Читать книгу Iron Annie - Lisa M Hutchison - Страница 9
ОглавлениеKapitel 3
„Steffi, Steffi, bitte, wie oft müssen wir das noch diskutieren?”
Albert hatte seinen Arm um Stephanies Schultern gelegt, versuchte an ihrem Ohr zu knabbern, und gab sein Bestes, ihre Gedanken von dem Thema Hochzeit abzulenken. Er konnte sich nicht erklären, warum sie immer wieder davon anfing. Sie war ein attraktives Mädchen, sicher – aber ein bisschen zu kokett für ihn. Sie traf weiterhin andere Männer, während er weg war, warum also sollte sie gerade ihn ausgewählt haben? „Ich dachte, du hast ein Auge auf Heinz geworfen?“
„Naja, er hat mich ein paar Mal ausgeführt, aber ich denke, er könnte verheiratet sein“, antwortete Stephanie.
“Hmmm”, murmelte Albert und fuhr fort, ihren Nacken zu küssen. „Lass uns das für den Moment mal vergessen und stattdessen die Zeit zusammen genießen.“
„Oh Albert, hör auf!“, kicherte Stephanie. „Du bringst mein Haar ganz durcheinander und ich muss noch zu dem Empfang gehen, den meine Eltern für die Verlobung meines Bruders geben.“
Albert stöhnte leise auf. „Wir haben noch eine halbe Stunde.“ Als er sie weiter liebkoste, warf sie endlich ihre Arme um ihn und erwiderte seine Zärtlichkeiten.
Nachdem er sie nach Hause gebracht hatte, schlenderte er langsam zu seinem Quartier zurück und grübelte über eine Hochzeit nach. Er fühlte sich für eine derartige Verpflichtung noch zu jung; außerdem wohnte er immer noch in der Kaserne und würde die Erlaubnis seines Kommandanten benötigen, um heiraten zu können, etwas, das nicht leicht zu kriegen war. Er war sicherlich nicht dazu in der Lage, sich mit seinem Gehalt eine Frau und eventuelle Kinder zu leisten. Gewiss, Steffi war eine verlockende Partie, ihre Eltern waren gut situiert. Sie besaßen mehrere Kachelofen Fabriken, in denen viele Arbeiter angestellt waren. Aber es widerstrebte ihm seine eventuelle zukünftige Ehefrau wegen ihres Geldes zu heiraten. Sie hatte ihn bereits einige Male gebeten, beim Militär zu kündigen und für ihren Vater und ihren Bruder zu arbeiten, eine Vorstellung, die ihn mit Grauen erfüllte. Er sehnte sich nach einem Leben als Offizier und Pilot; er wollte keine Keramikfliesen herstellen. Und Heinz war sein kommandierender Offizier – er hatte sein Auge ebenfalls auf Steffi geworfen. War er wirklich verheiratet? Albert glaubte es nicht.
Er erreichte die Kaserne gerade zum Zapfenstreich und entschied, etwas Abstand zwischen Steffi und sich zu halten. Der Zeitpunkt dafür war gerade richtig, da er zur Fliegerausbildung einige Monate nach Norddeutschland versetzt würde.
Albert liebte die Fliegerausbildung. Er war ein erstklassiger Schüler und durfte schnell allein fliegen. Es gab einfach kein Gefühl, was dem gleichkam – hoch über dem Boden zu schweben, den blauen Himmel über und die weißen Wolken neben sich. Das Gefühl völliger Freiheit war so mächtig, dass er wünschte, es würde niemals aufhören.
Und dann eines Tages wurde er zum Dienstzimmer seines Kommandanten beordert.
„Klaproth, kennen Sie eine Stephanie Brandt?“
„Ja, Herr Kommandant, das tue ich“, antwortete Albert leicht verwirrt.
„Nun, ihr Vater hat sich bei Ihrem früheren Offizier, Heinz Meister, beschwert, dass seine Tochter schwanger ist. Sie nennt Sie als den Vater ihres ungeborenen Kindes und fordert Sie auf, dass Sie augenblicklich das Richtige tun und sie heiraten.“
Albert war sprachlos. Wie weit konnte sie schon sein? Er hatte sie seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und sie hatte ihm in ihren wenigen Briefen absolut nichts davon gesagt. Er kehrte sofort nach Erfurt zurück, um Stephanie zur Rede zu stellen.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ein Kind erwartest?“, wollte Albert wissen. „Und wie weit bist du schon? Wir sind schon zwei oder drei Monate nicht mehr miteinander intim gewesen – ist das Kind wirklich meins?“
„Albert, bitte, du musst mir glauben, es ist dein Kind.“ Steffi weinte und wiederholte wieder und wieder dasselbe, sie schwor, dass das Kind, das sie erwartete, wirklich seines war, und flehte ihn an, sie zu heiraten.
