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Die Mitte des Bettes
ОглавлениеVier Jahre waren wir zusammen, am Schluss trennen wir uns in einer direct message. Wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, ob er weiß, dass ich mich wirklich trenne, als ich auf sein »Weißt du was, ich hab keinen Bock mehr auf das alles« mit »o. k.« antworte. Es ist nicht das erste Mal, dass einer von uns dem anderen das Ende an den Kopf wirft, es ist nur das erste Mal, dass zumindest ich es auch so meine.
Unsere gemeinsamen Freunde glauben an einen üblen Streit, als er am Abend nicht an meiner Seite in der Bar auftaucht, einige sprechen von einer Phase, andere von dem »Mist«, den Dominik vermutlich »mal wieder« gebaut hat. »Das wird schon wieder«, finden sie und nicken mir zu wie eine sich gegenseitig zustimmende Herde, die sich aneinander anpasst, um bloß nicht einzeln konfrontiert zu werden. Wir sind das Paar, bei dem man schon lange aufgehört hat, sich einzumischen, vielleicht, weil wir am Ende doch fast immer gemeinsam nach Hause gegangen sind, obwohl es unübersehbar ist, dass wir ohne den anderen viel unterhaltsamer sind. Dass wir zusammengehören, findet also zum Glück niemand mehr, dem müsste ich sonst die unbequeme Wahrheit überbringen, dass der einzige Grund dafür, dass Dominik und ich noch immer in der gleichen Wohnung lebten und die Festtage miteinander verbrachten, der war, dass ich bisher noch keinen Grund dagegen gefunden hatte. Zumindest keinen, der gut genug war.
Sicher, es hätte eigentlich reichen sollen, dass ich meinen Freund schon seit Monaten nicht mehr außerhalb unseres Wohnzimmers und ohne seine Jogginghose gesehen hatte – dass wir uns mit unserer Beziehung nur noch so viel Mühe gaben wie Gruner + Jahr beim Text der jährlichen Weihnachtskarte, hätte ein Zeichen sein sollen. Dass er seine Wochenenden immer öfter ohne mich und gut zweihundert Kilometer entfernt verbrachte, oder dass ich mich längst in einen anderen verknallt hatte, in einen, der nicht viel mehr Qualitäten brauchte, als zu bemerken, dass ich mir einen Pony geschnitten hatte. Das allein reichte für mich schon zum trennenden Unterschied.
Für Dominik war ich wie ein Möbelstück geworden, das da irgendwo am immer gleichen Fleck des Augenwinkels stand, manchmal redete, aber neuerdings immer länger schwieg, wenn er sich nach einem Tag in der Uni, nach einem Abend mit den Jungs oder einem Wochenendtrip an die Nordsee wieder aufs Sofa neben mich fallen ließ. Dass ich irgendwann nicht mehr da war, bemerkte er viel zu spät. Er bemerkte es erst, als ich eine Woche lang nicht mehr in unsere gemeinsame Wohnung zurückkehrte, vielleicht aber auch nur, weil er eines Abends auf meinem zurückgelassenen Laptop den Beweis dafür fand, dass ich gerade neben einem anderen Mann lag. Am nächsten Morgen wussten es dann auch alle anderen.
Solange es nicht auf sozialen Netzwerken steht, ist es eh nicht passiert, beschreibt das Trennungsgefühl unserer Generation. Im Jahr 2019 erfährst du nicht mehr gemütlich bei einer Tasse Kaffee, dass deine gute Bekannte ihre Verlobung gelöst hat, du erfährst es, weil sie am Tag nach der Trennung um 07.02 Uhr auf Instagram und in einem hektisch getippten story-slide nach einer »1–2-Zimmer-Wohnung, gerne mit Balkon, aber kein Muss, in Altona, Eimsbüttel oder der Schanze, bis siebenhundert Euro warm«, sucht. Du erfährst von der Trennung deines guten Freundes Jonas, der seit dem Abiball 2014 sein Profilbild nicht mehr aktualisiert hat, weil er es gerade durch ein Selfie und mit nachdenklichen Lyrics ersetzt hat.
