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»Jetzt erzählen Sie mir mal ganz genau, wie das passieren konnte«, sagte Madam Director streng zu Simmons, der inzwischen aus der Krankenstation entlassen worden war. Die Bisswunde an seinem Handgelenk war frisch verbunden.

Die Direktorin des Instituts war eine außergewöhnliche Erscheinung – eine schlanke Dame mit rotem Haar und einer riesigen Brille mit schwarzem Rand, durch die sich zwei unergründliche Augen in ihr Gegenüber bohrten. Auf dem breiten Aluminiumtisch, hinter dem sie in ihrem verchromten, mit schwarzem Leder bezogenen Chefsessel saß, standen nur ein hauchdünner Monitor und eine Tastatur.

Simmons schwitzte. »Wie es aussieht, hat er das Leckerli nicht gefressen. Er hat nur so getan. Denn hätte er es gefressen, wäre er so müde geworden, dass er sich nicht gegen die Spritze hätte wehren können.«

»Sie haben sich von einem Hund überlisten lassen«, stellte Madam Director in herrischem, eisigem Ton fest. Simmons fand schon immer, dass ihre Stimme klang, als würden sich Reißzähne in Fleisch schlagen.

»Nun ja, Madam Director, es war natürlich kein gewöhnlicher Hund«, antwortete er verunsichert. »Sie wissen ja, dass alle unsere Hunde über eine deutlich gesteigerte Intelligenz verfügen. Wenn man so will, könnten sie es durchaus mit einem zehn- oder elfjährigen Kind aufne–«

»Sie fänden es also akzeptabel, sich von einem zehn- oder elfjährigen Kind überlisten zu lassen?«

Simmons musste schlucken.

»Selbstverständlich nicht, Ma’am.«

»Um welches Versuchsobjekt handelte es sich noch?«

»Um Tier H-1094, Sir … pardon, ich meine natürlich: Madam Director. Wir hatten ihm den Namen Chipper gegeben. Es hat uns nur Probleme gemacht, deshalb wollten wir seine Lebensfunktionen per Injektion stilllegen. Danach hätten wir sämtliche Hardware ohne Verluste aus ihm entfernen und in einem anderen Versuchsobjekt installieren können.«

»Was für Probleme? Frischen Sie doch kurz mein Gedächtnis auf.«

Simmons suchte nach einer Erklärung. Zuerst fiel ihm die lange Version ein: Die Schnittstelle zwischen den alten Instinkten des Tiers und den neuen Schaltkreisen funktionierte nicht wie vorgesehen, die Software konnte die natürlichen Verhaltensimpulse nicht unterdrücken, der Hund widmete sich nie verlässlich den Missionszielen.

Doch es gab auch eine kürzere Erklärung.

»Chipper war zu verspielt«, sagte Simmons.

Da schüttelte Madam Director den Kopf. »Und dennoch ist dieser Chipper mithilfe Ihres Sicherheitsausweises aus dem Gebäude getürmt? Stimmt das?«

Simmons räusperte sich. »Das ist korrekt. Anders betrachtet ist dies aber wiederum ein Beleg für den Erfolg unseres Forschungsprogramms – also dass ein Hund so schlau ist, einen solchen Mechanismus –«

Mit einer Handbewegung brachte Madam Director ihn zum Schweigen. »Sie reden sich um Kopf und Kragen, Simmons.«

»Ja, Madam Director. Aber wir lassen nichts unversucht, das Tier schnellstens zu fassen. Auf dem Weg hierher habe ich gehört, dass es gerade in einer U-Bahn in die Enge getrieben wurde. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis es wieder da ist, wo es hingehört.«

»Hmm …«, machte Madam Director, schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. Mit ihren zehn Zentimeter hohen Absätzen war sie größer als Simmons. Von oben herab sah sie ihm in die Augen. »Wie lauten die Befehle des Suchtrupps?«

»Den Hund um jeden Preis sicherzustellen, selbst wenn dabei Schäden an der Hardware hinzunehmen sind. Sollte er nicht gefasst werden können, ohne ihn und seine Implantate zu zerstören, ist auch das eine Option. Uns allen ist absolut bewusst, dass er nicht in falsche Hände fallen darf.«

»Ja, das wollen wir nicht, oder? Das wäre eine ausgewachsene Katastrophe. Sie sind sich doch darüber im Klaren, wie viele Menschen überhaupt wissen, welcher Arbeit wir hier nachgehen?«

»Ich kann es mir in etwa vorstellen. Nicht viele.«

»Dann sind Sie sich ja bestimmt ebenfalls darüber im Klaren, dass nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten über unsere Aktivitäten informiert ist?«

»Ja, Madam Director«, sagte Simmons.

»Die Milliarden von Dollar, die aus verschiedenen Quellen in unsere Forschung fließen, tauchen in keiner Abrechnung auf.« Langsam umrundete die Direktorin den Tisch. »Wir unterliegen einer derart hohen Geheimhaltungsstufe, dass nicht einmal diejenigen von uns wissen, die von uns wissen sollten … doch nun haben Sie sich von einem Hund austricksen lassen und damit all das aufs Spiel gesetzt. Ihretwegen könnte alles, was wir hier treiben, ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden.«

»Das, äh … das bedauere ich zutiefst.«

Madam Director blieb dicht vor Simmons stehen. Aus dieser Entfernung konnte sie zweifellos seinen Zwiebelatem riechen. Die rechte Hand hielt sie zur Faust geballt, als hätte sie darin etwas versteckt.

