Читать книгу Iron Annie - Lisa M Hutchison - Страница 10
ОглавлениеKapitel 4
“Hallo, Albert, warte mal.”
Albert wandte sich um, um zu sehen, wer ihn gerufen hatte. „Grüß dich, Hermann, was bringt Dich denn nach Berlin?“
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und liefen zusammen durch die Flughalle in Berlin-Tempelhof. „Eine gewisse Dame.“ Hermann grinste. „Und Du? Wohnst du noch in Berlin?“
Albert nickte. „Es gibt einfach keinen Ort wie diesen.“ Er war, wie so viele junge Piloten, voller Bewunderung für Hermann Göring, den Kampfpiloten aus dem Ersten Weltkrieg, auch bekannt als der Blaue Max, Empfänger des begehrten Ordens Pour le Mérite.
„Bist Du für heute fertig?“, fragte Hermann. „Wenn dem so ist, lass uns losziehen, etwas trinken und ein bisschen erzählen.“
„Klingt gut, muss nur kurz ins Büro und meine Kilometerberichte einreichen, damit ich bezahlt werde“, grinste Albert.
Kurz darauf saßen die beiden Männer in einer gemütlichen Bar in der Nähe des Flughafens und erzählten sich Geschichten aus vergangenen Tagen und ihre persönlichen Erlebnisse in den letzten Jahren. Beide hatten erst kürzlich ihre Frauen verloren; nur Albert hatte Kinder.
„Du weißt, Albert, die Dinge in Deutschland laufen nicht gut“, sagte Hermann. „Wir haben keinen Nationalstolz mehr. Es gibt keine Wirtschaft, wir sind dank des idiotischen Vertrags von Versailles mit hohen Schulden belastet, wir haben keine Führung und keine Zukunft. Bald sind die Wahlen und, wie Du vielleicht weißt, bin ich ein Mitglied der neuen Nationalsozialistischen Partei und hoffe dass sie gewinnen.“
Albert nickte geistesabwesend – er hatte von der Partei gehört, ihr aber wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
„Adolf Hitler ist der Mann, der Deutschland zu neuem Wohlstand und Selbstachtung bringen wird“, fuhr Hermann fort.
„Ist das nicht der österreichische Unteroffizier, der im Gefängnis gesessen hat?“, fragte Albert und schüttelte seinen Kopf. „Wie zur Hölle soll er etwas erreichen können? Er ist nicht einmal Deutscher, und so oder so, wer würde ihn oder seine Partei wählen? Soweit ich weiß, hat er keinerlei politische Erfahrung, keinerlei Ausbildung – er ist ein Träumer, der ein Künstler sein wollte und der so ziemlich alles in den Sand gesetzt hat, was er angefangen hat.“
„Aber Du solltest ihn mal hören – er ist der überzeugendste Redner, den ich je gehört habe, und seine Ideen sind absolut brillant. Er wird die uns lähmenden Versailler Schulden neu verhandeln, eine neue Währung einführen, Arbeitsplätze schaffen und die Kriminalität eliminieren.“
„Das ist ganz schön viel auf einmal“, erwiderte Albert. „Ich denke nicht, dass ein Mann allein das kann. Außerdem sind Worte nur Schall und Rauch.“
„Aber nicht doch“, sagte Göring. „Dazu braucht man das Volk, und zwar das Ganze. Wir brauchen eine vereinte Front und eine vereinte Partei. Du solltest wirklich ernsthaft erwägen, der Partei beizutreten – es wäre sehr zu Deinem Vorteil.“
„Hermann, Du weißt, ich bin völlig unpolitisch. Ich werde niemals einer politischen Partei oder einer Kirche beitreten, denn beide werden dich irgendwann verraten dir in den Rücken fallen.“ Die Männer brüllten vor Lachen.