Du weißt, dass deine Kollegin Laura wieder Single ist, weil sie sich in den letzten drei Postings, die ungewöhnlich dicht aufeinanderfolgten, jeweils in unterschiedlichen Bars möglichst wirksam verlinkt, markiert und sich für das unsortierte Gruppenfoto gut positioniert hat, während noch vor gut drei Wochen ihr monatliches Posting-Highlight das Sonntagsfrühstück im Bett war. Wir müssen unseren Beziehungsstatus nicht mehr ändern. Unser wiederentdecktes Sozialleben übernimmt die Verkündung ganz allein! Je höher die Selfie-Quote, desto düsterer steht es um die Langzeitbeziehung. Ich behaupte, dass ich heute in vier von fünf Fällen nur anhand eines Social-Media-Auftritts den Zustand einer Beziehung erkennen kann, vor allem dann, wenn sie gescheitert ist. (Ich wünschte, dieses Talent wäre finanziell nutzbar.)
Um unser Ende zu erkennen, brauchte es keine Fähigkeiten, keinen Blick zwischen die Zeilen. In fetten, öffentlichen Lettern hatte Dominik auf seiner Pinnwand nicht nur detailliert seine Entdeckung geteilt, sondern ebenfalls seinen verständlichen Ärger darüber, dass er bis gestern noch an meine Rückkehr geglaubt hatte, während ich 120 Kilometer entfernt und mit 14 verpassten Anrufen auf dem Sperrbildschirm in einem Paar Armen aufwachte, das nicht ihm gehörte.
»Ich weiß nicht, was du willst, du hattest doch Schluss gemacht«, war mein einziger, trotziger Kommentar, als wir uns schließlich persönlich und unversöhnlich gegenüberstanden. Ich hatte nicht vor, mich mit unserer Trennung auseinanderzusetzen, ich war froh und erleichtert, sie endlich hinter mir zu haben. Das klingt so viel abgeklärter, als ich es eigentlich bin. Ich glaube, ich hatte mich in meinem Inneren so oft von Dominik getrennt, so oft wegen ihm geweint, so viel um ihn gekämpft und dann doch gegen sein wechselhaftes Ego oder eine unbekannte Frau verloren, meine Wunden waren in dieser Beziehung so tief eingebrannt, dass es am Ende gar nicht mehr um Liebe, sondern nur noch um Bequemlichkeit, um unsere gemeinsam eingerichtete Wohnung, um bisher geteilte Kosten, um ausschließlich Materielles, um ein paar letzte Wenn und Abers ging. Es war ungefähr so, als würde man Ware bei H&M zurückgeben, deren Rückgabefrist längst verstrichen war. Man scheut sich davor, man hätte es gern hinter sich, man muss ein bisschen diskutieren, sich stur stellen, und schließlich verlässt man das Geschäft ein bisschen beschämt über die gespielte, aber nötige Arroganz der Situation und in der Hoffnung, die Kassiererin so schnell nicht wiederzusehen.
Eine Woche lang versuchte Dominik, mich zurückzugewinnen, vier Wochen später hatte er eine neue Freundin, Mitte März zog er aus und unsere gemeinsamen Möbel bei ihr ein – erst im April sehe ich ihn wieder.
»Ich kann nicht glauben, dass er die Mustertapete von der Wand gelöst und die IKEA-Gläser aufgeteilt hat, aber fast seine gesamten Winterklamotten hierlässt.« Anika schmeißt Schals, Mützen und einen schweren Parka in eine der leeren Umzugskisten, die Dominik in unserem alten Wohnzimmer, in meinem neuen leeren Raum zurückgelassen hat.
»Du weißt erst, dass es wirklich vorbei ist, wenn er das Pokal-Sortiment ausräumt. Und wenn er sogar die Melitta-Filter mitnimmt, dann kannst du sicher sein, dass er auch nicht mehr zurückkommt«, sage ich.
