Читать книгу Casanovas küsst man nicht - Leonie Bach - Страница 7
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ОглавлениеEberhard Seil machte sich Sorgen. Die Denkerstirn in Falten gelegt, schlürfte er seine sechste Tasse Kaffee, schwarz und ohne Zucker, und starrte auf den grünen Flimmerbildschirm seines Redaktionscomputers. Eine Kurzkritik über die Szenencollage »Nachts sind alle Katzen blau« des Jukebox-Theaters. Keine große Sache, weder sein Text noch die Szenencollage. Aber die junge Truppe hatte ihn stark an seine ebenso junge Tochter erinnert. Liane. Eigentlich schon eine erwachsene junge Frau. Erwachsen! Wann war man heutzutage schon erwachsen.
Sicher, Liane war ein sehr normales Mädchen, denn heute fand man es nun einmal normal, wenn sich die Kinder nach dreizehn Jahren Schule weitere vier bis acht Jahre auf der Universität herumtrieben und danach immer noch nicht so recht wußten, wo sie eigentlich hinwollten. Verglichen mit ihren Ex-Freunden, allesamt Ex-Studenten, war Liane der Fleiß in Person. Wenn eben leider auch etwas ziellos.
Ihm, Eberhard Seil, ging es nicht viel anders. Und was hatte er damals, als er noch jung und dumm war, nicht alles werden wollen. Holzfäller in Kanada, das rotschwarz-karierte Hemd hatte er schon gekauft und dann den Zug verpaßt. Ach nein, eigentlich nicht nur den Zug. Er hatte einfach mal so drauflos gesponnen und sich dann nicht getraut. Privileg der Jugend. Komisch, daß mit den Haaren auch die Erinnerungen grau wurden. Die Kanadaepisode hatte er lange vergessen. Liane hätte sie ihm nicht mal abgenommen.
War es seiner Tochter übelzunehmen, daß sie in ihm nicht mehr den drahtigen Rock ’n’Roller, Typ Leader of the pack, sehen konnte? Eberhard Seil schaute auf seinen leicht aufquellenden Bauch hinab und dachte an Dinge wie die letzte Steuererklärung.
Wer dachte schon gern an Dinge wie die letzte Steuererklärung? Er dachte wehmütig an seine Ex zurück, die wilden Nächte im Melkweg, Amsterdam, an »Castles made of sand« von Jimi Hendrix. Wie Sandburgen waren seine verwegenen, psychedelisch überhauchten Jugendträume zerrieselt. Wenn er heute Jimi Hendrix hörte, war das, als führe jemand mit einem Bulldozer durch sein Herz, jeder Baßriff ein vergessener Schmerz. Schmerzen sind vergessene Erinnerungen.
Seine Ex war auch so ein Schmerz, mehr noch, sie war eine Art nie verheilte Schußwunde. Aber das war so lange her. Steuererklärungen verdrängen solche Schmerzen.
Es war einfach so. Plötzlich hatte man nicht mehr das Gefühl, daß einem wie selbstverständlich die Hauptrolle auf der Bühne des Lebens zugewiesen wurde. Plötzlich war man einfach nur noch Kulisse, Hintergrund mit Rentenanspruch, vor dem andere sich entfalteten.
Wer kannte heute schon noch Jimi Hendrix. Solcher Künstler wegen hatte er sich entschieden, Kulturartikel zu schreiben. »This is the dawning oft the age of Aquarius.« Kultur! Die fand heute nur noch im Beutel statt. Oder war er jetzt auch nur noch einer dieser starrsinnigen Elterngreise, die ihre Kinder einfach nicht verstehen? »Nachts sind alle Katzen blau.«
Nein, dachte er trotzig, er kannte auch noch dieses Gefühl von Aufbruch. Dieses, ich will irgendwo hin, irgendwo, das anderswo war. »Ich bin, ich weiß nicht wer. Ich komme, ich weiß nicht woher. Ich gehe, ich weiß nicht wohin. Mich wundert, daß ich so fröhlich bin.« Die Welt gehört mir, ich nehm mir mein Stück, so hatte sich das angefühlt.
