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Die Fahrt ins Kloster

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In der Nacht erwachte ich mehrmals, da ich fürchtete, den Morgen zu verschlafen, und um sechs Uhr früh war ich bereits auf den Beinen. Durch die Fenster dämmerte es kaum. Ich zog meine Kleider und Stiefel an, die zerknittert und ungeputzt vor dem Bette lagen, denn Nikolaj war noch nicht dazu gekommen, aufzuräumen, und ohne zu beten, ohne mich zu waschen, ging ich zum ersten Male im Leben allein auf die Straße hinaus.

Auf der gegenüberliegenden Seite schimmerte hinter dem grünen Dach eines großen Hauses hervor die neblige, feuchte Morgenröte. Ein ziemlich starker Frühlingsmorgenfrost hatte den Straßenschmutz und die Rinnsale gebändigt, stach in die Füße und kniff mir Gesicht und Hände. In unserer Gasse war noch keine einzige Droschke zu sehen, und ich hatte doch darauf gerechnet, um so schnell als möglich hin und zurück zu gelangen; nur einige Lastwagen zogen sich über den Arbat hin, und zwei Steinarbeiter gingen plaudernd über das Trottoir. Nachdem ich etwa tausend Schritte zurückgelegt hatte, traf ich Männer und Frauen, die mit ihren Körben auf den Markt gingen, und Tonnenwagen, die nach Wasser fuhren; an der Kreuzung der Straße stellte sich ein Kuchenverkäufer auf, eine Bäckerei wurde aufgemacht und am Arbattor hielt auch eine Droschke; der Kutscher, ein alter Mann, schwankte im Schlafe auf seiner schwerfälligen, abgenutzten, geflickten, taubengrau schimmernden Droschke hin und her. Wohl noch im Halbschlafe verlangte er von mir nur einen Zwanziger bis zum Kloster und zurück, dann aber besann er sich plötzlich, und als ich gerade einsteigen wollte, klatschte er mit den Enden der Leine über den Pferderücken, fuhr von mir fort und murmelte: »Ich muß mein Pferd füttern, ich kann nicht, Herr.«

Mit Mühe überredete ich ihn anzuhalten und bot ihm zwei Zwanziger. Er hielt an, betrachtete mich aufmerksam und sagte: »Steig' ein, Herr.« Ich gestehe, daß ich mich eigentlich ein wenig fürchtete, er werde mich in eine stille Seitengasse führen und ausplündern. Mich am Kragen seines zerrissenen Kutscherrockes haltend, wobei sein magerer, runzeliger Hals über dem stark gekrümmten Rücken sichtbar wurde, kletterte ich auf den unebenen, blauen, hin- und herschwankenden Sitz, und wir holperten die Wosdwishenskastraße hinunter. Unterwegs bemerkte ich, daß die Rückenwand der Droschke mit einem Stück desselben grünlichen Tuches, aus dem der Mantel des Kutschers bestand, bezogen war; dieser Umstand beruhigte mich, ich weiß nicht warum, und ich fürchtete nicht mehr, daß der Kutscher mich in eine stille Seitengasse führen und ausplündern werde.

Die Sonne war schon recht hoch gestiegen und vergoldete hell die Kuppeln der Kirchen, als wir uns dem Kloster näherten. Im Schatten hielt sich noch der Frost, aber die Straße entlang rieselten schnelle, trübe Bächlein, und der auftauende Straßenschmutz klatschte unter den Tritten des Pferdes. Als ich in die Klosterumfriedung gelangt war, fragte ich den ersten Menschen, den ich traf, wie ich zu meinem Beichtvater gelangen könnte.

»Das dort ist seine Zelle«, sagte mir ein vorübergehender Mönch, indem er einen Augenblick stehen blieb und auf ein kleines Häuschen mit einer kleinen Treppe zeigte.

»Ich danke ergebenst«, sagte ich.