„Das alles ist einfacher gesagt als getan, Hermann“, fuhr Albert fort. „Ich muss konkrete Aktionen sehen.“
„Aber hast Du wirst erstaunliche Fortschritte sehen“, unterbrach ihn Hermann. „Die Menschen werden wieder Arbeit haben – zusammen werden wir viel erreichen!“
Hermanns Enthusiasmus war nicht zu übersehen. Albert musste zugeben, dass Hermann vielleicht recht haben könnte – Deutschland braucht starke Führung um sich endlich von den folgenschweren Kriegsjahren zu erholen. Warum also fühle ich mich so unwohl? fragte er sich.
„Ja Hermann, da ist schon was Wahres dran an dem was du sagst, aber ein Hitler? Bestimmt entpuppt sich noch ein besserer Kandidat für diese schwere Aufgabe.“
„Ich glaube es nicht, aber stoßen wir an auf ein besseres Deutschland!“ Hermann erhob sein Glas, „und jetzt muss ich los und Emmy treffen.“
Damit schüttelten sich die beiden Männer erneut die Hände und trennten sich.
Albert blieb zurück; ihm blieben noch ein paar Stunden, bevor er nach Beirut fliegen sollte, dem Paris des Mittleren Osten. Er grübelte über Görings Einschätzungen nach.
In 14 Jahren Weimarer Republik war Deutschland vom Chaos in eine fragile Demokratie und auf die jetzige lauernde Katastrophe zugewankt. Im Gegensatz zum Wohlstand von Paris war das Berlin der 1920er von finanziellen Tumulten und politischen Unruhen gebeutelt worden.
Die Weimarer Republik, erschaffen als Folge des Ersten Weltkriegs und der Abdankung Kaiser Wilhelms II, wurde von Putschen und Konterrevolutionen erschüttert und bot Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalisten Obdach. Nach der katastrophalen Hyperinflation, die dafür gesorgt hatte, dass die Deutschen Schubkarren voller Millionen-Mark-Scheine durch die Straßen schoben, ermöglichte die darauf folgende Stabilität der Nazi-Partei und ihren furchteinflößenden Sturmsoldaten einen ominösen Aufschwung. Das ist es, was mir Sorgen bereitet, dachte er, während er sich eine weitere Zigarette anzündete. Es ist keine Demokratie mehr – es gibt kein Gegengewicht.
Als Albert aus der Bar zum Terminal ging, dachte er darüber nach, wie begeistert er davon war, im heutigen Berlin zu leben, einer Stadt der vielen Möglichkeiten und Unterhaltungen. Sie war die Stadt, die niemals schlief, sie bot Tanztheater und Kabaretts die ganze Nacht hindurch an, wo Mode, klassische Musik, Jazz, Operetten, bissige Satiren und verführerische Dekadenz zusammentrafen. Dennoch, kaum da das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts bevorstand, sahen sich viele künstlerische Köpfe der Stadt dazu gezwungen, sie zu verlassen,
Aber einstweilen war dies das Berlin, das Albert so liebte. Als Lufthansa-Pilot stand er auf einer Stufe mit der Elite der Gesellschaft: Nur die Reichen und Berühmten konnten es sich leisten zu fliegen. In diesen Jahren lernte er viele Leute kennen, berühmt und berüchtigt, Träumer und Macher, törichte und gutmeinende, gute und böse Menschen kennen, alle Seite an Seite in der Ju-52 – der allgegenwärtigen Junkers-52-Maschine, die den Deutschen als „Tante Ju“ bekannt war und die die englischsprachige Bevölkerung bewundernd als „Iron Annie“ bezeichnete.
Unter der Nationalistischen Partei wurde Göring als Innenminister und Reichskommissar für Luftfahrt vereidigt. Bald darauf war er der zweitmächtigste Mann in Deutschland.
