Читать книгу Casanovas küsst man nicht - Leonie Bach - Страница 6
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ОглавлениеPuh, bin lange nicht mehr zum Schreiben gekommen. Dreizehn Tage! Warum? Weil mein Chef meinte, ich solle im Zuge meiner Ausbildung auch mal einen Mord machen. Als Schreiberin natürlich. Eins ist jetzt klar, meine erste Leiche war auch meine letzte. Hundertprozentig. Ich schwöre. Obwohl die Leiche ein paar gute Seiten hatte. Unter anderem brachte sie mir am Ende einen Karibiktrip, einen neuen MANN (uuuuuh) ein und begrub zunächst mal alle meine noch schwelenden Liebesqualen. Aber eins nach dem andern, sonst blickt ja keiner mehr durch.
Zunächst zum Thema Liebeskummer lohnt sich nicht. Rief doch mittendrin tatsächlich der Georg noch mal an. Im Büro. »Wollte mich nur mal melden.« Aha. Männer sind so, erst brechen sie dein Herz, schneiden es in kleine Stücke, salzen und pfeffern kräftig nach, essen es zum Abendbrot und verlangen dann Nachschlag.
Liane Hackepeter mußte heftig schlucken, deshalb brachte sie auch nur ein »Mmmh«, heraus. Ein Mmmh, das eine Menge sagen sollte, zum Beispiel: Warum hast du mir so weh getan, warum hast du mich nicht lieb gehabt, warum bist du wie du bist? »Alles klar?« fragte Georg zurück. Er war noch nie ein Mann der großen Worte. Anders als ich. Leider auch diesmal. Mir tun Männer immer so leid, wenn sie nach Worten ringen. Muß ich mir abgewöhnen. Ich plauderte also munter drauf los, und Georg brauchte nur zuzuhören. »Mmh, aha, mmh, aha« kam es von seiner Seite. Ich malte mir aus, was das »aha« hieß: Ich liebe dich immer noch, verzeih mir. Und was »mmh« bedeutete: Du bist die tollste Frau des Universums, warum habe ich dich bloß so mies behandelt?
Man muß die Männer nur zu deuten wissen. Aber selbst das Aha-mmh wurde Georg nach einer Weile zu anstrengend, ich hörte das Telefonkabel über seinen Holzboden schaben, während er zum Kühlschrank ging, um sich etwas zu essen zu holen. Wahrscheinlich Mini-Salami, schloß ich aus den intensiven Kaugeräuschen. Lebensmittel besaß er also, was wollte er von mir? Herzklappern. »Du, mmpf, knurps, weswegen ich eigentlich, mmpf, anrufe, hast du nicht mal wieder Lust auf ’ne nette Nacht? Bißchen einsam hier zur Zeit.« Was hieß zur Zeit? »Wir sind doch erwachsen. Ich dachte, so aus alter Freundschaft... « Welche Freundschaft, was hieß erwachsen? »Hey, Liane, wie wär’s heute abend?«
Manchmal sind die falschen Fragen die richtigen Antworten auf ungeklärte Herzensangelegenheiten. Georgs Fragen waren so phantastisch falsch, daß bei mir endlich die Alarmglocken vorher und nicht nachher schrillten.
Nee, seine Ahas waren keine Liebesschüre, sondern die Seufzer eines gelangweilten Langeweilers. »Du kannst mich mal. Ich meine, du kannst mich mal nicht«, fauchte ich deshalb und knallte – Stil Drillinger – den Hörer auf die Gabel. Sex ohne Liebe ist wie Turnen ohne Geräte. Ohne mich. Innendrin trauerte zwar noch was, aber ich befahl diesem Etwas zu schweigen. Da vergrub ich mich lieber weiter in die reichlich komplizierte Leiche.
Die war männlich, so um die 29, ziemlich hinüber, weil schon dreißig Tage tot, und an eine Heizung gefesselt. Von Bandenkriminalität, Fememord bis hin zu tödlichen Sexpraktiken, gern auch bizarr, war so ziemlich alles möglich in dem Fall. Weswegen die Leiche vom Ressort lokale, schlichte Morde (Eifersucht oder weggeschnappter Parkplatz) in das Ressort überregionale, bizarre Morde und zu mir übergeführt wurde.
Porky, unser Fotograf, der nach Abhören des Polizeifunks noch vor den Ordnungshütern bei dem Toten und seinem Hauswirt eintraf, war total begeistert. »So’n Glücksfall. Mädchen. So’n Glücksfall. ’ne Leiche exklusiv in allen Formaten, das ist total suuuper. Ich hab alle Details. Der Junge war schon total verwest, total. Nach mir haben die jeden Journalisten rausgeschmissen.«
Kein Wunder, dachte ich.
