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8. Philipp

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Eine Hochzeit und der Tod

Was gibt es über Philipp, den Apotheker zu berichten? Ich erinnere mich mit einigem Schrecken an Philipps Hochzeit mit seiner um fast 10 Jahre älteren Frau.

Philipp selbst war ja bereits über 52 Jahre, als er beschloss, seine Konkurrentin zu heiraten. Nichts gegen Ehen von Ungleichaltrigen, aber diese war für alle Beteiligten, Gäste und Verwandten, nur schwer zu ertragen. Schwer zu ertragen, weil aus dem weißen makelosen Hochzeitskleid das hässliche Gesicht einer faltigen, abgelebten, mageren, nikotinverpesteten Alten blickte, so dass dieser Gegensatz geradezu absurd, morbide und ekelerregend wirkte. So als stelle die Braut eine Persiflage auf Vergänglichkeit und Tod eingehüllt in das Kleid einer unschuldigen Jungfrau dar. Entsprechend schwer war es für die Hochzeitsgäste, die Form zu wahren und freundlich zu gratulieren, nur um sich mit einem Gefühl von Brechreiz im Hals gleich wieder abzuwenden.

Mag es Vorurteil sein oder spießige Engstirnigkeit, aber der Gegensatz war für die geladenen Gäste umso größer, weil Philipp selbst recht unverbraucht wirkte, jugendlicher, und er war strikter Nichtraucher, während seiner frisch Angetrauten schon auf Metern der Geruch von kalter Asche und schwarzzugigem Kamin entströmte.

Entsprechend mühsam waren die Erklärungsversuche der Beweggründe zu dieser Hochzeit. Spekulationen von österreichischer Übernahme der feindlichen Apotheke (Österreich heiratet und herrscht) kursierten ebenso wie das hilflose Bedürfnis eines alternden Mannes, der kaum mehr als 6 Std. täglich aus seiner Apotheke kam, nämlich um erschöpft ins Bett zu fallen und frühmorgens um 6 schon wieder im Geschäft zu sein.

Auch die Möglichkeit eines Erpressungstricks durch die neue Ehefrau, die auf irgendeine Weise von unsauberen Finanztricks Wind bekommen haben mochte, mit der Philipp sein nicht unerhebliches Vermögen am Fiskus vorbeirettete, wurden erwogen oder die gemeinsame Liebe zu sonntäglichen Spaziergängen zu verlassenen Friedhöfen oder berühmten Gräbern. Letztens wurde es als Flucht nach vorne und vor etwas unangenehmen Vergangenem angesehen. Philipp aber schien unberührt von diesen Gefühlen oder er tat zumindest so, als sehe er die verkrampften Minen ebenso wenig wie er die getuschelten Bemerkungen hörte, kaum dass er sich abgewandt hatte.

Aber alle diese Spekulationen trafen in gewissem Maße ebenso zu, wie sie falsch waren.

Hinter der Fassade des freundlichen, immer hilfsbereiten, stets über seine Finanznot und unzuverlässige Mitarbeiterinnen klagenden Apothekers herrschte die Apokalypse.

Diese äußerte sich bei dem notorischen Junggesellen in der Vergangenheit unter anderem darin, dass er fast sein ganzes wirtschaftliches Vermögen in windige Steuerrettungsmodelle gesteckt hatte, die ihm nicht nur juristischen Ärger verursachten, sondern darüber hinaus zu zusätzlichen finanziellen Belastungen führten, so dass er tatsächlich trotz immenser Umsätze häufig am Rande der Zahlungsunfähigkeit entlang balancierte.

Verbunden war diese Neigung mit dem Hang zu selbstloser Aufopferung für seine Freunde und, das sei nicht verschwiegen, seiner Sehnsucht nach dem Tod, nach Auflösung, nach Chaos, die ihm selbst jedoch nicht bewusst zu sein schien.