Aber was mochten wohl die Mönche von mir denken, die, einer nach dem andern aus der Kirche kommend, mich alle anblickten? Ich war weder erwachsen noch ein Kind; mein Gesicht war nicht gewaschen, mein Haar nicht gekämmt, an meinen Kleidern hingen Daunen, meine Stiefel waren nicht geputzt und jetzt noch gar mit Straßenschmutz bedeckt. Zu welcher Gattung von Menschen mochten mich die Mönche in Gedanken zählen, wenn sie mich betrachteten? Und sie betrachteten mich aufmerksam. Trotzdem ging ich in der Richtung, die mir von dem jungen Mönch gewiesen worden war.

Ein altes Männchen in schwarzem Gewande, mit dichten, weißen Augenbrauen, begegnete mir auf dem schmalen Pfade, der zu den Zellen führte, und fragte mich, was ich wollte.

Es kam ein Augenblick, wo ich am liebsten gesagt hätte: »Nichts!«, zur Droschke zurückgerannt und nach Hause gefahren wäre, aber trotz der zusammengezogenen Augenbrauen flößte das Gesicht des Greises mir Vertrauen ein. Ich sagte, daß ich meinen Beichtvater sprechen müsse, und nannte dessen Namen.

»Kommen Sie, junges Herrchen, ich führe Sie hin«, sagte er, indem er umkehrte und meine Lage offenbar sofort erriet, »der Pater ist in der Frühmesse, er wird aber bald kommen.«

Er öffnete die Tür und führte mich durch einen sauberen Flur und ein Vorzimmer über einen reinen, leinenen Laufteppich in die Zelle.

»So, hier warten Sie ein wenig«, sagte er mit gutmütigem, beruhigendem Ausdruck und ging hinaus.

Das Zimmer, in dem ich mich befand, war sehr klein und äußerst sauber. Die ganze Einrichtung bestand aus einem mit Wachsleinwand bedeckten Tischchen, das zwischen zwei kleinen, zweiflügeligen Fensterchen ausgestellt war, auf denen zwei Blumentöpfe mit Geranien Platz gefunden hatten, aus einer Konsole mit Heiligenbildern und davorhängendem Lämpchen, einem großen Lehnstuhl und zwei Sesseln; in der Ecke hing eine Wanduhr mit einem blumenbemalten Zifferblatt und an Kettchen hängenden Messinggewichten; an einer Zwischenwand, die mit der Decke durch getünchte Holzstäbchen verbunden war (und hinter welcher wahrscheinlich das Bett stand) hingen an Nägeln zwei Mönchsgewänder.

Die Fenster gingen auf eine weiße Mauer, die kaum zwei Ellen von ihnen entfernt war; zwischen den Fenstern und dieser Mauer wuchs ein kleiner Fliederstrauch. Kein Laut drang aus der Außenwelt in dieses Zimmer, so daß der gleichmäßige, angenehme Perpendikelschlag in dieser Stille als starker Ton auffiel. Sobald ich in diesem stillen Winkel allein geblieben war, erwachten plötzlich alle meine früheren Gedanken und Erinnerungen, und ich versank in ein unbeschreiblich angenehmes Sinnen; dieses vergilbte Nankinggewand mit dem zerschlissenen Futter, diese abgenutzten, schwarzen Ledereinbände der Bücher mit den Messingschnallen, diese Blumen von trübem Grün, mit der sorgfältig begossenen Erde und den gewaschenen Blättern, und vor allem der eintönige, unaufhörliche Schlag des Perpendikels sprachen mir vernehmlich von einem neuen, bisher unbekannten Leben, von einem Leben der Einsamkeit, des Gebetes, des stillen, ruhigen Glückes.

»Es vergehen Monate, es vergehen Jahre«, dachte ich, »und er ist immer allein, er ist immer ruhig, er fühlt immer, daß sein Gewissen rein ist vor Gott und daß sein Gebet erhört wird.« Wohl eine halbe Stunde lang saß ich da, ohne mich zu regen und laut zu atmen, um die Harmonie der Töne, die mir so viel sagten, nicht zu stören. Und der Perpendikel hörte nicht auf zu schlagen, nach rechts lauter, nach links leiser.

Jünglingsjahre

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