Читать книгу Casanovas küsst man nicht - Leonie Bach - Страница 8

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Hi, Mac, Arbeit erledigt, da bin ich wieder. Weiter im Text. Mein Chef schien mir der verpatzten Leiche wegen nicht böse zu sein. Drei Tage nach Identifizierung des Skeletts schanzte er mir nämlich die Einladung zu einer Pressereise zu. Kinder, war das ein Knaller! Drei Tage Karibik. Das klingt doch wie eine Belohnung, oder?

Ich meine, anderen Kollegen gönnt er höchstens zwei Tage Molkekur in Bad Wörishofen oder bestraft sie – Schmöller zum Beispiel – mit sechs Tagen Überlebenstraining ohne Wasser in der Sahara oder zehn Tage Bergwandern über der Baumgrenze in Nordnord-Sibirien. Sahnehäppchen wie »Wein- und Schlemmertour für Millionäre in der Toskana« behält er sich selbst vor.

Von wegen: Da muß ein Profi ran. Ein Profi im Abstauben.

Also diese Pressereisen sind jedenfalls unter Journalisten im allgemeinen sehr beliebt, weil irgendein wildgewordenes Reiseunternehmen wildgewordene Journalisten umsonst in der Weltgeschichte herumfliegt oder -fahrt, sie mit bestem Essen und allerbestem Wein und Schnaps vollpumpt, damit diese Journalisten dann dem Rest der Welt erzählen, daß eine Reise dahin, wo sie alles umsonst bekommen haben, wirklich jeden Pfennig und noch viel mehr wert ist. Je besser der Schnaps, desto länger die Artikel.

Bei den Autojournalisten ist dieses Arbeitsethos noch ausgeprägter: Je größer der Testwagen, desto größer der Bericht. Je mehr PS, desto mehr Gas geben sie bei der Berichterstattung. Mit Farbfoto, wenn sie das Auto ein Jahr behalten und zu Schrott fahren dürfen. Junge, Junge, hoffentlich liest das nie einer meiner Kollegen. Aber mein Paßwort ist idiotensicher. »Watergate«, da kommen die nie drauf.

Papa Seil, der Spielverderber, findet natürlich alle Pressereisen doof und drückt sich, wo es geht. »Weil man auf einer Pressereise vor niemandem weglaufen kann«, sagt er und macht lieber Ferien in Bad Münstereifel, Doppelzimmer mit Großbildschirm-TV.

Trotzdem. Drei Tage Karibik! Ich fiel meinem Chef um den Hals, und er genoß seine eigene Großzügigkeit sichtlich. »Ja, ja Liane, da kannst du mal sehen. Als ich in deinem Alter war, hätte mein Chef mir nicht so eine Reise spendiert.« Kunststück, dachte ich, als du so alt warst wie ich, hättest du höchstens mit einem Kraft-durch-Freude-Dampfer das besetzte Dänemark besuchen können, und dein Chef war der Chef aller Deutschen und hieß Hitler. Das stimmt natürlich nicht, aber ich kann es nun mal nicht leiden, diese Sätze, die mit »als ich so alt war wie du« anfangen. Da kommt immer etwas Restriktives hinterher, von wegen »wir hatten nur trockenes Brot zu essen, und Rübenmus war ein Leckerbissen« oder so. Garantiert. Trotzdem war ich ihm echt dankbar.

Ich konnte vor Reisebeginn schließlich nicht wissen, daß die drei Tage Karibik 42 Flugstunden und zwei Zwischenstopps, darunter ein fünfstündiger in Miami Airport, beinhalteten, wo man nicht mal auf dem Klo rauchen kann, ohne daß die Sprinkleranlage einem den Kopf wäscht. Trotzdem wurde es eine ausgesprochen nette Reise.

Zum einen, weil das neue Urlaubsparadies San Andrés, ein karibisches Jim-Knopf-Eiland kurz vor Nicaragua wirklich paradiesisch ist. Soweit man das nach zwanzig Stunden Flug, einer Stunde Schlaf und in nur acht Stunden Helligkeit beurteilen kann. Zum anderen war es so nett, weil ich Julian kennenlernte, und weil Julian meiner Vorstellung von »Kneif-mich-der-Mann-kann-nicht-echt-sein« so ziemlich nahe kommt.

Aber schön der Reihe nach, obwohl man das ja später noch ändern kann, auch wenn Papa Seil immer sagt: »Kind, du kannst La-lü-la-la in die Zeitung schreiben, Hauptsache du wirst rechtzeitig fertig und kegelst nicht den Andruck. Eine zu spät gedruckte Zeitung ist die schlechteste Zeitung, weil sie es nicht mehr zum Kiosk schafft. Merk dir das und ändere nicht immer alles, bis es zu spät ist.« Trotzdem würde ich niemals La-lü-la-la in irgendeine Zeitung schreiben. Die Leser haben schließlich ein Recht auf Information. Wo war ich gerade? Ach ja. Kurz vor meinem Abflug in die Karibik. Ich fang jetzt also mal direkt am Anfang an.

