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2. Kapitel

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Am nächsten Tag standen auf meinem morgendlichen Merkzettel alle möglichen Hausarbeiten, um 14 Uhr ein Friseurtermin und für den Abend besagtes Klassentreffen. Gegen Mittag sortierte ich frisch gebügelte Wäsche und stellte eine Liste auf, um mich bei Laune zu halten. Eine Liste von Dingen, die ich an der Hausarbeit und meiner FAMILIE wirklich HASSTE.

1. Leere Kleiderbügel auf einem Haufen, weil sie sich ständig ineinander verhaken.

2. Untilgbare Milchkaffeeflecken auf meiner einzigen weißen Jeans, in der ich superschlank aussehe und die ich am Abend anziehen wollte.

3. Eine Teenietochter, die soeben – begleitet von dröhnender Technomusik – einen kleinen Hungerstreik angetreten hatte, um ihren Frankreichurlaub mit Fresse durchzudrücken.

4. Der bevorstehende Beginn der Herbstferien und der diesmal vierwöchige Besuch der Schwiegereltern, da ihr Penthouse in Düsseldorf renoviert wurde.

5. Brownie, der sich laut kläffend auf meinem echt persischen Gabbeh im Wohnzimmer erleichterte, weil er von meinem Sprößling Janosch – mit einem Wasser-Pumpgun durchs Haus gejagt wurde, angeblich, um den Hund zu duschen.

6. Mein Ehemann, der mich anrief, während ich mit einem Arm voll verkanteter Kleiderbügel meinen randalierenden Sohn verfolgte und dabei in die Bescherung des darmsensiblen Hundchens trat.

Und warum rief mein Mann ausgerechnet in diesem Moment an? Weil er mich daran erinnern wollte, daß ich noch »seinen« Artikel für das Magazin »Der Badprofi« schreiben und illustrieren mußte. »Liebling, du hast es vor drei Tagen fest versprochen! Und es macht dir doch auch Spaß! Erst gestern hast du dich über das Einerlei der Hausarbeit und die mangelnde geistige Anregung deines Daseins beklagt.«

So werden voreilig geäußerte Emanzipationsgedanken gegen einen selbst verwendet, dachte ich empört und betrachtete meinen beschmutzten Schuh.

»Du weißt doch«, fuhr mein Mann am anderen Ende des Telefons fort, »daß ich beim besten Willen nicht dazu komme. Eben hat sich die Delegation aus Spanien zur Musterbesichtigung angemeldet, Liebling. Es geht möglicherweise um eine zusätzliche Badewannen-Bestellung, und wenn ich Glück habe, wollen sie das Konzept für die komplette Gestaltung der Hotelbäder. Ein Großauftrag, den wir dringend brauchen. Bitte, sei ein Schatz, der Verbandschef hat meinen – äh, unseren, also deinen – letzten Artikel sehr gelobt und sich persönlich bedankt.«

»Nicht bei mir. Außerdem will ich noch zum Friseur, heute abend ist Klassentreffen.«

»Für lauter andere Frauen mußt du dich doch nicht hübsch machen, du warst doch auf einer reinen Mädchenschule.«

Eben drum! dachte ich in Erinnerung an Cordulas Ermahnungen. Laut sagte ich nur: »Ich mache mich ja auch für dich schön.«

»Nicht nötig«, stapfte mein Mann in das nächstliegende Fettnäpfchen. »Außerdem läßt du dir beim Friseur doch immer nur die Spitzen schneiden, das sieht man doch gar nicht groß. Äh … ich meine, Gott sei Dank sieht man das nicht groß. Ich liebe deine langen Haare über alles. Wäre schade, wenn du dich verändern würdest.«

»Danke«, sagte ich trotzig. Von unten her roch es nach Brownies Bescherung.

»Och, Schatz, sei doch nicht so. Ich meinte doch nur, daß du schön bist, wie du bist, ehrlich. Deine langen Haare, dein Gesicht, deine, deine, deine, äh, begehrenswerte Stupsnase.«

Gerade noch gerettet, dachte ich, und mein Mann kam auf sein eigentliches Begehren zurück.

»Schätzchen, bitte. Ich brauche diesen Artikel. Sei mein liebes Lämmlein.«

Lämmlein – also ich – nickte schicksalergeben in den Hörer. Ich konnte Komplimenten und Kosenamen nicht widerstehen, egal, wie blöd sie waren. Die Rebellin in mir verstummte wieder. Für ein bißchen Liebe tat ich immer noch alles. Noch!

