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Kapitel 5 – Merit und Shokar

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Am nächsten Tag erschien Merit rechtzeitig bei Shokar, um ihm sein Morgenmahl zu bringen. Wie es sich für eine Dienerin geziemte, hielt sie ihren Blick gesenkt, während sie versuchte zu erraten, was er benötigte, um sich für seinen Dienst bereit zu machen. Shokar schien etwas verlegen zu sein. Sie wusste nicht, ob es wegen seiner kommenden Aufgaben war. Schließlich war es sein erster Tag und er konnte noch nicht wissen, was auf ihn zukommen würde.

„Habt Ihr besondere Wünsche, was ich heute für Euch tun soll, Herr?“, fragte sie bescheiden.

„Was sind denn sonst deine Pflichten, Merit?“

„Nun, ich halte den Raum sauber und sorge für Eure Mahlzeiten, Herr. Außerdem kümmere ich mich um Eure Kleidung. Muss etwas gereinigt werden?“

Bei diesen Pflichten fühlte sich Merit sicher und konnte ohne Verlegenheit antworten. Wie schon am Tag zuvor hatte Shokar sie mit ihrem Namen angesprochen. Er schien recht freundlich zu sein.

„Nein, das ist heute nicht notwendig. Wenn ich dies wünsche, gebe ich dir Bescheid.“

Ein Gong ertönte und rief Shokar zu seinen Pflichten. Er verließ eilig den Raum. Sollte Merit ihm sagen, dass Hast nicht erwünscht war? Nein, das war wohl unangemessen. Schließlich war sie nur eine niedere Dienerin. Die Priester würden ihn einweisen.

Sie räumte das Tablett mit den Resten des Morgenmahls hinaus und begab sich zur Kochstelle, wo alle Dienerinnen die Mahlzeiten bereiteten. Dort traf sie auf Bessara und Noala.

Während Noala einen zufriedenen Eindruck machte und ein gewisses Funkeln in den Augen hatte, wandte sich Bessara stets ab, wenn sie angesprochen wurde. Merit fragte sich warum, bis sie einen Blick in Bessaras Gesicht erhaschte, als diese es nicht mehr vermeiden konnte, dass man sie ansah.

Merit erschrak. Bessaras Gesicht war voller blauer Flecke! Und nicht nur das. Auf den Armen setzten sich die Male fort. Der restliche Körper wurde von der Tunika verborgen, doch Merit hatte keinen Zweifel, dass es auch dort solche Male gab. Man konnte es an der Art sehen, wie sich Bessara vorsichtig bewegte. Sie war geschlagen worden! Keiner der Priester hatte so etwas bisher getan, also blieb nur Kerlak übrig.

Warum tat er das nur? Bessara war eine zuverlässige Dienerin. Sie hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Merits fragender Blick fiel nun auch Bessara auf.

„Tu nur nicht so unschuldig. Du weißt genau, warum ich so aussehe. Ich habe gestern bemerkt, wie er dich angesehen hat. Und weil er dich nicht bekommen konnte, hat er seinen Zorn an mir ausgelassen. Das hätten deine Male sein sollen. Oder vielleicht hätte er sich bei dir anders benommen. Doch er ist ein grober Kerl.“

Bessara lief weinend davon. Noala und Merit sahen sich betreten an. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Tun konnten sie nichts. Sie waren alle Eigentum des Tempels, ohne Rechte.

Dennoch war Kerlaks Verhalten unangemessen. Als Dienerinnen konnten sie sich jedoch nicht dazu äußern. Hoffentlich bekam einer der Priester mit, was da vor sich ging und unternahm etwas. Bis dahin würde Bessara weiter leiden.

Noala und Merit konnten beide froh sein, dass die ihnen zugewiesenen Anwärter sich anders benahmen. Wenn Merit Noala ansah, wünschte sie sich beinahe, dass Shokar an ihr ein ähnliches Interesse zeigen würde, wie Farik an Noala.

Am Abend gingen drei müde Anwärter zurück in ihre Unterkünfte. Den ganzen Tag über hatte es Unterweisungen gegeben. Nur für ein karges Mittagsmahl war eine kurze Pause eingelegt worden.