Das Radio weckte mich mit einer Kaffeewerbung von dieser Krawalltussi, die einen singend anschreit: »Ich bin aktiv den ganzen Tag, soviel Aroma.«

Kennt man, aus dem Fernsehen, so eine strohblonde Überfrau, die morgens schon wie frischgebügelt aussieht und sexy wie Bac-Deo, die dann vor Gericht als Anwältin erstmal ’ne sechsfache Triebtäterin oder so raushaut, dann noch ein bißchen Ballett tanzt – im mintgrünen Tutu – und abends ihren Lover im kleinen Schwarzen zum sechzehnten kleinen Schwarzen – also Kaffee light – empfängt. Das ist echt die Krönung! Ich schweife wieder ab.

Weiter ging’s im Radio jedenfalls stilgerecht mit »La Cucaracha«. Perfekte Karibiklaune und das um vier Uhr morgens und in Deutschland! Psst, bloß nicht Papa Seil oder Tante Eia wecken. Entweder war der Song den letzten Nachtschwärmern oder den ersten Tagknechten – »Gute Laune vor halb sieben« – gewidmet. Ich pfiff mit und packte tanzend meine Reisetasche. La Cucaracha brauchte zwei Bikinis, zwei T-Shirts, Schminktäschchen, die große Version – ein Empfang war angesagt –, ein Sommerkleid wg. Empfang, Turn- und Stöckelschuhe, ebenfalls wg. Empfang, dazu den Reisepaß, ein paar Moneten und den Janoschtiger – ich reise nie ohne Janoschtiger –, Block, Kugelschreiber und Kleinbildkamera. Das war’s.

La Cucaracha mußte aufs Duschen verzichten, um den Zug via Düsseldorf-Airport nicht zu versäumen. La Cucaracha stank trotzdem nicht wie eine Küchenschabe, wozu gibt’s schließlich Deostifte, und hatte glänzende Laune, denn an den Zugfenstern sauste eine trübe, dunkle, niederrheinische Spätwinterlandschaft mit klatschnassen, kahlen Bäumen vorbei, und mir winkten für die nächsten Tage Sonne und Palmwedel. Ist das Leben nicht wunderbar?

Beim Anblick des Presse-Reisetrupps »Hauptsache-alles-umsonst« sank meine Stimmung jedoch kurzzeitig ab. Der Reiseleiter, gleichzeitig Chef und Alleinherrscher der neuen Firma Sun & Fun, trug eine Art Safari-Uniform (Generalsrang mit fünf Schulterklappen), einen Cowboyhut mit Leopardenfellband und Cowboystiefel. Und so verhielt er sich auch.

»Alle Mann« – dabei waren unter den acht Mitreisenden vier Frauen – »alle Mann zu mir. Hier rüber. Etwas Tempo. Sie mit der blonden Dauerwelle auch, etwas Tempo, bitte schön.« Bitte schön, das war ich, obwohl meine blonden Locken echt und der Kopf darunter sehr eigen ist. Und in den Kopf wollte es nicht hinein, daß wir uns zwecks Abfertigung in Zweierreihen zum Appell aufstellen sollten. Mir schwante erstmals, daß diese Karibiktour nicht zu den Pressereisen mit dem Motto »Wir pampern Sie, bis Sie platzen« gehörte. Es schien eher eine Art Strafexpedition für schwererziehbare Journalisten zu werden.

Das oder etwas Ähnliches brummelte ich gerade vor mich hin, als ein weiteres Opfer des Cowboystiefel-Generals zu mir aufschloß. »Ziemlicher Spinner, wir sind hier doch nicht bei der Grundausbildung«, bemerkte der neben mir nur knapp. Ha, eine verwandte Seele. Ich blinzelte ihm zu und konnte gar nicht wieder wegschauen. Das war Julian. Also, ich beschreib ihn mal, obwohl ich im Beschreiben nicht gut bin. Für meine erste Beschreibung in der Klasse 6 bekam ich eben diese Note. Allerdings mußte ich damals ein Matrosenkleid beschreiben, und ich wußte nicht, was ein Matrosenkleid war. Meiner Beschreibung zufolge ein blauer Putzlappen mit weißen Streifen.

Julian jedenfalls sieht überhaupt nicht wie ein Putzlappen aus. Nein, eher so wie eine Kreuzung aus Daniel Day Lewis und Brian Adams. Schwer vorzustellen? Vielleicht, aber Julian hatte das Gesicht und die dunklen Augen von Daniel, dem alten Mohikaner, und den hellen Wuschel-Stoppel-Kopf von Brian, dem musikalischen Schmelzkäse. Für die etwas Älteren würde ich Julian als Kreuzung aus einem jungen Jeremy Irons und einem noch jüngeren Burt Lancaster beschreiben.

Ungefähr so eben, wie Schokopudding mit Sahnehäubchen, eine Melange aus Hell und Dunkel, wobei der dunkle Einschlag trotz der blonden Haare überwiegt. Gott sei Dank, denn bei den Schokopuddingbechern mag ich die braune Creme auch lieber als die Stickstoffsahne. Julian mochte ich ganz und gar, und das sofort und bitte in Riesenportionen.

