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I.Sophie

Lichtblick

In der finstersten Nacht

Funkeln die Sterne

Mit leuchtender Macht

Aus so weiter Ferne

Durch den dichtesten Dunst

Brechen die Strahlen

Des Lichts voller Kunst

Und beginnen zu malen

Da sitzt sie nun auf einem kleinen Holzsteg am Ufer des Sees an diesem ersten Tag im Neuen Jahr und saugt die Stille in tiefen Atemzügen in sich ein. Der Wind spielt mit ihren roten Locken, die vorwitzig aus dem flüchtig hochgesteckten Haar herabfallen. In ihre warme Lammfelljacke gehüllt genießt sie die kühle Frische des Morgens.

Sie liebt es, alleine am See zu sitzen und sich zu verlieren im Spiegel des Wassers, in dem sich Schilf, Wolken und Berge wiederfinden.

Nein, die Einsamkeit ist nicht ihr Begleiter – war es nie. Das Alleinsein ist immer eine Begegnung mit sich selbst und ein Einswerden mit der Natur.

Auch Silvester hat sie alleine verbracht, mehr oder weniger. Denn eigentlich war sie mit ihrem Mann zusammen – zumindest physisch. Da ist die Glut der Leidenschaft zu spüren, gleichzeitig aber ist er sehr ruhig und lebt in seiner eigenen Welt, zu der er kaum jemand Zugang gewährt. Nur manchmal öffnet er sich einen Spalt breit und zeigt seine verletzte Seele, die er ansonsten gut zu schützen weiß.

Sie haben zusammen gekocht, das Essen genossen – überbackene Jakobsmuscheln, Thunfischsteaks auf Safranrisotto, Crème brûlée -

sich leidenschaftlich geliebt … und dann ist er eingeschlafen.

Das Feuerwerk hat ihn kurz geweckt, aber um mit ihr anzustoßen auf das Neue Jahr und es mit Champagner zu feiern, dazu war er zu müde. So feierte sie alleine und schwelgte in Träumen von all dem, dass sie gerne erreichen möchte in diesem Neuen Jahr.

Und genau in diesen Träumen und Vorstellungen schwelgt sie auch hier, am Ufer des Sees auf dem kleinen Holzsteg sitzend.

Die Sonne lässt das Wasser schimmern und die Berge im Hintergrund verschwimmen im Dunst, lassen nur noch einen silbernen Streifen am Horizont stehen. Was für ein Anblick! Immer wieder fasziniert dieses Naturschauspiel, das stets neue Facetten von Licht und Schatten erfindet.

Als sich dunkle Wolken vor die Sonne schieben, sieht sie Bilder der Vergangenheit auftauchen. Ein prall mit Leben gefülltes Füllhorn scheint sich über das Wasser zu ergießen – gefüllt mit einem halben Jahrhundert.

Ja, 50 ist sie heute geworden. Es ist schon etwas besonderes, am 1. Januar ins Neue Jahr hineingeboren zu werden. Als Kind empfindet man es vielleicht als Manko, dass die Geschenke entweder an Weihnachten oder zum Geburtstag kleiner ausfallen mögen, aber später wird das alles kompensiert. Früher hat sie mit Freunden „hineingefeiert“ in ihren Geburtstag, begleitet vom Silversterfeuerwerk und natürlich auch dem morgendlichem Kater, den sie obligatorisch mit einem Champagner-Frühstück und dem Neujahrs-Sauna-Besuch bekämpfte.

Heute feiert sie lieber alleine und genießt die Stille, die sie am Neujahrstag umgibt und die den Raum lässt für Gedanken, Pläne und Träume.

So wie jetzt eben, hier am See, hineingezogen in die Stille und Faszination der Natur.

MORSCHE BRÜCKEN

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