„Ich denke, dass du nur nach einem Sündenbock suchst“, sagte Albert außer sich vor Zorn. „Du warst mit mehreren Männern zusammen und jetzt hast du mich als wehrloses Opfer ausgesucht.“
„Nein, Albert, ich bin mir ziemlich sicher, dass das Baby von dir ist.“ Albert schüttelte konsterniert den Kopf. „Ich weiß nicht, Steffi – ‚ziemlich sicher‘ ist mir nicht sicher genug.“
„Es muss an dem Tag passiert sein, bevor du zu deinem Posten zurückgekehrt bist – erinnerst du dich? Der Tag, an dem ich zu der Verlobungsfeier meines Bruders gehen musste.“ Inzwischen war Steffi vollkommen aufgelöst.
„Steffi, hör mir zu.“ Er warf seine Hände in die Luft. „Ich liebe dich nicht, ich will dich nicht heiraten, ich will an diesem Zeitpunkt meines Lebens kein Kind und ich glaube nicht, dass es überhaupt mein Kind ist! Ich liebe mein Leben genauso, wie es jetzt ist, und ich kann mir gerade jetzt sowieso keine Familie leisten.“
„Albert, was soll aus mir werden?“ Steffi war beinahe hysterisch. „Es ist zu spät, um noch über eine Abtreibung nachzudenken, selbst wenn es noch einen Arzt gäbe, der sich dazu bereit erklären würde.“
Albert starrte sie an. „Denk nicht mal daran“, fuhr er sie. „Du weißt, dass auf Abtreibung die Todesstrafe steht.“
Die beiden starrten sich lange Zeit nur an. Gedanken rasten durch seinen Kopf. Sie war ein törichtes Mädchen, aber er mochte sie dennoch. Das letzte, was er wollte, war Unglück über sie zu bringen, und vielleicht, vielleicht war es ja sein Kind. Er wollte nicht in einer Ehe wie der seiner Eltern enden. Aber Steffi war nicht seine Mutter – sie war liebenswert und freundlich, freundlicher, als gut für sie war.
Albert seufzte tief auf. „Also, wie stellst du dir die Hochzeit vor?“
Steffi blickte ihn hoffnungsvoll an, die Augen rot vom Weinen. „Ich weiß nicht, Albert. Ich weiß nur, dass ich lieber tot wäre, als einen Bastard auf die Welt zu bringen.“
Sie sah erbärmlich aus und das war der Moment, in dem Albert sie in seine Arme zog, sie festhielt und murmelte: „Es ist gut, Steffi, es ist gut – ich werde dich heiraten und wir werden das Beste daraus machen.“
Sie brach in unkontrollierbares Schluchzen aus, vor Erleichterung. „Ich werde Dir eine gute Frau sein, Albert“, schniefte sie tränenüberströmt. „Wir können bei meinen Eltern leben. Ich werde nichts weiter von Dir verlangen, ich verspreche es!“
Er musste darüber lächeln. Sie ist noch so ein Kind, dachte er sich.
„Steffi, wir werden heiraten, aber ich werde meine Karriere als Pilot weiterverfolgen. Ich werde immer wieder monatelang nicht da sein; bist du sicher, dass du damit klarkommst?“
„Ja“, antwortete Steffi und Tränen rannen ihr das Gesicht herab. „Du bist ein viel größerer Ehrenmann als Heinz. Du und ich, wir werden zusammen ein gutes Leben führen“, schluchzte sie.
„Heinz?“, brüllte Albert. „Was hat er damit zu tun? Bist du dir sicher, dass nicht er der Vater ist?“
Jetzt wurde sie hysterisch. „Nein, nein, das Baby ist von Dir!“, schrie sie. „Bitte glaube mir!“
Oh Gott, was für ein Chaos, dachte Albert. Ich habe keinerlei Wahl – vielleicht ist es trotz allem von mir. Er seufzte und legte seine Arme um sie. „So, jetzt hör mit dem Geflenne auf – leg ein Hochzeitsdatum fest und ich werde da sein. Und jetzt lass mich deine Eltern kennenlernen, sie sollten ja zumindest wissen, wen ihre Tochter heiratet“, schlug Albert vor. „Dein Vater muss mir die Erlaubnis und seinen Segen geben.“
Da er gedacht hatte, dass es lediglich ein Höflichkeitsbesuch sein würde, war er angenehm überrascht über den warmen Empfang seitens ihrer Eltern. Sie waren offene und freundliche Leute, glücklich miteinander und ihren Kindern und gute Eltern. Sie waren aufgeregt darüber, so kurz hintereinander zweimal Großeltern zu werden – ihr Sohn Lothar hatte vor kurzem geheiratet und das junge Paar erwartete ihr erstes Kind.