»Und das ist okay?«
»Ja. Sehr sogar.«
»Lügst du?«
»Nein, ich mein es wirklich. Ich bin froh, dass er weg ist, dass das jetzt alles wieder meins ist. Dass ich mich nicht jedes Mal schuldig fühlen muss, wenn ich …«
Mein letzter, unbeendeter Satz hallt über die Dielen bis zur gegenüberliegenden Wand. Und erst jetzt fällt es mir auf. Bis vor ein paar Wochen hatten vier weiße Holzbuchstaben auf der kleinen Zierleiste über unserer Frühstücksecke gestanden. Ein H, ein O, ein M und ein E.
Seit Dominiks Auszug fehlte einer. Das M.
Irgendwie clever. Wir verkleben die Kiste und tragen sie in den Flur und bis vor die Tür. Seinen Schlüssel will er heute Abend abgeben, schreibt er. Und außerdem auch noch kurz mit mir reden.
»Hi«, sagen wir beide, und niemand fragt: »Wie geht’s dir?« Wir stehen einfach unbequem im Hausflur, jeder auf seiner Seite der Schwelle, dort, wo es zumindest sicher wirkt. Ich schiebe die Kiste mit meinem Fuß ein bisschen dichter auf ihn zu.
»Hier, das hast du noch im Schrank vergessen. Wintersachen und so.«
Er zieht die Sachen zu sich und einen Brief aus seiner Jackentasche.
»Kannst du das hier unterschreiben?«
»Was ist das?«
»Nur ’ne Erklärung, damit ich aus dem Mietvertrag kann. Weil – ich wohn ja nicht mehr hier.« Ich falte die Papiere auseinander, als ich bemerke, dass sein Blick auf mein Klingelschild fällt.
»Du konntest es offenbar kaum erwarten«, er zeigt mit dem Finger auf meinen Namen, unter dem seiner nicht mehr steht – und schüttelt den Kopf.
»… sagt der Mann, der heute Morgen das Frühstück nicht nur seiner neuen Freundin, sondern halb Instagram auf unseren gemeinsamen Möbeln serviert hat.« Ich blättere bemüht unbeeindruckt weiter durch den Aufhebungsvertrag und meine verletzten Gefühle, als er auf einmal laut wird.
»Willst du mich verarschen? Hast du jetzt echt geglaubt, ich heul dir ewig hinterher? Du hast aus dem Nichts beschlossen, dass ich dir nicht mehr gut genug bin. Was willst du eigentlich von mir? Du hast mich aus meiner eigenen Wohnung geschm…«
»Du bist freiwillig ausgezogen, Dominik. Und du sitzt freiwillig wieder in einer neuen Beziehung, in einem neuen Wohnzimmer.«
»Ja, weil ich wusste, dass ich nicht gewinne. Dass ich diese Wohnung nicht gewinne. Dass du mich nicht gewinnen lässt, so wie du niemanden gegen dich gewinnen lässt, wenn du dich erst mal für einen Kampf entschieden hast.«
»Ich kämpf doch gar nicht gegen dich.«
»Stimmt, du hast ja auch längst gewonnen, dich entschieden. Von heute auf morgen.«
»Unsere Trennung war kein kalter Entzug, das war keine Überraschung, du kannst doch nicht wirklich finden, dass sie einfach so über uns hereingebrochen ist?«
Er zuckt mit den Schultern und fixiert die Türschwelle. Ein paar Sekunden lang warte ich noch auf seine Antwort, dann gebe ich sie und ihn viel zu schnell auf, so wie ich es im letzten Jahr eigentlich ständig tat. Ich hatte mein Tempo, Dominik hatte ein anderes, und wir liefen auch noch in zwei verschiedene Richtungen. Es war, als hätte jede geschwiegene, verstrichene Sekunde, jede nicht beantwortete Nachfrage, jede fehlende Reaktion sich mit der jeweils letzten verkettet, und alles zusammen würde wie ein schwerer Knoten aus Frust in meinem Magen liegen, an den ich mich so lange gewöhnt hatte, dass ich ihn nur bemerkte, mich nur dann an ihm störte, wenn er wieder wuchs.