»Okay, ich schreib’ das blöde Ding.«

»Blöd? Na, na. Bitte mit soviel Liebe wie den vorherigen, Schatz.«

Mit Liebe? Ein Editorial über neue Toilettentrends, Waschbeckenfarben und Kachelmuster? Auf einer Doppelseite? Für Sanitärgroßhändler, die alles, aber auch alles über Sanitäranlagen wissen, was ich nicht wußte und mir mühsam aus den Pressemappen der Hersteller zusammenklauben mußte. Ich, eine ehemalige Fast-Architektin. Meine innere Rebellin ging wieder auf die Barrikaden, traute sich aber nicht heraus. Meinem Mann war sie so vollständig unbekannt, daß er munter weiterplauderte, während sie ihr Gewehr lud.

»Das wird bestimmt ein schöner Artikel. Du hast doch Sinn für Ästhetik. Wenn du willst, kannst du ja auch wieder einige von deinen hübschen Zeichnungen beilegen. Die Badentwürfe im letzten Heft kamen wieder supergut an. Ich bin so stolz auf dich«, schloß Karsten das Gespräch gutgelaunt, und seiner Stimme war deutlich anzuhören, daß er vor allem brummstolz darauf war, was für nette Komplimente er seiner Frau nach fünfzehn Ehejahren noch immer machte und wie leicht er sie damit herumbekam. Um ihn war ich zu beneiden, das drückte seine Stimme unmißverständlich aus. Seit einiger Zeit war ich hellhörig für diese leicht abwertenden Untertöne.

Er legte auf. Mißmutig betrachtete ich noch einmal meinen stark verschmutzten Schuh und sorgte dann mit Schwamm und Teppichschaum für die ästhetische Wiederherstellung des persischen Gabbehs. Danach schrie ich kurz und wirkungslos meine Tochter zusammen, mit dem Ergebnis, daß Zoey ihre Anlage um etwa ein Viertel Dezibel leiser drehte. Ich gab auf und stopfte Ohropax in meine Öhren. Nach Janosch suchte ich vorsichtshalber nicht. Er war bereits gefüttert und gab keinen Laut von sich, was normalerweise Übles bedeutet. Doch in dem Moment, als ich mein Laptop aufklappte, um für den »Badprofi« zu dichten, war mir das alles egal.

Fiepend und mit akustischem Dreiklang meldete sich der Computer an. Ich klickte auf den Befehl »leeres Dokument«, der Bildschirm wurde weiß wie Papier, und ich konnte loslegen. Was ich nicht tat. Seufzend griff ich zu einem Bleistift, der immer bereit lag, wenn ich dichten mußte, damit ich daran herumkauen konnte. Ich warf einen Blick in die neueste Pressemitteilung eines Waschtisch-Herstellers, und aus meinem Seufzen wurde ein Stöhnen:

»Das neue Waschtisch-Design ›Mediterrano‹ besticht durch schlanke, edle Linienführung. Variantenreich sind die hierzu kombinierbaren Armaturen, die den Zauber maurisch inspirierter Formgebung mit der ausgefeilten neuen Tubulator-Technik vereinen«, stand da.

Wen, zum Teufel, interessierte das? Mich jedenfalls nicht. Das hatte ich nun von dem Ehrgeiz meines Mannes, der nicht nur Besitzer eines Großhandelsunternehmens für Sanitäranlagen war, sondern auch noch Chefredakteur der Verbandsnachrichten für Sanitärfachleute, genannt »Der Badprofi«. Um sich neue Kunden zu sichern und in der Branche einen Namen zu haben, wie er sagte.

Seufzend las ich weiter: »Für avantgardistische Gestaltungskonzepte sind flammende Sonnentöne bei den Kacheln mit temperamentvoll-spanischer Anmutung der Joker. Vor allem das Modell ›Palma‹«...