Er und Albert liefen sich bei zahlreichen Gelegenheiten über den Weg und in den folgenden Jahren versuchte er weiterhin mit viel Mühe, Albert davon zu überzeugen, Mitglied der NSDAP zu werden, aber Albert ließ sich nicht erweichen. Diese Standfestigkeit beeindruckte Hermann und er versuchte so gut es ging eventuelle Unannehmlichkeiten von Albert fern zu halten.
Ironischerweise sorgte einer von Hermanns Brüdern, ebenfalls Albert genannt, aufgrund seiner offenen antifaschistischen Aktivitäten immer wieder für Probleme. Der Gestapo, gegründet von Hermann höchstpersönlich, musste mehrere Male befohlen werden, seinen Bruder aus dem Gefängnis freizulassen.
Hitler war der erste Politiker, der die Luftfahrt förderte, da er glaubte, dass Flugreisen wirksamer seien als Zugfahrten. Nachdem Hitler die Macht übernommen hatte, erhielt er seine erste Privatmaschine, die „Führermaschine“. Diese Führermaschine verfügte über einen kleinen Klapptisch an Hitlers Lieblingssitz auf der rechten Seite – mit Uhr, Höhenmeter und Geschwindigkeitsmesser versehen. Sein persönlicher Pilot war Hans Baur, der eigenhändig weitere ausgesuchte Lufthansa-Piloten mit gutem Ruf für Hitlers Besatzung auswählte. Einer von ihnen war Albert.
Dass er ausgewählt wurde, obwohl er weder ein eingetragenes Nazi-Parteimitglied oder Mitläufer war, überraschte ihn.
Die auserwählten Piloten wurden in München zusammengerufen, um Oberst Baur zu treffen und dem Führer vorgestellt zu werden. Albert war neugierig auf den Mann, der Deutschland zu Reichtum und Macht führen sollte. Als Hitler den Raum betrat, nahmen alle Haltung an, erhoben ihre rechten Arme und begrüßten ihn mit dem inzwischen normal gewordenen „Heil Hitler!“ Er nickte ihnen kurz zu und kam dann auf sie zu, um jeden persönlich zu begrüßen. Nachdem er ein paar Sätze mit jedem von ihnen ausgetauscht hatte, schüttelte er ihre Hände und dankte ihnen in seinem leicht nasalen Ton für ihre Dienste.
Er spricht noch nicht mal Hochdeutsch. Albert war regelrecht entsetzt. Nie im Leben wird dieser Gernegroß irgendeines der Dinge erreichen, die er allen verspricht. Dennoch musste er zugeben, dass dieser Mann eine beinahe hypnotische Präsenz ausstrahlte. Als er ihre Hände schüttelte, blickte er jedem von ihnen direkt in die Augen – mit einem faszinierenden, starren Blick, fast wie Rasputin. Albert hatte eine dunkle Vorahnung.
Hitler war charmant, recht unterhaltsam, wohlerzogen und er schien ziemlich leutselig zu sein. Er lud Albert und die anderen Piloten ein, ihn an seinem Tisch Gesellschaft zu leisten, an dem er bereits mit Göring und anderen zukünftigen Parteimitgliedern saß. Die Männer ließen sich zu lebhaften Gesprächen, ägyptischen Zigaretten und französischem Brandy nieder. Alle außer Hitler: Er trank niemals Alkohol, rauchte keine Zigaretten oder Zigarren – auf vielerlei Weisen schien er kein „richtiger Mann“ zu sein; seine ganze Art und Weise war eher weibisch. Er schien nicht sehr gebildet zu sein und eher auf die Antworten anderer Leute angewiesen zu sein. Es hatte den Anschein, dass er tiefgründigen Größenwahn hatte, eine Eigenschaft die Albert nicht gerade ansprechend fand, weder bei einem Anführer noch bei sonst irgendeiner Person. Alles in allem fiel Alberts erster Eindruck nicht gerade positiv aus. Angeberisch und selbstbezogen, dachte er bei sich.
Eigentlich fand er sogar, dass er ein ziemlicher Vollidiot war.