»Ist auch egal …«, antworte ich mir selbst, um die Stille zu zerschneiden und strecke die Hand nach einem Stift aus. Ich unterschreibe, übernehme also die Wohnung, aus der er längst ausgezogen ist, in die ich ihn nicht hereingebeten habe, weil er längst wie ein Fremder vor mir steht. Er nickt, steckt die Papiere weg und greift nach dem Karton.
»Ich habe echt nicht gewusst, dass ich das alles noch hier hatte.«
Bessere Abschiedsworte hätte er nicht finden können, unser Ende kaum treffender beschreiben können. Irgendwann waren wir wie vergessene Outfits im gemeinsamen Schrank geworden, die man gar nicht mehr vermisst, irgendwann nach hinten geschoben hatte, bis der nächste Winter gekommen wäre und wir nach den gemütlichen Sachen gekramt hätten, die uns schon seit Jahren warmhielten.
»Wann hast du es eigentlich gewusst?«
»Was meinst du?«
»Dass du mich nicht mehr liebst.«
Er steht schon auf der dritten Stufe, lehnt sich an das Geländer. Ich muss nicht überlegen. Und brauche trotzdem Zeit für meine Antwort. Es ist vermutlich hart genug, dass ich es so genau beantworten kann, es braucht kein Tempo für die Lösung, es gibt schließlich nichts zu gewinnen.
»Valentinstag. Im letzten Monat. Wir hatten uns gestritten, ein paar Tage kein Wort miteinander gesprochen, sind uns aus dem Weg gegangen wie zwei Mitbewohner, die nur noch zwangsweise zusammenwohnen. Am nächsten Morgen haben wir versucht, uns zu vertragen. Ich hab dir gesagt, dass ich nicht glaube, dass du überhaupt noch gern Zeit mit mir verbringst und du hast gesagt, dass ich übertreibe. Und dann habe ich dich gefragt, ob du dich erinnern kannst, wann wir unser letztes Date hatten. Und du konntest es nicht.«
»Und deswegen liebst du mich nicht mehr? Weil ich nicht mehr ganz genau wusste, wann unser letztes Date war?«
»Nein – weil ich es noch wusste. Es war am Valentinstag. Im letzten Jahr.«
»Komm …«
»Dominik. Es ist über ein Jahr her, dass wir zu zweit etwas unternommen haben. Und selbst dafür haben wir einen Anlass gebraucht. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Dass ich dir jetzt dabei zusehen kann, wie es vorher war – bei uns.«
»Du hast Schluss gemacht, Lina. Du wolltest nicht mehr. Du, nicht ich. Ich war bloß wütend, aber du hast es ernst gemeint.«
»Und hättest du mich am Ende nur zehn Prozent so sehr gewollt, wie du sie jetzt willst, mir nur zehn Prozent der Zuneigung gegeben, die du ihr jetzt gibst, so wie du es vor vier Jahren noch getan hast – glaub mir, es gäbe uns noch.«
Als sein Auto die Straße herunterrollt, weiß ich, dass es das letzte Mal für eine lange Zeit sein wird, dass ich ihn sehe. Aber es kommt mir nicht wie etwas vor, an das ich mich gewöhnen müsste, und der einzige Grund, warum ich an diesem Fenster stehe, ihm hinterhersehe, als würde ich ihn jetzt schon vermissen, ist der, dass ich Angst habe, irgendwann zu bereuen, dass ich es nicht getan habe. So wie ich weiß, dass ich bestimmt noch bereuen werde, dass ich nicht um ihn geweint habe. Und ich habe es versucht. Habe versucht, mich an alles zu erinnern, was ich mal für ihn gefühlt habe. Die Nähe, die Intimität, die geringste Distanz zwischen zwei Menschen, die Euphorie darüber, dass sich zum gleichen Zeitpunkt dieser eine, großartige, gefühlt perfekte Mensch in dich verliebt, während du dich längst an ihm betrunken hast, bis dir der Kopf und das Herz schwirrt. Aber es ging nicht. Wie sehr ich mich auch erinnerte, konzentrierte, wie fest ich die Augen zumachte. Die Liebe war raus. Und wenn das passiert, ist es völlig egal, ob du noch festhalten oder schon längst loslassen willst, ob du bereit bist oder noch Zweifel hast. Die eigene Liebe, die eigenen Gefühle für jemanden, sind das, was ihn für uns so besonders, so vollkommen oder so anziehend macht. Und wenn die weg sind, wenn wir die abziehen oder einfach nicht festhalten können – wird aus dem einen – nur noch irgendwer. Leider. Oder auch zum Glück.