Albert und Steffi heirateten im Februar 1930 im Erfurter Dom, einer 1200 Jahre alten Kirche. Das war ein Zugeständnis an ihre Eltern. Er selbst war Protestant, weigerte sich aber zu konvertieren; dennoch versprach er, dass ihre Kinder als Katholiken erzogen würden. Die Hochzeit fand einen Monat nach der Geburt von Gisela statt. Mein Schwiegervater muss sehr großzügig mit der Spende gewesen sein, dachte er etwas zynisch. Ein paar Monate später wurde das Baby getauft.
Albert hatte große Schwierigkeiten damit, zu seiner Tochter eine Beziehung aufzubauen, und er sah sie oft gedankenverloren an, fragte er sich immer wieder, ob sie wirklich seine Tochter war. Sie war ein dickköpfiges kleines Mädchen, anfällig für Wutausbrüche und in ständiger Suche nach Aufmerksamkeit. Mit ihrem mürrischen kleinen Gesicht, ihren dunklen Locken und ihrem quirligen Temperament wurde sie bald zum Liebling ihrer Großeltern.
Albert führte seine Ausbildung weiter, sodass er nur sporadisch während der Ferien und verschiedener Urlaubstage nach Hause kam. Das Leben mit Steffi war eine nicht enden wollende Achterbahnfahrt. Sie litt unter starken Stimmungsschwankungen, höchstwahrscheinlich wegen Alberts zahlreicher Abwesenheit. Steffi brauchte viel Aufmerksamkeit und erwartete Alberts volle Zuwendung. Wenn Albert nicht zuhause war, ging sie weiterhin mit ihren Freundinnen tanzen und flirtete gern mit ihren vielen Tanzpartnern.
Albert wusste recht genau was los war, aber er sprach das Thema nicht an; er fühlte keinerlei Eifersucht, sondern war ziemlich zufrieden mit allem. Wenn er zuhause war, war Steffi aufmerksam und liebevoll. Somit war es auch keine Überraschung, als sie ihm verkündete, dass sie erneut schwanger war. Dieses Mal waren es gute Neuigkeiten und Albert freute sich regelrecht auf sein zweites Kind.
Es war im März 1932, als ihr kleiner Sohn geboren wurde und es gab keinerlei offene Fragen bezüglich seines Vaters – er war das perfekte Abbild von Albert.
„Steffi, du machst mich so stolz!“, sagte er voller Freude. „Wir haben einen Sohn.“
„Können wir ihn Manfred nennen, nach meinem Großvater?“, fragte sie.
„Das ist ein guter, starker Name, ja, lass ihn uns so nennen.“
Einige Wochen später wurde Manfred in der gleichen Kirche wie seine Schwester getauft. Beide Kinder waren katholisch.
Inzwischen war Albert bei der neugegründeten deutschen Fluglinie namens „Lufthansa“ angestellt worden, blieb aber gleichzeitig Reserveoffizier.
Steffi und die Kinder lebten immer noch in dem Haus ihrer Eltern und Steffi war recht eifersüchtig auf ihren Bruder und seine Frau, die gemeinsam mit ihrem kleinen Mädchen in ihr eigenes Haus gezogen waren.
„Können wir nicht auch ein eigenes Haus haben?“, flehte sie Albert bei seinem nächsten Heimaturlaub an. Sie saßen in dem von Steffis Mutter so liebevoll gepflegten Garten. Albert hielt das Baby im Arm und schaukelte es sanft vor und zurück.
„Steffi, mein Schatz, ich muss in Berlin Tempelhof wohnen, nahe des Flughafens. Das weißt du doch“, sagte er. „Wenn du dich bereit erklärst, aus Erfurt wegzuziehen, dann können wir dort eine Wohnung finden.“
Doch Steffi blieb eisern. „Ich will, dass Du in Erfurt wohnst. Ich werde nicht nach Berlin ziehen.“
„Du redest wie ein kleines Kind und nicht wie eine Ehefrau und Mutter.“ Albert wurde zunehmend ungeduldig.