»Ach, Palma. Palma de Mallorca und Karsten. Natürlich hatte ich mich vor fünfzehn Jahren nicht in den Großhändler für Toilettenbecken verliebt hatte. Egal, ob die spanisch anmuteten oder sogar Palma hießen. Nein, verliebt hatte ich mich in Karsten, den Architekturdozenten mit dem Harrison-Ford-Blick, der feurig von Fincas und Paradores, von Kathedralen, Palästen und Klöstern erzählen konnte. In Karsten, der mich – und nur mich – nach Besichtigung der Kathedrale von Palma zum Abendessen einlud. Heimlich. In eine vertäumte Bodega im Schatten des ehemaligen Konvents Sant Francesc. Vorher hatte er mir in der Kirche und dem Kreuzgang eine private Lektion zum Thema einschiffige, gotische Langhäuser und verschärftes Küssen hinter Beichtstühlen gegeben. Danach saßen wir auf der winzigen Terrasse der Bodega unter sternenbesticktem Himmel gesessen. Bei vino tinto und Tapas hatte Karsten mir Häuser, Villen und Paläste auf das Papiertischtuch gemalt, die er einmal bauen wollte. Und den schönsten Entwurf von allen hatte er nach mir benannt: »Casa Carolin«. Dazu hatte ein Zigeuner – pardon, ein Sinti oder Roma – die Geige schluchzen lassen. Ach, was war ich verliebt in meinen Luftschloß-Prinzen! Und was war Karsten, der damals 29jährige, sich seiner Sache sicher. Noch ein paar Jahre würde er als Dozent arbeiten, sich international einen Namen machen, dann könnte er sein eigenes Architekturbüro eröffnen. Dann, wenn sein Vater vielleicht einen Kredit lockermachen würde. Spätestens dann, wenn sein Vater ihm das Erbe auszahlen würde. Auf jeden Fall dann, wenn sein Vater sich zur Ruhe setzen und sein Großhandelsunternehmens für Kacheln, Fliesen, Wannen und Sanitäranlagen endlich verkaufen könnte.

Würde, hätte, sollte, könnte – ein Leben im Konjunktiv ist immer gefährlich. Gefährlich nah am Scheitern. Karstens Pläne jedenfalls waren wie Negerküsse in feuchtwarmen Kinderpfoten zerschmolzen. Sein Vater hatte mit Beginn seines 60. Lebensjahres um 1982 deutliche Anzeichen von Altersdemenz gezeigt. Was dazu führte, daß er die ein oder andere Steuererklärung vergessen hatte und sich am Ende nicht mehr recht entsinnen konnte, für was genau er denn so Großhändler und wer seine Kunden waren. Gleichzeitig hatte er wie viele Wirtschaftswunder-Patriarchen niemals für einen kompetenten Nachfolger gesorgt. Das ganze schöne Unternehmen mit seinen mehr als zehn Niederlassungen bundesweit schien aufgeschmissen, konkursreif oder nah davor. Und mit dem Unternehmen etwa 300 Angestellte. Statt die Firma aufzulösen und für eine Unterbringung seines Vaters in einem standesgemäß betreuten Wohnprojekt zu sagen, hatte Karsten die Firma und die 300 Angestellten übernommen.

Auch deshalb, weil seine Mutti Erika es gewollt hatte, die weit mächtiger und bissiger war, als ich es mit meinen neunzehn Jahren und dem zwanghaften Sanftmut einer feministischen Öko-Pazifistin nur ahnen konnte. Als sich in meinem Bauch zum gleichen Zeitpunkt Zoey zu regen begann, hatte für den gewissenhaften Karsten alles sofort festgestanden: Hochzeit, Familiengründung, Firmenübernahme – aus die Maus und Schluß mit lustig.

In der Folge hatte er eine Mischung aus Ehrgeiz, Geiz und Arbeitswut entwickelt, die das Unternehmen vor dem Untergang rettete, uns aber nicht gerade das bescherte, was man ein »Leben im Luxus« oder »happily ever after«

nennen konnte. Einmal auf Sparkurs, war Karsten davon nicht mehr abzubringen, und ich zu jung, zu brav, zu unerfahren und zu schwanger, um dagegen aufzubegehren.

Himmel, ich war eben zwanzig geworden und hatte geglaubt, daß Babys süße, puderduftende Engelchen sind, die man in dekorative Weichholzwiegen ablegt, während man sich einem Buch über »Das gotische Maßwerk und die transzendentale Gotteserfahrung« widmet. Haha. Auch meine Vorstellung, daß Kindererziehung eine idyllische, friedvolle Aneinanderreihung von Martinsfackeln basteln, Plätzchen backen und Geburtstage feiern ist, hatte sich schnell erledigt.

Mit Zoeys Ankunft in der Wirklichkeit war auch ich in der Realität gelandet. Natürlich liebte ich sie, ich vergötterte sie sogar und weinte jedesmal vor Rührung, wenn sie mir ihre Speckfinger in die Nase piekste. Aber erstens ist das nicht alles, was Babys tun, und zweitens mußte ich etwas zu plötzlich meine anderweitigen Träume aufgeben. Ich war plötzlich nichts weiter als die Nur-Haus- und -Ehefrau eines sehr sparsamen und sehr gewissenhaften Kloverkäufers.

