Читать книгу Casanovas küsst man nicht - Leonie Bach - Страница 9
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ОглавлениеAcht Stunden und einen Ozean entfernt klingelte Eberhard Seil bei seiner Ex. Lächerlich, daß er sich für so ein zweifelhaftes Rendezvous am Freitagabend dermaßen in Schale geworfen hatte. Für seine Verhältnisse. Altes Joop-Jackett rausgekramt, frische schwarze Jeans und schwarzes Hemd. Sogar Blumen hatte er besorgt. Weiße Calera, Corinnas Lieblingsblumen im Winter. Beerdigungsblumen hatte er immer gesagt. War vielleicht ein Fehler gewesen. Überhaupt, er hatte damals eine Menge Fehler gemacht. Mit Corinna, die mal knapp zwanzig war, als dann Liane kam. Unsinn. Deshalb stahl man sich nicht einfach so weg. Sozusagen direkt aus dem Kreißsaal. Das war kein Fehler, das war ein Verbrechen.
Schwungvoll öffnete Corinna die Tür. Joe Cockers whiskygeschwängerter Reibeisenbaß quoll in den Hausflur »You lift me up, where I belong« und dazu der Geruch von Rinderrouladen. Rheinische Art. Na, Gott sei Dank, dachte Eberhard Seil und betrachtete Corinna mit Wohlgefallen. Er mochte diese hauchdünnen, leicht durchsichtigen, bodenlangen indischen Schlabbergewänder immer noch, und sie standen Corinna auch mit fünfundvierzig prächtig.
Die gleiche zierliche Figur wie ihre Tochter, die gleichen Locken und diese veilchenblauen Sydne-Rome-Augen. Der Kranz aus kleinen Fältchen darum verriet mehr als nur ihr Alter, nämlich Lebenslust und Neugier. Kein Zweifel, Corinna war immer noch eine ausgesprochen anziehende Frau.
Der Gedanke ärgerte Eberhard Seil und mit einer ruckartigen Bewegung überreichte er die Calera, als handele es sich um eine Klobürste.
»Du hast es nicht vergessen? Wie süß. Das sind doch wirklich tolle Blumen. Zur Belohnung gibt es auch dein Lieblingsessen. Rinderrouladen. Ohne Curry und Experimente. Hast du Hunger?«
Corinna schlenderte lässig auf nackten Füßen Richtung Küche, unter dem dünnen, orangeroten Stoff des Kleides zeichneten sich deutlich ihre wohlgeformten Hüften ab. Eberhard Seil folgte ihr und kam sich dabei vor wie ein tapsiger großer Hund mit Knickohren.
»Mmmh«, brummte er leicht verlegen. Warum war er bloß verlegen? »Schöne Küche hast du hier.«
»Ja, selbst entworfen und gezimmert. Du siehst, ganz faul bin ich nicht.« Corinna nahm eine Vase vom Küchenregal, füllte sie mit Wasser und stellte die Calera hinein. Hübsch sah das aus auf der roten gemauerten Arbeitsfläche. Die Töpfe simmerten und spuckten Wassertropfen auf das Ceranfeld. Sehr gemütlich, dachte Eberhard Seil, und es roch auch besser als bei Tante Eia. Diesen Gedanken zog er allerdings schnell zurück, das klang glatt nach Verrat.
»Magst du einen Schluck Beaujolais?« fragte Corinna und zog mit einem Plop den Korken von der Flasche.
»Ja, gern. Du kannst dir ja wohl inzwischen was anderes leisten als die großen Lambruscobomben für vierfünfzig, die wir immer geknackt haben.« Das war gemein, aber Eberhard Seil wollte auch gemein sein, um sich nicht länger wie ein ausgemachter Trottel zu fühlen.
»Geliebtes Ekel, du hast recht. Ich könnte mir sogar einen eigenen Weinberg leisten, aber jetzt, wo ich all das habe, vermisse ich am meisten, was ich die ganzen Jahre nicht hatte: eine Familie und eine Tochter wie Liane.«
Eberhard Seil trank hastig einen Schluck Beaujolais. Er wollte nicht sofort mit dem Streit beginnen. Doch all seinen Ärger spülte der Rotwein nicht herunter.
