Читать книгу Anna Karenina, 1. Band - Лев Толстой, Лев Николаевич Толстой, Leo Tolstoy - Страница 13

Erster Teil
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Die junge Fürstin Kity Schtscherbazkaja zählte achtzehn Sommer. Im vergangenen Winter war sie zum erstenmal in der Öffentlichkeit erschienen und ihre Erfolge in der großen Welt waren größer, als diejenigen ihrer beiden älteren Schwestern, größer als die Fürstin selbst erwartet hatte.

Wenn schon die jungen Männer, die auf den Moskauer Bällen tanzten, fast sämtlich in Kity verliebt waren, hatten sich dieser bereits im Lauf der ersten Saison auch zwei ernste Partieen eröffnet, Lewin, und sogleich nach dessen Abreise der Graf Wronskiy.

Das Erscheinen Lewins zu Beginn des Winters, seine häufigen Besuche und seine offenbare Liebe zu Kity waren der Anlaß zu den ersten ernsten Auseinandersetzungen der Eltern Kitys über deren Zukunft, und zu Streitigkeiten zwischen dem Fürsten und der Fürstin.

Der Fürst war auf seiten Lewins; er sagte, daß er für Kity keine bessere Partie wünschen könne; die Fürstin aber, mit der den Frauen eigenen Gewohnheit, die Hauptfrage zu umgehen, war der Ansicht, daß Kity noch viel zu jung sei, Lewin noch in keiner Hinsicht bewiesen habe, daß er ernste Absicht hege, daß Kity keine Neigung zu ihm empfinde &c.; die Hauptsache aber sagte sie nicht, nämlich, daß sie auf eine noch bessere Partie für die Tochter warte, und daß Lewin ihr nicht sympathisch war, daß sie ihn nicht verstehe. Als Lewin unerwartet abgereist war, freute sich die Fürstin und sagte triumphierend zu ihrem Gemahl: „Siehst du, ich hatte recht.“

Nachdem Wronskiy erschienen war, geriet sie noch mehr in Freude, in ihrer Meinung bestärkt, Kity müsse nicht einfach nur eine gute Partie machen, sondern eine glänzende.

Für die Mutter gab es gar keine Möglichkeit einer Parallele zwischen Lewin und Wronskiy. Der Mutter gefielen an Lewin dessen seltsame, entschiedene Urteile nicht, seine Plumpheit in der vornehmen Welt, die sich, wie sie annahm, auf Stolz gründete und sein nach ihren Begriffen gleichsam wildes Leben auf dem Dorfe mit seinen Beschäftigungen in der Viehzucht, seinem Verkehr mit den Bauern. Auch dies gefiel ihr nicht sehr, daß er, obwohl in ihre Tochter verliebt, anderthalben Monat hindurch ihr Haus besuchte, als erwarte er etwas; ausschaute, als fürchte er, eine zu große Ehre zu erweisen, wenn er mit einem Antrag käme, und nicht begriff, daß man sich erklären müsse, wenn man ein Haus besuche, dessen Tochter heiratsfähig war. Plötzlich, ohne sich zu erklären, war er abgereist.

„Nur gut, daß er nicht zu sehr anziehend gewesen ist, daß Kity sich nicht in ihn verliebt hat,“ dachte die Mutter.

Wronskiy hingegen entsprach allen Wünschen derselben. Er war sehr reich, klug, wissend, im Begriff, eine glänzende militärische Hofcarriere zumachen, ein verführerischer Mann. Man konnte keine bessere Partie wünschen.

Auf den Bällen bewarb sich Wronskiy offen um Kity; tanzte mit ihr, besuchte das Elternhaus und es schien wohl kaum an dem Ernste seiner Absichten ein Zweifel obzuwalten. Aber nichtsdestoweniger hatte sich die Mutter den ganzen Winter hindurch in einem Zustande seltsamer Unruhe und Erregung befunden.

