Читать книгу Anna Karenina, 1. Band - Лев Толстой, Лев Николаевич Толстой, Leo Tolstoy - Страница 19
Erster Teil
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ОглавлениеWronskiy folgte dem Beamten zu dem Waggon; er blieb an dem Eingang ins Coupé stehen, um einer heraussteigenden Dame Raum zu geben.
Mit dem gewöhnlichen Takte des Weltmannes erkannte Wronskiy auf den ersten Blick in dem Äußern der Dame, daß diese den höchsten Ständen angehörte. Er entschuldigte sich und trat dann in den Waggon, fühlte aber eine Versuchung in sich, nochmals ihr nachzublicken, nicht etwa deshalb, weil sie sehr schön gewesen wäre, nicht wegen ihrer vorzüglichen und decenten Grazie, die über der ganzen Figur lag, sondern deshalb, weil in dem Ausdruck ihrer wohlwollenden Züge, als sie an ihm vorübergeschritten war, etwas ausnehmend Freundliches und Mildes gelegen hatte.
Als er sich umwandte, drehte auch sie das Haupt rückwärts. Ihre glänzenden grauen Augen, die dunkel unter den dichten Wimpern hervorschauten, hafteten aufmerksam auf seinem Gesicht, als habe sie ihn erkannt, dann aber schweiften ihre Augen auf den vorüberwallenden Haufen, als suche sie jemand in diesem.
An diesem kurzen Blick hatte Wronskiy die zurückgehaltene Lebhaftigkeit bemerkt, die auf ihrem Antlitz lag und aus den blitzenden Augen sprühte, aus dem leisen Lächeln sprach, das ihre roten Lippen kräuselte. Etwas gleichsam Übermütiges schien ihr Wesen so zu erfüllen, daß es sich wohl wider ihren Willen bald im Glanz ihrer Augen, bald in ihrem Lächeln ausprägte. Sie schien absichtlich das Feuer ihrer Augen zu dämpfen, aber es leuchtete ihr zum Trotz dann aus dem kaum bemerkbaren Lächeln.
Wronskiy trat in den Waggon. Seine Mutter, eine alte hagere Dame mit schwarzen Augen und Locken, kniff die Augen zusammen, als sie den Sohn erblickte und kräuselte leicht die schmalen Lippen. Sie erhob sich vom Polster, übergab ihrer Zofe ein Beutelchen und reichte dem Sohne die kleine dürre Hand, worauf sie ihn, seinen Kopf mit der Hand hebend, küßte.
„Hast du mein Telegramm erhalten? Bist du wohl? Gott sei Dank?“
„Glücklich angekommen?“ antwortete der Sohn, sich neben sie setzend und unwillkürlich einer Damenstimme vor der Thür draußen lauschend. Er wußte, daß dies die Stimme jener Dame sei, die ihm bei seinem Eintritt begegnet war.
„Ich bin aber dennoch nicht mit Euch einverstanden,“ sprach die Stimme jener Dame.
„Das ist so petersburgische Ansicht, Gnädigste!“
„Nicht eine petersburgische Ansicht, sondern ein Frauenblick,“ antwortete sie.
„Nun, Ihr erlaubt doch – Eurer Hand einen Kuß“ —
„Auf Wiedersehen, Iwan Petrowitsch. Aber seht doch einmal zu, ob nicht mein Bruder hier ist, und sendet ihn dann zu mir,“ fuhr die Dame fort, dicht an der Thür stehend und alsdann aufs neue in das Coupé tretend.
„Nun, habt Ihr Euren Bruder angetroffen?“ frug die Gräfin Wronskaja, sich an die Dame wendend.
Wronskiy erkannte jetzt, daß diese die Karenina sein müsse.