»Für wen bist du hier?« fragte ich, denn Journalisten wollen auf Pressereisen immer wissen, für welches Blatt der Kollege unterwegs ist. Das erleichtert die Einteilung und klärt den ungefähren Flirtwert auf einer Skala von Minus zehn bis oben hin offen. Also, ich geb mal einen groben Überblick, falls Sie jemals mit einem Journalisten auf Tour gehen und einem Flirt nicht abgeneigt sein sollten: Fachblatt für die Tourismusbranche – gähn, wie lange kann man sich wohl über Bettenbelegungszahlen in Süd-Burma unterhalten.

Seriöse Tageszeitung mit festem Abonnentenstamm – kann nett sein, wenn es sich nicht um einen Kollegen aus der Sportartikelabteilung handelt. Die haben nämlich garantiert einen Weltsender mit Minikopfhörer dabei, damit sie auch ja kein Spiel verpassen, auch nicht das zwischen der Eintracht Haiger und dem TUS Wörishofeh.

Frauenmagazin – kommt sehr drauf an. Wenn die Kollegin eine spätbewegte Emanze ist, die bevorzugt über glückliche Singles schreibt, muß man sich die ganze Zeit über Scheißmänner und Beziehungskrisen unterhalten. Auch wenn man selber gerade mal keine hat, was bei mir zugegebenermaßen selten ist. Trotzdem glaube ich noch an Mr. Right. Ist die Frauentussi für Mode zuständig, muß man sich gar nicht mit ihr unterhalten, da ist sie nämlich zu fein für, fürs Unterhalten.

Herrenmagazin – vergessen Sie’s, ich meine, wenn Sie eine Frau sind. Oder haben Sie einen Body, der ausklappbar ist?

Allgemeine, bunte Illustrierte – kann spannend sein, wenn der Kollege oder die Kollegin für die Abteilung königlicher Klatsch und Tratsch zuständig ist. Ich liebe königlichen Klatsch. Nachrichtenmagazin, möglichst aus Hamburg – na ja, da gibt’s genauso viele Flops wie Volltreffer. Julian war ein Volltreffer, fand ich jedenfalls. Nachrichtenmagazin, Abteilung Ausland, freier Mitarbeiter, ständig unterwegs und deshalb nicht drauf angewiesen, mit Terminen anzugeben.

Julian nahm mir meine Reisetasche ab und bestellte: »Zwei Plätze nebeneinander bitte, Raucher.« Der General mit den Cowboystiefeln konnte uns gestohlen bleiben.

»Warum fliegst du bei so einer Popelsreise mit?« wollte ich wissen. Ziemlich arrogant, ich weiß, schließlich ging die Popelsreise um die halbe Welt und war meine erste. Aber ein professioneller Journalist macht erstmal alles runter, was er umsonst bekommt, vor den Kollegen, das steigert Ansehen und Marktwert. Ungefähr so: Australien? Ach, mit Australien kannst du mich jagen, war ich erst gestern nachmittag wieder.

»Mach ’n Special über die schwarzen Schafe der Tourismusbranche«, antwortete mir statt dessen Julian, »und der hier«, er deutete auf den General, »ist zumindest ein Schaf.« Da waren wir uns einig. Der Rest der Truppe, der mir eigentlich gestohlen bleiben konnte, vor allem die rassige Rothaarige mit den Rehaugen vom Rundfunk, versammelte sich um die Bierbar in der Abfluglounge.

Ich mußte mich auch erstmal drangewöhnen, daß die Mehrzahl der Journalisten schon vor Sonnenaufgang Bier trinkt – zumindest wenn sie im Dienst sind. Julian bestellte drei Gläser Champagner, für sich, für mich und leider auch für die Rothaarige mit dem wunderschönen Namen Anna. Dabei war sie weit vor den 80ern geboren, als die Welt die wundersame Vermehrung der Annas und Lisas und Sarahs und Sarah-Annas erlebte. Im Westen Deutschlands. Im Osten verbreiteten sich seuchenartig Mandys. Erich Honecker plante kurz vor seinem Rücktritt noch ein sozialistisches Manifest – oder wie das drüben hieß –, der die Verwendung des Namens Mandy als dem sozialistischen Gedankengut zuwiderlaufend einstufte.

Also egal, Anna fand Julian auch unglaublich. Und während ich mich um einen Geistesblitz nach dem anderen bemühte, lächelte sie nur vielversprechend mit den Augen und nur für Julian. Der Charme der Schweigsamen. Ist mir leider nicht gegeben. Ich plaudere die Männer lieber aus der Reserve. Muß ich mir wirklich abgewöhnen.

Der Safari-General verteilte Namensschilder. Riesige butterblumengelbe Smile-Sonnen mit unseren Namen drauf. Wir waren sozusagen offiziell in seine Truppe aufgenommen. »Damit wir uns auch von weitem erkennen.« Zum Weglaufen. Anna ließ das Ding natürlich sofort in ihrer Tasche verschwinden, ich war so blöd, es mir an die Jacke zu heften. Julian Gott sei Dank auch. So was verbindet.

