Читать книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi - Страница 85
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ОглавлениеNiemand außer den Allernächststehenden wußte, daß Alexei Alexandrowitsch, anscheinend ein so kühler Verstandesmensch, eine Schwäche hatte, die mit seinem ganzen sonstigen Wesen im Widerspruch zu stehen schien: er konnte es nicht ruhig mit anhören und mit ansehen, wenn ein Kind oder eine Frau weinte. Der Anblick von Tränen machte ihn verwirrt, und er verlor dann vollständig die Fähigkeit vernunftmäßiger Überlegung. Sein Subdirektor und sein Sekretär wußten das und warnten Bittstellerinnen, sie möchten unter keinen Umständen weinen, wenn sie nicht ihre ganze Sache verderben wollten. ›Er wird dann zornig und hört sie gar nicht weiter an‹, sagten sie zu solchen Damen. Und in der Tat bekundete sich in solchen Fällen die seelische Verstimmung, die bei Alexei Alexandrowitsch durch die Tränen hervorgerufen war, durch einen plötzlichen Zornesausbruch. ›Ich kann dabei nichts tun! Bitte, gehen Sie!‹ rief er in solchen Fällen gewöhnlich.
Als Anna auf der Heimfahrt vom Wettrennen ihm ihre Beziehungen zu Wronski aufgedeckt hatte und unmittelbar darauf das Gesicht in den Händen verbarg und in Tränen ausbrach, da fühlte Alexei Alexandrowitsch trotz des Ingrimms, der in seinem Herzen gegen sie aufwallte, doch gleichzeitig, daß wieder jene seelische Verwirrung über ihn kam, die Tränen stets bei ihm hervorriefen. Da er dies wußte und sich bewußt war, daß er in diesem Augenblicke nicht imstande sei, seine Gefühle in einer der Lage entsprechenden Weise zum Ausdruck zu bringen, so gab er sich Mühe, jede Lebensäußerung zurückzuhalten, und deshalb rührte er sich nicht und sah Anna nicht an. Und daher kam denn auch der sonderbare, leichenhafte Ausdruck seines Gesichtes, der Anna so betroffen machte.
Als sie bei dem Landhause angelangt waren, half er ihr beim Aussteigen aus dem Wagen, zwang sich dazu, mit gewohnter Höflichkeit von ihr Abschied zu nehmen, und sagte ihr einige Worte, durch die er sich in keiner Weise band: er sagte, er werde ihr am folgenden Tage seinen Entschluß mitteilen.
Die Worte seiner Frau, die seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten, hatten Alexei Alexandrowitschs Herz sich in furchtbarem Schmerze zusammenziehen lassen. Diesen Schmerz steigerte noch das durch ihre Tränen bei ihm hervorgerufene sonderbare Gefühl eines physischen Mitleids mit ihr. Aber als Alexei Alexandrowitsch im Wagen allein geblieben war, fühlte er zu seiner Verwunderung und Freude eine vollständige Befreiung sowohl von diesem Mitleid wie auch von den Zweifeln und den Qualen der Eifersucht, die ihn in der letzten Zeit gepeinigt hatten.
Er hatte eine ähnliche Empfindung wie jemand, der sich einen Zahn, der ihn lange geschmerzt hat, endlich hat ausziehen lassen. Nach einem furchtbaren Schmerze und nach einer Empfindung, als werde etwas ungeheuer Großes, größer als der Kopf selbst, aus seiner Kinnlade herausgerissen, fühlt der Patient, der an sein Glück noch gar nicht recht zu glauben wagt, auf einmal, daß das, was ihm so lange das Leben verbitterte und ihn an nichts anderes denken ließ, nicht mehr in seinem Munde vorhanden ist und daß er wieder leben und denken und sich wieder für andere Dinge, als immer nur für seinen Zahn, interessieren kann. Eine derartige Empfindung machte Alexei Alexandrowitsch durch. Der Schmerz war seltsam und furchtbar gewesen; aber jetzt war er vorbei; Alexei Alexandrowitsch fühlte, daß er wieder leben könne, ohne immer nur an seine Frau zu denken.