»Was denkst du dir eigentlich bei so einem Satz? Weißt du überhaupt, wie das damals war, als ich ins Krankenhaus kam, dich abholen wollte und nur mit diesem hilflosen kleinen Bündel im Arm die Klinik verlassen mußte? Mein Gott Corinna! Ich habe dich so sehr geliebt. Warum hast du das nur gemacht?«
»Weil du mich viel zu sehr geliebt hast. Du hast mich zerquetscht mit deinen Gefühlen. Gefühlen für die zarte kleine süße Hippiemaus. Das Mädchen mit dem leichten Tralala. Ich hatte einen Tralala, aber ich wußte auch, daß ich nicht zwischen dir und einem Windelberg ersticken wollte.«
Corinna hob einen Topfdeckel hoch und kippte Sahne in die Rouladensoße.
»Du machst es dir sehr einfach. Liane war doch dein Baby.«
»Nein, vor allem deins. Du wolltest das Kind haben. Vor allem du. Ich war nicht soweit. Das klingt beschissen herzlos, aber so war das. Ich mußte erstmal von dir loskommen. Du Oberguru. Ich hatte vor der Geburt endlich Zeit, in mich zu gehen, und hab mir gesagt: Wenn du jetzt nicht anfängst selber zu denken und zu handeln, ist dein Leben vorbei. Und sei ehrlich Eberhard, an deiner Seite wäre ich für immer und ewig das Mädchen mit dem Tralala geblieben, das errötend deinen Spuren folgt. Inzwischen wären wir längst geschieden, und ich würde mein Heil wahrscheinlich beim Töpfern in der Toskana suchen und du bei anderen kleinen Hippiemädchen mit einem leichten Tralala.«
»War ich wirklich so schlimm?« Das mußte am Wein liegen, daß er sich plötzlich so betreten fühlte.
»Nein, du warst nicht schlimm. Du bist, äh du warst ein wunderbarer Mann, sehr zärtlich und liebevoll, aber zu voll von dir selbst. Du warst der Welteneroberer, ich die Fußnote im großen Text deines Lebens. Ich tauge nicht zum Anhängsel, Eberhard. So ist das nun mal.«
»Aber Liane!«
»Liane war für mich damals nur ein brüllendes, forderndes Bündel. Noch ein Mensch, der mich in eine Rolle gepreßt hätte, der ich nicht gewachsen war. Ich hätte sie bestimmt gehaßt, wenn ich damals geblieben wäre. Nein, Eberhard, dem allen war ich einfach nicht gewachsen.«
»Aber einem Trip nach Nepal in einem Schrotthaufen warst du gewachsen?« Eberhard goß sich ein zweites Glas Wein ein.
»Natürlich nicht. Ich hatte einen Heidenschiß und Sehnsucht nach dir. Aber dann war alles so aufregend, jeden Tag eine neue Situation, das hat mich gefordert. Mich ganz allein, und ich hab gemerkt, wow, du bist eine verdammt starke Frau. Du schaffst das. Das war mir damals sehr wichtig.«
»Warum bist du nie zurückgekommen. Ich hätte dich auch nach ein, zwei Jahren mit Freuden wieder empfangen.«
»Hättest du nicht, weil du ein gottverdammter Sturkopf bist.« Corinna schmeckte die Soße ab. Seelenruhig. Sie schien sich ihrer Sache sicher.
Eberhard Seil forschte einem kleinen Schmerz nach, der sein Herz zum Klopfen brachte. »Du hast mir sehr weh getan, Corinna. Mir und Liane.« Das kam ganz leise heraus, der Satz zitterte aus, und Eberhard Seil schnappte nach Luft wie ein an Land geratener Goldfisch.
Der Soßenlöffel fiel klappernd auf das Kochfeld, Corinna sackte auf einem zierlichen Thonetstuhl zusammen und weinte. Tatsächlich, sie weinte. Und wie. Auf dem Herd zerkochten die Rouladen, die Kartoffelklöße vereinigten sich im sprudelnden Wasser fröhlich zu einem matschigen Klumpen. Corinna weinte. Und Eberhard kam sich weiterhin vor wie ein Trottel.
Nein, ich bin kein Trottel, dachte er wütend, erhob sich von seinem Stuhl und nahm Corinna in seine Arme. Ganz fest. Sie durchnäßte sein Joop-Jackett. Zum Teufel mit dem Jackett. Sie fühlte sich genauso an, wie vor fünfundzwanzig Jahren. Zart und weich und warm. Mein Gott, er liebte diese Frau immer noch. Diese verrückte, verantwortungslose Nudel. Nach so langer Zeit. Das durfte doch nicht wahr sein.