Читать книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi - Страница 82
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Оглавление»Kitty schreibt mir, sie wünsche nichts sehnlicher als Einsamkeit und Ruhe«, sagte Dolly, nachdem beide ein Weilchen geschwiegen hatten.
»Und wie ist es mit ihrer Gesundheit? Geht es besser?« fragte Ljewin in merklicher Aufregung.
»Gott sei Dank, sie ist völlig wiederhergestellt. Ich habe nie daran geglaubt, daß sie brustkrank wäre.«
»Ach, das freut mich recht!« rief Ljewin, und Dolly fand, während er das sagte und sie dann schweigend ansah, auf seinem Gesichte einen Ausdruck rührender Hilflosigkeit.
»Hören Sie mal, Konstantin Dmitrijewitsch«, sagte Darja Alexandrowna, und sie lächelte dabei in ihrer gutmütigen und zugleich ein wenig spöttischen Weise, »warum sind Sie eigentlich auf Kitty böse?«
»Ich? Ich bin nicht böse auf sie«, versetzte Ljewin.
»Doch, doch, Sie sind böse auf sie. Warum sind Sie denn, als Sie in Moskau waren, weder zu uns noch zu ihnen gekommen?«
»Darja Alexandrowna«, erwiderte er und errötete bis an die Haarwurzeln, »ich muß mich wundern, daß Sie bei Ihrer Herzensgüte das nicht fühlen. Sie müßten doch Mitleid mit mir haben, da Sie wissen ...«
»Was weiß ich denn?«
»Sie wissen, daß ich ihr einen Antrag gemacht habe und abgewiesen worden bin«, brachte Ljewin heraus, und die ganze Zärtlichkeit, die er noch einen Augenblick vorher für Kitty empfunden hatte, wich in seiner Seele dem Gefühle des Ingrimms über die erlittene Kränkung.
»Warum glauben Sie, daß ich das weiß?«
»Weil es alle wissen.«
»Darin irren Sie sich denn doch; ich für meine Person habe es nicht gewußt, wiewohl ich es vermutete.«
»So. Nun, dann wissen Sie es jetzt.«
»Ich wußte nur so viel, daß irgend etwas geschehen war, worüber sie sich schrecklich grämte; sie hat mich gebeten, ich möchte nie mit ihr davon zu reden anfangen. Nun, und wenn sie es mir nicht gesagt hat, so hat sie es niemandem gesagt. Aber was ist denn zwischen Ihnen beiden eigentlich vorgefallen? Sagen Sie es mir doch!«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, was vorgefallen ist.«
»Wann ist denn das vorgefallen?«
»Als ich zum letztenmal bei Ihnen war.«
»Wissen Sie, ich muß Ihnen sagen«, erwiderte Darja Alexandrowna, »sie tut mir furchtbar leid, ganz furchtbar leid. Aber Sie, Sie leiden ja nur aus verletztem Stolz.«
»Kann sein«, versetzte Ljewin, »aber ...«
Sie unterbrach ihn.
»Aber sie, die Ärmste, tut mir furchtbar, ganz furchtbar leid. Jetzt ist mir alles verständlich geworden.«
»Nun, entschuldigen Sie mich, Darja Alexandrowna«, sagte er und stand auf. »Leben Sie wohl, Darja Alexandrowna! Auf Wiedersehen!«
»Aber nicht doch! Bleiben Sie noch!« versetzte sie und faßte ihn am Ärmel. »Bleiben Sie noch, setzen Sie sich!«
»Ich bitte inständigst: wir wollen über diesen Gegenstand nicht weiter sprechen«, sagte er und setzte sich wieder hin; aber er fühlte zugleich, daß in seinem Herzen eine Hoffnung, die er schon für tot und begraben gehalten hatte, wieder erwachte und sich regte.
»Wenn ich Sie nicht so gern hätte«, sagte Darja Alexandrowna, und die Tränen traten ihr dabei in die Augen, »wenn ich Sie nicht kennte, wie ich Sie kenne ...«
Das Gefühl, das er für tot gehalten hatte, lebte immer mehr und mehr auf, gewann an Kraft und nahm Ljewins Herz wieder in Besitz.
