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In der U-Bahn kauerte Chipper immer noch unter dem Sitz und fragte sich, wann die Fahrt wohl weitergehen würde. Ewig konnten sie den Tunnel nicht blockieren, das wusste er.

Da setzte sich der Zug in Bewegung.

Chipper dachte an die Durchsage: Am nächsten Halt würden sich die Türen zunächst nicht öffnen. Der Sinn dahinter war klar – bevor irgendjemand aussteigen durfte, würden Behördenmitarbeiter einsteigen und den Zug von vorne bis hinten nach ihm durchkämmen.

Also musste Chipper raus aus dem Zug.

Die Räder quietschten, die Lichter flackerten.

Noch einmal meldete sich die Männerstimme.

»Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit. In wenigen Augenblicken erreichen wir die nächste Haltestelle. Bitte bleiben Sie noch auf Ihren Sitzplätzen. Die einzelnen Waggons werden nacheinander geöffnet, damit diese durch den Sicherheitsdienst überprüft werden können. Bitte bewahren Sie die Ruhe. Es handelt sich um eine Routinekontrolle zu Ihrer eigenen Sicherheit.«

»Was da wohl los ist?«, überlegte jemand laut.

Die Cellistin hörte auf zu spielen. Der Obdachlose bettelte weiter um Geld.

Sie würden also zuerst nur die Türen eines einzigen Waggons öffnen, dann des nächsten und so weiter. Das deutete darauf hin, dass dieser »Sicherheitsdienst« am einen Ende des Zugs mit seiner Durchsuchung beginnen und jeweils die Fahrgäste des überprüften Waggons laufen lassen würde. Und das hieß, dass Chipper erst entkommen konnte, nachdem sie sich in seinem Waggon umgesehen hatten.

Er war im dritten Waggon von vorne.

Wieder quietschten die Räder, aber viel lauter als zuvor.

Die Lichter flackerten.

Und erloschen.

Für eine Sekunde.

Für zwei.

Für drei.

Es wurde wieder hell.

Und der Hund war verschwunden.

Sekunden später rollte der Zug in die Haltestelle. Auf dem Bahnsteig drängten die Menschen zu den Türen, die sich doch bestimmt jeden Moment öffnen würden – aber von wegen.

Die drei Männer, die durch die vorderste Tür in den ersten Waggon einstiegen, sahen nicht nach U-Bahn-Wachleuten aus. Sie trugen dunkle Anzüge mit weißem Hemd und Krawatte und zogen allesamt ein todernstes Gesicht, und wenn man genau hinsah, hätte man vielleicht die verdächtige Ausbeulung ihrer Sakkos knapp unter der Schulter bemerkt. Von ihrem Kragen schlängelte sich jeweils ein Kabel hinauf zu einem winzigen Gerät im Ohr.

»Bleiben Sie ruhig!«, rief der erste Mann den nervösen Fahrgästen zu, ehe die drei mit suchenden Blicken durch den ersten Waggon marschierten. Sie interessierten sich vor allem für den Boden und für den Bereich unter den Sitzen.

Nachdem sie den Waggon vom einen bis zum anderen Ende durchkämmt hatten, fasste der Erste an das Gerät in seinem Ohr. »Waggon 1 frei«, sagte er.

Die Türen öffneten sich, und die Fahrgäste, die an dieser Station aussteigen wollten, stürmten ins Freie.

In aller Ruhe schritten die drei Männer auch durch den zweiten Waggon, wurden aber offenbar wieder nicht fündig, weshalb der Erste auch hier die Freigabe erteilte, die Türen zu öffnen. Einige Menschen stiegen aus, andere ein.

Und schon betraten sie den dritten Waggon.

Der Obdachlose, der sich inzwischen am anderen Ende in der Nähe der Cellistin aufhielt, schlurfte den drei Männern entgegen und schenkte ihnen ein zahnloses Grinsen. »Habt ihr vielleicht ein bisschen Kleingeld übrig?«

Da schubste ihn der erste Mann so kräftig beiseite, dass er auf einen leeren Sitz plumpste. Falls die anderen Fahrgäste noch irgendwelche Fragen an die drei Herren gehabt hatten, überlegten sie es sich spätestens jetzt anders.

In der Mitte des Waggons blieben die Anzugträger stehen und suchten die Reihen mit dem Blick ab, drehten sich langsam hin und her und spähten unter die Sitze. Nichts.

»Wie viele Waggons hat der Zug?«, fragte der zweite Mann den ersten.

»Sieben.«

»Er muss weiter hinten sein.«

Sie setzten ihren Weg fort, und kurz vor dem vierten Waggon fasste sich der Anführer ans Ohr. »Waggon 3 frei.«

Die Türen öffneten sich.

Mehrere Fahrgäste verließen den Zug. Auch die dickbeinige Frau, die sich auf den Sitz über Chipper gepflanzt hatte, schnappte sich ihre Tasche und hetzte davon.

Die Cellistin wollte noch nicht aussteigen. Doch kurz zuvor, als schon wieder die Beleuchtung ausgefallen war, hatte sie mit einem Stupsen den Deckel ihres Cellokastens geschlossen, damit der Obdachlose ihr nicht im Schutz der Dunkelheit die paar Münzen wegnehmen konnte, die die Zuhörer hineingeworfen hatten.

Da sie nun weiterspielen und sich hoffentlich noch ein bisschen Geld für ihren Cellounterricht verdienen wollte, beugte sie sich vor, um den Deckel wieder zu öffnen.

Wie ein Springteufel schoss Chipper aus dem Kasten und durch die schließenden Türen der U-Bahn auf den Bahnsteig.

Nur leider war er ein bisschen zu langsam.

Sein Schwanz klemmte zwischen den fest geschlossenen Schiebetüren. Acht Zentimeter von Chippers Körper befanden sich noch im Zug. Als er losrennen wollte, blieb er hängen, und als er sich umdrehte, erkannte er das Problem sofort.

Einige der Fahrgäste bekamen mit, in welcher Lage er war, und machten die anderen lautstark darauf aufmerksam. Chipper verstand kein Wort – doch was, wenn ihr Getöse die drei Anzugträger aus Waggon 4 in Waggon 3 lockte?

Und was, wenn der Zug anfuhr?

Dann würde Chipper in den Tunnel geschleift werden und dort von der Tür baumelnd gegen die Mauer klatschen.

Im Sichtfenster tauchte ein Schatten auf – es war der Obdachlose! Er zwängte die Finger zwischen die Schiebetüren und versuchte, sie mit Gewalt auseinanderzuziehen.

Chipper zerrte, so fest er konnte, konnte sich aber immer noch nicht losreißen.

Der Obdachlose schnitt eine Grimasse und presste die Augen zusammen, sammelte seine letzte Kraft und gab noch einmal alles.

Die Türen öffneten sich nur um wenige Millimeter und nur für einen Sekundenbruchteil. Doch genau in diesem Moment nahm auch Chipper seine letzte Kraft zusammen, und auf einmal stürzte er nach vorne und überschlug sich auf dem Bahnsteig. Er war frei.

Kurz konnte Chipper sich vor lauter Desorientierung kaum rühren, dann war er wieder auf den Beinen und sauste zur Treppe. Davor warf er dem Mann im Sichtfenster der U-Bahn-Tür aber noch einen dankbaren Blick zu und winkte ihm mit seinem ramponierten Schwanz.

Chase

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