Sein Stück war knapp 17 Quadratmeter groß und mit grauem Nadelfilzteppich ausgelegt. Hier saß er seit mehr als fünfundzwanzig Jahren fest zwischen seiner hennarot gefärbten Sekretärin, die ihre Mittagspausen in Douglas-Parfümerien, Abteilung Orangenhaut, verbrachte, dem Schreibtisch – Fichte furniert -, der kümmerlich unkaputtbaren Yuccapalme und dem grünflimmernden Bildschirm. »Nachts sind alle Katzen blau«, und er war im Irgendwo steckengeblieben, in geregelten Verhältnissen, aber letztlich ohne Ziel. Ein Schicksal, das er seiner Tochter ersparen wollte. Einer Powerfrau mit Herz. Die sollte wo ankommen, da, wohin er es nicht geschafft hatte.
Aber Liane wußte eindeutig nicht wo sie hinwollte, dachte Eberhard Seil, schon gar nicht mit ihrer Power und auch nicht mit ihrem Herzen. Wenn er nur wüßte, mit welchen Typen sie sich da rumtrieb. Glücklich machte sie davon jedenfalls keiner, sonst wäre sie nicht wieder bei ihm eingezogen. Er genoß Lianes Gegenwart, aber haßte das Bewußtsein, daß er kein Recht mehr hatte, ihr Ratschläge oder Vorschriften zu machen. Kinder! Wenn sie jung sind, treten sie auf deinen Füßen herum, später auf deinem Herzen. So ein Kitsch, dachte er wütend. »Nachts sind alle Katzen blau« ist eine wütende Hommage an die... Weiter kam er nicht.
Das Telefon klingelte. »Seil.«
»Hier auch Seil, gewesene.«
Herrgott, seine wiederauferstandene Ex-Gattin. Reichlich unverfroren, fünfundzwanzig Jahre zu verschwinden, dann wieder aufzutauchen und jeden dritten Tag bei ihm anzurufen.
»Wie geht’s dir?«
»Gut, und selber?«
»Na ja, diese neue Seßhaftigkeit macht mich ein bißchen kirre.«
Im Hintergrund säuselte Sitarmusik, Ravi Shankar at Monterey Pop. Pling, pling, klimper. Sie hatte sich geweigert zur Kenntnis zu nehmen, daß man inzwischen die 90er schrieb. Eberhard Seil roch förmlich die Moschusduftschwaden durch den Telefonhörer. Seine Ex hatte wirklich einen ausgemachten Nostalgieknall. Kunststück, wahrscheinlich schlug sie sich immer noch nicht mit Steuererklärungen rum.
»Um ehrlich zu sein, ich langweile mich, Eberhard.«
»Dann geh endlich arbeiten«, knurrte der unfreiwilllige Kulturchef.
»Das langweilt mich noch mehr. Außerdem geht dich das nichts an. Ich lieg dir schließlich nicht auf der Tasche.«
Das stimmte, sie hatte eigenes Geld, viel Geld, er nahm an Millionen. Corinna hatte doch zum Schluß tatsächlich noch einmal einen Trottel gefunden, der sie geheiratet hatte und starb, bevor er seinen Fehler korrigieren konnte. Eberhard Seil biß sich grimmig auf die Lippen. Alte Angewohnheit, aus der Zeit als er noch einen Schnurrbart trug, dessen Enden man schmerzlos durchkauen konnte. Inzwischen fand er, daß ein grauer Schnurrbart ihn zu alt wirken ließ. Bei weitem älter als seine scheint’s alterslose Ex.
Sie war stolze Erbin eines Umzugsunternehmens, das in den frühen 70ern nicht viel mehr als ein Gebrauchtbus-Handel gewesen war. VW-Bullis, die von Hippies in Nepal vertickt wurden, gegen zirka zwei Kilo Dope, drei Kilo Räucherstäbchen und zwei Monate Ferien im Fernen Osten.