Nehmen wir zum Beispiel seine vorherige langjährige Lebensgefährtin, eine aus Frankreich stammende, schwer depressive Lehrerin, kinderlos wie er selbst. Über mehrere Jahrzehnte begleitete er sie durch ein Leben, welches angefüllt mit Düsternis, dumpfer Agonie und Initiativlosigkeit dahinsickerte, wie ein eben versiegender schlammiger Bach, der sich in den Morast eines Schlammloches zu gelangen mühte, ohne wirklich zu fließen und ohne dort Erlösung zu finden. Als er es endlich schaffte, sich aus dieser Beziehung zu lösen, hinterließ er eine in ihrer eigenen Kotze und neben einer Unzahl geleerter Tablettenschachteln liegende Leiche und einen alternden, gichtkranken Hund, der von da an im Hinterzimmer seiner Apotheke dem Ende entgegen dämmerte.

Da lag es nahe, dass er die nächste Stufe erklimmen musste, um seinem Ekel vor sich selbst eine greifbare Gestalt zu geben.

Hinzu kam, dass er für seine Braut und deren Liebhaber, das sei nicht verschwiegen, für ein Millionenvermögen ein baufälliges Haus erwarb und renovieren ließ, ohne dort eine wirkliche Unterkunft für sich selbst zu schaffen. Das hatte er glatt vergessen.

Bezeichnend war in diesem Haus eine Küche, die mit so kostbaren, aber schmutzempfindlichen Materialien ausgestattet wurde, dass sie praktisch nicht benutzbar war, wollte man sie nicht durch eine kleine achtlos verkippte Zutat auf alle Zeiten ruinieren. Ebenso war das durchdesignte Bad praktisch nicht anders zu nutzen, als die Türe staunend wieder vorsichtig von außen zu schließen, sobald man seiner ansichtig geworden war und die Notdurft im Garten zu verrichten, der auch nach 5 Jahren des Renovierens noch einer Müllhalde mehr glich als einer Fläche, wo irgendwann einmal Rasen oder gar Blumen wachsen würden.

Oder nehmen wir seine Manie, sich mit über 50 Jahren noch dem Tauchsport hinzugeben, möglichst dort, wo die meisten Haie zu erwarten waren, oder sich in einem plötzlichen Tiefenrausch in die Unendlichkeit des Ozeans sinken zu lassen, so dass ihn sein Tauchlehrer gerade noch am Schopfe wieder nach oben ziehen konnte. Er liebte den Tod, jedoch ohne sich ihm ganz hinzugeben, wie es seine frühere Lebensgefährtin dann doch letztlich getan hatte.

Besonders gerne besuchte er alte und ehrwürdige Gräber, bestaunte kunstvoll verzierte Grabstellen und sammelte vorab schon einmal Erfahrungen auf dem Friedhof.

Oder das Hinterzimmer seiner Apotheke füllte sich nach und nach mit einem Originalskelett aus Indien, zu Forschungszwecken fein säuberlich an einem Ständer aufgehängt, einem Musikinstrument aus einem menschlichen Röhrenknochen von was weiß ich woher und allerlei anderem Ramsch, der keinerlei anderen Zweck verfolgte, als an den Tod und die Auflösung zu erinnern.

Besonders verhängnisvoll war jedoch seine Vorliebe für Bilder echter, nackter, weiblicher Leichen, derentwillen er Stunde um Stunde während seiner Apothekennotdienste am PC hing und das Internet durchforschte. Eine stattliche Sammlung des erotischen Grauens, die nach und nach mehrere Festplatten füllte.

Dieser Vorliebe war auch die Freundschaft zu einem homosexuellen Pathologen zu verdanken, der ihm mitunter Zugang zu besonders ansehnlichen Originalpräparaten verschaffte, mit denen er ihn unverantwortlicherweise einige Zeit allein ließ, und letztlich auch verdankte er einer dieser besonders "innigen" Begegnungen wahrscheinlich seine kürzliche HIV-Erkrankung, was ich bereits aus einer unbedachten Äußerung seiner Frau entnehmen konnte, als sie sich wieder einmal über ihn geärgert hatte.

