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Mitte Juli stellte sich bei Ljewin der Dorfschulze von dem Dorfe seiner Schwester ein, das ungefähr zwanzig Werst von Pokrowskoje entfernt lag, und brachte einen Rechenschaftsbericht über den Gang der Wirtschaftsangelegenheiten und über die Heuernte. Die Haupteinnahme lieferten bei dem Gute seiner Schwester die Überschwemmungswiesen am Flusse. In früheren Jahren waren diese Wiesen für zwanzig Rubel die Deßjatine an die Bauern auf Teilung verpachtet worden. Als Ljewin die Verwaltung des Gutes übernahm, fand er bei einer Besichtigung der Wiesen, daß sie mehr wert seien, und setzte den Preis für die Deßjatine auf fünfundzwanzig Rubel fest. Auf diesen Preis gingen die Bauern nicht ein und verscheuchten, wie Ljewin argwöhnte, auch andere Pachtlustige. Darauf fuhr Ljewin selbst hin und richtete es so ein, daß die Wiesen teils für Tagelohn, teils für einen Teil des Ertrags gemäht wurden. Die Bauern des Dorfes selbst bereiteten dieser Neuerung Hindernisse, soviel sie nur irgend konnten; aber die Sache gelang trotzdem, und gleich im ersten Jahre wurde aus den Wiesen fast die doppelte Einnahme erzielt. Im dritten Jahre, das heißt im letztvergangenen, hatte dieser Widerstand der Bauern noch fortgedauert, und die Heuernte war in derselben Weise vor sich gegangen. Im laufenden Jahre nun hatten die Bauern das Einernten des Heus auf allen Wiesen für den dritten Teil des Ertrages übernommen, und jetzt kam der Dorfschulze, um zu melden, daß die Heuernte beendet sei und daß er, aus Furcht vor Regen, unter Zuziehung des Gutsschreibers in dessen Gegenwart die Teilung vorgenommen und bereits elf herrschaftliche Schober aufgestellt habe. Aber aus seinen unbestimmten Antworten auf die Frage, wieviel Heu auf der Hauptwiese geerntet sei, aus der Eilfertigkeit des Dorfschulzen, der die Teilung des Heus ohne vorherige Anfrage ausgeführt hatte, und aus dem ganzen Tone des Bauern schloß Ljewin, daß bei dieser Teilung des Heues etwas nicht richtig sei, und er beschloß, selbst hinzureiten und die Sache zu untersuchen.

Er kam gegen Mittag im Dorfe an, stellte sein Pferd in dem Gehöft eines ihm befreundeten alten Bauern unter, des Mannes der Amme seines Bruders, und suchte diesen selbst auf seinem Bienenstande auf, da er von ihm gern Näheres über die Heuernte erfahren hätte. Der gesprächige, stattliche Alte – er hieß Parmenow – begrüßte Ljewin hocherfreut, zeigte ihm seine ganze Wirtschaft und erzählte sehr eingehend von seinen Bienen und von dem Schwärmen in diesem Jahre; aber Ljewins Fragen nach der Heuernte beantwortete er nur unbestimmt und mit sichtlichem Widerstreben. Dadurch fühlte sich Ljewin in seinen Vermutungen nur noch mehr bestärkt. Er ging auf die Wiesen und sah sich die Schober an. Unmöglich konnten diese Schober je fünfzig Fuhren enthalten, und um die Bauern zu überführen, ließ Ljewin sofort einige mit dem Heueinfahren beschäftigte Gespanne heranholen, das Heu eines Schobers aufladen und in die Scheune fahren. Aus dem Schober kamen nur zweiunddreißig Fuhren heraus. Trotz der Beteuerungen des Dorfschulzen, das Heu sei sehr locker gewesen und habe sich dann in den Schobern gesackt, und obwohl er Gott zum Zeugen anrief, daß er mit der größten Gewissenhaftigkeit verfahren sei, ließ sich Ljewin doch nicht von seinem Standpunkte abbringen, das Heu sei ohne seine Anweisung geteilt, und er nehme daher dieses Heu nicht als fünfzig Fuhren für den Schober an. Nach langem Hinundherstreiten wurde die Sache in der Weise entschieden, daß die Bauern diese elf Schober, jeden auf fünfzig Fuhren berechnet, mit auf ihren Anteil nehmen sollten; für den herrschaftlichen Anteil sollte eine neue Zuteilung vorgenommen werden. Die Verhandlungen und das Verteilen der Haufen dauerte bis zur Vesperzeit. Als das letzte Heu verteilt war, beauftragte Ljewin mit der weiteren Beaufsichtigung den Gutsschreiber, setzte sich auf einen durch eine hineingesteckte Weidenrute als herrschaftlich bezeichneten Heuhaufen und betrachtete mit Vergnügen die von geschäftigen Menschen wimmelnde Wiese.