»Für wen sind Sie denn hier?« fragte Anna mich, als Julian kurz auf der Toilette war und wahrscheinlich ausknobelte, mit wem von uns er die Karibik erotisch aufladen würde. Ich nannte den Namen, und Anna sagte nur »Ach so.« Blöderweise erklärte ich jetzt noch, warum ich für die Zeitung arbeitete, für die ich arbeitete.

»Weißt du, ich find das wichtig, gerade bei so einer Zeitung guten Service, Nachrichten kurz und knapp und gute Unterhaltung zu bieten. Vielleicht ist das ja die einzige Nachrichtenquelle neben dem Fernsehen, und die Leute sollen für ihre siebzig Pfennig was geboten kriegen.«

Zum Beispiel Mädchen mit großen Brüsten auf der Seite eins, dachte ich und hätte mir selbst eine knallen können. Was ging die dumme Rundfunk-Ziege das eigentlich an?

Die moderierte wahrscheinlich Radiosendungen über die »Orgasmusprobleme türkischer Frauen«. Gibt es wirklich, schalten Sie mal morgens gegen 11 Uhr ein, verbrauchen Sie Ihre Gebühren! Anna sagte nur: »Ach so.« Aber Julian, zurück von der Toilette, sprang mir bei.

»Klar, finde ich gut. Diese Zeitungen wird es immer geben, um so besser, wenn sie von intelligenten Leuten gemacht werden. Und stilistisch finde ich euch oft viel witziger und cleverer als die Artikelartisten in den Abozeitungen. Die Meister des sinnlosen Adjektivs.«

Ha, das hatte gesessen.

Anna mußte nicken, wenn sie bei Julian nicht alle Schnitte verlieren wollte. Übermütig trank ich noch ein zweites Glas Champagner und fragte den Kerl neben mir, für wen er denn da sei. Für ein Herrenmagazin. Hätte ich besser mal nicht gefragt. Aber irgendwie kam der mir bekannt vor. Er hatte einen riesigen Walroß-Schnauzer in kränklichem Gelbrot, dessen Zipfel er sorgsam zu Kringeln nach oben zwirbelte oder zu kleinen Dolchen knetete, die ihm dann fast bis zu den Ohren reichen. Wenn ich das sehe, jucken mir sofort die Backen. Wer küßt denn so was? Der restliche Haarwuchs des Herrn ist bescheiden, der Kerl selber allerdings das Gegenteil.

Während Anna Julian charmant und wirksam anschwieg, verstrickte mich der Schnauzbart in endlose Ich-bin-so-toll-daß-ich-es-kaum-fassen-kann-Vorträge.

»Also eigentlich sind solche Kurztrips nicht mein Kaliber. San Andrés, gut, aber nur weil es neu erschlossen wird. Letzte Woche war ich erst wieder in der Südsee für eine neue Serie. Kennen Sie die? Natürlich kennen Sie die. Das ist ja etwas ganz anderes. Die mache ich. Ziemlicher Knaller. Muß man kennen.« Was, die Serie, ihn oder die Südsee? Der Safari-General gab Befehl zum Aufbruch, wir marschierten brav durch den Glaskäfig mit den Plastikstühlchen und reihten uns hinter US-Moms und Rhinearmy-Pops mit quakenden Babies, Trenchcoat-Trägern und Floridarentnern ein. Der Schnauzbart klemmte sich noch demonstrativ die Freiexemplare von FAZ, Süddeutscher und Spiegel unter den Arm.

Wahrscheinlich, damit niemand auf den Verdacht kam, daß er für ein Herrenmagazin unterwegs war, das die meisten Männer immer noch nicht der ausgezeichneten Artikel wegen lesen. Sein blödes MCM-Köfferchen –Pressegeschenk – schien er nicht für verräterisch zu halten.

La Cucaracha hatte einen ziemlichen Schwips und vergaß fast völlig, daß sie unter panischer Flugangst leidet, die schon ein Tröpfchen Kerosin entflammt. Als wir über den harten, genoppten Industriefußboden des Korridorfingers polterten, kawumm, kawumm, fiel mir die Sache mit meiner Flugangst wieder ein. Immerhin befand ich mich jetzt schon in einem tückischen Metallschlauch, der acht Meter über dem Betonboden schwebte. Anna guckte merkwürdig freundlich.

»Hast du Flugangst?«

»’n bißchen.«

»Dann sollten wir lieber die Plätze tauschen. Du sitzt nämlich direkt bei der Tragfläche, die schwingt ziemlich auf und ab bei Start und Landung. Das könnte beängstigend sein.« Sie fand es offensichtlich sehr beängstigend, mich acht Stunden mit Julian allein zu lassen.

Mit allen Wassern gewaschen. Lernt man so was beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

»Die Tragflächen geben mir ein Gefühl von Sicherheit. Schließlich sehe ich da, womit die Dinger fliegen«, log ich tapfer.