›Ein verworfenes Weib ohne Gefühl für Ehre und Anstand, ohne Herz, ohne Religion! Das habe ich immer gewußt und immer gesehen, obgleich ich aus Mitleid mit ihr mir Mühe gab, mich selbst zu täuschen‹, sagte er zu sich. Und er hatte wirklich die Vorstellung, daß er das immer gesehen habe; er erinnerte sich an kleine Vorfälle aus den früheren Zeiten der Ehe, die ihm damals nicht als etwas Schlimmes erschienen waren; jetzt aber bewiesen diese Vorfälle deutlich, daß sie von jeher ein grundschlechtes Weib gewesen war. ›Ich bin in einem Irrtum befangen gewesen, als ich mein Leben mit dem ihrigen verknüpfte; aber in meinem Irrtum liegt nichts moralisch Schlechtes, und daher kann ich nicht unglücklich sein. Nicht ich bin schuldig‹, sagte er zu sich, ›sondern sie. Aber ich habe mit ihr nichts mehr zu tun. Sie ist für mich nicht mehr vorhanden.‹
Was nun weiter mit ihr und dem Sohne geschehen werde, gegen den sich seine Gefühle ebenso wie gegen sie verwandelt hatten, das kümmerte ihn nicht mehr. Das einzige, was ihn jetzt beschäftigte, war die Frage, wie er auf die beste, anständigste, für ihn selbst bequemste und daher gerechteste Weise den Schmutz, mit dem sie ihn durch ihren Fall bespritzt habe, von sich abschütteln und dann seinen arbeitsvollen, ehrenhaften, der Menschheit nützlichen Lebensweg fortsetzen könne.
›Ich kann dadurch nicht unglücklich werden, daß ein verachtenswertes Weib ein Verbrechen begangen hat; es kommt nur darauf an, den besten Ausweg aus der schwierigen Lage zu finden, in die sie mich versetzt hat. Und ich werde ihn finden‹, sagte er zu sich, indem er die Stirn immer mehr in Falten zog. ›Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein.‹ Und ganz abgesehen von den aus der Weltgeschichte zu entnehmenden Beispielen, von Menelaus an, der durch die Schöne Helena damals allen wieder von neuem ins Gedächtnis zurückgerufen war, vergegenwärtigte Alexei Alexandrowitsch sich eine ganze Reihe von Fällen aus der Gegenwart, in denen Frauen aus den höchsten Gesellschaftskreisen ihren Männern untreu geworden waren. ›Darjalow, Poltawski, Fürst Karibanow, Graf Paskudin, Dram ... Ja, auch Dram, so ein ehrenhafter, tüchtiger Mann ... Semjonow, Tschagin, Sigonin‹, all diese betrogenen Ehemänner stellte Alexei Alexandrowitsch sich im Gedächtnis zusammen. ›Allerdings fällt auf diese Männer ein der gesunden Vernunft widerstreitendes ridicule; aber ich meinerseits habe darin nie etwas anderes als ein ihnen zugestoßenes Unglück gesehen und sie stets wegen eines solchen Unglücks bedauert‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich, wiewohl das der Wahrheit nicht entsprach und er Unglückliche dieser Art nie bedauert, sondern nur sich selbst in seiner Selbstachtung immer mehr gehoben gefühlt hatte, je mehr sich die Beispiele von Frauen häuften, die ihren Gatten die Treue brachen. ›Es ist das ein Unglück, das einen jeden treffen kann. Und dieses Unglück hat nun auch mich getroffen. Es handelt sich jetzt nur darum, wie man diese Lage am besten übersteht.‹ Und nun durchdachte er eingehend die verschiedenen Wege des Handelns, die Männer in derselben Lage wie er eingeschlagen hatten.