„Euer Bruder ist hier,“ sagte er, sich erhebend. „Entschuldigt mich, ich habe Euch nicht erkannt, denn unsere Bekanntschaft war von so kurzer Dauer,“ fuhr er fort, sie begrüßend, „daß Ihr Euch meiner wahrscheinlich nicht mehr entsinnen werdet.“
„O doch;“ ich würde Euch erkannt haben, da ich mit Eurer Mama wohl die ganze Route über von Euch gesprochen habe,“ antwortete sie, jetzt endlich ihrer Lebhaftigkeit die sich nach außen drängte, gestattend, in einem Lächeln zu erscheinen. „Aber mein Bruder ist doch wohl nicht hier?“
„Rufe ihn, Aljoscha,“ sagte die alte Gräfin.
Wronskiy trat auf den Perron hinaus und rief: „Oblonskiy, hier!“
Karenina erwartete aber ihren Bruder nicht erst, sondern eilte, sobald sie seiner ansichtig geworden, mit schnellen leichten Schritten aus dem Waggon. Kaum war der Bruder an sie herangetreten, so umfing sie voll Gewandtheit und Grazie die Wronskiy frappierte, mit dem linken Arm seinen Hals, zog ihn schnell an sich und küßte ihn herzlich.
Wronskiy musterte sie, ohne den Blick von ihr wegzuwenden und lächelte, ohne zu wissen, weshalb. Doch, sich erinnernd, daß die Mutter ihn erwarte, trat er wieder in den Waggon.
„Nicht wahr, sie ist reizend?“ frug ihn dieselbe. „Ihr Gatte hat sie in meine Gesellschaft gegeben und ich habe mich darüber sehr gefreut. Ich habe mich während der ganzen Fahrt mit ihr unterhalten. Du aber – sagt man nicht – vous filez le parfait amour. Tant mieux, mon cher, tant mieux“!
„Ich weiß nicht, worauf Ihr hinzielt, maman,“ antwortete der Sohn kühl. „Aber wollen wir jetzt gehen, maman?“
Die Karenina trat in diesem Augenblick nochmals in das Coupé, um sich von der Gräfin zu verabschieden.
„Nun Gräfin, Ihr habt den Sohn gefunden, ich den Bruder,“ scherzte sie heiter, „meine Erzählungen wären nunmehr alle erschöpft, und weiter hätte ich nichts mehr zu berichten.“
„O nein,“ versetzte die Gräfin, sie an der Hand nehmend, „mit Euch möchte ich rund um die Erde reisen und ich könnte mich nicht langweilen. Ihr seid eine von jenen lieben Frauen mit denen man gern spricht und gern schweigt. Aber an Euern Sohn denkt nicht, Ihr müßt Euch von ihm doch einmal trennen.“ —
Karenina stand unbeweglich, sie hielt sich außerordentlich steif aufgerichtet und ihre Augen lächelten.
„Anna Karenina,“ begann die Gräfin, ihrem Sohne eine Erklärung gebend, „hat ein Söhnchen, von acht Jahren wohl, und sie mochte sich niemals von ihm trennen; es schmerzt sie nun, daß sie es hat verlassen müssen.“
„Ja, wir haben die ganze Zeit über nur von unseren Söhnen gesprochen,“ sagte die Karenina, „die Gräfin von dem ihren, und ich von dem meinen,“ und wieder spielte hell ein Lächeln über ihr Antlitz, ein schmeichelndes Lächeln, das ihm galt.
„Wahrscheinlich wird Euch dies sehr schmerzlich gewesen sein,“ sagte er, im Fluge den koketten Blick auffangend, den sie ihm zuwarf. Sie schien indessen nicht gewillt zu sein, das Gespräch in dieser Weise weiterzuführen und wandte sich an die alte Gräfin:
„Ich danke Euch herzlich; ich selbst weiß nicht recht, wie mir der gestrige Tag verflogen ist; auf Wiedersehen denn, Gräfin.“
„Adieu, liebste Freundin,“ versetzte die Gräfin, „laßt mich Euer liebes Gesichtchen küssen. Ich bin eine offenherzige alte Frau und sage es gerade heraus, daß ich Euch lieb gewonnen habe.“
So gedrechselt dieser Satz auch sein mochte, die Karenina glaubte diesen Worten offenbar und freute sich über sie. Sie errötete, verbeugte sich leicht und bot ihr Antlitz den Lippen der Gräfin, dann richtete sie sich wieder auf und gab mit jenem Lächeln, welches zwischen Augen und Lippen zu wechseln schien, Wronskiy die Hand. Er drückte das kleine ihm gebotene Händchen und freute sich, wie über etwas ganz Besonderes, über den energischen Gegendruck mit dem sie fest und unverhohlen antwortete.
