Читать книгу Casanovas küsst man nicht - Leonie Bach - Страница 4
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ОглавлениеMit wütendem Zischen spritzte die verkalkte Kaffeemaschine Wassertropfen auf die Resopalabdeckung des brummenden Kühlschranks. In der Glaskanne fraß sich eine braune Pfütze in den Boden ein und verströmte einen beißenden Geruch nach Angebranntem. Auf einigen Schreibtischen schrillten neben überquellenden Aschenbechern und halbleeren Kaffeebechern die Telefone. Das Klingeln unterbrach das wilde Klack-Klack, mit dem die Kollegen auf ihren Computertastaturen rumwühlten.
Die Nachrichtenticker spuckten in endlosen Fahnen Meldungen aus, die sich auf dem braunen Nadelfilzteppich der Redaktion zu einem verschlungenen Papierwust auftürmten. Die Sekretärin saß seelenruhig bei ihrer Mittagspause, in der Hand einen Becher kalorienarmen Joghurt mit dem Namen, der ein Versprechen war »Für immer schlank«.
Burkhard Drillinger entzifferte den extraschmalen Schriftzug auf dem Doppelbecher und hob entnervt die Augen zu den gelöcherten Styroporplatten an der Decke. Weiber! In spätestens einer Stunde würde Susi Pottkämper unter ihren Schreibtisch abtauchen und heimlich, aber unüberhörbar eine Tüte Teegebäck aus der untersten Schublade hervornesteln, dann mit der knisternden Tüte unter dem überweiten Pullover in Richtung Teeküche schleichen und den süßen Qualen der Kaloriensünde erliegen.
»Bewegung ist das A und O bei jeder Diät.« Mit schmeichelndem Ton wandte sich Drillinger an seine Sekretärin. Die ging sofort in Habachtstellung und präsentierte ihren joghurtverschmierten Löffel wie ein Gewehr.
»Wie wär’s, wenn Sie Ihren ranken Leib erheben und die Meldungen abreißen würden, bevor ich ein Räumkommando bestellen muß?« Drillinger wurde um eine Nuance lauter.
Susi Pottkämper schaute demonstrativ maulig auf ihre leopardengefleckte Swatch am Handgelenk. Ihr trotziger Blick schmolz weg wie eine Schneeflocke überm Abluftschacht eines Saunaclubs. Verflixt, sie hatte tatsächlich überzogen. So würdevoll wie möglich ließ sie ihren Joghurtlöffel in den Becher plumpsen, stellte ihn anklagend – weil er nicht leer war – auf die Kante ihres Schreibtischs, der über Eck an den von Drillinger anschloß, und erhob sich.
Der Leiter der Redaktion »Vermischte Nachrichten« schaute mit dem Grinsen eines satten Reptils hinter ihr her. Na also. Er war hier der Chef und nicht seine vom Schlankheitswahn gezeichnete Tippse, die sich auf dem Weg zum Ticker immer wieder bemühte, ihren selbstgestrickten Pullover in Form zu zerren.
Hoffnungslos, dachte Drillinger kopfschüttelnd. Sogar eine Strickanleitung ging scheint’s über Susis Verstand. Die Füße auf seinen Tisch gelegt, studierte er schließlich die knisternden Agenturfahnen und traf eine Auswahl, die er dem Chefredakteur zur Begutachtung vorlegen konnte.
Halb zwei. Zeit, die Meldungen, Aufmacher und Aufsetzer mit denen oben festzulegen und die Layouts zu entwerfen. Bevor er sich mit einem flatternden Schweif aus Agenturpapier auf den Weg in die Chefetage machte, blickte er sich noch einmal drohend im Großraumbüro um. Doppelt fleißig beugten sich die Jungredakteure über ihre Computertastaturen. Die älteren Kollegen, allen voran Chefreporter Schmöller, zeigten sich weniger beeindruckt und legten nur nachdenkliche Falten ins Gesicht. Seufzend schloß Drillinger die Tür hinter sich. Was für ein Haufen. Journalisten waren schlimmer als ein Kindergarten auf Betriebsausflug. Ständig mußte man sie kontrollieren, beobachten, anleiten, antreiben, aufscheuchen, sonst kamen sie auf eigene und meist dumme Gedanken.
Während Drillinger auf den Fahrstuhl in die Chefetage wartete, fiel ihm beim Stichwort Kindergarten seine jüngste Mitarbeiterin ein. Liane Seil, gerade fünfundzwanzig Jahre alt. Nun, die hatte er recht gut unter Kontrolle. Die war ein kommendes Talent. Und was die Disziplin anging, immerhin hatte sie während der gesamten Mittagspause eifrig am Bildschirm gehockt.
Alle Achtung. Vor mir, dachte Drillinger grinsend. Und vor der neuen Technik, denn seit einer Woche standen brandneue Computer auf den Schreibtischen, und während ein beachtlicher Teil der Kollegen nur nölend das Bedienungshandbuch zerfledderte, die Systemtechniker mit Anrufen bombardierte, weil sie den Einschaltknopf nicht fanden oder die Tastatur mit einem kaputten Kinderklavier verwechselten, hatte sich Liane mit Feuereifer an das neue Gerät gesetzt.
Aus der Kleinen läßt sich was machen, dachte Drillinger, als die Türen der Liftkabine vor ihm surrend zur Seite glitten. Er würde diese Liane schon auf Trab halten. Der Zeitpunkt schien günstig, ihr Privatleben – so hatten eifrige Recherchen einiger Kollegen ergeben – so aufregend wie die Verbandsmitteilungen der geriatrischen Gesellschaft. Kein Lover, der sie von der Arbeit ablenkte und ihr Kraft und Nerven raubte, für Kinder war sie bei weitem zu jung, und abends war sie kaum aus dem Büro zu vertreiben. Kunststück, sie lebte seit zwei Monaten wieder daheim bei Daddy. Wegen Liebeskummer hieß es. Arbeit war dagegen die beste Medizin. Eine große Dosis Arbeit.
Der Menschenfreund in Drillinger streckte stolz die Brust heraus und strebte mit betont federnden Schritten zum Büro des Chefredakteurs. An der Türschwelle zum Allerheiligsten endete der braune Nadelfilz, dahinter schmiegte sich weicher, extra hochfloriger grauer Velour an den Boden.
Hinter einem gewagten Chrom-Glas-Designwunder, das sich Schreibtisch nannte, aber genausogut als »Kniende Nackte« in einer Galerie für moderne Kunst ein Unterkommen gefunden hätte, thronte Henselein, den Blick abwesend aufs Fenster gerichtet. Das Geräusch der knisternden Agenturfahnen, die Drillinger wie einen chinesischen Papierdrachen hinter sich her flattern ließ, riß ihn aus seinen Gedanken. Mit gerunzelter Stirn blickte er dem Ressortleiter entgegen.
Der macht wieder einen auf jungdynamisch, ging es dem Chefredakteur durch den Kopf, als Drillinger mit federndem Schritt, vorgerecktem Brustkasten und eingezogenem Bauch das Zimmer betrat. Bluff gehörte zum Business, und Drillinger war ein Meister des Bluffs. Ihm verdankte die Zeitung so großartige Geschichten wie »Er aß seine Mutter – ein Kannibale unter uns«, »Ufos über Deutschland« und gerade heute »Michael Jackson – sein Gesicht platzt«. Nachrichten, die so exklusiv waren, daß andere Zeitungen sie garantiert nicht druckten.