»Das ist was für die Seite eins«, schrie Porky. Fand mein Chef Drillinger, Leiter des Vermischten, zwar auch, entschied sich zum Schutz der Leser aber dann gegen den Abdruck. »Ist vielleicht doch nicht der richtige Leseanreiz beim Frühstück«, fachsimpelte er, und ich lauschte ehrfürchtig. Drillinger ist nämlich ’n richtig alter Hase, da muß man immer ehrfürchtig lauschen, sonst gibt’s was hinter die Löffel. »Nee, auf die Seite eins müssen wir was Freundliches machen«, meinte der Mann, der die Freundlichkeit nicht gerade erfunden hat, »sonst wird das Blatt zu hart.« Drillinger ist halt ein echter Profi, er kann völlig von seinen persönlichen Gefühlen absehen, und eine persönliche Meinung hat er, glaube ich, sowieso nicht, außer, daß er einfach Spitze ist.
Zudem hatte Porky vergessen, Farbfotos zu machen. Und auf Seite eins werden bei einer Boulevardzeitung heutzutage vorzugsweise Farbfotos veröffentlicht, meistens allerdings von quietschlebendigen Mädchen, deren Skelett reichhaltig bestückt und mit Silikon veredelt ist.
»Wir legen die Leiche unten quer auf die Seite vier, ohne Foto«, entschied der Chef.
Also, ich mußte mich an diese Sprache irgendwie auch erstmal gewöhnen, legte dann aber die Leiche mit vierzig Zeilen unten quer auf die Seite vier, und weil ich schön blöd war, schrieb ich auch noch meinen Namen drüber. »Wer kennt das Skelett an der Heizung«. Von Liane Seil.
Journalisten sind so, am liebsten lesen sie in der Zeitung nur die eigene Namenszeile. Als wär’s was für die Ewigkeit und nicht bloß für den Gemüsemann. Anfänger tun das so dreißig bis vierzig mal pro Tag – verstohlen natürlich –, und ein Gefühl höherer Weihe durchrieselt sie, weil sie ihr Glück kaum fassen können, daß zirka 400 000 Menschen und mehr ihren Namen auf dem Klo, in der Straßenbahn oder beim Schneiden ihrer Zehennägel lesen. Wenn sie das überhaupt tun. Also lesen. Von Liane Seil. Wegen der Namenszeile wurde ich die dreißig Tage tote Leiche dann einfach nicht mehr los.
Am nächsten Morgen rief mich gleich eine ganz aufgelöste Mutter an, die an den beschriebenen Turnschuhen des Toten und den darauf gekritzelten Verbalinjurien von »Fuck you selber« bis »Alles Schlampen, außer Mutti« ihren Sohn erkannt haben wollte. In der Leiche selbst hätte sie ihn bestimmt nicht wiedererkannt, und am Geruch schon gar nicht.
Die Anweisung vom Chef war klar. »Du und Porky, ihr fahrt da mal raus. Ist eure Leiche.« Porky war immer noch ziemlich sauer, weil er seine Leiche, also ich meine, seine Fotos, nicht untergebracht hatte und es deshalb aussah, als sei seine Leiche nur meine Leiche – exklusiv. Dabei hatte er sie ja sozusagen für mich erlegt und mir auf den Schreibtisch gelegt.
»Frische Fotos. Das war was für die Seite eins!« brüllte er mich bei der Fahrt zur trauernden Mutter immer wieder entrüstet an. Damals wußte ich noch nicht, daß jedes Foto von jedem Fotografen dieser Welt, also ich meine Zeitungsfotografen, was für die Seite 1 ist, jedenfalls aus der Sicht der Fotografen. Beim »Hintertupfinger Boten« meint der Fotograf wahrscheinlich, daß jedes Foto einer toten Kuh oder einer überfahrenen Kröte auf die Seite 1 gehört, in den Maßen 26 mal 40, formatfüllend. Deshalb haben Fotografen auch Gott sei Dank Chefs. Sie haben sie dringend nötig, und Burkhard Drillinger ist ein guter Chef, weil der nicht nur brüllt, der beißt auch. Ich bin eben auch der Meinung, daß man ungezogenen Rotzlöffeln zwischen vier und achtzig Jahren zumindest ab und an ein Paar auf den Po geben sollte. Deshalb summte ich, während Porky schrie, so für mich das wunderbare Lied »Der böse Bolligru, der läßt uns nicht in Ruh. Ach, käm doch endlich einer, ein Feiner, oho, und haute diesem Bolligru im Nu den Po.« Copyright Augsburger Puppenkiste. Und so geht es bei uns in der Redaktion auch wirklich ganz oft zu.
