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Uno!

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Es gibt erste Dates, bei denen hast du schon vorher eine gewisse Ahnung oder Absicht. Du wünschst dir vielleicht, dass die Chemie, wenn ihr zu zweit an einem Tisch sitzt, noch genauso stimmt wie in der Gruppe, mit der ihr durch die Bars gezogen seid. Oder du wünschst dir, dass er wirklich der Mann ist, den du dir ausgemalt hast, während du für zwei Tage durch sein Insta-Profil gescrollt bist. Vielleicht wartest du bei manchen Dates auch einfach auf einen richtig guten Kuss, bemerkst schon während der ersten Drinks, dass es da ein intensives Knistern zwischen euch gibt. Vielleicht willst du dich ablenken, vielleicht willst du von vorn anfangen und bei diesem einen Date einfach nur fühlen, dass du bereit dafür bist.

Als ich mir ein Bier bestelle und mich damit raus in die Sonne setze, mein Buch aufschlage und noch ein paar Kapitel lese, bevor ich mit ihm verabredet bin, will ich einfach nur einen guten Nachmittag haben. Es ist Samstag und das Hunks noch leer, vor zwanzig Uhr wird es hier meistens nur voll, wenn ein Rugby- oder Fußballspiel läuft. Ich entscheide mich für eine Couch in der Ecke, suche nach der richtigen Stelle in meinem Roman und nehme einen Schluck aus meinem Glas, bevor ich mich in fremde Worte vertiefe.

Ich liebe es, einen faulen Nachmittag lang irgendwo zu sitzen und mich in einem Buch zu verlieren. Ich schreibe dann stundenlang Anmerkungen zwischen die Zeilen oder unterstreiche Sätze und Formulierungen. Die Bücher, die ich lese, die mir wirklich unter die Haut gehen, sehen am Ende aus, als wären sie mit mir durch einen Krieg oder zumindest auf eine Reise gegangen. Ich trage sie wochenlang mit mir herum, werfe sie in unterschiedliche Taschen. Ich schlage sie auf und die Ecken vieler Seiten um, wenn ich mich an einen bestimmten Absatz erinnern will. Die Bücher werden manchmal nass, tragen Sand in sich und immer ein Foto oder eine Postkarte als Lesezeichen. Ich skizziere gerade ein paar Ideen für mein eigenes, nächstes Manuskript an den Rand eines Kapitels, als er mich anspricht, ich ihn lächelnd ansehe und zuallererst denke: »Oh, hi – auf den Fotos deines Bumble-Profils sahst du nicht halb so attraktiv aus, wie du es in Wirklichkeit bist.«

In ein paar Wochen werde ich herausfinden, dass seine ersten Gedanken, während er mich auf der Terrasse sitzen sieht, die Folgenden sind:

1.Sitzt sie dort ganz allein und liest? In einer Bar? Entweder ist sie ein Nerd oder einfach ziemlich entspannt.

2.Oh, sie trägt Vans, mag ich.

3.Ihr Lächeln ist wunderschön, gleicht auch direkt den Nerd-Faktor wieder halbwegs aus.

4.Was ist das für eine Jacke? Ist das ein gelb-blaues Muster? Ist das Cord? Wer trägt so was in der Öffentlichkeit?*

Ich hatte ihn am Valentinstag gematcht, während ich mit Freunden ein paar Burger und viel Hauswein auf der Long Street bestellte und er den Tag und seine »letzte Trennung« mit Brandy ganz in der Nähe begoss (»verarbeitete«). Für gut eine Stunde tauschten wir Nachrichten aus, ich fand ihn charmant, vor allem witzig, und vielleicht hätten wir uns sogar noch irgendwo in der Stadt getroffen, aber dann gab mein Akku auf. Seitdem hatte ich ihm zweimal nach dreiundzwanzig Uhr und angetrunken getextet, um einen booty call auszutesten. Beide Male schlief er schon. Er versuchte es einmal, aber erwischte mich an einem Mittwoch, den ich mit viel Arbeit am Schreibtisch und im Flugmodus verbracht hatte.

Ich hatte ihn schon fast wieder vergessen (und mir lag außerdem die Begegnung mit Nathan noch immer irgendwie im Magen), als er mir an diesem Morgen schrieb, um – seine Worte – »meine Spontaneität zu testen«. Ein paar Stunden später zog ich die Haustür hinter mir zu – jetzt gerade bestellt er eine Flasche Wein und zwei Gläser.

