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C. Gang der Darstellung

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Zur Bewältigung der Problemstellung nähert sich die Arbeit dem Mehrebenkonflikt in vier Kapiteln schrittweise sowohl auf nationalrechtlicher als auch auf unionsrechtlicher Ebene:

In § 2 wird zunächst ein Überblick über die Verankerung des Selbstbestimmungsrechts der kirchlichen Arbeitgeber im Grundgesetz gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV gegeben. Im Anschluss ist die Einordnung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bei der Festlegung von Loyalitätsanforderungen und der Sanktionierung von Verstößen gegen diese Anforderungen im deutschen Recht Gegenstand näherer Betrachtung. Die Grundlagen des kirchlichen Dienstes werden im Hinblick auf das für die Fragestellung dieser Arbeit ausschlaggebende IR-Verfahren vornehmlich anhand der katholischen Dienstgemeinschaft erläutert. Das Kapitel schließt mit der Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Aussagen des BVerfG in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt zur arbeitsgerichtlichen Kontrolle kirchlicher Kündigungsentscheidungen.

In § 3 soll das Verhältnis des europäischen Rechts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bei der Kündigung von Arbeitsverhältnisses untersucht werden. Die Analyse des Art. 17 Abs. 1 AEUV, der die Achtung des mitgliedstaatlichen Status der Religionsgemeinschaften gebietet und dessen Beeinträchtigung durch Unionsrechtsakte verbietet, dient dabei als primärrechtlicher Schlüssel zur Bestimmung des Verhältnisses des Unionsrecht zum deutschen Religionsverfassungsrecht. Es ist zu klären, inwiefern die Auslegung des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG durch den EuGH in den Rechtssachen Egenberger und IR primärrechtskonform war. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse des § 2 können Widersprüche zwischen der unionsrechtskonformen Auslegung des § 9 AGG durch das BAG und den Vorgaben des BVerfG aus den Leitentscheidungen Stern und Chefarzt ermittelt werden. Auch soll gezeigt werden, ob die Rechtsprechung des EuGH dem BAG auch eine Entscheidung zugunsten des kirchlichen Arbeitgebers erlaubt hätte.

In § 4 folgt eine vertiefte Analyse des Verhältnis des deutschen Verfassungsrechts zum europäischen Recht. Eine Gegenüberstellung der Perspektiven des EuGH und des BVerfG zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts soll zur Schärfung des Bewusstseins für mögliche Konfliktlagen beitragen. Die vorliegende Arbeit strebt eine Systematisierung der Grenzdogmatik des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG an, die die Bestimmung der Integrationsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber objektivieren soll. Schwerpunktmäßig sollen hierfür die tatbestandlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Identitätskontrolle und einer Ultra-vires-Kontrolle erarbeitet werden. Die Arbeit geht insbesondere der Frage nach, wie sich die integrationsfeste „Verfassungsidentität“ bestimmen lässt.

In § 5 werden die Anknüpfungspunkte und Grenzen einer möglichen Harmonisierung des Mehrebenenkonflikts analysiert. Im Falle verbleibender Widersprüche zwischen den verfassungsrechtlichen und den unionsrechtlichen Vorgaben werden die in § 4 gewonnenen Erkenntnisse genutzt, um zu klären, inwiefern der Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Fall IR hätte durchbrochen werden können. Der Schwerpunkt liegt auf der Beantwortung der Frage, in welchem Umfang das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen der Verfassungsidentität zuzuordnen ist.

1Stowasser, S. 377 Stichworte: „integratio“ und „integrare“; siehe auch Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 4. Aufl., S. 482: „Das Wort meint ursprünglich die Wiederherstellung, dann aber überhaupt die Herstellung oder Entstehung einer Einheit oder Ganzheit aus einzelnen Elementen, so daß die gewonnene Einheit mehr als die Summe der vereinigten Teile ist.“ Vgl. zur Geschichte der Verwendung des Begriffs im Staatsrecht König, Übertragung von Hoheitsakten, S. 34.

2BVerfGE 123, 267, 350 und 353 (Lissabon); BVerfGE 140, 317, 334 Rn. 36 (Haftbefehl-II); BVerfGE 134, 366, 389 Rn. 31 (OMT-Vorlagebeschluss); BVerfGE 142, 123, 186 Rn. 115 (OMT-Urteil); BVerfGE 151, 202, 286 Rn. 119 (Bankenunion); BVerfG v. 05.05.2020 – 2 BvR 859/15 u.a., NJW 2020, 1647, 1649 Rn. 101 (PSPP-Urteil).

3BVerfGE 123, 267, 343 (Lissabon): „Mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie wird die Verfügung über die Identität der freiheitlichen Verfassungsordnung selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber aus der Hand genommen. Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch.“

4Siehe König, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 138.

5Siehe BVerfGE 123, 267, 352 (Lissabon); BVerfGE 140, 317, 341 Rn. 49 (Haftbefehl-II); Weiß, JuS 2018, 1046, 1047 ff.; Calliess, NVwZ 2019, 684, 685 f., jeweils m.w.N.