Himmel! Die Waschtisch-Trends. Ich spuckte den Bleistift aus und verschönerte unter Mühen den aufgeplusterten Wortwust der Waschbeckenfirma. Dann suchte ich ein paar – wie ich hoffte – mediterran anmutende Badskizzen von mir aus. Was mich leider ganz davon abhielt, mich selbst zu verschönern, bevor ich zum Klassentreffen fuhr.

Nun ja, ich hätte es ohnehin nicht bis zum Friseur geschafft, denn mein stiller Sprößling Janosch hatte den Nachmittag genutzt, um die Haustürklingeln sämtlicher Nachbarn mit Sekundenkleber zu präparieren, weshalb überall an den Häusern Versandhausboten, Kaffeebesucher, Schwiegermütter und was weiß ich noch wer festklebten.

Ich hatte eben meinen Artikel an den »Badprofi« gefaxt, als unser Telefon zum erstenmal klingelte, um für den Rest des Nachmittags nicht mehr stillzustehen. In unserem überschaubaren Bungalowviertel wußte jeder Nachbar sofort, wem er die anhaltend haftende Überraschung zu verdanken hatte. Der »Plage«, wie sie meinen Janosch gemeinhin nannten. Die Plage stand mit verhungertem Blick neben mir, während ich mir eine wüste Standpauke nach der anderen anhörte.

»Es langt, wir zeigen Sie an!« brüllten die einen. »Wir haben bereits unseren Anwalt eingeschaltet«, informierten andere mich in gesetztem Ton. Wieder andere machten mich zusätzlich für sämtliche Hundehaufen auf den Gehwegen im Umkreis von zehn Kilometern und in ihren Gärten verantwortlich.

Die ganze Zeit über stand mein Filius in Treue fest zu mir, seine kleine Hand ängstlich in meiner, schaute er mich völlig verhungert an. Natürlich verteidigte ich ihn wie eine Löwenmutter, schon deshalb, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich mich mit dem »Badprofi« und nicht mit Janosch beschäftigt hatte. Mütter sind so. Sie fühlen sich ständig schuldig, vor allem, wenn ihre Löwenjungen sich schutzsuchend an sie klammern.

Zum guten Schluß rief auch noch meine Schwiegermutter an, um mich daran zu erinnern, daß sie und Hans-Hermann am Samstag pünktlich um zwölf auf der Matte stehen würden.

»Wie immer zum Mittagessen, Carolin. Denk daran: Keine cholesterinhaltigen Speisen, nichts, was Vater weiter verkalken könnte, hörst du? Immer gibt es bei dir diese Cholesterinbomben, schrecklich, was sich dadurch in 76 Jahren in den Arterien von Hans-Hermann abgelagert hat...«

Das war wieder typisch Erika, irgendwie drehte sie es so hin, daß ich am Ende auch noch die Schuld an der frühzeitigen Vergreisung ihres Mannes hatte.

»Mich wundert überhaupt«, fuhr sie angeregt fort, »warum deine Kinder nicht viel fetter sind, bei dem Essen!«

»Bei uns wird ganz normale rheinische Küche gegessen«, verteidigte ich mich, »die mag dein Sohn nämlich am liebsten.«

»Früher war das anders. Mein Karsten war ganz wild auf Gemüse.« Unnötig zu erwähnen, daß ihr Karsten und mein Karsten zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten hatten.

»Ich sehe ihn noch vor mir«, schwärmte Erika. »Er konnte gar nicht genug davon kriegen. Blumenkohl, Möhrchen und Kartöffelchen, vor allem Kartöffelchen. Ach mein Karsten war so ein süßer, putziger Gemüsevielfraß …«

Ich ließ entspannt den Hörer sinken, die Gemüsenummer konnte noch Stunden dauern. Janosch bemerkte, daß die Gefahr einer Bestrafung für ihn gebannt war und verzog sich Richtung Keller und Nintendo.

Meine Tochter Zoey stapfte die Treppe herab. Ich hegte den Verdacht, daß die auffallende Blässe in ihrem Gesicht und die braun-violetten Ringe unter ihren Augen dem Inhalt ihrer riesigen Kosmetiktasche entstammten. Zoey tobte ihre künstlerische Ader gerne in ihrem Gesicht aus, und diesmal wollte sie wohl die hungerleidende, mißverstandene, geschundene Tochter einer herzlosen Mutter vorführen. Mit muffigem Blick schlurfte sie an mir vorbei Richtung Keller, wo sie ihre vegetarischen Schokoriegel-Vorräte versteckt hatte, die ihr die Kraft gaben, den Hungerstreik zu überleben.