Die drei älteren Priester hatten dies absichtlich getan, denn die Bedürfnisse des Körpers sollten zurückgestellt werden. Nur wer in der Lage war, dies auszuhalten, war für das Amt eines Priesters geeignet. Der Geist musste die Kontrolle über den Körper behalten.

Die Anwärter stammten aus adligen Familien. Diese hatten vielleicht ihre Kinder verweichlicht, eben weil man sich als Reicher alle Wünsche erfüllen konnte. Also musste man ihnen jetzt zeigen, dass es höhere Ziele anzustreben galt.

Als die jungen Männer in ihren Unterkünften eintrafen, hatten ihre Dienerinnen bereits ein Abendmahl bereitet, das sie nun auf Tabletts heranbrachten. Merit musste nun an Kerlak vorbei laufen. Plötzlich packte dieser sie am Arm und zischte ihr zu:

„Nachher habe ich noch eine Aufgabe für dich! Finde dich später in meinem Raum ein!“ Kerlaks Augen schienen sie zu durchbohren. Doch da hörte sie plötzlich die Stimme von Shokar.

„Merit, ich werde dich den ganzen Abend bei mir brauchen. Vielleicht sogar die ganze Nacht. Du bist meine Dienerin, also gehorche mir!“

Shokar blickte fest in Kerlaks Augen und bemerkte: „Du hast deine eigene Dienerin, also halte dich fern von meiner. Sie wird in nächster Zeit ständig beschäftigt sein. Lass sie in Ruhe!“

Merit war noch nie so froh über einen Befehl gewesen, wie jetzt gerade. Sie eilte mit gesenktem Blick zu Shokar. Das Tablett in ihren Händen zitterte.

Kerlak war zornig. Er bekam sonst immer, was er wollte. Und er hätte zu gern gesehen, wie dieses Mädchen unter ihm gezittert hätte. Schließlich war sie nur eine Dienerin und hatte zu tun, was man ihr sagte. Zugegeben, sie sah recht ansprechend aus, mit ihren langen Haaren und den schlanken Gliedern. Dennoch zählte das nicht. Ihr einziger Daseinszweck bestand darin, Befehle auszuführen. Seine Befehle, wenn möglich.

Jetzt musste er sich wieder an Bessara schadlos halten. Doch das machte keinen Spaß mehr, denn er hatte ihr in der vorigen Nacht schon bewiesen, wer die Macht hatte.

Shokar folgte Merit in seine Unterkunft. Sie stellte ihr Tablett ab und wartete ängstlich auf neue Anweisungen. Sollte es keine Befehle mehr geben, war sie gezwungen, den Raum zu verlassen. Sie war sich sicher, dass Kerlak draußen irgendwo wartete und sie dann zu sich befehlen würde. Er würde nicht so schnell aufgeben. Bessaras blaue Flecken gingen ihr nicht mehr aus dem Sinn.

Shokar betrachtete sie mitleidig. Er hatte genau verstanden, was gerade geschehen war. Die Sorgen standen Merit ins Gesicht geschrieben. Sie erinnerte ihn an seine kleine Schwester.

Doch die Adligen seines Volkes hatten keine langen Haare. Männer und Frauen trugen Perücken und hatten auf dem Kopf alle Haare abrasiert. Das hatte mit der Körperpflege zu tun. Die Perücke gab man dann einer Dienerin, die sie säubern musste.

„Warum hast du so lange Haare?“, fragte er neugierig. „Wäre es nicht einfacher, sie abzuschneiden?“

Merit erschrak. Sie war stolz auf ihre Haare und dachte, sie wären das Beste an ihrem Aussehen. Natürlich hatte sie als Dienerin kein Recht, so zu denken.

„Als Dienerin wurde mir befohlen, die Haare wachsen zu lassen, bis sie eine gewisse Länge erreicht haben. Dann werden sie abgeschnitten und verkauft, damit man Perücken für edle Damen herstellen kann.“

Shokar war betroffen. Er hatte nicht daran gedacht, dass die Haare für Perücken ja irgendwo herkommen mussten. Eine Dienerin durfte also noch nicht einmal über ihre Frisur bestimmen.