Trotzdem war ich damals, auf dem Weg zur trauernden Mutter, tatsächlich noch froh, daß Porky dabei war. Zum Witwenschütteln. Heißt so bei knallharten Journalisten, auch wenn Papa Seil mir verbietet, so ein Wort zu benutzen. Da bricht halt der Feuilletonist in ihm durch.
Witwenschütteln bedeutet, man klingelt frech bei Angehörigen von frisch Ermordeten, bekundet Mitleid und bietet Bargeld fürs erste Schulfoto der Leiche, also des soeben Verblichenen, oder für ein verwackeltes Bild vom letzten Kegeltreff in Bad Neuenahr. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Das machen nicht nur die Zeitungen mit den großen Überschriften so, sondern auch die Hochglanzillustrierten mit den Vierfarbseiten, sämtliche TV-Hornissen, und die seriösen Polizeikollegen von Papa Seil machen das auch. Also bitte keine persönlichen Vorwürfe!
Bei den Angehörigen der Mörder bietet man meist nur (viel mehr) Bargeld und will Fotos aus der Hochphase der Pubertät. Mit Pickeln und zerschlagenen Bierflaschen im Hintergrund und einer Kiss-Grimasse. Im Teenageralter sehen halt ziemlich viele Menschen wie Verbrecher oder zumindest sehr unglücklich aus. Der Turnschuhmutter boten wir Mitleid und Geld, sie brauchte beides.
»So’n guter Junge isser, so’n guter Junge. Immer ham sen nur rumgeschubst.« Schnief. Ich brach bereits meine vierte Packung Tempotücher an und nestelte eins für Mutter und eins für mich hervor. »Damals im Jugendheim schon. Schwererziehbar. War der gar nich. Überhaupts nicht. Nur weil mein Mann soviel getrunken hat un sich nich so drum kümmern konnt. Hat immer gern gefeiert, mein Mann. Der arme Jung.« Ich weinte mir mit der Mutter die Augen aus dem Kopf, während Porky ein Fotoalbum, das einzige, durchblätterte. Nach einer halben Stunde hatte er eine schöne Sammlung »der arme Jung« zusammen.
Der arme Jung mit zwölf und einer Flasche Doppelkorn auf dem Spielplatz, Typ verwahrloster Meatloaf. Der arme Jung mit sechzehn im Strafvollzug. Der arme Jung mit achtzehn und Tatoos bis unter die Augenbrauen und einem gezückten Schlachtermesser. »Das war letztes Jahr Karneval, so’n guter Junge, hat soviel Humor«, schniefte die Mutter, während ich Porky zuzischte: »Der is doch das Opfer, du Depp, gibt’s nichts Harmloseres?« Gab’s nicht. Der gute Jung sah bereits im zarten Alter von drei Jahren wie eine Hardcoreversion von Sylvester Stallone als Rambo aus und war immer ähnlich gut bewaffnet, bis unter die ausgeschlagenen Schneidezähne.
»Können Sie sich vorstellen, ich meine, hatte Ihr Sohn Feinde?« fragte ich wie Derrick. So stelle ich mir das gern vor, daß ein Journalist so was fragt. Ich würde einem Taxifahrer auch gern mal die Anweisung geben: »Folgen Sie diesem Fahrzeug, aber bitte unauffällig.«
Die Antwort von Mutter bestand nur aus Schniefern, und ich öffnete die fünfte Packung Tempotücher. Mutter dankte stotternd und schwor dann: »Mein Junge hatte keine Feinde. Da traute sich keiner ran. Nicht an meinen Jungen, nicht mal die Polizei.« Und darauf war sie ziemlich stolz. Wer hätte nicht gern eine Mutter, die stolz auf ihn ist. Ein bißchen erinnerte mich Mutters unverbrüchliche Liebe, an meine Gefühle für Georg, und ich brauchte selbst ein neues Tempo.
Liane Derrick machte ihren nächsten Vorstoß. »Wo hat Ihr Sohn denn gearbeitet?« Naseschnauben, ganz laut. Ausführliches Putzen des Riechorgans, das inzwischen rot wie ein Feuermelder leuchtete. »Also, schnief, also, schnief, so in letzter Zeit hatte der Junge furchtbares Pech. Hat immer Pech gehabt. Also, sein letzter Chef, also der hatte eine Trinkhalle, und da hat der arme Junge geschuftet bis in die Nacht und einfach die falschen Leute getroffen. Buddy und den Dachdecker. Ehrlich, die müssen ihn angestiftet haben. Auf so was käme mein Junge von alleine überhaupt nicht.« Doof war er also auch noch!