»Ich versichere Ihnen, so etwas wird nie wieder vorkommen«, sagte er.

Madam Director nickte. »Davon bin ich überzeugt.«

Sekundenlang herrschte peinliche Stille, bis Simmons fragte: »Wäre dann noch etwas, Ma’am? Ich würde mich gerne weiter um die Koordination der Suchaktion kümmern …«

»Da machen Sie sich mal keine Gedanken«, erwiderte sie. »Damit habe ich schon jemanden beauftragt.«

Simmons’ Augenbrauen schossen in die Höhe. »Aber das ist kein Problem für mich.«

Ein Lächeln. »Mir erscheint Daggert geeigneter für diese Aufgabe. Für Sie habe ich mir etwas anderes überlegt.« Damit öffnete Madam Director ihre rechte Hand. Darin lag ein kleines, dunkles Etwas, etwa so groß wie eine Murmel – es war ein fleischiges, salziges Leckerli. Genau so eines hatte Simmons an H-1094 verfüttern wollen.

Madam Director hielt es ihm unter die Nase, Zentimeter vor seinen Mund.

»Essen«, sagte sie.

»Wie bitte?«

»Es-sen.«

»Aber Madam Director, es gibt doch keinen Grund –«

Da hörte Simmons, wie hinter ihm die Bürotür zurückglitt. Er fuhr herum. Der Neuankömmling trug keinen weißen Kittel wie die meisten Angestellten des Instituts. Im schwarzen Anzug mit frisch gebügeltem weißen Hemd und schwarzer Krawatte wirkte er eher wie ein Geschäftsmann, und das Licht der dezenten Deckenstrahler spiegelte sich in seinen schwarzen Schuhen. Obwohl die Augen des hochgewachsenen, schmalen Herrn hinter einer Sonnenbrille verborgen waren, fühlte Simmons sich in seiner Gegenwart immer pausenlos beobachtet.

»Daggert«, begrüßte Simmons ihn. »Sie kommen wohl mal wieder direkt aus der Matrix?«

Daggert erwiderte nichts. Und Simmons sah, was er in der rechten Hand hielt: eine Spritze.

»Schauen Sie mich an«, sagte Madam Director.

Simmons schluckte krampfartig und gehorchte. »Das alles tut mir wirklich sehr, sehr leid.«

»Essen«, befahl Madam Director ihm ein drittes Mal.

Simmons warf erst einen Blick auf seine Chefin, dann auf Daggert und die Spritze in dessen Hand. Schließlich nahm er das Leckerli entgegen, überwand seinen Widerwillen und schob es in den Mund. Sein Gesicht verzog sich.

»Sie denken sich wohl: Was dieser Hund kann, kann ich schon lange«, meinte Madam Director. »Sie wollen das Ding einfach im Mund verstecken.« Sie lächelte. »Brav kauen.«

Simmons’ Kiefer blieben starr.

»Nun kommen Sie schon, Simmons. Ich tue Ihnen doch einen Gefallen. Sie werden’s kaum mitbekommen. Es gäbe auch andere, deutlich schmerzhaftere Optionen …«

»Aber … aber Sie brauchen mich doch. Ich bin nicht zu ersetzen!«

Madam Directors Blick zuckte zu Daggert. »Wer ist hier nicht zu ersetzen, Daggert?«

»Nur Sie, Madam Director«, antwortete er.

Wieder lächelte sie. »Da hören Sie’s. Und jetzt kauen Sie, Simmons.«

Ganz langsam bewegten sich Simmons’ Kiefer. Madam Director beugte sich vor und horchte auf das Krachen des Leckerlis in seinem Mund.

»Gut so. Immer schön kauen.«

»Bitte«, bettelte Simmons, allerdings ohne mit dem Kauen aufzuhören. »Ich kann das wieder in Ordnung bringen. Ich versprech’s Ihnen. Sie müssen mich doch nicht gleich ein… einschlll… schllläfern …«

Madam Director schwenkte ihren Zeigefinger vor seinem Gesicht. »Man spricht nicht mit vollem Mund!« Dann lächelte sie wieder. »Wie Sie vermutlich schon bemerkt haben, steckt in dieser kleinen Köstlichkeit eine deutlich höhere Dosis als in der, die Ihr Hund nicht fressen wollte.«

Simmons spürte, wie ihn Müdigkeit überkam.

»Schlucken«, sagte Madam Director.

Er zermahlte die letzten Brösel und ließ sie in seine Speiseröhre gleiten. Vor seinen Augen schwankte das Büro der Direktorin. Durch einen Griff an den Schreibtisch versuchte er noch, das Gleichgewicht zu halten.

Doch da gaben seine Beine nach, er sank zu Boden. Mit großen Schritten kam Daggert auf ihn zu und kniete sich neben ihn, hob die Spritze, ließ probeweise ein paar Tropfen aus der Nadel perlen und stach sie durch den weißen Ärmel in Simmons’ Arm.

»Ich danke Ihnen, Daggert«, sagte Madam Director und ließ sich wieder auf ihrem Sessel nieder. »Nehmen Sie ihn mit. Er beißt sich mit der Einrichtung. Und noch etwas …«

»Ja, Madam?«

»Unser Einsatztrupp ist zwar schon unterwegs – doch ab sofort sind Sie persönlich für die Bergung des Hundes verantwortlich. Nehmen Sie Bailey und Crawford mit.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein«, antwortete Daggert und zerrte Simmons zur Tür.

Chase

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