„Wünscht Ihr, dass ich meine Haare abschneide, Herr?“, fragte Merit zaghaft.

„Nein, auf gar keinen Fall! Ich mag deine Haare so, wie sie sind. Solange du meine Dienerin bist, sollst du sie weiter wachsen lassen. Sie umrahmen deine Gestalt ganz vortrefflich.“

Merit wurde rot bei dieser Äußerung. Zum Glück war dies wegen ihrer etwas dunkleren Hautfarbe nicht so sehr zu sehen. Sie wandte sich ab. Ein Herr sollte dies nicht zu einer Dienerin sagen. Er musste ihr doch keine Komplimente machen.

Shokar sah, wie sie bereits wieder ängstlich zur Tür schielte, als erwartete sie, gleich weggeschickt zu werden. Doch auch ihm war klar, was dann mit ihr geschehen würde. Der Ausdruck in Kerlaks Gesicht hatte ihm gar nicht gefallen.

„Leiste mir Gesellschaft bei meinem Mahl und erzähle mir von dir. Ich möchte dich kennenlernen. Und nimm dir einen Teil des Essens, es ist viel zu viel für mich.“

Merit war verlegen. „Es ist mir nicht gestattet, mein Mahl gleichzeitig mit einem Herrn einzunehmen. Man erwartet von mir, dass ich warte, bis mein Herr gegessen hat. Dann darf ich von den Resten nehmen, wenn er es erlaubt.“

„Nun, dann unterhalte mich. Wie lange bist du schon hier im Tempel? Wie bist du hergekommen und welches sind deine Aufgaben?“

Shokar zeigte ungewöhnliches Interesse an ihr, doch langsam gewöhnte sie sich daran. Solange sie ihn unterhielt, würde er sie nicht nach draußen schicken.

Deshalb berichtete sie, wie sie im Alter von zehn Jahren an den Tempel verkauft worden war. Ihr Vater, ein Soldat, war in Ausübung seines Dienstes getötet worden. Obwohl sein Herr keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass sein Untergebener einen ehrenvollen Tod gestorben war, hatte seine Witwe nur eine Handvoll Münzen als Entschädigung erhalten. Das reichte nicht lange, um sich und die kleine Tochter zu ernähren.

Andana hatte begonnen, ihren Körper zu verkaufen. Doch als ihre Schönheit mit dem Alter geschwunden war, hatte sie nur noch die Möglichkeit gesehen, dasselbe mit ihrer Tochter zu tun oder diese als Dienerin zu verkaufen. Sie hatte sich für letzteres entschieden, nicht zuletzt, weil bekannt war, dass die meisten Priester im Tempel Amuns wenig Interesse an fleischlichen Genüssen hatten. Sie stellten den Dienst an ihrem Gott über alle körperlichen Bedürfnisse.

Merit berichtete von ihren täglichen Aufgaben. Es war kein schwerer Dienst. Sie hatte schon in jungen Jahren gelernt, für sich und ihre Mutter den Haushalt zu führen.

Shokar hatte sein Mahl beendet und drängte nun Merit zum Essen. Sie war nicht daran gewöhnt, vor einem Herrn zu essen, doch Shokar bestand darauf, dass sie es tat. Es war nicht zu übersehen, dass er Gefallen an ihr fand. Merits Herz begann zu klopfen. Würde er sie heute auf sein Lager holen? Es sah ganz danach aus.

Shokar wartete, bis Merit gegessen hatte. Dann sprach er sie an.

„Merit, ich will dich etwas fragen. Bitte antworte mir ehrlich.“

Merit sah ihn an. „Möchtest du heute Nacht hier bleiben oder möchtest du lieber gehen?“

Merit war erstaunt. Warum fragte er sie? Er musste doch nur befehlen und sie würde tun, was er verlangte.

„Es ist mir wichtig, dass dies deine freie Entscheidung ist“, fuhr er fort. „Ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht auch möchtest. Auch im Haus meines Vaters habe ich nie eine Dienerin gezwungen, bei mir zu liegen. Sie konnten sich immer frei entscheiden.“

Merit betrachtete ihn überrascht. Er hatte also doch schon Erfahrungen gemacht. Als er sie am ersten Abend weg schickte, hatte sie etwas anderes vermutet. Nach einer kleinen Pause erklärte sie ihm: „Ich möchte hier bleiben. Aber ich habe noch nie…“

Ihre Stimme geriet ins Stocken.