Vor ihm, an der Krümmung des Flusses jenseits eines kleinen Sumpfes, bewegte sich, mit helltönenden Stimmen lustig schnatternd, eine bunte Reihe von Bauersfrauen, und aus dem ausgebreitet daliegenden Heu wurden schnell auf dem graugrünen Untergrunde graue, unregelmäßig gekrümmte Wälle zusammengeharkt. Hinter den Weibern her gingen die Bauern mit Heugabeln, und aus den Wällen entstanden breite, hohe, lockere Haufen. Zur Linken rasselten über die schon abgeerntete Wiese die Wagen dahin, und die Heuhaufen, in riesigen Ballen mit Gabeln auf die Wagen hinaufgereicht, verschwanden einer nach dem andern, und dafür türmten sich auf den Wagen schwere Ladungen duftigen Heues auf, die tief auf die Hinterteile der Pferde niederhingen.

»Ist das ein Wetter zum Heuen! Und ein Heu wird es – wie Tee so zart!« sagte der Alte und ließ sich neben Ljewin nieder. »Gerade wie wenn man den Enten Korn hinschüttet, so räumen sie auf!« fügte er hinzu, auf die Leute deutend, die die Heuhaufen aufluden. »Seit Mittag ist gut die Hälfte eingefahren.«

»Holst wohl die letzte Fuhre, was?« rief er einen jungen Burschen an, der vorn vor dem Wagenkasten stehend und mit den Enden seiner hänfenen Leinen schwenkend vorbeifuhr.

»Jawohl, die letzte, Väterchen!« schrie der Bursche, hielt das Pferd an, blickte sich lächelnd nach einer heiteren, gleichfalls lächelnden, rotbackigen Frau um, die im Wagenkasten saß, und jagte dann weiter.

»Wer ist das? Ein Sohn von dir?« fragte Ljewin.

»Mein Jüngster«, erwiderte der Alte mit freundlichem Lächeln.

»Ein frischer, strammer Bursche!«

»Nun ja, es macht sich.«

»Ist er schon verheiratet?«

»Ja, am Philippstage waren's schon zwei Jahre.«

»Na, und sind Kinder da?«

»Kinder? Gott bewahre! Ein ganzes Jahr lang hat er überhaupt nichts verstanden; eine wahre Schande!« antwortete der Alte. »Aber das ist ein Heu! Der reine Tee!« sagte er noch einmal, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen.

Ljewin betrachtete nun aufmerksamer Iwan Parmenow und seine Frau. Sie luden nicht weit von ihm einen Heuhaufen auf. Iwan Parmenow stand auf dem Wagen, nahm die gewaltigen Heuballen, die ihm seine hübsche junge Frau anfangs mit den Armen, dann mit der Gabel geschickt hinreichte, in Empfang, verteilte sie gleichmäßig und trat sie fest. Die junge Frau verrichtete ihre Arbeit leicht, munter und behende. Das Heu, das sich durch das Liegen zu einer festen Masse zusammengepreßt hatte, ließ sich nicht so ohne weiteres auf die Gabel nehmen. Sie lockerte es zuerst, schob die Gabel hinein, legte sich dann mit einer elastischen, schnellen Bewegung und mit dem ganzen Gewichte ihres Körpers auf den Stiel der Gabel, richtete sich sofort, den von einem roten Gürtel umspannten Rücken zurückbiegend, wieder in die Höhe, und indem sie die volle Brust unter dem weißen Latze stark nach vorn drückte, faßte sie mit geschicktem Griffe die Gabel anders und schwang den Heuballen hoch nach der Fuhre hinauf. Eilig, da er sich offenbar bemühte, seinem Weibe jeden Augenblick unnötiger Mühe zu ersparen, ergriff Iwan mit weit ausgebreiteten Armen das ihm hingehaltene Heu und legte es auf der Fuhre zurecht. Nachdem die junge Frau das letzte Heu mit der Harke hinaufgereicht hatte, schüttelte sie den Grus, der ihr in den Nacken gefallen war, ab, rückte das rote Tuch zurecht, das sich über der weißen, von der Sonne nicht verbrannten Stirn verschoben hatte, und kroch unter den Wagen, um die Ladung festzubinden. Iwan gab ihr von oben Anweisung, wie sie den Strick am Langbaum anbinden müsse, und lachte laut über etwas, was sie sagte. In dem Ausdruck der beiden Gesichter war eine kräftige, junge, erst vor kurzem erwachte Liebe deutlich zu erkennen.

Anna Karenina | Krieg und Frieden

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