Die Fürstin selbst war vor dreißig Jahren auf die Werbung einer Tante hin in den Stand der Ehe getreten. Ihr Bräutigam, den man schon von vornherein recht wohl kannte, hatte die Braut erblickt, man hatte auch ihn gesehen, die Tante hatte alles erkannt und die wechselseitigen Eindrücke mitgeteilt; diese lauteten günstig und an einem vorherbestimmten Tage wurde den Eltern die erwartete Erklärung gemacht und von ihnen acceptiert. Das alles war äußerst leicht und einfach vor sich gegangen; wenigstens schien es der Fürstin so. Aber an ihren Töchtern hatte sie erfahren, daß es gar nicht so leicht und einfach sei, was so gewöhnlich schien, das Unternehmen, Töchter zu verheiraten. Wie viel Befürchtungen wurden da nicht durchlebt, wie viel Gedanken durchdacht, wie viel Geld verloren, wie viel Zusammenstöße gab es mit ihrem Manne betreffs der Aussteuer der beiden ältesten Töchter, Darjas und Natalys. Jetzt, bei dem ersten Auftreten der jüngsten, durchlebte man die nämlichen Befürchtungen, die nämlichen Zweifel, den nämlichen Streit, diesen aber nur noch größer, als er es bei den älteren Töchtern gewesen war.

Der alte Fürst war, wie alle Väter, besonders feinfühlig in Bezug auf die Ehre und Makellosigkeit seiner Töchter; er war rücksichtslos eifersüchtig auf diese und namentlich auf Kity, die sein Liebling war. Auf jeden Schritt hin verursachte er der Fürstin Scenen, weil sie die Tochter kompromittiert haben sollte. Die Fürstin hatte sich daran gewöhnt, schon von ihren älteren Töchtern her, jetzt aber fühlte sie, daß die Empfindlichkeit des Fürsten eine tiefere Berechtigung besaß.

Sie bemerkte recht wohl, daß sich in den letzten Zeiten vieles in den Manieren der Gesellschaft verändert hatte, daß die Pflichten einer Mutter schwierigere geworden waren. Sie sah, daß die Altersgenossinnen Kitys Cirkel hielten, sich an Kursen beteiligten, freier mit der Männerwelt verkehrten, allein ausfuhren, vielfach nicht mehr knicksten, und, was die Hauptsache war, die feste Überzeugung besaßen, daß die Wahl eines Zukünftigen nur ihre Sache sei, nicht diejenige der Eltern.

„Man giebt uns heutzutage nicht mehr den Männern in die Ehe, wie ehemals,“ dachten und sagten alle diese Mädchen und selbst auch alle älteren Leute. Aber wie verheiratet man sie denn dann heutzutage? Die Fürstin fand bei niemand Aufschluß darüber. Die französische Sitte, den Eltern das Geschick der Kinder in die Hände zu legen, war nicht üblich, sie wurde verurteilt. Die englische Sitte, der Tochter völlige Freiheit zu lassen, war ebenfalls nicht in Aufnahme und in der russischen Gesellschaft überhaupt undenkbar. Die russische Sitte der Freiwerbung wurde als unfein betrachtet, jedermann lachte jetzt über sie, die Fürstin selbst sogar; aber gleichwohl wußte niemand, auf welche Weise eine Tochter heiraten könne, und alle, mit denen die Fürstin über dieses Thema ins Gespräch kam, sagten ihr das Eine, man müsse eben in der gegenwärtigen Zeit Abstand nehmen vom Althergebrachten.

Daher müsse man die Jugend allein in die Ehe treten lassen, ohne der Eltern Geleit; vielleicht selbst die jungen Leute sich einrichten lassen, wie sie es verständen. Indessen so gut reden hatten nur diejenigen, welche keine Töchter besaßen, und die Fürstin wußte recht wohl, daß bei einer Annäherung ihre Tochter sich verlieben könne, in jemand verlieben, der sie gar nicht heiraten wollte, oder in jemand, der nicht zu ihrem Gatten taugte. So viel man denn daher der Fürstin zuredete, man müsse jetzt die Jugend sich selbst überlassen, vermochte diese doch nicht, dem Gehör zu schenken, ebenso wie sie nie geglaubt haben würde, daß zu irgend einer Zeit für fünfjährige Kinder geladene Pistolen als bestes Spielzeug gedient hätten. Aus diesem Grunde hegte die Fürstin um Kity mehr Besorgnisse, als dies bei ihren älteren Töchtern der Fall gewesen war.

Sie fürchtete jetzt, Wronskiy könnte sich vielleicht nicht nur damit begnügen, ihrer Tochter den Hof zu machen. Sie gewahrte, daß diese sich in den jungen Mann schon verliebt hatte, aber sie beruhigte sich damit, daß er doch ein Ehrenmann sei und deshalb das Befürchtete nicht thun werde.

