Читать книгу Markus Blume führt dich durch die Zeit - Lüerß Werner - Страница 6
Worte zum Beginn
ОглавлениеDieses Buch soll uns wach halten.
Unsere Gedanken nicht angreifbar machen,
Frei mit seinen gesprochenen Worten umzugehen.
Dies ist die Quelle aller Freiheit!
Wie in dieser Geschichte von Markus.
Ich bin Markus Blume
Mein Leben ist gut, alles ist geregelt. Ich weiß, was gestern war, was heute ist und was morgen vielleicht sein wird.
Jeden Morgen gehe ich zur Arbeit, manchmal fällt es mir schwer, mich aus dem Schlaf zu lösen, in der Regel aber wache ich in eben jenem Augenblick auf, der mir die Zeit gibt, gemächlich die kleinen Handgriffe zu tun, die man braucht, um für einen ganzen langen Arbeitstag gerüstet zu sein.
Diese Tage ähneln oder gleichen sich so sehr, dass ich sie im Gedächtnis nicht mehr auseinanderhalten kann. So muss es wohl sein, anders kenne ich es nicht.
Eigentlich bin ich zufrieden.
Was nagt in mir? Der Lauf eines ganzen langen Tages, die abendliche Ruhe, die Freude am alltäglichen Einerlei - alles wird plötzlich unterbrochen und gestört durch plötzlich aufkeimende Unruhe.
Anfangs wusste ich nicht, was ich selbst davon halten soll, schalt mich, die Ordnung unnütz gestört zu haben, etwas zu dulden, was nur Ärger bringen konnte.
Aber das half nicht.
Der Versuch, alles zurückzudrängen, weckte nur ein Gefühl in mir, etwas zu versäumen, etwas ganz Wichtiges nicht zu Wort kommen zu lassen. Irgendetwas in mir schien zu rufen:
Wach endlich auf und schau dich um!
Ich dachte, es verginge wieder, vielleicht hatte ich in der letzten Zeit zu viel gearbeitet, hatte plötzlich hinter den Akten die Menschen gesehen, deren Schicksal durch meine Arbeit beeinflusst wurde.
Möglich wäre auch, dass ich mir keine Abwechslung gegönnt und sich auf einmal die Menge der Akten in lebendige Vorgänge, erlebt und durchlitten von Menschen, verwandelt hatte. Es musste ja vergehen – aber nein, es kam wieder und drang immer mehr und stärker in mich ein, als suchte es mich zu zwingen, ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken.
Eines Nachts wachte ich auf – oder auch nicht, befand ich mich in einer anderen Welt?
Ich stand da und zu mir trat ein anderer Mensch. Nein, es war kein anderer, das war wiederum ich selbst, der mir da entgegen trat, und doch war es ein anderer, heiterer, ernster.
Fest von Gestalt und dennoch nicht greifbar.
Aber dieses gegenüber trat zu mir, streckte mir die Hand hin, mit einer fordernden Geste schien es auf mich einzudringen.
Dann verschwand die Gestalt wieder, ich merkte, dass sie eine Traumfigur war, in mir blieb aber der Gedanke haften, dass es wie eine Herausforderung gewirkt hatte.
Wem galt sie, und wenn sie ganz bewusst zu mir getreten sein sollte? Warum aber sollte ich gemeint sein?
Seit diesem Erlebnis beginnt in mir die Frage zu keimen, warum ich herausgefordert war. Es wächst in mir und verfolgt mich der Gedanke, dass nicht einfach nur Neues auf mich wartet, sondern ich eine Haltung gewinnen müsse, die mich neu und anders zu leben zwinge.
Mich bedrängte von Stunde zu Stunde mehr das Bedürfnis, alles zu prüfen, was mir bisher wichtig und womit mein Tag gefüllt war.
Dafür aber müsste ich meinen eigenen Horizont weiten, ganz andere Dimensionen müsste ich in meinem Blick zu bringen versuchen.
Aber ich lebte nun mal hier, konnte mich nicht einfach lösen, wollte auch nicht so tun, als ob ich einfach alles wegwerfen könne.
Zurück aber konnte ich nun nicht mehr, und so musste ich jeden Tag erneut auf die Frage antworten: Ihr Seelen, die mich bedrängen, die meine ganze Existenz neu in Frage stellen, sucht Ihr mich?