Mir gegenüber erwähnte er in einem Nebensatz nur einmal, dass er bisexuell sei, was so ziemlich das Einzige war, was seine engeren Freunde in dieser Hinsicht aus seinem eigenen Munde erfahren konnten. Er war nie aufdringlich, stellte sich nie in den Vordergrund oder zog eine Schau ab, sondern war im Gegenteil, zurückhaltend, hilfsbereit und eben ... treu. Dennoch ahnte man mit den Jahren den wahren Zusammenhang besser als er selbst offenbar.

Philipp nun beobachtete an diesem Tage zufällig durch seine Überwachungskamera, die den Hinterraum seiner Apotheke, in dem er sich oft aufhielt, mit dem Geschehen im Verkaufsraum verband, einen jungen, etwas merkwürdig gekleideten und verwahrlost aussehenden Mann die Apotheke vorsichtig betreten und im Eingang stehen bleiben. Er schaute sich suchend nach allen Seiten um, ging zu einem Regal, hob einen Gegenstand an, beschaute ihn von allen Seiten und stellte ihn wieder ab. Dann nahm er irgendeinen weiteren Gegenstand auf, betrachtete diesen ebenfalls von allen Seiten sorgfältig, bevor er ihn wieder zurückstellte.

Philipps erste Vermutung war, dass ein Penner sich auf unredliche Art bereichern wollte. Bei näherer Beobachtung verwarf er diesen Gedanken jedoch und vermutete ganz richtig, dass ein Geistesgestörter oder Debiler die Apotheke betreten hatte. Er drückte den Klingelknopf für das Kassenpersonal, was diese aufhorchen und sich nach dem Delinquenten umschauen ließ. Sie hatten die fragliche Person auch gleich geortet und eine resolute Angestellte fragte ihn höflich nach seinem Begehr, wie sie es gelernt hatte.

Der Besucher, kein anderer als Herr Maus, schaute sich erst ängstlich um, dann die Verkäuferin an und antwortete dann freundlich, er wolle eigentlich nichts haben, nur wolle er sich alles ganz genau anschauen, worauf er mit seinem merkwürdigen Treiben fortfuhr. Durch die Videoanlage verfolgte Philipp, wie die Angestellte bemüht war, Herrn Maus zum Gehen zu bewegen. Dieser ließ sich jedoch nicht abschütteln. Schließlich gab sie in die Kamera das verabredete Signal und Philipp begab sich verärgert selbst in den Verkaufsraum.

Von neuem und nun mit männlicher Attitüde fragte er Herrn Maus, was dieser wünsche und als er wiederum die Antwort erhielt, "Eigentlich nichts, er wolle sich nur einmal umsehen!", da forderte er ihn energisch zum Gehen auf, sonst werde er die Polizei verständigen.

Daraufhin erwiderte Herr Maus, er solle sich nicht bemühen, er gehe gleich wieder, aber er wolle doch dringlich darauf hinweisen, dass die Anordnung der Zwischenräume zwischen den Tablettenschachteln den nahenden Weltuntergang nahelege und er solle auf sich achten. Damit verließ er die Apotheke widerstandslos, während Philipp ihm verständnislos, den Kopf schüttelnd nachschaute.

Allerdings gingen ihm während des gesamten Nachtdienstes die eindringlich und ruhig ausgesprochenen Worte des Verrückten nicht mehr aus dem Kopf, was zur Folge hatte, dass er gegen 2 Uhr nachts den notdürftig beleuchteten Apothekenraum betrat und zum ersten Mal in seinem Leben nicht die Ware, sondern das Muster der Zwischenräume der ausgestellten Tablettenschachteln betrachtete. Je länger er jedoch hinschaute, desto lebendiger schienen diese zu werden, bis er glaubte, seltsame Strukturen darin zu erkennen, die einen leicht vibrierenden, filigranen Tanz vor seinen übermüdeten Augen aufführten.

Er schüttelte den Kopf und beschloss, sich zur Ruhe zu begeben, in der Hoffnung nun nicht weiter durch nächtliche Kunden gestört zu werden.

Der Tanz der Bienen

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