›Darjalow hat sich duelliert ...‹
Über das Duell Betrachtungen anzustellen, dazu hatte Alexei Alexandrowitsch, als er noch ein junger Mensch war, sich immer ganz besonders hingezogen gefühlt, weil er seinem ganzen Wesen nach ein furchtsamer Mensch war und dies auch recht wohl wußte. Nicht ohne Entsetzen vermochte er an eine auf ihn gerichtete Pistole zu denken und hatte nie in seinem Leben von irgendeiner Waffe Gebrauch gemacht. Diese Ängstlichkeit hatte ihn in seiner Jugend oft veranlaßt, an ein Duell zu denken und sich in eine Lage hineinzuversetzen, wo er gezwungen sein würde, sein Leben einer solchen Gefahr preiszugeben. Als er in seiner Laufbahn Erfolg gehabt und eine feste Stellung im Leben erlangt hatte, war diese Überlegung bei ihm lange Zeit in Vergessenheit geraten; aber doch war sie ihm immer noch so geläufig, daß sie auch jetzt noch ihren Platz behauptete; und die Besorgnis wegen seiner Feigheit erwies sich auch jetzt noch als so stark, daß Alexei Alexandrowitsch die Frage eines Duells lange von allen Seiten erwog und gleichsam liebkosend damit spielte, wiewohl er im voraus wußte, daß er sich in keinem Falle duellieren werde.
›Zweifellos ist bei uns die obere Gesellschaftsschicht noch so wenig zuvilisiert (anders als in England), daß sehr viele (und unter diesen vielen waren auch Männer, auf deren Meinung Alexei Alexandrowitsch besonderen Wert legte) dem Duell eine gute Seite abgewinnen; aber was für ein Erfolg kann durch ein Duell erzielt werden? Nehmen wir an, ich fordere ihn‹, fuhr Alexei Alexandrowitsch in seinen Überlegungen fort; aber als er sich nun lebhaft die Nacht vorstellte, die er nach der Forderung verleben würde, und dann die auf ihn gerichtete Pistole, da zuckte er zusammen und wurde sich klar darüber, daß er das nie tun werde – ›nehmen wir an, ich fordere ihn. Nehmen wir an, man leitet mich an‹, dachte er weiter, ›man stellt mich auf meinen Platz, ich drücke auf den Abzug‹, sagte er bei sich und machte die Augen zu, ›und es stellt sich heraus, daß ich ihn getötet habe‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich und schüttelte mit dem Kopfe, um diese törichten Gedanken zu verscheuchen. ›Welchen Sinn hat es, einen Menschen zu töten, um das eigene Verhältnis zu einer verbrecherischen Gattin und einem Sohn zu ordnen? Ich werde mir nachher ganz ebenso darüber schlüssig werden müssen, was ich mit ihr machen soll. Oder, was noch wahrscheinlicher ist, ja zweifellos eintreten wird, ich werde getötet oder verwundet. Ich, ein schuldloser Mensch, ein Opfer fremder Schlechtigkeit, werde getötet oder verwundet. Das ist noch sinnloser. Und damit noch nicht genug: eine Forderung von meiner Seite würde eine unehrenhafte Handlung sein. Als ob ich nicht voraus wüßte, daß meine Freunde es nie zu lassen werden, daß ich mich duelliere, es nie zulassen werden, daß ein Staatsmann, den Rußland braucht, sein Leben einer solchen Gefahr aussetze. Was würde also die Folge sein? Die Folge würde sein, daß es schiene, als hätte ich, vorauswissend, daß es nie zu einer wirklichen Gefahr kommen werde, mich durch diese Forderung nur mit einem falschen Ruhm umgeben wollen. Eine solche Handlungsweise ist nicht ehrenhaft, das ist eine Unwahrhaftigkeit, ein Versuch, andere und sich selbst zu täuschen. Ein Duell ist hier ganz ausgeschlossen, und niemand erwartet ein solches von mir. Meine Aufgabe besteht darin, meinen guten Ruf zu wahren, dessen ich zur ungehinderten Fortsetzung meiner amtlichen Tätigkeit bedarf.‹ Die amtliche Tätigkeit, die schon früher in Alexei Alexandrowitschs Augen eine große Bedeutung gehabt hatte, erschien ihm jetzt ganz besonders wichtig.