Sucht Ihr mich in meiner Zeit, oder wollt Ihr eine Antwort für euch selber? Seid Ihr es, die ihr den Schrei in mir ausgelöst habt, den Schrei auf der Suche nach Leben, nach dem ganzem Leben? Eigentlich war ich ein gelassener Typ, nichts konnte mich mehr erschrecken als ein Schrei.
Ich geriet langsam vom Gleis, was ich alltäglich eigentlich erledigen wollte, wurde unwichtig, Gedankenwelten, ihr habt euch in meinen Vordergrund geschoben.
Die Begegnung mit meinem Doppelgänger geriet immer wieder in meine Vorstellung, sie schien mir zu sagen, dass ich mich gefälligst auf die Suche begeben müsse, nicht warten dürfe, sonst würde ich mich selbst verlieren. Immer stärker spürte ich den Zwang in mir, jeden Schritt zu fixieren, ihn festzuhalten, um sodann weiter gehen zu können – nur säumen durfte ich nicht.
Der Bruch mit allem, was bisher mein Leben bestimmt und ausgefüllt hatte, wurde mit der Zeit immer deutlicher; ich wusste immer besser, dass ich nicht mehr zurück konnte, sondern die Schritte nach vorn wagen müsste.
Aufzuschreiben, was dann geschah, schien mir von Tag zu Tag mehr die einzige Lösung zu sein. Dieser Weg war auch geeignet, mich zum Tatsächlichen in dieser Welt zu führen, mir zu sagen, was nötig sein musste, um das Rechte zu tun.
Es ist uns Menschen eigen, unsere Gedanken und Empfindungen, unsere Hoffnungen, Träume und Taten an das Schicksal von Menschen zu binden.
So tauchte Miri in der Welt meiner Vorstellungen und Ideen auf.
Ich sah sie, als sie jung war und ich sah sie als einen reifen Menschen, mit einem Schicksal voller Wandlungen.
Das wiederum gab mir die Chance, mich selbst zu neuen Ansichten und Handlungen bewegen zu lassen.
Wie eine Vision leuchtete sie in der Ferne, wie ein Irrlicht geisterte sie durch die Räume der Zeiten.
Weniger genau als Miri vermochte ich eine Gestalt zu fassen, die ich nur als die Wanderin der Nacht bezeichnen kann.
War sie es, die alle Fäden in der Hand zu halten schien und mit unsichtbarer Macht alles lenkte und leitete?
Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass sie zu jeder Zeit und an jedem Ort plötzlich erscheinen konnte:
Einmal sah ich Sie mit einem ratternden Einkaufswagen durch die Straßen rollen, dann schien sie zu wägen, zu richten und zu werten.
Mit ihr entstand und verband sich mein Verlangen, hinter die Erscheinungen dieser Welt zu schauen, ihre geheimen Zusammenhänge zu erkunden und für mich erlebbar zu machen.
Ich begann zu ahnen, wie zerrissen diese Welt war und ist, in der wir zu Hause sind. Die Kraft des Lebens „Miteinander und Füreinander“ schien verlorengegangen zu sein.
Ich spürte plötzlich, welcher Hass in allem steckte, wie es uns sehr schwer nur gelingen wollte, selbst zu einer gestaltenden Kraft zu werden.
Ich suchte mit Miri nach den Sinn des Lebens in der Vergangenheit und wollte so die Spur zum Leben in der Gegenwart finden.
Ich lernte, nicht mehr hilflos und blind durch die Ereignisse zu treiben, nicht mehr ohnmächtig und ohne Halt und Ziel zu existieren, sondern einen neuen Haltepunkt zu suchen und zu finden.
Die Zeitenreise wurde zur Erkenntnisreise. Ich sah, dass Diktaturen das Leben verwüsten konnten, aber ich sah auch, dass sie bezwingbar waren. Miri war es, die zu mir sagte: ``Markus`` schau, sieh dort den ``Völkischen Beobachter`` vom 9. November 1938 vom Winde getrieben durch die Müllerstrasse in Berlin wehen.
Die Menschen treten ihn achtlos beiseite. ``Das Vergängliche`` erkannte ich und das Bleibende, und ich fand im Ansatz den Weg, der es mir ermöglichte, selbst bestimmt und glücklich zu leben.
Gutes zu fühlen und zu tun im richtigen Moment, das verhieß mir die Wanderin der Nacht, sei ein Weg, den ich gehen könnte.
Wie ich zu dieser Einsicht gelangte, das will ich nun erzählen.