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12. Levi
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Seit das Siegel in mein Leben trat, beschäftigte mich natürlich die Frage, ob es einen Sinn hat und wenn ja, welchen. Nie jedoch stellte ich mir die Frage, ob es auch eine Wirkung hat.
Mir erschien es von Anfang an als eine Mischung aus dem Surrogat unbeschreiblicher Träume und eigenem Dazutun. Ich spielte mit Symbolen und Formen, ordnete und verwarf sie, aber doch nur, um das zu finden, was ich im Innersten als richtig und korrekt empfand, ohne zu wissen, warum dies so sein sollte.
Das Siegel, so wie es sich auf der Stirn von Prof. Herold eingebrannt fand, war bei oberflächlicher Betrachtung nicht mehr als die geometrische Anordnung römischer, griechischer Zahlen und hebräischer Zeichen, eine an sich unmögliche Kombination auf der Rückseite und diesem seltsamen Symbol auf der Vorderseite, welches sich eben nun auf des Professors Leichnam befand.
Dennoch war mir klar, dass es eine tiefere Bedeutung geben musste, die ich lediglich mangels intellektueller Kapazität nicht erfasst zu haben schien. Ich stellte viele Überlegungen an, welche Bedeutung eigentlich Symbole für uns haben und letztlich ist ja auch die Schrift nichts weiter als eine Ansammlung von Symbolen und soweit ich verstanden habe, geht sie ursprünglich auf die Vereinfachung bildlicher Darstellungen von Gegenständen der Antike zurück. Hinter dem Symbol versteckt sich der Klang, das Wort.
Betrachten wir einmal lautmalerisch das Wort: "tri" gesprochen "triii". Es ist nicht mehr als eine Klanghülse.
Es ist Bewegung in der Luft, könnte dem Lied eines Vogels entsprungen sein und ist an sich völlig bedeutungslos. Tririli, tri, tri, tiri, tiri.
Dennoch sind wir sicher, dass wir wissen, was gemeint ist, wenn wir herausbekommen, dass der Verursacher dieses Lautes Engländer ist und die korrekte Lautschrift so aussieht: tree.
Sofort entsteht die Gestalt eines Baumes. Aber welches Baumes, mit welchem Aussehen, welchem Stamm, welchen Blättern, welchem Grün, welcher Rinde?
"Go to the tree and turn around." Klarer Fall, aber welcher Baum denn? Der da oder der da oder ist dieser Busch auch ein Baum?
Im konkreten Fall wird der Sprecher auf einen konkreten Baum weisen, dieser hat jedoch ganz individuelle Merkmale und wird sich auf jeden Fall von allem anderen, was ebenfalls Baum ist, auf eine erhebliche Weise unterscheiden.
Okay, dies ist alles trivial, dennoch blieben meine Gedanken an einem Punkt hängen. Wenn Sprache, die Grundlage der Verständigung, sich lediglich lauter unscharfer Abstraktionen bedient und sogar das Denken, sich dieser Schablonen bedient und sogar die Wahrnehmung schablonenhaft ist, um überhaupt "tree" von "not a tree" zu unterscheiden und die empfundene Wirklichkeit so sehr vereinfacht wird, dass sie kommunizierbar wird, dann kann doch in dieser von uns erlebten Welt eine Dimension vorhanden sein, die sich den Mustern unserer denkerischen, sprachlichen, begrifflichen Wahrnehmungsfähigkeit, unseren Wahrnehmungsversuchen soweit entzieht, dass wir glauben, sie sei gar nicht existent! Und nehmen wir an, diese Dimension läge vor unseren Augen, bloß fehle uns die Fähigkeit des geistigen und sinnlichen Zugriffes, dann wäre sie dennoch wirksam, könnte sie unter Umständen genutzt werden, so man sich den Einschränkungen der Begrifflichkeit entzöge.
Dies geschehe möglicherweise durch immer höhere Abstraktion.
Vielleicht galt es also diesen Zugang, diese Pforte zu der weiteren Dimension zu finden und möglicherweise ist das Siegel der Hinweis auf diese Pforte.
Leider hinderten mich der Alltag und private Verwicklungen später daran, diesen Gedanken weiter nachzugehen, bis eben Herr Maus plötzlich in meiner Praxis auftauchte und damit alles aus den Angeln zu heben schien.