Schnell schritt sie hierauf hinaus mit seltsamer Leichtigkeit die ziemlich volle Gestalt bewegend.
„Sehr lieb,“ sagte die alte Gräfin.
Das Nämliche dachte ihr Sohn. Er begleitete sie mit seinen Augen so lange, wie ihre graziöse Figur sichtbar blieb, und ein Lächeln lag auf seinen Zügen.
Durch das Fenster sah er, wie sie sich zu ihrem Bruder begab, ihren Arm in den seinen legte und lebhaft mit ihm zu sprechen begann, augenscheinlich von einem Thema, das ihn selbst, Wronskiy, herzlich wenig betreffen mochte; dies aber war ihm fast ärgerlich.
„Nun, Mama, seid Ihr denn bei recht guter Gesundheit?“ wiederholte er seine frühere Frage, sich wieder an die Mutter wendend.
„Es geht recht wohl, ausgezeichnet. Alexander war äußerst lieb und Marie ist sehr hübsch geworden; sehr interessant.“
Sie begann von neuem davon zu erzählen, daß sie vor allem in Anspruch genommen worden sei von der Taufe eines Enkels, zu welcher sie nach Petersburg zu dem ältesten ihrer Söhne gereist war.
„Da ist ja Laurenz,“ sagte Wronskiy, durch das Fenster schauend, „jetzt können wir gehen, wenn du willst.“
Ein alter Diener, welcher mit der Gräfin gereist war, erschien im Coupé, um zu melden, daß alles bereit sei, und die Gräfin erhob sich, um zu gehen.
„Komm; jetzt sind nur noch wenig Personen auf dem Perron,“ sagte Wronskiy.
Die Zofe ergriff das Arbeitsbeutelchen und den Schoßhund, der Diener und ein Träger das übrige Gepäck, und Wronskiy nahm seine Mutter am Arme; als sie bereits den Waggon verlassen hatten, kamen plötzlich einige Leute mit erschreckten Gesichtern an ihnen vorübergelaufen; auch der Stationschef erschien in seiner Mütze von auffallender Farbe. Augenscheinlich war etwas Ungewöhnliches vorgefallen; das Volk von dem Train kam zurück.
„Was giebt es denn! Was ist! – Es ist jemand unter den Zug geraten! – Er ist zerquetscht!“ hörte man verschiedene Stimmen unter den Vorübereilenden.
Stefan Arkadjewitsch, die Schwester am Arme, und beide ebenfalls mit erschreckten Gesichtern, waren stehen geblieben und hatten sich das Volk vermeidend, nach dem Coupé zurückgewandt.
Die Damen traten wieder hinein, Wronskiy aber und Stefan Arkadjewitsch mischten sich unter die Menge, um Näheres über den Unglücksfall zu erfahren.
Ein Weichenwärter – mochte er berauscht oder vor der starken Kälte zu sehr vermummt gewesen sein – hatte den rückwärts sich bewegenden Zug nicht wahrgenommen, und war überfahren worden.
Noch bevor Wronskiy und Oblonskiy zurückgekehrt waren, hatten die Damen diese Einzelheiten schon von dem Diener erfahren.
Oblonskiy und Wronskiy sahen beide den unförmlich gewordenen Leichnam und der Erstere war augenscheinlich hiervon tief ergriffen. Er wurde traurig und schien fast in der Stimmung zu sein, Thränen zu vergießen.
„O, welches Entsetzen! Ach, Anna, hättest du das gesehen, o welch ein Unglück!“ rief er aus.