»Ja, jetzt ist mir alles verständlich geworden«, fuhr Darja Alexandrowna fort. »Sie können das nicht verstehen; euch Männern, die ihr frei seid und wählen könnt, euch ist immer klar, wen ihr liebt. Aber ein Mädchen, das darauf angewiesen ist, zu warten, und von ihrem weiblichen, mädchenhaften Schamgefühl zurückgehalten wird, ein Mädchen, das euch Männer nur so von weitem zu sehen bekommt und alles auf Treu und Glauben hinnimmt, bei einem Mädchen kann manchmal ein Gefühl so unklar sein, daß sie nicht weiß, was sie darüber sagen soll.«
»Ja, wenn das Herz nicht spricht ...«
»Nicht doch, das Herz spricht; aber überlegen Sie nur: ihr Männer, wenn ihr ein Auge auf ein junges Mädchen geworfen habt, dann verkehrt ihr in dem betreffenden Hause, ihr nähert euch ihr, seht sie euch genau an und wartet ab, ob ihr auch an ihr die Eigenschaften findet, die ihr gern mögt, und dann, wenn ihr überzeugt seid, daß ihr das Mädchen wirklich liebt, macht ihr euren Antrag ...«
»Nun, ganz so ist es nicht.«
»Das tut nichts; jedenfalls macht ihr euren Antrag erst dann, wenn eure Liebe völlig zur Reife gelangt ist oder wenn bei euch zwischen zwei zur Wahl Stehenden sich ein Übergewicht nach der einen oder der anderen Seite herausgestellt hat. Aber ein junges Mädchen wird nicht gefragt, welchen Mann sie wohl am liebsten haben möchte. Da verlangt man nun, sie solle sich selbst einen wählen, und sie ist doch gar nicht in der Lage, einen zu wählen, sondern kann nur ja und nein antworten.«
›Ja, die Wahl zwischen mir und Wronski‹, dachte Ljewin, und der in seiner Seele auferstandene Leichnam starb wieder und sank als qualvoll drückende Last auf sein Herz zurück.
»Darja Alexandrowna«, sagte er, »in dieser Weise wählt man ein Kleid oder sonst etwas, was man kaufen will; aber bei der Liebe geht es doch anders zu. Die Wahl ist vollzogen, nun gut ... Eine Wiederholung ist unmöglich.«
»Ach, dieser Stolz, immer dieser Stolz!« erwiderte Darja Alexandrowna, wie wenn sie ihn wegen der Niedrigkeit dieses Gefühls im Vergleich mit jenem anderen Gefühle, das nur den Frauen bekannt sei, verachtete. »Damals, als Sie Kitty einen Antrag machten, da befand sie sich gerade in einer Lage, die ihr die Antwort erschwerte. Es war bei ihr ein Zustand des Hin- und Herschwankens. Sie schwankte: Sie oder Wronski. Ihn sah sie täglich; Sie hatte sie seit längerer Zeit nicht mehr gesehen. Allerdings, wenn sie älter gewesen wäre ... Für mich zum Beispiel wäre an ihrer Stelle ein Schwanken ausgeschlossen gewesen. Er ist mir immer zuwider gewesen, und der Ausgang hat mir recht gegeben.«
Ljewin dachte an Kittys Antwort. Sie hatte gesagt: ›Es kann nicht sein ...‹
»Darja Alexandrowna«, antwortete er trocken, »ich weiß das gute Zutrauen, das Sie zu mir haben, zu schätzen. Aber ich glaube, Sie irren sich. Indessen, ob ich nun recht oder unrecht habe, jedenfalls hat dieser von Ihnen so verachtete Stolz die Wirkung, daß für mich jeder Gedanke an Katerina Alexandrowna ein Ding der Unmöglichkeit ist ... verstehen Sie wohl: geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.«
»Ich möchte nur noch eins sagen: bedenken Sie, daß ich von meiner Schwester rede, die ich ebenso liebhabe wie meine eigenen Kinder. Ich sage nicht, daß sie Sie liebt; ich wollte nur sagen, daß ihre abschlägige Antwort in jenem Augenblicke nichts beweist.«
»Das weiß ich denn doch nicht!« rief Ljewin aufspringend. »Wenn Sie wüßten, wie wehe Sie mir tun! Es ist dasselbe, wie wenn Ihnen ein Kind gestorben wäre und jemand zu Ihnen sagte: ›Soundso hätte das Kind sein sollen, dann hätte es können am Leben bleiben, und Sie hätten Ihre Freude an ihm gehabt.‹ Aber es ist doch nun tot, tot, tot ...«
»Wie komisch Sie sind«, sagte Darja Alexandrowna mit trübem Lächeln, da sie Ljewins Erregung sah. »Ja, ja, jetzt wird mir alles immer besser verständlich«, fuhr sie nachdenklich fort. »Sie werden also wohl nicht zu uns kommen, wenn Kitty hier ist?«
»Nein, ich werde nicht kommen. Natürlich werde ich Katerina Alexandrowna nicht ängstlich vermeiden; aber soweit ich kann, werde ich mich bemühen, ihr die Unannehmlichkeit meiner Anwesenheit zu er sparen.«
»Sie sind sehr, sehr komisch«, sagte Darja Alexandrowna noch einmal und blickte ihm dabei voll herzlicher Freundlichkeit ins Gesicht. »Also gut, wir wollen dieses ganze Gespräch als ungeschehen betrachten. Nun, was wünschest du, Tanja?« fragte Darja Alexandrowna auf französisch ihr Töchterchen, das in die Veranda kam.