Denn das heißt auch: Wir müssen niemanden für immer lieben, wenn wir es nicht wollen. Vielleicht sind diese besonderen Funken, mit denen uns ein Mensch einfangen kann, nämlich eigentlich unsere eigenen. Wir bestimmen, wann sie fliegen – und wann verglühen.
***
Ich habe nie wieder einen Freund so leicht, so endgültig losgelassen wie Dominik. Da war kein einziger Moment der Unsicherheit. Keine Anrufe nach zwei Uhr, kein Tequila, der Schuld an einem letzten Gespräch, an übersprudelnden Emotionen gewesen sein könnte. Ein paar Tage hatte ich mein angeknackstes Ego zu pflegen, aber das war auch schon alles.
Dominik und ich – wir hatten uns getrennt, entliebt und losgelassen – bevor überhaupt Schluss war. So einfach, so leicht, so zweifelsfrei.
Es war nicht schwer, mich daran zu gewöhnen, dass ich jetzt ohne ihn war – es war nur komisch, jetzt auf einmal ganz mit mir allein zu sein. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt in zwei langen Beziehungen gewesen, meine gesamte Erfahrung mit der Liebe beschränkte sich auf ein paar unglückliche Schwärmereien, eine erste Beziehung zu meinem Sitznachbarn im Deutschkurs und schließlich Dominik. Keine meiner Freundinnen oder ich hatte sich bisher »einfach so« getrennt. Man blieb mit seinem Partner zusammen, bis man einen anderen fand. Und dann hoffte man, den Übergang so schmerzlos wie möglich zu gestalten. Natürlich funktionierte das nie. Aber einfach so trennen? Ohne eine Alternative? Ohne andere Optionen, für die sich die Ungebundenheit lohnen würde? Um allein zu sein? Im März?
Single, Substantiv, Singular
Wunschversion:
Ein zeitlich begrenzter Beziehungsstatus (18 Wochen maximal!) in den Sommermonaten, der von zahlreichen sozialen Aktivitäten, spätnächtlichen Feierlichkeiten und romantischen Optionen begleitet wird.
Auch ich hatte einen Katalysator gebraucht, den guten Grund, den neuen Mann, der so interessant war, dass ich das, was ich kannte, meine comfort zone, verlassen wollte, um etwas Neues zu wagen. Die vermeintliche Beziehung zu diesem neuen Mann war nach nur acht Wochen ausgebrannt. Aber sie hatte lange genug gehalten, um mir zu zeigen, dass das, was da noch sein könnte, mich schon so viel glücklicher machte, als das, was ich vier Jahre lang sicher gehabt hatte.
Jetzt war ich also zum ersten Mal in meinem Leben wirklich Single, kein Teenager mehr, in meiner eigenen Wohnung, mit der Freiheit, mein eigenes Leben zu gestalten, nach ganz neuer Liebe zu suchen: Und ich hatte keine Ahnung, wie das ging. Hinter meinem Beziehungsstatus stand ein riesiges Fragezeichen.
