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10. Timmy
ОглавлениеDie Clique
Laut scheppernd stieß Timmy eine leere Bierdose über den Gehweg, so dass sie klirrend gegen die Radkappe eines der am Straßenrand geparkten Autos flog und von dort in den Rinnstein polterte. Wütend und seine blöde Mutter verfluchend wandte er sich in Richtung S-Bahnhof, Reinickendorf, wo er normalerweise mit anderen Jugendlichen abhing.
Die Schule hatte er schon seit einigen Tagen nicht mehr besucht, weil ihm die Lehrer und die anderen Mitschüler auf die Nerven gingen und außerdem, wer braucht schon Schule?
Er versuchte nur den Eindruck zu erzeugen, dass er dort hinging, um dem Streit mit seiner Mutter aus dem Weg zu gehen.
Die anderen Jungs bewiesen, dass es auch ohne Schule ging. Sie besorgten sich Geld durch kleine Diebstähle, Überfälle auf Passanten oder verkauften dann und wann Shit. Ansonsten tranken sie Dosenbier und pöbelten die Leute an, um sich die Zeit zu vertreiben.
Timmy war der Jüngste von ihnen und die anderen nannten ihn Professor, weil er mehr Jahre in der Penne verbracht hatte, als alle anderen zusammen. Gelegentlich gesellte sich auch eine ›Schnalle‹ aus den Block gegenüber zu ihnen und hing mit ab. Das Mädchen hatte mehr Zaster als die anderen und machte es mit den Beinen, wie Wulle sagte. Wulle war der Anführer der Bande und die Schnalle war seine Freundin. Wenn sie ihm die Kohle nicht rausrückte, dann bekam sie in die Fresse, danach küsste er sie vor den anderen grob, drehte dass geschundene Gesicht in Richtung der anderen und meinte. "So behandelt man eine Fotze!"
Das war Timmy ziemlich unangenehm, aber er tat so wie alle anderen, dass er hämisch grinste und sich vorstellte, er sei an Wulles Stelle.
"Wenn du deine Mutter nicht gefickt hast, bist du kein Mann, du Arschficker!", hatte Wulle einmal zu ihm gesagt und ihm in die Eier getreten. "Du bist ein Arschficker, fick deine Alte, dann kannst du wieder kommen!"
Als Timmy heute am S-Bahnhof eintraf, waren die anderen nicht da, aber ein Bullenauto stand am Straßenrand, mit zwei Polypen darin. Timmy verstand, dass er sich heute nicht hier aufhalten konnte. Also raus und Richtung Oranienburg mit der S-Bahn. Dort waren sie, wenn die Bullen den Bezirk mal wieder gefilzt hatten.
Der Tag lief allerdings ziemlich Scheiße heute. Kaum hatte er die S-Bahn bestiegen, da betraten auch zwei Fahrscheinkontrolleure den Wagen und zum Abhauen war zu wenig Zeit. Natürlich tat Timmy zuerst so, als habe er seinen Schülerausweis vergessen. Den besaß er jedoch schon lange nicht mehr und das Geld war ohnehin zu schade, um es für überteuerte Fahrkarten auszugeben. Also aussteigen beim nächsten S-Bahnhof zum Erfassen der Personalien, da er auch keinen Ausweis dabei hatte. Er hatte überhaupt eigentlich nichts dabei, nur der Wohnungsschlüssel steckte in seiner Jeans und ein zerknüllter 5 Euro Schein, immerhin. Auf dem Bahnsteig spielte er erst den Zerknirschten, druckste herum, dann trat er dem einen Kontrolleur direkt in den Bauch, dass dieser stöhnend zu Boden ging und rannte davon, bevor der andere ihn packen konnte. Timmy war ohnehin kräftig genug, um sich dem Zugriff einer Männerhand zu entziehen.
Ohne sich umzusehen hechtete er die Treppen zum Ausgang hoch, rannte über die stark befahrene Fahrbahn, so dass einige Autos laut hupend stark abbremsen mussten, setzte über den Mittelstreifen und verschwand im gegenüberliegenden Gebüsch einer kleinen Umfriedung eines Parks. Der zweite Kontrolleur war ihm allerdings offenbar gar nicht gefolgt. Atemlos und mit Pulsieren in den Ohren ließ er sich ins Gras fallen und verfluchte alles und jeden um sich herum.
Timmy neigte eigentlich nicht zu Gewalttätigkeit, er suchte meist, einem Streit zu entgehen. Die Jungs am S- Bahnhof akzeptierten allerdings Weicheier nicht und um mit dabei zu sein, musste er sich schon ziemlich cool geben.
Dennoch fühlte er einen gewissen Triumph darüber, der Kontrolle entkommen zu sein, auch wenn er eigentlich am meisten Angst davor gehabt hatte, dass seine Mom davon erfahren hätte. Er rappelte sich auf und schlenderte ratlos durch den Park. Nach Hause zurück war ganz unmöglich, das war ihm klar. Er hatte sich sowas von Scheiße benommen, aber den anderen würde er sagen können, er habe seine Mutter gefickt. S-Bahn zurück konnte er auch nicht wagen, sagte er sich, dort würden bestimmt schon die Bullen auf ihn warten. Nach Oranienburg, zu den anderen, wäre zu Fuß zu weit. Er setzte sich ins Gras und flennte, "Scheiße, scheiße, scheiße!"
