings am nächsten Tag wieder zurückführen, wollte der Prinz seine Freunde wenigstens einmal gesehen haben.

Ekiredis und Juliana waren die Erben des Grafen Baldur von Klyenna und etwa in Aldrĭns Alter. Von Kindesbeinen an standen sie in engem, freundschaftlichem Kontakt, insofern es die Distanz zwischen Albenbrück und ihrer Heimat im Norden zuließ. Deswegen nutzten sie die monatlichen Ratsversammlungen, um sich zu sehen, da Ekiredis und Juliana an diesen Tagen ohnehin die Gelegenheit hatten, zusammen mit ihrem Vater zum Schloss zu reisen.

Inzwischen befand Aldrĭn jedoch den Brunnen für einen äußerst ungünstigen Treffpunkt zu dieser Tageszeit, da die Sonne langsam unterging und der Innenhof in kühlem Schatten lag. „He, Prinz!“, rief Ekiredis, als er grinsend aus dem Nordturm trat und leichtfüßig auf Aldrĭn zu schlenderte, seine Schwester direkt hinter sich. Ekiredis trug eine beigefarbene Tunika und einfache braune Leinenhosen, darüber einen schmalen grünen Umhang, welcher an den Rändern mit Goldpaietten besetzt war und vor der Brust mit einer ebenfalls goldglänzenden Spange zusammengehalten wurde.

Juliana hingegen trug eine dunkelbraune Weste und einen ebenso braunen Rock, wodurch ihre langen Beine zutage traten, die vom Schienbein abwärts von den ledernen Sandalen zugeschnürt waren. Wenn die Umstände es wollten - oder besser gesagt erlaubten - so war Juliana eine leidenschaftliche Kriegerin, was eine äußerst seltene Erscheinung im gesamten Königreich war, denn es schickte sich in den meisten Landen nicht, als Frau eine Waffe zu führen, geschweige denn in die Schlacht zu ziehen. Doch im hohen Norden, wo auch ihre Heimat Dysthirthéth lag, waren so manche Regeln außer Kraft gesetzt, die in Albenbrück und weiter südlich galten.

Juliana war eine ausgezeichnete Fechterin und führte den Degen genauso geschickt wie ihre männlichen Rittersgenossen, außerdem konnte sie mit dem Bogen entfernte Ziele treffen, die für Aldrĭn weit außer Reichweite seiner Pfeile lagen. Trotzdem war sie keineswegs grobschlächtig zu nennen, sondern vielmehr von edler Erscheinung. Langes schwarzes Haar, das sie meist zu einem Zopf gebunden hatte, rahmte ein Antlitz, dessen Züge schmal und erhaben wirkten.

Ebenso galt dies für ihren Bruder Ekiredis, mit dem Unterschied, dass diesem ständig der Schalk im Nacken saß und man jederzeit mit einem zynischen Kommentar zu rechnen hatte. Alles in allem fügten sich beide sehr gut in das Bild, was man im restlichen Reich von den Bewohnern Dysthirthéths hatte. Da die Grafschaft direkt an das Plateau grenzte, wohin sich die Hochlandelben zurückgezogen hatten, munkelte man, dass jenes elbisch anmutende Äußere der Dystirthéner nicht von ungefähr kam und die Menschen dort weiterhin einen regen Kontakt mit dem Alten Volk pflegten.

Das war natürlich nur Gerede, doch wüsste er es nicht besser, so fiele er glattweg darauf herein, dachte Aldrĭn, denn seine Freunde erfüllten das Klischee nun einmal perfekt. Aldrĭn umarmte Ekiredis zur Begrüßung, dann Juliana und sie entschieden sich, noch eine Weile um den Schlossgraben zu spazieren, um die letzten Sonnenstrahlen auszukosten.

„Wir haben von Baldur gehört, dass dein Bruder schon wieder zur königlichen Speerspitze erklärt worden ist. Und dass er nicht wirklich begeistert war“, begann Ekiredis das Gespräch. „Ja, aber ich kann es ihm kaum verübeln. Er hatte wahrscheinlich erwartet, dass ich jetzt an der Reihe sei und eigentlich hat er Recht damit“, erklärte Aldrĭn, während sie über die Zugbrücke aus dem Innenhof hinaus auf die Grasfläche gingen.