Wronskiy schwieg; sein hübsches Gesicht war nur ernst, aber es blieb vollkommen ruhig.
„Hättet Ihr das gesehen, Gräfin,“ fuhr Stefan Arkadjewitsch fort, „auch sein Weib war dabei. Es war ein furchtbarer Anblick, dieses zu sehen. Es warf sich über den Toten; man sagt, er allein habe seine sehr zahlreiche Familie erhalten. Dies ist das Unglück!“ —
„Kann man denn nicht etwas thun für die Frau?“ frug die Karenina in aufgeregt flüsterndem Tone.
Wronskiy blickte sie an und verließ sogleich den Waggon.
„Ich werde sofort wiederkommen, maman,“ sagte er, sich an der Thür nochmals umwendend.
Als er nach Verlauf mehrerer Minuten zurückkam, hatte sich Stefan Arkadjewitsch bereits mit der Gräfin über die neue Sängerin unterhalten, während diese gespannt nach der Waggonthür schaute, den Sohn erwartend.
„Jetzt wollen wir gehen,“ sagte Wronskiy, hereintretend.
Sie gingen alle zusammen hinaus. Wronskiy ging voran mit seiner Mutter; hinter dieser Karenina mit ihrem Bruder. Am Eingang trat der Stationsvorsteher an Wronskiy heran, der von ihm eingeholt worden war.
„Ihr habt meinem Vertreter zweihundert Rubel eingehändigt. Wollt doch die Güte haben zu bestimmen, für wen das Geld ausgesetzt sein soll?“
„Der Witwe,“ antwortete Wronskiy, die Achsel ziehend, „ich begreife nicht, wie darnach noch gefragt werden kann.“
„Ihr habt gegeben?“ rief Oblonskiy hinten aus und fügte hinzu, die Hand der Schwester drückend: „Das ist doch charmant, charmant; er ist doch ein herrlicher Mensch, habe ich nicht recht? Meine Hochachtung, Gräfin!“
Er blieb mit der Schwester stehen, um deren Zofe ausfindig zu machen. Als sie hinaustraten, war der Wagen der Wronskiy schon abgefahren, die Leute unterhielten sich noch immer über den Unglücksfall, der sich soeben ereignet hatte.
„Es ist ein entsetzlicher Tod,“ sagte ein vorübergehender Herr, „man sagt, er sei in zwei Stücke zerfahren gewesen.“
„Aber ich glaube, im Gegenteil, der leichteste war es, da er augenblicklich tot gewesen ist,“ meinte ein anderer.
„Daß man sich solches nicht zur Warnung dienen läßt,“ ein dritter.
Die Karenina setzte sich in den Wagen und Stefan Arkadjewitsch gewahrte mit Verwunderung, daß ihre Lippen bebten und sie nur mit Mühe die Thränen unterdrückte.
„Was ist dir, Anna?“ frug er.
„Ein böses Anzeichen.“
„Thorheiten, du bist glücklich angekommen, das ist die Hauptsache. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir von dir verspreche.“
„Kennst du Wronskiy schon lange?“ frug sie.
„Ja. Du weißt, daß wir hoffen, er möchte Kity heiraten.“
„Ja wohl,“ versetzte Anna leise. „Aber jetzt wollen wir einmal von deinen Angelegenheiten reden,“ fügte sie hinzu, den Kopf schüttelnd, gleichsam als wollte sie etwas Äußerliches abschütteln, was sie bedrückte und störte. „Laß uns jetzt von deinen Angelegenheiten sprechen; ich habe dein Schreiben erhalten und bin daraufhin gekommen.“
„Ganz recht. Meine ganze Hoffnung bist du,“ sagte Stefan Arkadjewitsch.
„Nun, so erzähle mir denn alles.“
Stefan Arkadjewitsch begann zu erzählen.
Nachdem man daheim angelangt war, hob Oblonskiy die Schwester aus dem Wagen, seufzte, drückte ihr die Hand und begab sich ins Amt.