»Bist du bereit?«, frage ich und werfe die abgewetzte rote Verpackung auf den Tisch.

Er grinst, greift in seinen Rucksack und legt sein Set wortlos neben meines.

»Natürlich. Ich habe über die Feiertage trainiert! Zwei Wochen mit einer Großfamilie.«

»Oh, ein Bootcamp also …«

»Hast du Angst?«

»Warum, hältst du dich für einen echten Gegner?«

Ich greife mir den Stapel und ziehe eine Augenbraue hoch, während er mich über den Rand seines Weinglases beobachtet.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich ein Deck mitbringst.«

»Hey, du hast gesagt, ›Wir treffen uns um zwei im Hunks, bring UNO mit‹ – also, hier bin ich«, er hält den Blickkontakt zu mir, schaut mich fast schon herausfordernd an, während er seine sieben Karten aufnimmt.

»Okay«, sage ich und decke die erste Karte auf.

»Lass uns kurz die Regeln festlegen: Die +2 kann auf die +2, aber nicht auf die +4 gelegt werden.«

»Okay. Die +4 kann allerdings auf die +2 gestapelt werden.«

»Exakt.«

»Wer vergisst, ›UNO‹ zu sagen und dabei erwischt wird, muss eine Strafkarte ziehen.«

»Deal, wir verstehen uns.«

Zwei Stunden lang besiege ich ihn, wir schenken Wein nach, erzählen uns voneinander. Er hat einen Monat in Namibia verbracht, ist gerade erst nach Kapstadt gezogen und hat früher in Johannesburg und zwischenzeitlich auf einer Farm gelebt. Er ist Hundebesitzer (ein unorthodox frisierter Spaniel namens Phoebe, als Hommage an seinen Lieblingscharakter von Friends), arbeitet heute als Designer für eine Firma, die Restaurants und Bars baut und ausstattet – bis vor Kurzem war er verlobt, wie er außerdem noch erwähnt. Sein neuer Singlestatus ist damit der Grund für den Umzug. Als er davon erzählt, zieht sich mein Magen kurz zusammen. Das hier fühlt sich gerade an wie ein Déjà-vu.

Lina, 2018 – würde den beiläufigen Kommentar schlucken, würde ihn bemüht überhören und dann später, nach dem Date, auf den sozialen Netzwerken nach Antworten suchen.

Lina, 2020 – entscheidet sich, nachzufragen, hier und jetzt, ehrlich.

»Du warst verlobt?«

»Ich bin es nicht mehr. Darum habe ich es nur beiläufig erwähnt – und wechsele jetzt einfach mal elegant das Thema.«

»Ich glaube, ich würde gerne einen Moment noch bei dem Thema bleiben …«

Er zögert, sieht mich skeptisch an.

»Du willst jetzt darüber reden, dass ich mal verlobt war? Bei einem ersten Date?«

»Ich glaube, ich will darüber reden, warum du die Verlobung bei einem ersten Date überhaupt erwähnt hast …«

Er zuckt mit den Schultern. »Das hatte jetzt keinen besonderen Grund. Dass ich wieder Single bin, war einfach nur der letzte Faktor für meinen Umzug, darum habe ich es erwähnt.«

»Ah …« ich zögere. »Ich frage, weil – na ja – das in gewisser Weise einfach gerade ein deal breaker für mich ist.«

»Okay. Hast du da so eine goldene Regel, dass du keine damaged goods datest? Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Germans da so streng seid.« Er versucht, mich mit einem Scherz wieder zurück in die eben noch so entspannte Stimmung zu holen, die zwischen uns geherrscht hat.

»Nicht unbedingt alle, nur diese hier, die die letzten Monate damit verbracht hat, einen Typen zu vergessen, der mich daten, aber eigentlich doch nur einen Rebound wollte. Und ich hab keine Lust, diese Erfahrung zu einer Routine werden zu lassen – oder in nächster Zeit auch nur in die Nähe von einer Wiederholung zu kommen.«

Ich hatte selbst nicht damit gerechnet, dass ich es so direkt sagen, so unverpackt auf den Tisch legen würde. Aber da war sie, die Wahrheit. Und obwohl jetzt gerade unbequeme Stille zwischen uns herrschte, fühlte es sich gut an, so offen, jetzt schon, während der gerade mal ersten Stunde unseres ersten Dates, mit ihm zu sprechen. Nicht weil ich längst plante, dass ein zweites oder drittes oder sogar mehrere Dates aus uns werden könnten – sondern weil ich ganz genau wusste, was ich auf keinen Fall auch nur im Entferntesten riskieren wollte.