Da er den Drang zum Pinkeln verspürte, ging er die paar Meter zum Gebüsch und begann sich zu erleichtern. Während er den Strahl seines Urins betrachtete, mit dem er spielerisch Muster auf das Laub zeichnete, vernahm er plötzlich das Summen um sich herum. Er hielt nach dessen Quelle Ausschau und entdeckte über dem Laub, aus dem noch dampfend sein Urin aufstieg, eine Unmenge schwarz, bläulich schimmernder dicker Fliegen, die ein seltsames Muster zu bilden schienen, welches sich auf irritierende Weise veränderte, verdichtete und zerfiel, wieder entstand, sich wieder auflöste, aber von einer solchen Lebendigkeit und Schönheit war, dass er fasziniert innehielt.
"Kann ich dir vielleicht helfen, junger Mann?", drang plötzlich eine gekünstelt wirkende Stimme hinter ihm in sein Bewusstsein.
Er schaute sich um, wie aus einem schweren Traum erwachend. Ein Spaziergänger im mittleren Alter mit buntem Hawaihemd, Strohsandalen, Halbglatze und einem kleinen weißen Pudel an der Leine war unweit von ihm stehen geblieben und schaute ihn neugierig an. "Na, drückt's im Gemächt? Vielleicht kann ich dir ein wenig Erleichterung verschaffen?" Erst jetzt bemerkte Timmy, dass er noch immer in derselben Haltung wie zum Wasserlassen da stand und beeilte sich sein bestes Stück wieder zu verstauen. "Hau ab, Alter!", fauchte er. "Nein, wie unfreundlich!", gab der andere zurück, aber anstatt weiter zu gehen, kam er näher zu ihm heran, hielt ihm die Hundeleine hin und begann ebenfalls ins Gebüsch zu pinkeln.
"Bist ein hübscher Junge und so einen schönen Stengel hast du. Und so allein?"
Timmy war ratlos. Einerseits wusste er nicht, was er davon halten sollte, andererseits wagte er auch nicht die Hundeleine loszulassen und einfach zu gehen, wohin auch immer, aber angenehm war ihm die ganze Situation ebenfalls nicht.
"Karlchen!", sagte der Mann, nachdem er mit dem Urinieren geendet hatte.
"Wie bitte?", fragte Timmy verdutzt.
Der Mann wies auf den Pudel und wiederholte. "Karl der III."
"Der Pudel?", fragte Timmy etwas begriffsstutzig.
"Na, was denkst du denn, eine Kuh ist er doch wohl nicht!" Dann nahm er ihm die Hundeleine mit einer gezierten Bewegung wieder aus der Hand. "Danke, mein Süßer! Wie heißen wir denn?"
"Hä?", entfuhr es Timmy?
"Na ja, lassen wir das Förmliche, ich bin Sam, meine Freunde nennen mich Sammy, für dich also Sammy."
Timmy trat von einem Bein auf das andere, unschlüssig was er als Nächstes tun sollte.
"Mein Daddy war bei der Army, weißt du, ein ganz schlimmer Menschenschlächter."
"Meiner auch!", erwiderte Timmy angezogen und abgestoßen durch sein Gegenüber gleichzeitig. Die Situation begann ihm über den Kopf zu wachsen.
"Ach? Interessant, wollen wir nicht ein wenig darüber plaudern auf dem Weg nach Hause? Du willst doch nach Hause oder ...", er lächelte spöttisch, "hast du noch ein kleines Date hier im Park, du Schlimmer?"
"Hä?", entfuhr es Timmy erneut und er verfluchte sich selbst, weil ihm nichts zu dem nervigen Typ einfiel als dieses dämliche "Hä!"
"Ogottogott, Jungfrau, wie interessant", flötete der andere, legte ihm einen Arm um die Schulter und zwang ihn so, dieselbe Richtung wie er selbst einzuschlagen. "Weißt du, man sieht nicht oft so einen gut gebauten jungen Mann wie dich hier im Park und dann noch um diese Zeit", redete der Mann, Sammy, munter auf ihn ein, während er ihn fest umklammert hielt und so weiter und weiter zu gehen zwang. "Mein Dad", sagte er mit gewichtigem Ausdruck im Gesicht, "Gott hab ihn selig, hat mir eine entzückende kleine Wohnung hinterlassen als er verschied. Vielleicht darf ich dich einladen mir heute beim Abendessen ein wenig Gesellschaft zu leisten? Rate mal, was es gibt?"
Timmy schaute ihn ratlos an.
"Nudeln mit Gorgonzolasauce!" Dann strahlte Sammy ihn an. "Wir machen es uns ganz gemütlich und weißt du, wer kocht?"
Timmy blickte nur verwirrt den Kopf schüttelnd aus der Wäsche. Sammy stieß ihm mit dem Zeigefinger vor die Brust. "Du kochst!"