Steffi nahm das nun schreiende Baby aus seinen Armen. „Zum letzten Mal, ich will Erfurt nicht verlassen.“ Und sie stapfte eigensinnig zum Haus zurück.
Albert zuckte die Schultern. „Na ja, dann wirst du wohl bei Deinen Eltern wohnen bleiben müssen. Ich kann nicht aus Tempelhof weg und das ist endgültig.“
Sein Leben mit Stephanie blieb stürmisch; sie forderte mehr und mehr von seiner Zeit ein und drängte ihn dazu, in das Familiengeschäft einzusteigen. Ihr Bruder Lothar hatte es übernommen, als der Vater krank geworden war. Albert vebrachte immer weniger Zeit in Erfurt, um den nervigen Wortstreitereien seiner Frau und den Bitten seiner Schwiegereltern zu entkommen.
Wenig später starb sein Schwiegervater. Albert kam nach Hause und fand einen chaotischen Haushalt vor. Steffi schien sich wenig um die Kinder zu kümmern und stattdessen die meiste Arbeit ihrer Mutter zu überlassen, die mit dem Tod ihres Mannes und ebenso mit ihrer Tochter überfordert war. Steffi war mehr für Vergnügungen interessiert als für die diversen Verantwortlichkeiten als Mutter. Gisela war praktisch völlig sich selbst überlassen und das Baby schien bereits chronisch an Windelausschlag und einer laufenden Nase zu leiden.
„Steffi, die Kinder brauchen mehr Aufmerksamkeit und etwas Disziplin“, mahnte Albert seine Ehefrau.
Steffi warf ihren Kopf angriffslustig in den Nacken und sagte: „Wo bist Du denn? Du bist nie hier, ich kann das nicht alles allein machen.
„Du bist hier nicht allein; so wie ich es sehe, macht Deine Mutter den Großteil der Arbeit, und selbst wenn ich hier wäre, müsste ich immer noch arbeiten“, antwortete Albert. „Ich bin ernstlich besorgt über Deine Einstellung.“ Steffi zuckte die Schultern und verließ den Raum, Knallend fiel die Tür ins Schloss.
Albert führte ein langes Gespräch mit Lothar, der Albert dazu anhielt, seine Karriere weiterzuverfolgen. Er habe wirklich keine Position für ihn in der Firma, sagte er.
„Meine Schwester muss zur Vernunft kommen“, fügte Lothar hinzu und schüttelte seinen Kopf. „Sie muss nach Berlin ziehen; Mutter braucht etwas Ruhe.“
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und ein sehr erleichterter Albert versuchte nochmals seine Ehefrau zu überreden.
„Steffi, Du und die Kinder müsst jetzt mit mir nach Berlin kommen“, sagte er. „Es ist Zeit, dass wir eine Familie werden.“ Erneut saßen sie zusammen im Garten und versuchten ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Albert legte seinen Arm um sie und bemühte sich vernünftig mit seiner jungen Ehefrau zu reden.
„Ich möchte meine Mutter jetzt nicht verlassen“, sagte sie. „Ich will in Erfurt bleiben. Ich habe alle meine Freunde hier. Ich will, dass Du herkommst und hier wohnst.“
„Du bist eine verheiratete Frau mit zwei Kindern“, antwortete Albert. „Dein Platz ist an meiner Seite. Ich muss dort leben, wo ich arbeite, und ich muss meinen Kindern ein Vater sein.“
Steffi jedoch blieb weiterhin kompromisslos mit ihrer Forderung in Erfurt bleiben zu wollen. Widerstrebend und entmutigt kehrte Albert nach Berlin zurück. Das sollte das letzte Mal sein, dass er seine Frau sah.
Drei Monate nach seiner Rückkehr nach Berlin, baten ihn einige Kriminalbeamte, zu einer Befragung im Polizeipräsidium zu erscheinen.
Verdutzt kam er der Bitte nach und war nur umso verwirrter angesichts der Fragen: Wann war er zuletzt zuhause gewesen? Wie war die Beziehung zu seiner Frau gewesen? Wusste er, dass sie schwanger gewesen war? Hatte er sich noch mehr Kinder gewünscht?
Er war völlig fassungslos, als er erfuhr, dass seine Frau an einer verpfuschten Abtreibung gestorben war. Sie war mit Zwillingen schwanger gewesen.