»Okay«, er sieht mich lange an, trinkt einen großen Zug aus seinem Rotweinglas und legt die Hände auf den Tisch. »Am Valentinstag war die Trennung genau ein Jahr her. Nicht ein paar Wochen, sondern ein Jahr. Ich war verlobt – aber es hat nicht funktioniert, für uns beide nicht. Ich hab ein paar Monate damit verbracht, viel zu trinken, viel zu feiern und dann angefangen, mich mit der Arbeit abzulenken. Seit November habe ich wieder Lust, neue Menschen überhaupt zu treffen. Seit Januar bin ich auf Bumble, und ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber: Du bist nicht das erste Date, das ich seitdem habe.«

»Okay«, sage ich und komme mir auf einmal irgendwie enttarnt vor. Er hatte keine der Fragen ausgelassen, die mein Kopf längst formuliert hatte, hatte die Karten offen auf den Tisch gelegt und mir damit abgenommen, heimlich in sie hineinschauen zu wollen.

»Jetzt du.«

»Was meinst du?«

»Ich war offen, jetzt bist du dran.«

Ich sehe ihn kurz überrascht an, halte dann aber den Blickkontakt und bin ein kleines bisschen beeindruckt. Davon, wie straight er mir geantwortet hat – und die gleiche Ehrlichkeit nun auch von mir einfordert.

»Ich bin seit acht Jahren Single. Ich habe eine ganze Reihe Dates gehabt, ich habe sogar ein Buch darüber geschrieben, das kommt in ein paar Wochen raus. Auf Bumble bin ich schon ziemlich lange, aber in 2020 hatte ich bisher nur zwei Dates. Eins davon war ein Typ, der mir erst nach einer Knutscherei vor meiner Wohnung gestanden hat, dass er noch ein Teenager ist. Sonst war es bisher ruhig.«

Chris grinst.

»Und wie heißt das Buch? The Cougar Chronicles?«

***

Unser Date endet an einer Ampel. Chris bietet an, mich noch bis zum Restaurant zu begleiten, in dem ich mich im Anschluss mit Freunden treffen will, aber ich lehne ab. Es sind nur 350 Meter – außerdem will ich der Versuchung aus dem Weg gehen, aus einem wirklich guten ersten Date einen zähen Marathon zu machen. Im Moment dauert unsere Verabredung knapp zwei Stunden und hat damit die perfekte Länge**.

Das ist genug Zeit, um den Menschen, der da vor dir sitzt, auf oberflächlicher Ebene kennenzulernen und (hoffentlich) eine Chemie zu spüren. Gleichzeitig aber auch nicht so viel Zeit, dass du dich ausgelaugt, irgendwie auserzählt und fast schon erschöpft davon fühlst, dich über einen so langen Zeitraum so intensiv auf einen einzelnen Menschen, auf Aufregung und Spannung einzulassen.

Neunzig Minuten, vielleicht zwei oder maximal drei Drinks, sind perfekt für ein paar gute Gespräche oder Funken (die im besten Fall auf ihrem Höhepunkt enden und die man unbedingt bei einem zweiten Date wieder aufnehmen oder vertiefen will).

Klar, ein Bier, das sich noch in ein Abendessen und dann spontan in eine fünfstündige Bar-Tour verwandelt, kann der Beginn einer legendären Nacht werden. Aber in den meisten Fällen führt es eher dazu, dass man den Punkt, an dem man sich einfach ein Uber und gemeinsam nach der Rechnung hätte rufen können, um sich entspannt voneinander zu verabschieden, überschreitet, und nur noch zwei Optionen bleiben: a) direkt gemeinsam nach Hause gehen oder b) sich irgendwie verkrampft umarmen, ohne zu wissen, ob und was man jetzt voneinander oder von diesem unerwartet langen Abend erwarten kann.

Bis zu diesem Moment ist es einfach ein guter Nachmittag. Ich habe Spaß mit Chris, ich mag die lockere Offenheit, die sich zwischen uns entwickelt hat, und mit jedem Mal, das er mich anlächelt, finde ich ihn noch ein bisschen interessanter. Ob es ein zweites Date geben wird oder ich ihn um ein zweites Date bitten werde, weiß ich noch nicht genau. Jetzt, in diesem Moment, während wir die Kloof Street hinunter schlendern, fühlt es sich so oder so gut an, ganz egal ob wir hier enden oder ob ich ihn in ein paar Tagen wiedersehe.