»Wer is’n dran?« kauderwelschte sie zeit- und wortsparend.

»Oma Erika«, antwortete ich knapp und bemerkte ein diabolisches Leuchten in den braunumringten Augen meiner Tochter. Mit einem plötzlichen Energieschub riß sie mir den Hörer aus der Hand.

»Hallo Oma!« rief sie mit der verzweifelten Stimme einer Sterbenden ins Telefon. Dann schob sie ein Röcheln hinterher.

Ich wußte, was Schwiegermama am anderen Ende des Telefons fragte. Und Zoey antwortete mit einer Stimme am Ende ihrer Kräfte: »Ich mache einen Hungerstreik.«

Meine Augen drehten sich gen Decke.

»Wie? Jaja, auch wegen des Cholesterins … Nein, Mama versteht mich einfach nicht... O ja, ich liebe Gemüse, hmmm … Kartoffeln gibt es fast nie, immer nur Pommes.«

An diesem Punkt entriß ich dem Kind, das normalerweise täglich fünfmal nach »l-2-3«-Backofen-Frites verlangte, den Hörer und beschied meiner Schwiegermutter mit allem Mut, der mir zur Verfügung stand: »Erika? Ich muß mich sputen, ich habe heute Klassentreffen.«

»Wie kannst du nur an dein Vergnügen denken, wenn dein Kind Hunger hat? Und was ist mit meinem Karsten?«

»Der ißt mit seinen spanischen Geschäftspartnern.«

»Wo?«

»Entschuldige, Erika, das weiß ich nicht.«

»Hoffentlich im Daitokai, das empfehle ich Karsten schon seit Jahren. Japanische Küche ist so gesund und stilvoll. Das wäre zur Abwechslung für ihn haargenau das Richtige. Vielleicht könntest du ja mal japanisch kochen, wenn wir am Samstag kommen. Ich bringe dir Rezepte aus der »Elle« mit... oder war es die »Vogue«? Egal, die Mühe lohnt sich. Der Japaner versteht wirklich was von cholesterinfreier Küche. Und dazu das gepflegte Ambiente …«

Es klingelte an der Haustür. Erleichtert beendete ich das Gespräch mit Erika.

Vor der Tür stand meine Freundin Cordula.

»Himmel, ist es schon sechs Uhr?« fragte ich entsetzt.

Cordula starrte mich entgeistert an. »Carolin, du willst doch nicht etwa so zu unserem Klassentreffen gehen?«

»Was ist denn?« fragte ich ansatzweise genervt.

»Du wolltest doch zum Friseur. Und überhaupt, diese Klamotten! Jeans.«

»Aber so renne ich doch immer rum.«

»Eben.« Cordula riß sich ihr wunderschönes Halstuch – ich tippte auf Joop! oder Jil Sander – vom Hals und warf es mir schwungvoll übers Sweatshirt.

»Nimm wenigstens das und dazu ein schwarzes Top und eine engere Hose«, befahl sie mit Kennermiene. »Hopp-hopp, das geht in Null Komma nix, und damit hast du wenigstens so etwas wie einen Basic-Schick.«

»Was soll der Aufstand?« maulte ich im Stil meiner Tochter.

Cordula ließ sich auf keine Diskussionen ein, sondern scheuchte mich die Treppe hoch. Zehn Minuten später saß ich – in schwarzem Top und Jeans und Jooptuch – auf dem Beifahrersitz von Cordulas feuerroten BMW-Cabrio, das Verdeck war zurückgeklappt, da der niederrheinische Spätsommerhimmel ausnahmsweise mild und blau war. Ich war ausgesprochen zufrieden mit mir, meinem Outfit und der Aussicht auf einen Abend mit lauter Frauen. Anders als meine Freundin.

»Diese Haare!« schimpfte sie – schon wieder kopfschüttelnd. »Hast du denn überhaupt keine Lust, dich mal zu verändern?«

»Nein«, trotzte ich auf, weil sie zielsicher wie eine Cruise Missile meinen wunden Punkt berührt hatte.

»Nimm wenigstens was von meinem Lippenstift.« Sie warf mir eine goldblinkende Hülse in den Schoß und schaltete gleichzeitig in den dritten Gang.

»Nein«, trotzte ich weiter, während der Fahrtwind mir in den Mund fuhr. Er schmeckte nach Pflaumenbäumen, Sommer und Lebensfreude. Mir war der Lippenstift in diesem Moment wirklich egal.

Leider, denn das Klassentreffen erwies sich als genau die Katastrophe, die Cordula mir prophezeit hatte.

Auf Mallorca liebt sich's besser

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