6Siehe etwa Wegener, VerfBlog. v. 05.05.2020. Laut Wegener offenbare das PSPP-Urteil, „[…] eine an Verschrobenheit grenzende Weltferne und Selbstüberschätzung […], von der man trotz aller gegenteiligen Anzeichen bis zum Schluss hoffen musste, sie möge dem Gericht und uns allen erspart bleiben.“ Prantl bezeichnete das BVerfG gar als „Staatsgefährder“, siehe Prantl, Süddeutsche.de v. 09.03.2020.

7Gemeint sind die Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts, die der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirche Rechnung tragen, siehe auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 1 f.

8Siehe bspw. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen; Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht; Schäfer, Das kirchliche Arbeitsrecht in der europäischen Integration; Kehlen, Europäische Antidiskriminierung; Reichegger, Auswirkungen der RL 2000/78/EG; Triebel, Das europäische Religionsrecht; Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien vor dem Hintergrund des § 9 AGG; Plum, Tendenzschutz; Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht; Schoenauer, Die Kirchenklausel des § 9 AGG.

9BVerfGE 70, 138, 167 f. (Stern).

10BVerfGE 137, 273, 316 Rn. 118 f. (Chefarzt).

11Siehe etwa Fremuth, EuZW 2018, 723, 723 f.; Geismann, Gleichgeschlechtliche Ehe und kirchliches Arbeitsverhältnis, S. 42; Trebeck, ArbRAktuell 2020, 106. Die Bezeichnung ist allerdings irreführend, denn die Vielzahl der den Kirchen zugeordneten Einrichtungen kann schwerlich als „ein“ Arbeitgeber betrachtet werden, siehe auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 8. Aufl., Vorwort S. IX.

12EuGH (Große Kammer) v. 17.04.2018 – C-414/16 (Egenberger gegen Evang. Diakonie e.V.), EU:C:2018:257.

13EuGH (Große Kammer) v. 11.09.2018 – C-68/17 (IR gegen JQ), ECLI:EU:C:2018:696.

14ABl. EG L 303/16.

15EuGH (Große Kammer) v. 17.04.2018 – C-414/16 (Egenberger gegen Evang. Diakonie e.V.), EU:C:2018:257 Rn. 63 ff.; EuGH (Große Kammer) v. 11.09.2018 – C-68/17 (IR gegen JQ), ECLI:EU:C:2018:696 Rn. 45 f.

16BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, NZA 2019, 455; BAG v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14, NZA 2019, 901.

17Siehe Pressemitteilung der EKD-Präsidentin v. 19.03.2019, abrufbar unter: https://www.ekd.de/diakonie-klagt-vor-bundesarbeitsgericht-44274.htm (zuletzt aufgerufen am 21.12.2020).

18Siehe Pressemitteilung vom 02.07.2019, abrufbar unter: https://www.erzbistum-koeln.de/news/Keine-Verfassungsbeschwerde-im-Chefarzt-Fall/ (zuletzt aufgerufen am 21.12.2020): „Maßgeblich hierfür ist insbesondere der Umstand, dass der in Rede stehende Fall aktuell keine arbeitsrechtliche Relevanz mehr hat, da er nach heute geltendem kirchlichen Arbeitsrecht anders zu beurteilen wäre. Die katholische Kirche wird allerdings möglicherweise vom Bundesverfassungsgericht Gelegenheit erhalten, ihre Rechtsauffassung zu den auch aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Grundsatzfragen des Verhältnisses von Religionsverfassungsrecht und Unionsrecht durch eine Stellungnahme in das Verfahren ‚Egenberger‘ der evangelischen Kirche einzubringen, das zurzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.“

19Siehe Deutsche Bischofskonferenz, Katholische Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten 2019/20, abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Allgemein_-_Zahlen_und_Fakten/AH-315-ZuF_2019-2020_Ansicht.pdf (zuletzt abgerufen am 21.12.2020); Diakonie Deutschland, Diakonietexte April 2017, Einrichtungsstatistik für das Jahr 2018, abrufbar unter: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Statistiken_PDF/09_2019_Einrichtungsstatistik_2019_Web.pdf (zuletzt abgerufen am 21.12.2020).

20Für die Zulassung einer auf die Verletzung der Verfassungsidentität gestützten Verfassungsbeschwerde im Fall IR siehe Fremuth, EuZW 2018, 723, 730; Thüsing/Mathy, BB 2018, 2805, 2808; W. Kahl, ZevKR 65 (2020), 107, 133 ff.; ablehnend BAG v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14, NZA 2019, 901, 911 Rn. 67; Classen, EuR 2018, 752, 565; Malorny, npoR 2020, 56, 59 f.; Becker, EuR 2019, 469, 497; Nebeling/Lankes, RdA 2020, 101, 109; speziell in Bezug auf die Verfassungsbeschwerde in der Rechtssache Egenberger siehe Sagan, EuZW 2018, 381, 387; Klocke/Wolters, BB 2018, 1460, 1464; Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559, 561 f.; Pieroth/Barczak, NJOZ 2019, 1649, 1653 f.

21Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559, 561.

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