Zwischen dem Schloss, welches sich auf einer leichten Anhöhe über der Stadt befand, und Albenbrück selbst lagen weite, unbebaute Ebenen. Hier ließen manchmal Schäfer ihre Herden grasen, doch Häuser durften nicht errichtet werden, um im Falle eines Angriffs den feindlichen Soldaten keine Möglichkeit zu bieten, sich hinter Gebäuden zu verschanzen. Aldrĭn und seine beiden Gefährten gingen einen Trampelpfad entlang, welcher eine Weile neben dem Graben herlief und dann abwärts führte in Richtung der Nordstadt. Diese schloss, genau wie das Schloss, mit dem Fuß des Drudenkofels ab. Der Berg wuchs dahinter steil in die Höhe und schützte Albenbrück vom Norden her.

„Und warum tust du es nicht?“, fragte Juliana direkt heraus. Aldrĭn war hin und hergerissen, ob er seinen Freunden die bevorstehende Reise und seine Aufgabe anvertrauen konnte. Arkil hatte ihn noch heute in einer stillen Stunde wiederholt darauf hingewiesen, dass der Versuch, den Apukunen zu töten, strengster Geheimhaltung unterlag. Sollte die Information in die falschen Hände geraten, ein einzelnes Schiff sei mit dem Prinzen darauf auf dem Meer unterwegs - welcher noch dazu in Besitz des heiligen Schwertes war - dann wäre es den Umständen entsprechend einfach, Aldrĭn gefangen zu nehmen oder gar zu töten. Und damit wären alle Hoffnungen auf ein jähes Ende des Krieges zunichte gemacht.

Schließlich entschied sich der junge Prinz allerdings dazu, dass es niemanden sonst gab, dem er sein Geheimnis mit besserem Gewissen anvertrauen könnte und diese beiden waren schließlich seine Freunde gewesen, seit er denken konnte. Was konnte also falsch daran sein? „Ihr werdet es vielleicht nicht glauben, aber ich habe leider keine Zeit, weil ich den Apukunen umbringen soll“, bemerkte Aldrĭn lakonisch.

„Ach so, na dann…“, entgegnete Ekiredis ebenso nüchtern, wobei aber genauso viel Ironie mitschwang wie in Aldrĭns trockenem Tonfall. „Und wirklich? Hast du Angst?“ „Nein, das ist es wirklich“, beteuerte Aldrĭn, „ich hab euch ja gesagt, dass ihr’s mir nicht glauben werdet, aber es ist die Wahrheit. Ich habe es ja selber nicht geglaubt, als mein Vater es mir aufgetragen hat.“

„Das ist doch unmöglich, sagt man das nicht? Also angeblich kann ihn keine Klinge verletzen…“, bemerkte Ekiredis. „Nicht nur angeblich, ein Ritter von unserem Hof war beim Versuch dabei, ihn zu bezwingen“, ergänzte Juliana. „Und?“, fragte Aldrĭn interessiert, denn er hatte noch nie von jemandem aus erster Hand erfahren, wie es war, gegen seinen baldigen Gegner zu kämpfen. Eigentlich müsste es Arkil ja wissen, fiel es Aldrĭn in diesem Moment ein, er würde ihn später danach fragen.

„Nun, sein Holzbein macht sich ganz hübsch unter der passenden Hose“, meinte Ekiredis und grinste, „und nach einigen Wochen war es auch kein Problem mehr für ihn, ohne Zunge zu sprechen.“

Er wartete ab, bis Aldrĭns Gesichtszüge vor Entsetzen entgleisten, dann lachte er und löste seinen Spaß auf: „Ach Unsinn, er ist ihm ohne einen Kratzer entkommen, aber fast alle seiner Gefährten wurden umgebracht. Du kennst ja die restliche Geschichte.“

„Dieses Mal wird es anders sein“, erklärte Aldrĭn, seinen Stolz konnte er in diesem Moment nicht ganz unterdrücken, „denn ich habe die Waffe erlangt, welche ihn niederstrecken kann.“ „Was ist das? Elbenstahl?“, fragte Juliana interessiert.