Seine Ex war auf diese Bulli-Sache aufgesprungen und konnte jetzt vergoldete Räucherstäbchen abfackeln, weil ihr zweiter Gatte Ende der 70er von gebrauchten Bullis auf alternative Umzüge für Aussteiger nach Griechenland und Mitte der 80er auf seriöse Umzüge für Einsteiger ins Yuppieleben mit Hang zum politisch korrekten Denken (»wir schieben Greenpeace unser Geld in den Hintern, das reicht«) umgestiegen war.
»Ich mach mir ein bißchen Sorgen um unsere Liane«, sagte Corinna.
Reichlich spät, dachte Eberhard Seil wütend und trommelte mit dem Bleistift auf dem Plastikgehäuse des Telefons herum. »Magic Bus« von den Who. »Ich würde sie nicht unsere Liane nennen.«
»Sei nicht so besitzergreifend. Damit hast du mich vergrault, und Liane wird dir auch noch den Laufpaß geben, wenn du ihr nicht die lange Leine läßt. Sie weiß nicht, was sie will. Sie kommt da ziemlich auf mich.«
Stimmte leider, und gerade das machte Eberhard Seil Sorgen. Er blieb dennoch patzig. »Dann verstehe ich nicht, warum du Probleme mit Liane hast, du bist doch ganz gut zurecht gekommen. Mit dir selbst meine ich.«
»Es soll auch Leute geben, die mich mögen, Eberhard, stell dir vor. Im Ernst, laß uns mal richtig miteinander reden. Bei einem schönen Essen. Ich habe Lust, wieder zu kochen.«
Ja, wahrscheinlich Lammnieren in ranziger Yakbutter, dachte Eberhard Seil und unterdrückte einen Würgreflex.
»Sagen wir am Freitag um acht bei mir.« Corinna gehörte zu der unbekümmerten Sorte.
»Nur, wenn du mir versprichst, bis dahin keine Räucherstäbchen abzufackeln. Bei dem Gedanken daran wird mir schon schlecht.«
»Ach was. Aber auf dem Klo bei dir hängt ein Wunderduftbaum Vanille. Mein Lieber, du hast es nötig. Hare Krishna und tschüs.«
So eine verrückte Nudel, genau wie Liane. Womit er wieder bei seiner umtriebigen Tochter war. Corinna, seine Ex, hatte sich damals immerhin nach Nepal begeben, immer ihren moschusduftgeschwängerten Träumen hinterher, aber Liane bewegte sich in einer gefährlichen Welt, unter knallharten Hyänen mit Beißinstinkt. Boulevard war nichts für zarte Gemüter. Burkhard Drillinger schon gar nicht. Das Krokodil. Eberhard Seil wußte das, und bei aller Keckheit, Liane war ein zartes Seelchen.
Der Gedanke rührte ihn, und deshalb fiel seine Kritik von »Nachts sind alle Katzen blau« auch bei weitem gnädiger aus als sie geplant war. Immerhin hatte er sich die Szenencollage höchstselbst angeschaut, und das, obwohl sie erst um Mitternacht und in einem feuchten Keller begonnen hatte. Alternative Theatergruppen sind so. Sie halten ihre Kultur für so wichtig und weltbewegend, daß man sie nur zu nachtschlafender Zeit und in abbruchreifen Häusern auf die Bühne bringen kann. Später wundern sie sich, daß die nachts schlafende Öffentlichkeit kaum Notiz von den weltbewegenden Premieren nimmt.
Das Telefonat mit seiner Ex hatte den Kulturchef seltsamerweise aufgeheitert. »Come on Baby light my fire.« Vielleicht war es keine schlechte Idee, mit Corinna über Liane zu sprechen. Immerhin war sie die Mutter, wenn auch eine sehr abwesende. Aber herrje, wie viele zerbrochene Familien kannte er, wie viele abwesende Väter. Abwesend wie Liane, die war zur Zeit nämlich auf Pressereise. In die Karibik. Daß das Kind dabei mal nicht unter die Räder kam! Reggae und Dope, eine köstliche, gefährliche Mischung.