Ich schlief noch immer auf der linken Seite unseres Bettes, das jetzt eigentlich meins war, ich hatte noch keine Verwendung für seine leeren Schubfächer gefunden, das Wohnzimmer, ohne Couch und Tisch, nur noch der Sessel und eine vergessene Umzugskiste standen dort, benutzte ich kaum noch, stellte dort lediglich panisch den vergessenen Papiermüll unter, wann immer ich unerwarteten Besuch bekam. Ich wollte nicht allein leben, aber auch nicht in eine WG investieren, die nicht von Dauer gewesen wäre. Meine Wohnung und ich, wir warteten auf Dominiks Nachfolger, waren sicher, dass hier, genau wie beim letzten Mal, binnen ein paar Wochen ein neuer Mann einziehen würde. Damit stellte ich mich selbst, ohne dass es mir bewusst war, in eine ewige Warteschleife, ich kam nicht in meinem neuen Beziehungsstatus »Single« an, ich wartete nur seine Dauer ab.
Ich kaufte noch immer die gleichen Lebensmittel, die Dominik und ich sonst jeden Donnerstag gemeinsam in den Wagen geschmissen hatten, lief auf der gleichen Lebensroutine, ging zur Uni, lernte und verbrachte meine Abende wieder auf der Couch, jetzt zwar nicht an einen Mann gelehnt, aber ans Telefon gefesselt, um mit Freundinnen über mögliche Nachfolger zu sprechen. Ich kannte es nicht anders, ich kannte generell nichts anderes, als in einer Beziehung zu sein, mich zwischen der alten und der neuen kurz auszutoben, um dann wieder auf eine Beziehung zu warten, die sich zum Glück längst ankündigte.
Erst jetzt, als ich nicht nach gängigem Schimpansenprinzip den einen Ast greifen und dann den anderen loslassen konnte, sondern auf einmal ins Nichts strauchelte, ohne Aussicht auf eine neue Beziehung, ohne den Wunsch, die alte wiederzubeleben, begriff ich also, dass ich wirklich – singular – war. Zum ersten Mal in meinem Leben nicht in einem Prozess der Beziehungserneuerung oder des fließenden Partnerwechsels, zum ersten Mal ohne ein Und hinter meinem Namen, aber dafür mit Ausrufezeichen.
Das war an dem Morgen, an dem ich meine Matratze in den Vorgarten warf. Rückblickend betrachtet verdankte ich diese Aufbruchsstimmung einem Erfolgserlebnis am Vorabend: Ich hatte den Lampenschirm schon vor Monaten auf einem Flohmarkt entdeckt, zwölf U-Bahn-Stationen und bis nach Hause geschleppt und ihn dann nie angebracht. Ich hatte gedacht, allein könnte ich es nicht, und Dominik hatte nie Zeit gehabt. Irgendwann hatten wir den Schirm in unserem Schrank verstaut und ihn vergessen. Jetzt, wo der Schrank leerer war, übersah ich ihn nicht mehr. Es war Freitagabend gewesen, zwanzig Uhr, und ohne Pläne für das Wochenende packte mich nicht nur der Frust, sondern auch der Wunsch, irgendetwas zu verändern. Ich wollte niemanden fragen, nicht meinen Vater anrufen, ich wollte mich nicht mehr halb fertig, unvollständig oder angewiesen fühlen.
Mein Couchtisch diente als Leiter, ein YouTube-Tutorial als Anleitung und mein durch einen Gin Tonic verstärkter Wille, mir jetzt sofort etwas beweisen zu müssen, vervollständigte dieses zweifelhafte Erfolgsteam. Als dreißig Minuten später das Licht unter dem Samtschirm brannte, lief ich barfuß und jubelnd durch die Wohnung und war kurz davor, meinen ehemaligen Physiklehrer anzurufen, um ihm von dem »hoffnungslosen Fall« zu erzählen, der gerade die Lehre der Elektrik gemeistert hatte (zumindest empfand ich das in diesem Moment so).