Er hatte nichts geahnt, und es war eindeutig, dass diese Kinder nicht von ihm waren. Während der Ermittlungen, wurde festgestellt, dass sie eine Affäre mit dem verheirateten Heinz Meister gehabt hatte und dass es Heinz gewesen war, der einen Arzt ausfindig gemacht hatte der die Abtreibung vornehmen sollte. Beide Männer wurden angeklagt und verurteilt; der Arzt wurde gehängt, was derzeit die entsprechende Strafe für Abtreibungen war. Heinz erhielt eine lange Gefängnisstrafe und wurde unehrenhaft aus dem Militär entlassen.
Albert war am Boden zerstört. Er war nun verwitwet mit zwei kleinen Kindern im Alter von einem und drei Jahren. Seine Schwiegermutter würde eine Weile nach ihnen schauen, aber langfristig würde er eine Vollzeitbetreuung für sie finden müssen.
Zwei Wochen nach Steffis Beisetzung kehrte er zur Arbeit zurück. Als er nach einem Flug nach Kabul wieder in Berlin landete, war er überrascht seinen Bruder auf ihn wartend im Flughafengebäude Tempelhof vorzufinden.
„Hans, was für eine Überraschung, was bringt Dich denn her?“, fragte er, während er sich im Stillen fragte, was sein Bruder wohl von ihm wollte.
„Ich dachte, wir sollten mal ein Gespräch führen“, antwortete Hans etwas zögerlich.
„Sicher, lass mich nur schnell meinen Papierkram abgeben“, meinte Albert. „Ich treffe dich in der kleinen Wartehalle; Du kannst schon vorgehen und was zum Trinken bestellen.“
Wer weiß, was jetzt wieder los ist. Hans ist nicht für freundliche Gespräche bekannt – er muss etwas wollen, aber bloß was?
Als sie es sich in einer ruhigen Ecke der Lounge für die Flughafen Mitglieder bequem gemacht hatten und an ihren Cognacs nippten, erkundigte sich Hans nach den Kindern. „Wie kommst du denn mit den zwei Kleinen zurecht?“
„Momentan ganz gut, Steffis Mutter kümmert sich um sie, bis ich eine Lösung gefunden habe. Warum fragst Du?“
„Nun, Renate und ich haben darüber nachgedacht, die zwei bei uns aufzunehmen und sie mit unseren Kindern großzuziehen“, antwortete Hans.
Albert war sprachlos und argwöhnisch; weder Hans noch Renate hatten den Ruf, besonders mitfühlend oder großzügig zu sein. „Aber Renate schafft es doch kaum, nach euren beiden zu sehen; wie wollt ihr denn zwei weitere Kinder versorgen? Ist das deine Idee und hast du das überhaupt mit Renate besprochen?“
„Ja, natürlich – wir dachten daran, ein größeres Haus zu kaufen und eine Kinderfrau anzustellen. Natürlich würden wir das mit Deinen Kindergeldzahlungen finanzieren.“
Ah, da ist also der Haken; es ist ein gut durchdachter Plan. Renate wollte immer schon mehr sein, als sie war, – mit Kinderfrau und einem größeren Haus wäre es perfekt.
Als Albert so nachdachte, warf Hans ein: „Du musst auch daran denken, was mit ihnen geschieht, wenn du mit deinem Flieger abstürzt. Du weißt, dass diese Dinger nicht gerade sicher sind, und mit deiner Lebensversicherung könnten wir den Kindern ein viel besseres Leben bieten“, betonte er schnell.
Albert konnte seinen Ärger kaum mehr verbergen. „Ich danke dir für deine Besorgnis, Bruderherz“ antwortete er scharf, „aber meine Kinder sind keine Einkommensquelle für dich und Renate“, damit warf er einige Banknoten auf den Tisch, erhob sich und ging wütend davon.
Hans hat sich nicht verändert, es geht ihm immer nur um Geld, dachte er. Gott weiß, wie seine Kinder von den beiden behandelt würden; sie nahmen ihre eigenen Kinder ja nicht einmal in den Arm.
Aber er wusste, dass eine Lösung gefunden musste. Es war ihm unmöglich, sich um die beiden Kleinen zu kümmern, und seine Schwiegermutter war bislang immer noch seine letzte Hoffnung.
Ein paar Tage später flog er nach Erfurt, um seine Kinder zu sehen. Er fand seine Schwiegermutter müde und ausgemergelt vor. „Hallo, Albert“, begrüßte sie ihn mit Tränen in den Augen. „Manfred ist für ein paar Tage bei Lothar. Gisela schläft gerade. Sie sind mir zu viel – wenn sie doch nur etwas älter wären, aber ich bin zu alt für Windeln und Brei kochen für das Baby.“ Sie begann zu weinen.