»Ach so«, sagte Anna, »aber wundere dich nicht über die vielen bunten Klebestreifen, das sind keine Heftpflaster. Nur Markierungszeichen.«

»Ach so«, sagte ich, »na, da bin ich aber mal beruhigt.«

»Wenn ihr wollt, könnt ihr auch zusammensitzen und euch trösten«, schlug Julian vor. Männer sind manchmal ausgemachte Trottel. Außerdem hatte der gut reden, der mußte sich um nix zanken, eine von uns war ihm gewiß und wenn er clever war, sogar beide.

Nee, dachte ich in dem Moment, das ist er nu auch wieder nicht wert. Wie Tante Eia immer sagt: »Kind, laß die Männer hinter dir herlaufen. Nich umgekehrt, da wird nix draus, ich kenn mich aus.« Konnte ich mir allerdings schlecht vorstellen, obwohl, wenn Tante Eia nicht für Papa Seil ins Theater geht, hat sie auch so ihre abendlichen Anlaufstellen. »Weißt du, Julian, ich glaube, das mit dem Trösten ist keine tolle Idee. Besser du erzählst mir von ganz anderen Sachen und lenkst mich ab«, erwiderte ich und sicherte mir den männlichen Beschützer.

Anna lächelte eisig, aber tapfer. »Na dann, ich seh euch später.« Das euch hätte sie sich sparen können, denn ihr saugender Blick lag mitten auf Julians weißem T-Shirt, das er unterm schwarzen Wolljackett trug.

So’n Mist, schon wieder mein Chef. Man kommt zu nix, dabei habe ich mir nach drei Tagen Karibik und Mick Jagger – ja Mac, du verstehst richtig, MICK JAGGER, der rockende Geröllheimer – wirklich eine kleine gedankliche Sammlung verdient. Bis später.

Drillinger überreichte Liane einen Layoutbogen. »Du füllst den Komplex 304. Jede Menge Platz, aber schweif nicht ab. Nur das, was du gesehen hast, und dazu das Archivmaterial. Ich kann mich doch auf dich verlassen?«

Liane nickte. Wie einfach Drillinger das Du von den Lippen ging. Klar, die Sache mit Mick Jagger. Das war mindestens eins rauf mit Mappe, und weil’s so schön war, sollte sie nächste Woche nach Hannover. Zur Jahrestagung vom Club of Rome! Mehr als 50 Millionäre!! Und – Gorbatschow!!! Jetzt war sie voll auf die Promis gebucht. Liane pfiff »La Cucaracha« und rief per Tastendruck – Apfel N – eine neue Maske auf den Macintosh-Bildschirm.

Das schrieb sich runter wie Butter. Ich und Mick Jagger. Burkhard Drillinger verteilte die restlichen Layouts, ließ sich von der Sekretärin einen Kaffee bringen und legte ein Kennerlächeln auf sein Gesicht. »Man muß sie nur hart rannehmen. Dann wird was aus den jungen Leuten. Nicht schlecht, die Jagger-Sache, und ganz exklusiv. Vielleicht hatte das Mädchen doch mehr Biß als Seele.

Da bin ich wieder. Junge, Junge. Die Jagger-Sache war wirklich ’ne heiße Kiste, und ich bin damit auf der Seite 3. Toll. Die Sahneseite, weil man, wenn man die Zeitung aufschlägt, automatisch nach rechts schaut, eben auf Seite 3. So ist das eben. Außer wenn man Linkshänder ist, dann ist man nämlich auch Linksgucker. Aber macht ja nichts. Weiter geht’s mit der Karibikreise, denn außer Mick geht es ja um Julian. Nur das gehört nicht in die Zeitung.

Der Flug war weniger schlimm und Julian besser als erwartet. Er versorgte mich kontinuierlich mit Champagner, und über Grönland war ich so weit, einen Blick nach unten zu riskieren. So schön war das, so schön! Das Meer eine schiefergraue Fläche mit winzigkleinen Wellenkämmen, dazwischen trieben Eisschollen, die nicht größer aussahen als ein Langnese-Minimilk, und ich dachte an die Eisbären, die wahrscheinlich verschlafen auf den kleinen silbernen Vogel am Himmel schauten, der eine weiße Wolkengirlande hinter sich her kräuselte. Schade, daß mein Janoschtiger das nicht sehen kann, dachte ich. Der schlief bei Minus 40 Grad im Kofferbauch des Flugzeugs.

»Noch ’ne Zigarette?« fragte Julian.

»Ja, gern.« Tante Eia konnte ja nicht mitzählen.

»Du hast Russisch studiert? Finde ich interessant, erzähl mal.«

»Was soll ich da erzählen?« fragte Julian zurück.

»Na ja, welche Bücher hast du gelesen, welche Schriftsteller magst du?«

»Ich les kaum Bücher. Ich habe über den Umbruch in der Kolchosenwirtschaft zwischen 1985 und 1990 geschrieben.« Das fand ich ein bißchen enttäuschend. Das klang irgendwie nach Schweinekoben und landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen. Ich hätte mit Julian lieber über die Leiden des Raskolnikow oder den »Stillen Don« oder die »Sommergäste« von Gorki gesprochen oder über Jelzin, den Helden des Putsches, und sein Verhältnis zu Gorbatschow, dem Ghandi meines Jahrzehnts.