Es ist auch der Moment, in dem ich denke: So sollte sich ein erstes Date mit einem bisher Fremden anfühlen. Wir achten oftmals so fokussiert, fast schon mit Tunnelblick nur darauf, ob wir den anderen auch genug begeistern, dass wir beinahe vergessen, uns zu fragen, ob wir uns wohlfühlen, ob wir eigentlich Spaß haben, ob wir – wir selbst sein können. Ein Date ist nicht nur dann gut, wenn es zu einem zweiten führt. Wir sind nicht nur dann interessant oder charmant oder anziehend genug, wenn man uns wiedersehen will, und ein Mann ist nicht wahnsinnig toll, nur weil er sofort und am besten innerhalb der nächsten 72 Stunden die nächste Verabredung vorschlägt. Bei einem Date geht es um so viel mehr als die simple Frage, ob es weitergeht.

***

Erst vor einer Woche hatte ich ein Gespräch mit einer guten Freundin darüber, die ihre letzten Dates als reine Zeitverschwendung empfand und sich frustriert darüber beschwerte, dass keine der letzten drei Verabredungen zu irgendetwas geführt hatte. Den letzten Mann, der kein zweites Date gewollt hatte, aber sich für ein schönes erstes bedankte, hatte sie fast schon verbissen versucht, in eine Fortsetzung zu diskutieren. Nicht weil sie sich unsterblich in ihn verknallt hatte, sondern weil sie »einfach sehen wollte, ob sich da bei einem zweiten Date nicht doch noch Chemie entwickeln (erzwingen lassen) konnte«.

Ich hatte sie gefragt, wohin sie denn führen sollten und sie hatte mir geantwortet, dass sie einfach mal wieder wolle, dass irgendwas weitergeht.

»Aber warum denn nur irgendwas mit irgendwem? Ich würde deinen Frust verstehen, wenn du dich in einen dieser Jungs frisch verknallt hättest und jetzt deinen Sperrbildschirm für ihn hütest – aber so ist es ja nicht, oder? Das sind einfach nur Dates. Also warum sind sie nur gut genug, wenn sie irgendwie weitergehen? Hast du Spaß an den Abenden gehabt? Hast du neue Menschen kennengelernt und dich wohlgefühlt? Gut! Genau das ist ein Date. Man kann sie mit oder ohne Funken, mit oder ohne Verlängerung einfach genießen. Nimm dir doch mal den Druck von deinem Liebesleben.«

Hätte ich es noch brutaler, noch direkter formulieren wollen, hätte ich sagen können: Du datest gerade nicht, um Spaß zu haben, um neue Menschen kennenzulernen, um dich vielleicht zu verknallen. Du datest, damit dich ein anderer Mensch annimmt, bestätigt und dir das Gefühl gibt, etwas wert zu sein. Du willst, dass irgendwas weitergeht, damit du dich nicht mehr abgelehnt oder unvollständig fühlst. Und das ist nicht gut – womöglich macht es dich sogar blind dafür, ein schönes Date zu genießen, weil du schon längst bei der Frage bist, ob du ein zweites erzielen kannst.

Manchmal scheint es, als ob es nur eine Frage gäbe, wenn wir neue Menschen treffen oder kennenlernen – und zwar die, wann und wie schnell wir uns wiedersehen wollen. Und genau diese Idee müssen wir aus unseren Köpfen bekommen. Ein zweites Date ist nicht direkt eine Wertsteigerung für alle Beteiligten. Ein großartiges Date darf manchmal auch genau das bleiben: Singular.

***

»Und du bist wirklich sicher, dass ich dich nicht bringen soll?«

»Ich muss nur noch die Straße hier hinunterlaufen.«

Ich umarme ihn zum Abschied, er hält mich noch ein bisschen länger fest (er wird später behaupten, ich sei diejenige gewesen, die sich an ihn lehnte) – und küsst mich.

Erst vorsichtig, zurückhaltend, dann intensiver. Er löst sich genau in dem Moment von mir, in dem ich mir sicher bin, dass die Fortsetzung dieses Kusses absolut umwerfend sein könnte, falls wir uns wiedersehen …

*Das Hemd, das ich bei unserem ersten Date trage, ist ein Vintage-Fund aus dem Kleiderschrank meines Vaters. Es ist Cord, es hat ein gelb-blaues Muster, und es ist fabelhaft!

**90–120 Minuten

Zweit.nah

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