»Wo ist meine Schaufel, Mama?«
»Ich spreche Französisch, dann mußt du es auch tun.«
Die Kleine wollte ihre Frage auf französisch wiederholen, hatte aber vergessen, wie die Schaufel auf französisch heißt; die Mutter half ihr ein und sagte ihr dann auf französisch, wo sie die Schaufel suchen müsse. Das machte auf Ljewin einen unangenehmen Eindruck.
Jetzt kam ihm an Darja Alexandrownas Haushalt und an ihren Kindern alles gar nicht mehr so hübsch und nett vor wie vorher.
›Und warum spricht sie mit den Kindern Französisch?‹ dachte er. ›Wie unnatürlich das ist! Es liegt eine Art von Unwahrhaftigkeit darin! Und auch die Kinder haben ein Gefühl dafür. Man bringt ihnen das Französische bei und entwöhnt sie dabei von der Aufrichtigkeit‹, dachte er bei sich selbst, ohne zu wissen, daß Darja Alexandrowna all das schon zwanzigmal überlegt und dennoch, ob auch zum Schaden der Aufrichtigkeit, es für notwendig erachtet hatte, ihre Kinder in dieser Weise zu bilden.
»Aber warum wollen Sie denn schon fort? Bleiben Sie doch noch ein Weilchen!«
Ljewin blieb noch zum Tee; aber seine Heiterkeit war verschwunden, und er fühlte sich unbehaglich.
Nach dem Tee ging er ins Vorzimmer, um Befehl zum Anspannen zu geben, und als er zurückkehrte, fand er Darja Alexandrowna in höchster Aufregung, mit verstörtem Gesichte und Tränen in den Augen. Während Ljewin hinausgegangen war, hatte sich ein Ereignis zugetragen, durch das plötzlich ihre ganze heutige Glückseligkeit und ihr Stolz über die Kinder zunichte geworden war: Grigori und Tanja hatten sich wegen eines Balles geprügelt! Darja Alexandrowna hatte gehört, daß in der Kinderstube ein furchtbares Geschrei war; sie war hingelaufen und hatte die beiden Kinder in einem schrecklichen Zustande gefunden: Tanja hielt Grigori an den Haaren gepackt, und er, dessen Gesicht von Wut ganz entstellt war, schlug auf sie mit den Fäusten los, wohin es gerade traf. Darja Alexandrowna hatte bei diesem Anblick eine Empfindung, als ob in ihrem Herzen etwas zerrisse; es war ihr, als senke sich ein tiefes Dunkel auf ihr Leben herab: sie erkannte auf einmal, daß diese ihre Kinder, auf die sie so stolz gewesen war, nicht nur Kinder der allergewöhnlichsten Art, sondern sogar unartige, übel erzogene Kinder mit rohen, gewalttätigen Trieben, mit einem Wort: schlechte Kinder waren.
Sie konnte von nichts anderem sprechen und an nichts anderes denken und mußte ihrem Gaste ihr schweres Leid erzählen.
Ljewin sah, wie unglücklich sie über den Vorfall war, und bemühte sich, sie zu trösten, indem er sagte, das sei noch gar kein Beweis von schlechtem Charakter; prügeln täten sich alle Kinder; aber während er so redete, dachte er doch in seinem Herzen: ›Nein, ich werde nicht Komödie spielen und mit meinen Kindern Französisch sprechen. Aber meine Kinder werden auch von anderer Art sein; man muß seine Kinder nur nicht verderben und verbilden; dann werden es prächtige Kinder sein. Ja, meine Kinder werden von anderer Art sein.‹
Er empfahl sich und fuhr ab, und sie suchte ihn nicht zurückzuhalten.