Nachdem er ein Duell erwogen und verworfen hatte, machte Alexei Alexandrowitsch nunmehr die Scheidung zum Gegenstande seines Nachdenkens, den zweiten Weg, für den einige jener Männer, deren er sich erinnerte, sich entschieden hatten. Aber indem er in seinem Gedächtnisse alle ihm bekannten Fälle von Ehescheidungen durchmusterte (es waren ihrer gerade in der höchsten, ihm wohlbekannten Gesellschaft recht viele), fand er auch nicht einen einzigen Fall, wo der Zweck bei der Scheidung der gewesen wäre, den er selbst im Auge hatte. In allen diesen Fällen hatte der Ehemann die treulose Gattin abgetreten oder verkauft, und gerade der Teil, der als der schuldige nicht das Recht gehabt hatte, eine neue Ehe einzugehen, hatte von der Scheidung Vorteil gehabt: er war in ein künstlich ausgeklügeltes, quasi gesetzliches Verhältnis zu einem quasi Gatten eingetreten. Und was seinen eigenen Fall anlangte, so sah Alexei Alexandrowitsch ein, daß eine gesetzliche Scheidung, das heißt eine solche, bei der einfach auf Verstoßung der Frau erkannt wurde, unmöglich sei. Er sah ein, daß die verwickelten Lebensbeziehungen, in denen er sich befand, die Anwendung solcher groben Beweismittel, wie sie das Gesetz zum Erweise der Schuld der Frau forderte, ausschlossen; er sah ein, daß die über feineren Ton geltenden Anschauungen die Anwendung dieser Beweismittel, auch wenn sie wirklich vorhanden waren, nicht zuließen und daß durch die Anwendung dieser Beweismittel er selbst in der Meinung der höheren Kreise mehr erniedrigt werden würde als seine Frau.
Der Versuch, eine Scheidung zu erlangen, konnte nur zu einem Skandalprozesse führen, der seinen Feinden eine erwünschte Gelegenheit gewesen wäre, um ihn zu verleumden und von seiner hohen Stellung in der Welt herabzuziehen. Sein Hauptzweck, die Sache mit möglichst geringem Nachteil für sich zu ordnen, wurde auch durch eine Scheidung nicht erreicht. Außerdem war es klar, daß bei einer Scheidung, ja auch schon bei dem Versuche, eine solche herbeizuführen, seine Frau ihre Beziehungen zu ihm abbrechen und sich mit ihrem Liebhaber verbinden würde. In Alexei Alexandrowitschs Seele aber war, trotz seiner, wie es ihm schien, jetzt völligen Verachtung und Gleichgültigkeit gegen seine Frau, dennoch in bezug auf sie ein Gefühl zurückgeblieben: der Wunsch, sie nach Möglichkeit daran zu hindern, daß sie sich mit Wronski verbinde und so von ihrem Verbrechen Vorteil habe. Schon jener Gedanke versetzte Alexei Alexandrowitsch in eine solche Erregung, daß er bei der bloßen Vorstellung davon vor innerem Schmerz aufstöhnte, sich halb erhob und seinen Platz im Wagen wechselte und noch eine Weile nachher, mit finster zusammengezogener Stirn, seine frierenden, knochigen Beine mit dem dicken, weichen Tuch umwickelte.