»Und wofür genau brauche ich eigentlich unbedingt eine Beziehung?«, fragte ich mein Spiegelbild. Und dann mich selbst. Es war das erste Mal, dass ich hinterfragte, was genau ich mir von einer Beziehung wünschte. Und ich begriff, dass wünschen nicht brauchen bedeutete. Ich wünschte mir zwar, mich zu verlieben, mich mit Anlauf und ohne Handbremse in jemanden Neues zu verknallen. Aber ich brauchte – in diesem Moment – vielleicht gar nichts? Ich hatte gerade auf eigenen Beinen gestanden, zwar auf einer unsicheren Konstruktion, aber mit genug Biss, um sie auszubalancieren. Für euch mag die Metapher ein bisschen überzogen klingen, immerhin war es nur ein Lampenschirm gewesen und keine Herz-OP. Aber mir bedeutete dieser kleine Sieg über meine eingeschränkte comfort zone alles. Und dann hatte ich also die Matratze, die für meine Gewohnheit, meine Einschränkung, stand, gepackt, das Laken abgezogen und in die Waschmaschine gesteckt, es in einen 95-Grad-Celsius-Waschgang gezwungen, mir war egal gewesen, wie viel von meiner Bettwäsche übrig blieb. Eine Ecke umklammernd hatte ich danach barfuß den schweren Schaumstoff über die Dielen geschleift, mich im Flur verkeilt und es irgendwie schwer atmend ins Wohnzimmer geschafft. Der Rauswurf der letzten gut 1.200 Tage gemeinsamen Schlafes wurde zu meiner persönlichen Katharsis. Ich wollte ihn loswerden, Dominik und den Schaumstoff. Und erst als 140 × 200 Zentimeter endlich auf der Rasenfläche lagen, atmete ich durch. Ich verbrachte die Nacht auf einer Isomatte, die ich über den Lattenrost gelegt hatte. Aber ich schlief demonstrativ, zum allerersten Mal und von nun an immer – in der Mitte des Bettes.
Es gibt Menschen, die finden mit der Zeit hundert Gründe dafür, warum die eigentlich so richtige Trennung am Ende doch der eine große Fehler war. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich habe immer gewusst, dass die Beziehung mit Dominik nicht alles sein kann, was ich will. Ich habe nur ein bisschen länger gebraucht, mir selbst zu glauben. Es gab nun Momente, in denen ich dachte: Dich habe ich wenigstens nicht auf die Art geliebt, die mich zerrissen hätte. Dich konnte ich wenigstens einfach gehen lassen. Mich von dir zu trennen, das war schön, das war ein neuer Anfang, das war nicht schmerzhaft, das war befreiend.
Dieses Buch wäre nicht entstanden, wenn es immer wieder so leicht gewesen wäre. Ich wusste damals, als ich mit meiner Unterschrift das Ende meiner Beziehung mit Dominik beendete, noch nicht, dass ich für die nächsten sieben Jahre keine Beziehung mehr haben würde. Ich wusste nichts von den Menschen, Geschichten und Begegnungen, die mich in den kommenden Jahren begleiten würden. Nichts von meinen Abenteuern auf einem anderen Kontinent. Und vor allem nichts über den Schmerz und die Ängste, die Reise, die auf mich zukommen würde. Damals hatte ich mir nicht ausmalen können, frisch getrennt, mit zwei Schlüsseln in der Hand, dass meine nächste Beziehung so weit entfernt sein würde.
Und trotzdem: Wenn ich jetzt, in diesem Moment, in dem ich das Buch schreibe, sieben Jahre später, zurückgehen könnte, jetzt, wo ich das alles weiß und auf der anderen Seite stehe, wenn ich noch einmal im Erdgeschoss von Hamburg-Hamm die Wahl hätte – bleiben und lieben, was noch da ist, oder loslassen und dann immer wieder loslassen müssen – ich würde denselben Weg gehen, wissentlich, dass nicht nur neue Chancen, sondern auch Einsamkeit und Sehnsucht dazugehören werden, dass ich Träume aufgeben und zurücklassen werde, um mein eigentliches Ziel, welches auch immer es sein mochte, zu finden. Ich würde mich wieder für mich entscheiden, für alles, was kommen kann, irgendwann oder vielleicht – und nicht für das, was nie genug sein wird. Heute, sieben Jahre später, habe ich begriffen, dass man vor der Zukunft keine Angst zu haben braucht.