In meiner Phantasie hatte Julian selbst, der Slawistikexperte, sich längst zu einem russischen Gutsbesitzer mit depressiv-anarchistischem Gedankengewitter im Hirn kurz vor der Revolution 1917 ausgewachsen. So mit düster umwölkter Stirn unter einer blonden Mähne und abwesendem, wissenden Blick in den braun glühenden Augen.

Den hatte er allerdings, den abwesenden Blick.

Nur bohrte er sich dabei in der Nase. »Wenn du oben angekommen bist, schreib ’ne Postkarte«, hätte Tante Eia gesagt. Ich verkniff mir das. Man verschreckt Männer so leicht. Aber es sah nicht sehr revolutionär aus und ziemlich wenig romantisch, fast ein bißchen wie Georg. Ich himmelte ihn trotzdem einfach weiter an, vielleicht weil wir so hoch über der Erde schwebten und die Luft dünn und der Champagner voll Alkohol war.

»Warst du schon oft in Rußland?«

»Zweimal. Ich würde gerne als Korrespondent rübergehen.« Hach, also doch ein Abenteurer! Kein Georg. Ich sah Julian mit kugelsicherer Weste und schußfestem Kugelschreiber mitten im Granatendonner von Grosny auf der Suche nach der Wahrheit und im Kampf gegen den Wahnsinn aller Kriege.

»Erzähl mal von Rußland.«

»Was soll ich erzählen?«

»Na, wie das da so ist.«

»Die Leute sind sehr herzlich. Ich habe bei einer Familie in Sibirien gelebt, die Mutter hat mich total verwöhnt. Jeden morgen Hackbällchen und Rote Bete zum Frühstück. Obwohl ich das nicht mochte, aber abends gab’s jede Menge Wodka. Den mochte ich.«

Ich wollte mehr über Rußland wissen, ich meine, daß man dort gerne Wodka trinkt, hatte ich mir fast gedacht, und daß Julian Rote Bete nicht mochte, hatte mit Rußland so viel auch nicht zu tun.

»Was hast du denn da so gemacht?«

»Den Wodka getrunken.«

Sehr witzig. Irgendwie war ich da doch ein bißchen bange, daß Julian nicht so ganz das war, was ich mir unter einem wirklich aufregenden Mann vorstelle. Aber ich sag Ihnen, wenn Sie dabei sein Gesicht gesehen und außerdem so zirka acht Pikkolo Champagner in 15 000 Fuß Höhe intus gehabt hätten... Schönheit ist ungerecht, sie verdeckt die Wahrheit. Trotzdem war ich bei unserer Landung in Miami nicht nur angeknallt, sondern auch verknallt und nahm den Kampf mit Anna wieder auf.

»Flug überstanden?« fragte sie spitz, als Julian mal wieder auf einer Toilette verschwand.

»Es war himmlisch«, schwärmte ich, »wir haben uns nicht eine Minute gelangweilt, und Julian war total süß.« Ich neige manchmal zu gewissen Übertreibungen, muß am Geschäft liegen, also am Boulevard.

»Ach so.«

Der Safari-General unterbrach unser trautes Tête-à-Tête mit barschem Ton. »Bitte die Pässe bereithalten und nicht über die gelbe Linie treten, bis der Einwanderungsoffizier Sie heranwinkt. Stellen Sie sich bitte in die Reihe für Transitpassagiere. Das geht schneller.«

Es ging wirklich schneller, und um so schneller waren wir in der kühlschranckalten Einkaufs- und Fastfoodmeile für An- und Abflieger. Die BWIA-Maschine via San Andrés war jedoch nicht so schnell. Wahrscheinlich wartete sie hinter einer gelben Linie, die so dick wie Frankreich war. Fünf Stunden Wartezeit. Der Safari-General stiefelte im Stechschritt davon, um dem karibischen Bodenpersonal ordentlich den Marsch zu blasen. Arme Kariben. Erst Columbus und dann ein Großstadtcowboy in Camel-Outfit.

»Benehmen ist Glücksache«, hätte Tante Eia unserem Reiseleiter wahrscheinlich nachgeschrien. Der Schnauzbart vom Herrenmagazin reagierte ungehalten. Eine Haltung, die er für den Rest der Reise beibehielt. Er setzte sich in eine neongrüne Austernbar, bestellte Gin-Tonic – der Mann von Welt trinkt Gin Tonic zwecks Malariabekämpfung – und machte sich kritische Notizen. Der Rest der Truppe entschied sich für das illegale Betreten amerikanischen Bodens – wir waren schließlich nur Transitpassagiere, und Julian hatte außerdem, streng verbotenerweise, eine Bifi-Salami dabei. Ich weiß nicht, auf welches Verbrechen eher der elektrische Stuhl steht: heimliches Einwandern für zwei Stunden ins Land der ziemlich begrenzten Möglichkeiten oder Einschmuggeln eines fleischhaltigen Lebensmittels mit möglichen Tollwuterregern und war froh, daß die Polizisten von Miami wohl alle Handschellen voll mit kubanischen Drogenhändlern oder Rauchern in Nichtraucherzonen zu tun hatten.

