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II.Shahin

Resümee

Was bliebe

Wenn das Herz

Ohne Feuer wäre

Ohne Liebe

Nur Leere und Schmerz

Und Sehnsucht

Nach der Wärme

Deiner Nähe

Augenblicke, heiß und hungrig. Ein süßes verheißungsvolles Lächeln aus tiefgründigen dunklen Augen. Und dann dieser Kuss, erst zart und spielend, dann immer leidenschaftlicher und fordernder – so fing er an, Sophie´s Sommer, mit Shahin.

Diese Augen, vielversprechend und doch so unergründlich, mit dem sizilianischen Feuer seines Vaters und der lasziven Melancholie seiner orientalischen Mutter.

Dieses schöne Gesicht, dessen Ebenmäßigkeit durchbrochen wird von kleinen kaum sichtbaren Narben, die es fast noch vollkommener machen.

Und dieser Körper, dieser junge sehnige Körper – weißhäutig und mit seidenweichen schwarzen Haaren am Brustansatz und in einer Linie vom Bauchnabel bis in den Schoß.

Als Sophie selbstverloren zu den Klängen der Salsaband tanzte, die an jenem Abend beim Sommerfest spielte, war er plötzlich da. Er bewegte sich erst in ihrem Rhythmus, um sie bald engumschlungen in einen langsamen, sinnlichen Tanz zu entführen. Sophie konnte nicht anders, als alles um sich zu vergessen und sich fallen zu lassen in den Sog der Leidenschaft.

Es würde eine kurze Episode sein, da war sie sich sicher. Schließlich war er fast 20 Jahre jünger als sie, hätte ihr Sohn sein können. War er aber nicht. Sophie hatte keine Kinder und wollte auch nie welche. Ihre Kinder waren ihre Bilder, ihre Kunst und die Kinder und Erwachsenen, die sie in Malkursen unterrichtete.

So nahm die Romanze ihren Lauf und Sophie ließ es geschehen.

Woher die Traurigkeit käme in seinen Augen, wollte sie wissen, und diese kleinen Narben auf seinem Gesicht.

Er begann zu erzählen, zurückhaltend, Stück für Stück und ihr wurde mehr und mehr klar, dass die Ursache dieser kleinen Narben viel tiefere Narben in seine Seele gebrannt hatte. Als er sie seine Verletztheit spüren ließ, begann sie ihn zu lieben.

Nein, das hatte sie nicht gewollt, das war nicht geplant! „Just for fun“ wollte sie ihn, aber ihr Herz machte einen Strich durch die Rechnung. Dieses dumme, weiche Herz hatte jegliche Gedanken an Flucht boykottiert. Nach 20 Ehejahren, die alles andere als einfach waren, wollte sie nie mehr zulassen, dass ein Mann ihre Schutzzone, die sie um ihr Herz gezogen hatte, überschritt. Das Leben atmen, den Augenblick genießen und das Glück pflücken, wenn es erblüht – das war ihr Lebensmotto.

Shahin wusste sein Herz zu schützen. Es war eingesperrt in eiserne Ketten, umgeben von Stahl, seit jenem Tag, der ihm das Herz brach und seinen Lebenstraum zerstörte. 18 Lenze zählte er damals und die Hochzeit mit seiner großen Liebe stand bevor. Sie hieß Selina und war wie er halb sizilianisch, halb kurdisch. Ein Anruf machte auf einen Schlag alle Pläne und Träume zunichte. Selina war bei einem Autounfall tödlich verunglückt.

Mit seinem Zwillingsbruder fuhr er sofort los zur Familie seiner Braut. Auf der Fahrt stieß er frontal mit einem LKW zusammen, der plötzlich die Fahrbahn wechselte und auf ihn zufuhr. Er überlebte schwer verletzt und lag wochenlang im Koma, monatelang im Krankenhaus. Sein Zwillingsbruder war sofort tot. Später erfuhr er, dass es kein Unfall sondern ein Mordanschlag war, der ihm gegolten hatte. Eigentlich sollte Shahin sterben, weil er wie sein geliebter Onkel, der einige Wochen zuvor von Saddams Miliz erschossen wurde, einer kurdischen Widerstandsbewegung – den Peschmerga - angehörte. Peschmerga bedeutet übersetzt „Die dem Tod ins Auge Sehenden“ und dieser Kampf forderte offensichtlich auch tagtäglich sein Tribut. Den Giftgasangriff in Halabdscha hatten er und seine Familie überlebt, weil sie rechtzeitig in die Berge geflohen sind.

Und nun hatte er auch diesen schrecklichen Anschlag überlebt, jedoch nicht sein Bruder. Damals schwor er, niemals seinen Geburtstag zu feiern, denn er sei nur noch halb am Leben – er fühlte sich mit schuldig am Tod seines Bruders.

Seine Mutter leitete umgehend seine Flucht aus dem Irak in die Wege, nachdem er sich erholt hatte. Sie wollte nicht auch noch den zweiten Sohn aus ihrer ersten Ehe verlieren. Shahin´s Vater war ihre große Liebe. Sie hatten in Sizilien geheiratet. Auch er kam bei einem Autounfall ums Leben, als seine Zwillinge 3 Jahre alt waren. Verzweifelt und voller Trauer ging sie als Witwe mit ihren beiden Kindern nach Irak zurück zu ihrer Familie und heiratete erst viele Jahre später noch einmal.

Shahin´s abenteuerliche Flucht über Türkei und Griechenland war ebenfalls mit vielen Gefahren und Entbehrungen verbunden. Einige seiner Weggefährten überlebten die Strapazen nicht.

In Deutschland lebte er zum Zeitpunkt der Begegnung mit Sophie seit 5 Jahren. Da er als Asylant nicht mehr in den Irak reisen durfte, hatte seine Familie seit seiner Flucht nicht mehr gesehen. Einige seiner Geschwister kennt er nur von Bildern. Irgendwann würde er zurückgehen und seine Familie in die Arme schließen – irgendwann, wenn es wieder Frieden und Sicherheit gibt in Kurdistan.

Tief berührt von seinen Erlebnissen fühlte sich Sophie immer mehr zu ihm hingezogen. Sie wollte die Leichtigkeit in sein Leben bringen, die er nie hatte, was ihr auch immer öfter gelang. Für Shahin war Sophie seine Geliebte, seine Vertraute, seine Freundin, seine Familie – einfach alles.

Sie wusste das und so willigte sie schließlich nach langem Zögern ein, ihn zu heiraten und ihm in ihrem Leben eine Heimat zu geben, obwohl sie sicher war, dass diese Liebe nicht ewig halten wird. Und doch sind aus dem Sommer mit Shahin mittlerweile 4 Jahre geworden – Jahre der Ausgewogenheit und Harmonie ohne viele Höhen und Tiefen.

MORSCHE BRÜCKEN

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