›Außer einer förmlichen Scheidung könnte ich auch so verfahren wie Karibanow, Paskudin und dieser gute Dram, das heißt mich von meiner Frau trennen‹, fuhr er, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, in seinen Erwägungen fort. Aber er fand, daß auch diese Maßregel mit demselben Übelstande verbunden sei wie eine Scheidung, daß sie nämlich schmähliches Aufsehen errege und, was die Hauptsache war, daß sie, genau wie eine förmliche Scheidung, seine Frau ihrem Liebhaber in die Arme warf. ›Nein, das ist unmöglich, unmöglich!‹ sagte er laut vor sich hin und griff wieder nach seinem Tuch, um es fester umzuwickeln. ›Mich kann die Sache nicht unglücklich machen; aber anderseits sollen er und sie nicht glücklich sein.‹
Das Gefühl der Eifersucht, das ihn während der Zeit der Ungewißheit gepeinigt hatte, war in dem Augenblicke verschwunden, als ihm durch die Worte seiner Frau unter argen Schmerzen sein Zahn herausgerissen war. Aber an die Stelle jenes Gefühles war ein anderes getreten: der Wunsch, daß sie nicht nur nicht siegen, sondern auch den Lohn für ihr Verbrechen erhalten möge. Er wollte sich dieses Gefühl nicht recht eingestehen; aber in der Tiefe seiner Seele wünschte er, sie möchte dafür leiden, daß sie seine Ruhe und seine Ehre beeinträchtigt hatte. Und nachdem Alexei Alexandrowitsch von neuem alles erwogen hatte, was für oder gegen ein Duell, eine Scheidung, eine Trennung in die Waagschale fiel, und von neuem all diese drei Wege verworfen hatte, gelangte er zu der Überzeugung, daß es nur einen Ausweg gebe: sie bei sich zu behalten, das Geschehene vor der Welt zu verbergen und alle in seiner Macht liegenden Maßregeln zur Anwendung zu bringen, um jener Liebschaft ein Ende zu machen und (dies war der Hauptzweck, den er sich aber nicht eingestand) sie zu bestrafen. ›Ich muß ihr als meinen Entschluß eröffnen, daß ich nach Erwägung der schwierigen Lage, in die die Familie durch sie gekommen ist, alle anderen Wege dem Interesse beider Seiten für nachteiliger erachten muß als die Bewahrung des äußeren Status quo, und daß ich mit dessen Bewahrung einverstanden sein will, aber nur unter der strengen Bedingung, daß sie ihrerseits meine Forderung erfüllt, ihr Verhältnis zu ihrem Liebhaber zu lösen.‹ Nachdem Alexei Alexandrowitsch diesen Beschluß bereits endgültig gefaßt hatte, fiel ihm noch ein wichtiger Umstand ein, der ihn noch darin bestärkte. ›Nur bei einem solchen Verfahren‹, sagte er sich, ›werde ich auch in Übereinstimmung mit den Geboten der Religion handeln; nur bei diesem Verfahren stoße ich das verbrecherische Weib nicht von mir, sondern gebe ihr die Möglichkeit, sich zu bessern; ja, ich will sogar, so schwer es mir auch werden mag, einen Teil meiner Kraft ihrer Besserung und Rettung widmen.‹ Obgleich Alexei Alexandrowitsch wußte, daß er keine moralische Einwirkung auf seine Frau auszuüben in der Lage war, und daß dieser ganze Besserungsversuch lediglich auf Unwahrhaftigkeit und Verstellung hinauslaufen werde, und obgleich er in den schweren Augenblicken, die er jetzt durchlebte, auch nicht ein einziges Mal daran gedacht hatte, in der Religion eine Richtschnur zu suchen, so gewährte ihm doch jetzt, wo sein Entschluß nach seiner Ansicht mit den Forderungen der Religion zusammenfiel, diese religiöse Bestätigung seines Entschlusses eine große Befriedigung und beruhigte ihn sogar zum Teil. Es war ihm angenehm zu denken, daß auch bei einer so ernsten Lebensangelegenheit niemand werde sagen können, er habe nicht gemäß den Geboten jener Religion gehandelt, deren Fahne er inmitten der allgemeinen Erkaltung und Gleichgültigkeit stets hochgehalten hatte. Bei weiterer eingehender Überlegung vermochte Alexei Alexandrowitsch nicht einmal abzusehen, warum sein Verhältnis zu seiner Frau nicht beinahe dasselbe bleiben könne wie bisher. Allerdings werde er zweifellos nie imstande sein, ihr seine Achtung wieder zuzuwenden; aber seiner Ansicht nach gab es keinen Grund und konnte auch keinen geben, weshalb er leiden und sich sein Leben zerstören sollte, nur weil sie eine schlechte, treulose Gattin war. ›Ja, es wird die Zeit dahinwandeln, die alles ausgleichende Zeit, und unsere Beziehungen werden wieder die früheren werden‹, sagte sich Alexei Alexandrowitsch, ›wenigstens insoweit, daß ich keine Störung im ruhigen Flusse meines Lebens empfinde. Sie wird notwendigerweise unglücklich sein; aber ich habe keine Schuld, und daher kann ich nicht unglücklich sein.‹