Wir winkten zwei Yellow Cabs heran, die von sogenannten Miami Nice Guys gesteuert wurden.

Miami ist eine muschelfarbene Stadt. Überall Pastelltöne, himmelblau und rosarot, perlmuttfarben, vollkommen künstlich und dabei blutrünstig wie ein Alligator. Don-Johnson-Town eben. Elegant geschwungene Autobahnbrücken von der Länge des Panamakanals schweben über trügerisch blauen, ziemlich brackigen Lagunen. An Holzstegen, auf denen in Deutschland das Oktoberfest stattfinden könnte, dümpeln Onassistanker, die Yachten heißen. Die Stadt machte mich high, wie der Beat des Trailer-Songs von Miami Vice, ein Trip in Pastell, durch den Pistolenschüsse peitschen.

Ein Fachjournalist Touristik übernahm die Führung und lotste uns zum Miami Hilton. Flamingofarbener Traum der Golden Girls. Wir pellten uns aus unseren Pullovern, als wir aus dem Taxi in die sumpfige Hitze kletterten. Wir zwängten uns in die Pullover zurück, als wir die als Rezeption getarnte Tiefkühltruhe des Betonbunkers betraten.

Die Kälte im Hotel schien eine Menge Menschen zu konservieren, die das Haltbarkeitsdatum bereits deutlich überschritten hatten. Sie kaschierten das, indem sie Babykleidung trugen. Rosa Shorts und himmelblaue T-Shirts, die braunverbrannten Hälse und Ellbogen schlugen mehr Falten als ein Crinklerock. Wir pellten uns wieder aus den Pullovern, als wir durch die Poollandschaft und künstlichen Wasserschluchten hindurch den Atlantik erreichten. Die Hitze stand wie eine Wand zwischen uns und dem Meer.

Das war soviel und so neu, daß ich Anna, die rote Gefahr, und Julian, den roten Russen, eine Zeitlang aus den Augen verlor. Ich zog einfach meine Schnürstiefel und die Socken aus – gut, daß Julian gerade woanders war – und lief mit nackten Füßen durch den Sand. Neun Stunden lagen zwischen mir und Winterdeutschland und dem weißen, warmen Vogelsand von Miami Beach. Das sind so Momente, da will man nichts anderes sein als Journalist – auf Pressereise.

Ich hatte dem Meer anständig Guten Tag gesagt und ihm meine unverbrüchliche, ewige Liebe geschworen, als mir Julian wieder einfiel. Außerdem langweilte mich der Fachjournalist für die Tourismusbranche entsetzlich mit seinem statistischen Material über die Besucherstruktur Floridas nach den Attentaten auf die Touristen. Er schien eine geheime Quelle für Quasselwasser entdeckt zu haben, und die sprudelte jetzt über. Eindeutig geistig inkontinent.

Wo steckte Julian? Noch wichtiger, steckte Anna bei ihm? Der Strand, so breit wie eine sechsspurige Autobahn und stellenweise ebenso befahren, war ziemlich unübersichtlich. Ich lotste den Fachjournalisten zu den Beachbars, die aufgereiht wie auf einer Perlenschnur den Boardwalk, so eine Art überdachte Holzpiste längs des Strands, säumten. Unter dem Vorwand, ich bräuchte einen Cocktail. Dabei war das so ziemlich das letzte, was ich brauchte.

In einer Pseudo-Bast-Hawaii-Bar entdeckte ich das glückliche junge Paar. Anna hatte scheint’s entdeckt, daß die deutsche Sprache eine Menge andere Redewendungen außer »Ach so« bereitstellt. Julian hörte aufmerksam zu und bohrte auch nicht in der Nase. Ich war ziemlich beleidigt, obwohl der Fachjournalist sehr nett war und mir eine doppelte Piña Colada auf gestoßenem Eis besorgte.

»Das Wasser ist toll«, sagte ich zu dem turtelnden Duo.

»Ach so.« Raten Sie mal, wer das sagte.

»Hallo Lockenkopf, du siehst ja wüst aus.« Julian, alter Kumpel.