Noch eine ungewöhnliche Eigenschaft für eine Frau, dachte Aldrĭn – sie interessierte sich nämlich brennend für alle Arten von Fecht- und Schusswaffen. Doch die Frage brachte Aldrĭn in Verlegenheit, denn ganz konnte er die Geschichte von Gnorrin nicht glauben. „Also man sagt, sie sei von den Draken geschmiedet“, begann er.

„Und an so einen Unsinn glaubst du? Wenn du dich darauf verlässt, bist du so gut wie tot, glaube ich“, meinte Ekiredis besorgt. Aldrĭn suchte nach Worten, die seine Freunde glauben ließen, was ihm in der Höhle unter dem Berg widerfahren war. „Wenn ihr mir dasselbe vor ein paar Tagen erzählt hättet, wäre ich genauso skeptisch. Aber ich habe etwas erlebt, dass mich wieder glauben lässt, wie viel Macht die Magie haben kann. Und ich meine weder die Alchemie oder sonstige Magie, wie sie an den Universitäten gelehrt wird und schon gar nicht die Tricks der fahrenden Zauberer…“ „Sondern?“, fragte Ekiredis, immer noch reichlich verwundert über die Worte seines Freundes.

Aldrĭn seufzte und berichtete schließlich die ganze Geschichte; von der Wanderung in den Berg, wie er dem König der Unterirdischen gegenübergestanden hatte, vom Theaterspiel der leuchtenden Kristalle und schließlich, wie er unter Todesängsten das goldene Schwert aus der Tiefe heraufgeholt hatte.

„Entweder bist du verrückt geworden oder es geschehen wirklich wieder Wunder“, resümierte Ekiredis, „aber du scheinst nicht verrückt zu sein.“ „Tja, aber es ist auch eigentlich nicht so wichtig, ob ihr’s glaubt oder nicht“, meinte Aldrĭn, „denn es darf ohnehin niemand sonst erfahren. Also erspart mir bitte eine Menge Ärger und tratscht die Geschichte nicht rum!“

„Und ob es wichtig ist, dass wir daran glauben!“, antwortete Ekiredis, auf einmal Feuer und Flamme. „Wir kommen nämlich mit! Oder?“ Mit einem Blick zu Juliana versicherte er sich, dass er sie gerade statthafterweise mit ins Boot geholt hatte. Sie war allerdings ganz der Meinung ihres Bruders: „Natürlich, wir lassen dir den Spaß bestimmt nicht allein.“

Aldrĭn war froh, so loyale wie abenteuerlustige Freunde zu haben, doch dieser Punkt in der Planung war mit Arkil nicht abgemacht, weswegen er zurückhaltend reagierte. „Ich glaube nicht, dass ich für euer Leben bürgen will, noch kann ich es. Eure Waffen schaden dem Apukunen nämlich nach wie vor nicht.“

„Dann begleiten wir dich eben bis an seine Haustür.“ Ekiredis schien keine Widerrede zuzulassen. „Außerdem schuldest du uns noch eine Seereise, glaube ich?“ Aldrĭn schmunzelte: „Du spielst auf die Fahrt nach Dalltrellva an, richtig?“

Sie waren im vergangenen Jahr bereits einmal Richtung Triga gefahren, jedoch mit einer Flotte, die von Ekiredis’ Vater ausgehoben worden war. Ihre diplomatischen Bemühungen darum, zumindest mit der Nachbarinsel Dalltrellva Frieden zu schließen, waren allerdings gänzlich in die Binsen gegangen und seit der vergeblichen Fahrt unter der Flagge seiner Familie hatte Ekiredis gegenüber Aldrĭn im Scherz eine Schuld ausgesprochen: „Du musst Juliana und mir im Gegenzug auch eine Seereise spendieren“, rief Ekiredis seinem Freund in Erinnerung, „und hier bietet sich doch eine großartige Gelegenheit.“

„Also gut“, gab Aldrĭn nach, „aber keine Beschwerden, wenn ihr ohne Bein oder Zunge zurückkehrt!“

Ariowist und Birkenfeuer

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