Zu gleicher Zeit aber wußte sie auch, wie leicht es in der herrschenden Freiheit des Verkehrs sei, einem jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen, und wie leicht die Männerwelt im allgemeinen auf ein solches Vergehen zu blicken pflege.

In der vergangenen Woche hatte Kity der Mutter ein Gespräch erzählt, welches sie mit Wronskiy während einer Mazurka gehabt hatte. Dieses Gespräch beruhigte die Fürstin zum Teil, aber vollständig nicht. Wronskiy hatte zu Kity gesagt, daß er und sein Bruder so gewöhnt wären, in allem ihrer Mutter sich unterzuordnen, daß sie niemals einen wichtigen Schritt zu unternehmen pflegten, ohne sie um Rat dabei gefragt zu haben.

„Auch jetzt warte ich, wie auf ein besonderes glückliches Ereignis, auf die Ankunft meiner Mutter aus Petersburg,“ hatte er gesagt.

Kity erzählte dies, ohne den Worten eine Bedeutung beizulegen, aber die Mutter nahm das Gehörte anders auf. Sie wußte, daß man auf die alte Dame von Tag zu Tag warte, wußte, daß diese erfreut sein werde über die Wahl des Sohnes und es erschien ihr seltsam, daß er, in der Besorgnis vor seiner Mutter, nicht doch eine Erklärung machte. Gleichwohl aber wünschte sie den Ehebund sehr, und vor allem eine Beruhigung in ihren Besorgnissen, so daß sie dem Bericht Vertrauen schenkte.

So bitter wie es ihr auch jetzt war, das Unglück ihrer ältesten Tochter Dolly mit ansehen zu müssen, die sich vorbereitete, den Gatten zu verlassen, so erstickte jetzt doch die Erregung über das sich entscheidende Schicksal ihrer jüngsten Tochter alle anderen Gefühle.

Der heutige Tag hatte nun mit dem Erscheinen Lewins eine neue Sorge gebracht. Sie fürchtete, daß die Tochter, welche wie ihr schien, einmal für Lewin ein Ohr gehabt hatte, aus überspanntem Ehrgefühl Wronskiy abweisen, und daß überhaupt die Ankunft Lewins die Dinge, die so nahe der Entscheidung waren, verwickeln und aufhalten werde.

„Was will er, ist er schon seit Längerem hier angekommen?“ frug die Fürstin bezüglich Lewins, als man nach Haus zurückkehrte.

„Heute, maman!“

„Ich möchte nur das Eine sagen,“ begann die Fürstin, und an ihrem ernsten, erregten Gesicht erriet Kity, wovon die Rede sein werde.

„Mama,“ begann sie, auffahrend und sich schnell nach der Mutter umwendend, „sprecht, ich bitte um alles, nicht davon; ich weiß, ich weiß alles!“

Sie wünschte dasselbe, was die Mutter wünschte, aber die Motive des Wunsches bei ihrer Mutter beleidigten sie.

„Ich will nur sagen, daß wenn du Einem Hoffnung gegeben hast“ —

„Mama, meine Liebe, um Gottes willen, sprecht nicht. Es ist mir so entsetzlich, hiervon zu reden!“

„Ich werde nichts mehr sagen,“ antwortete die Mutter, Thränen in den Augen ihrer Tochter bemerkend, „aber eins noch, mein Herzchen: du hast mir versprochen, vor mir kein Geheimnis haben zu wollen. Nicht so?“

„Niemals, Mama, ich werde nie eins haben,“ antwortete Kity, errötend und offen ins Antlitz der Mutter blickend. „Aber ich habe jetzt nichts zu sagen – ich – wenn ich auch wollte – ich weiß nichts – was ich sagen sollte – ich weiß nichts.“

„Nein; mit diesen Augen kann man nicht die Unwahrheit sprechen,“ dachte die Mutter, lächelnd auf ihres Kindes Erregung und Glück blickend. Die Fürstin lächelte darüber, daß ihm, dem armen Kinde alles das so ungeheuerlich und bedeutungsvoll erscheine, was jetzt in dessen Seele vor sich ging.

Anna Karenina, 1. Band

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