Ja, ich sah wohl wüst aus. Wie ein wildgewordener Handfeger hätte Tante Eia gesagt, der Wind hatte mich ordentlich gezaust. Die rote Anna schien hingegen das Geheimnis des glückseligmachenden Haarsprays gelüftet zu haben, hält bombenfest, klebt nicht und ist unsichtbar. Ihr aparter Pagenkopf glänzte wie ein frisch polierter Kupferhelm. Ich beschloß, nett zu ihr zu sein. Identifikation mit dem Aggressor. Zu deutsch, wenn du nicht siegen kannst, mach deine Feinde zu deinen besten Freunden. Oder, um Jean Paul, einen deutschen Dichter, zu zitieren: »Wenn Frauen sich hassen, laden sie sich ein und trinken gemeinsam Tee.«

»Bist du schon lange beim Funk?«

»Zwei Jahre.«

»Ach so«, das war ich, die neue Freundin, »und vorher?«

»Habe ich in Paris gearbeitet.«

Na toll, Liane, das war ein Volltreffer. Die rote Anna, nicht nur hübsch, sondern sozusagen kosmopolitisch, und du rollst ihr den roten (ha,ha) Teppich aus zu deinem welterfahrenen Russen. Der sprang auch gleich an wie ein VW-Käfer. Und käferte und käferte und erzählte plötzlich von Moskau und bohrte nicht in der Nase.

Aus lauter Wut trank ich die doppelte Piña Colada ziemlich schnell und lauschte Julians farbigen Schilderungen über ein Gespräch mit dem vierundzwanzigsten Parteisekretär der ehemaligen Sowjetrepublik und Annas rauchig hingehauchten »Ach so’s«. La Cucaracha war bald so betrunken, daß sie das Gespräch mit dem Fachjournalisten wieder aufgriff. Der kam aus Hessen, war achtundzwanzig Jahre alt und kein ganz so schlechter Kerl. Nur sah er nicht aus wie eine Kreuzung aus Daniel Day Lewis und Brian Adams, eher wie eine leicht mißglückte Mischung aus Bart Simpson, der Frisur wegen, und – na seien wir mal gnädig – Till Schwaiger.

Der Hesse hieß weder Bart noch Till, sondern Karsten. Das ging ja noch. Aber sein Nachname, den ich deshalb lieber in Zukunft weglasse, war Schauder. Wir bedauerten uns gegenseitig und ausführlich für unsere Vor- beziehungsweise Nachnamen und tranken jeweils eine weitere Piña Colada. Mein Gaumen klebte bald genauso nachhaltig wie mein T-Shirt, und ich zweifelte langsam daran, daß es eine gute Idee war, an diesem Tag noch einmal in ein Flugzeug zu steigen, um die Karibik kennenzulernen. La Cucaracha sah inzwischen wahrscheinlich wirklich wie eine Küchenschabe aus. Wie eine ziemlich übernächtigte Küchenschabe.

Karsten sah das Gott sei Dank wohl anders. Er fand mich weiterhin nett genug, um mit mir zu sprechen, während Julian der Ach-so-Anna verfallen schien, die ihm von der Pont-Neuf bei Nacht berichtete. In Miami! Bei Sonnenstichwetter.

»Was hast du denn studiert?« fragte Karsten artig. »Deutsche Literatur und Philosophie«, sagte ich – weniger artig, eher leicht grantig. Wer denkt bei Plus 50 Grad im Schatten schon gern an Goethe oder Schelling und Professor Stubenbrinck mit den Pickeln im Vollbart oder Georg im Studentenwohnklo.

»Und dann beim Boulevard? Ist das nicht eine mächtige Umstellung?«

»Ja, vom Einmachglas in die freie Wildbahn. Mir gefällt’s.«

»Ich hätte schon gern studiert, aber meine Eltern wollten das nicht.« Was war das denn für eine Welt. Deutschland in den 50ern und wenn der weiße Flieder blüht?

»Das kann man doch wohl selbst entscheiden«, sagte ich patzig und bemerkte, daß meine Nase juckte. Na prima, ein Sonnenbrand. Ach-so-Anna hatte mit einem reizenden Sonnenhütchen aus Stroh, mit seidenen Gänseblümchen garniert, vorgesorgt. Ich zählte ihre bildschönen Sommersprossen – jede wie gemalt – und nahm an, das Rennen war gelaufen. Julian erzählte gerade von Nächten vor dem Kreml. Bei 50 Grad im Schatten, also hier in Miami. Seinem Aussehen tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil, seine Haare wirkten immer blonder, seine Haut und seine Augen immer brauner.

»Wie bitte?« Ich hatte Karsten wieder nicht zugehört.

»Na ja, ich mußte meinen Eltern im Hotel helfen, weil der Thomas, mein Bruder, ja nun gerade studierte und die Elke, meine Schwester, ihr Auslandsjahr machte. Da konnte ich nicht einfach so weg.« Nein, da konnte er nicht einfach weg, das sah ich ein. Und ich wollte jetzt auch überhaupt nicht mehr weg, denn acht Flaschen Champagner, wenn auch nur die klitzekleinen, und zwei doppelte Piña Colada schaffen selbst den engagiertesten journalistischen Nachwuchs.

Wir mußten aber weg, denn vor uns tauchte jetzt, die Sonne im Rücken, der General auf. Ein recht wütender General mit großen dunklen Schweißflecken unter den Ärmeln des Safarihemds. Er schnauzte uns ziemlich zusammen, wegen unerlaubten Entfernens von der Truppe. »Ich muß Sie alle um etwas mehr Disziplin bitten. Wir haben noch vier Stunden vor uns, also bitte.«

Casanovas küsst man nicht

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