„Ich verstehe vollkommen, Anna, und ich denke dauernd über etwaige Möglichkeiten nach. Ich muss bald eine Lösung finden. Natürlich kann ich nicht nach ihnen sehen, wenn ich arbeite, also ist vielleicht ein Kinderheim das Richtige“.
Anna schüttelte traurig ihren Kopf. „Es ist so schwer zu glauben, was passiert ist – aber es ist passiert und jetzt müssen wir mit allem klarkommen. Ich könnte eigentlich Gisela bei mir behalten, sie ist jetzt über drei, isst gut, schläft gut, trägt keine Windeln mehr und in ein paar Monaten kann sie halbtags in den Kindergarten gehen. Sie ist gute Gesellschaft für mich. Aber was das Baby angeht – er ist sehr eigen und launisch und schreit die ganze Zeit. Ich fühle mich schrecklich dabei, das zu sagen, aber er muss woanders hin.“ Anna seufzte tief auf.
Albert nickte; er verstand und war dankbar für ihr Angebot. „Ich gehe rüber zu Lothar und hole meinen Sohn ab. Vielleicht haben sie ja eine Idee.“
Und tatsächlich hatten sie eine! Lothar und seine Frau Gerda baten ihn den kleinen Manfred zu adoptieren – sie hatten zwei Töchter und inzwischen die Hoffnung aufgegeben, einen lang ersehnten Sohn zu empfangen. Ein Sohn der irgendwann den Familienbetrieb übernehmen könnte. Lothars Neffe war der nächste Verwandte, der diese Lücke füllen würde.
Sie diskutierten über mehrere Stunden, während Albert den kleinen Manfred auf dem Schoß hielt. Und somit wurde entschieden, dass Manfred bei Lothar und Gerda bleiben würde. Sie würden ihn jedoch nicht adoptieren. Albert wollte keines seiner Kinder aufgeben; er versicherte Lothar, dass Manfred, als sein Neffe, immer noch die Firma zu gegebener Zeit erben und leiten könnte; gleichermaßen wäre Albert weiterhin für alle Ausgaben für seinen Sohn verantwortlich. Es wäre von großem Vorteil für Manfred, in der Nähe seiner Großmutter und Schwester zu leben. Albert war Steffis Bruder und Frau ewig dankbar dafür, dass sie sich seiner Kinder annahmen; Gisela würde schließlich ebenfalls einen Großteil ihrer Zeit bei ihnen verbringen.
Lothar bekannte seine Schuldgefühle bezüglich der gesamten Situation, in der Albert sich gefunden hatte, und war total schockiert angesichts des schrecklichen Endergebnisse – den Tod seiner Schwester und die Umstünde die dazu führten. Er und seine Frau wollten machen was sie konnten, um Albert aus diesem unglaublichen Dilemma zu helfen.
Enorm erleichtert kehrte Albert nach Berlin zurück, um sein Leben wieder aufzunehmen.
Dennoch beunruhigten ihn Hans‘ Kommentare bezüglich der Möglichkeit, dass er tödlich abstürzen könnte. Fliegen war tatsächlich nicht gerade die sicherste Arbeit. In den zwanziger und dreißiger Jahren waren insgesamt 40 Lufthansa-Maschinen abgestürzt, wobei Piloten, Stewardessen und Passagiere zu Tode gekommen waren.
Aber es war nun einmal genau die Art Beruf, die zu ihm passte, das wusste er. Es waren Abenteuer und Gefahr, die so anziehend auf ihn gewirkt hatten.
Albert war grundsätzlich furchtlos und bestach durch Geistesgegenwärtigkeit in Kombination mit einer schnellen Auffassungsgabe, einem angenehmen Auftreten und einem selbstbewussten Gang, oder anders gesagt: Er besaß die perfekte Persönlichkeit für einen Piloten. Er machte eine gute Figur in seiner Uniform und er war sich seiner Wirkung auf die Damenwelt deutlich bewusst.
Er musste sich um ordentliche Rücklagen für seine Kinder kümmern, sowohl finanziell als auch in Blick auf ein liebevolles und schönes Heim für den Fall, dass er starb. Mit diesen Gedanken änderte er sein Testament und Lebensversicherung und machte Lothar und Gerda zu den Erben und Vormunden seiner Kinder.