Nach der sechsten Packung Tempotücher hatte ich ungefähr soviel begriffen, daß der arme Jung von Buddy und dem Dachdecker, relativ trinkfreudigen Stammkunden der Trinkhalle, dazu verführt worden war, kostenlos Silberkorn an sie und sich selbst, also den armen Jung, auszugeben. Bis drei Uhr nachts, an ungefähr sieben Tagen die Woche. Auch die Tageseinnahmen hatte das muntere Trio gerecht untereinander aufgeteilt. Außerdem hatte ich soviel begriffen, daß man so ungefähr nichts von dem schreiben konnte, was ich in den letzten zwei Stunden erfahren hatte, außer: Eine Mutter weint.
Das ist zwar ein klassisch schöner, herzrührender Einstieg in einer Zeitung wie der unseren. Nur für WAS?
Mit meinen Nerven, meinem Latein und meinen Tempotüchern am Ende, überlegte ich, wie ich aus dem guten, armen Jung eine halbwegs anständige Person zurechtpfriemeln könnte. Vielleicht hatte er im Erziehungsheim ja mal eine Martinslaterne für seine Mutter gebastelt oder einer Oma über die Straße geholfen, ohne ihr die Handtasche zu entreißen. Es mußte doch was Nettes zu sagen geben. Es mußte. Immerhin war er ja tot!
War er nicht! Fünf Minuten später stand er, sternhagelvoll und tatsächlich bis unter die Haarspitzen tätowiert, vor Mutters Wohnung. Porky fluchte laut, ich leise, und seine Mutter semmelte ihm eine, daß es durchs ganze Treppenhaus schallte. »Du bis ja gar nich tot, nich!« Türen öffneten sich, Nachbarn steckten ihre Köpfe heraus, die Sicherheitsketten drückten sich in ihre Münder und Nasen. Als sie den armen, von den Toten auferstandenen Jung sahen, schlugen sie die Türen schnell wieder zu.
Des einen Freud ist des anderen Leid. Ich nehme an, daß die Nachbarn beim Anblick des armen, guten Jung mächtig zu trauern anfingen. Porky war einfach nur wütend, und ich fragte mich, ob man benutzte Tempotücher als Spesen absetzen konnte. Die Leiche hatte ich danach leider immer noch am Hals. Es meldeten sich noch weitere zehn bis elf Mütter, Tanten, Schwestern, Freundinnen und ein paar potentielle Gläubiger des Skeletts mit den Turnschuhen. Ich und Porky fuhren jedesmal raus und verbrauchten, sinnloserweise, eine Menge Tempotaschentücher. Egal, das brachte mich endgültig über Georg hinweg, ein echter Toter war immer noch besser als ein falscher Liebhaber. Ich war also vollauf beschäftigt, bis die Polizei auf den Trichter kam, daß es sich bei dem Skelett um einen Selbstmörder handelte. Der hatte sich mit Hilfe einer Gardinenschnur stranguliert, die ihn im Fall unglücklicherweise an den Heizkörper gewickelt hatte.
Außerdem handelte es sich um einen Drogendealer aus Rumänien, der noch ein paar Rechnungen bei recht finsteren Kerlen offen hatte, und damit verlor das Skelett für meinen Chef so ziemlich jeden Reiz. Gott sei Dank.
Ich wäre wirklich nicht gerne zu den finsteren Kerlen und zum Witwenschütteln nach Bukarest gereist. Schon gar nicht mit Porky, der mich nur noch die »Seilschaft« nannte, nachdem er herausgefunden hatte, wer mein Papa war, und mich persönlich dafür verantwortlich machte, daß er nicht zum Schuß kam. Also mit der Kamera, nicht bei mir. »Dat Mädchen is die Seuche. Ich sachet euch, dat is die Seuche.«
Irgendwie fand mein Chef das auch und läßt mich seither an keine weiteren Leichen mehr ran, höchstens an todbringende Busunglücke in Bora-Bora, die von Agenturen vermeldet und von mir auf sechs Zeilen zusammengepreßt werden. Immerhin komme ich mit solchen Meldungen an einem durchschnittlichen Tag locker so auf 70 bis 150 Tote, Erdbebenopfer oder in Güllefässern ertrunkene Bauern eingerechnet. Ich weiß zwar nicht, wer das lesen will, mache aber brav meine Arbeit. Zum Beispiel jetzt.
Der Chef kommt. Wo zum Teufel ist die Paniktaste?