„Hab keine Angst. Ich werde sanft zu dir sein. Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst.“

Shokar sprach weiter zu ihr in ruhigen Worten, während er sie zu seinem Lager führte. Auch während er sie langsam entkleidete, sprach er weiter. Allmählich schwand der ängstliche Ausdruck aus Merits Gesicht. „Du bist so schön! Weißt du das?“

Sie sollte schön sein? Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Aber Shokar sagte es. Und er meinte dies auch. Sie konnte es an seiner Stimme hören.

Shokar schälte sich langsam aus seiner Tunika, gab ihr Zeit, sich an seinen Körper zu gewöhnen. Ihre Augen wurden rund, als sie ihn genau ansah.

„Das geschieht mit mir, wenn ich eine Frau sehe, die ich begehre.“ Seine sanfte Stimme verführte sie, versetzte sie in eine Traumwelt. Die Wirklichkeit um sie herum begann zu verblassen.

Shokar begann sie zu streicheln und ermutigte sie, das auch bei ihm zu tun. Er erklärte ihr, dass er zuerst eine kleine Barriere in ihrem Körper überwinden musste, bevor sie beide das Zusammensein genießen konnten. Deshalb würde es einen kurzen Schmerz geben, um sie zu öffnen.

Sein Streicheln versetzte Merit in eine Stimmung, in der sie bereit war, ihm alles zu gestatten, was er mit ihr tun wollte. Seine Worte zeigten, dass er sich um sie sorgte. Sie fühlte, wie ihr Streicheln auch seinen Körper in Aufruhr versetzte. Sie hatte nicht gewusst, dass eine Frau dies bei einem Mann erreichen konnte. Es war eine machtvolle Gabe.

Die Zeit verstrich, ohne dass es den beiden Menschen auf dem Lager gewahr wurde. Sie waren mit sich selbst beschäftigt und genossen ihr Zusammensein. Als Shokar schließlich in sie eindrang, war Merit gegen den Schmerz gewappnet. Er dauerte wirklich nur einen Augenblick.

Die Empfindungen, die danach kamen, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Während sie auf dem Gipfel der Extase dahin trieb, nahm sie wahr, dass auch Shokar sich in einem Rausch befand, genau wie sie. Sie sahen sich tief in die Augen und es ermöglichte ihnen, ihre Empfindungen zu teilen. Merit wusste nicht, ob Shokar das Gleiche empfand. Sie selbst hatte sich in ihn verliebt und es erschien ihr wie ein Wunder, dass ihr etwas Derartiges geschah.

Eng umschlungen schliefen sie den Rest der Nacht zusammen. Das Dröhnen des Gongs, das Shokar zum Unterricht rief, ließ sie erschrocken auffahren. Shokar streifte sich seine Tunika über, stopfte sich rasch etwas von den Überresten des Abendmahls in den Mund und spülte das Ganze mit einem langen Schluck aus dem Krug mit dem Wasser hinunter.

„Wir sehen uns heute Abend!“, rief er. Dann stürzte er zur Tür hinaus.

Merit war beschämt. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihm ein frisches Morgenmahl zu bringen und das rechtzeitig, damit er ohne Hast den Tag beginnen konnte. Sie wusste doch, wie sehr die Priester Eile verabscheuten.

Was noch schlimmer war, Shokar hatte nicht ausreichend essen können. Nun musste er bis zum Mittag ausharren, bis er etwas zu sich nehmen konnte und auch das würde nicht viel sein. Wegen der Hitze gab es mittags nur wenig zu essen. Das Hauptmahl des Tages gab es abends.

Merits Blick wanderte zum Krug. Er sollte immer mit frischem, kühlem Wasser gefüllt sein. Sie erhob sich, um selbst einen Schluck zu trinken. Dabei verzog sie das Gesicht. Völlig schal und abgestanden! Wie hatte Shokar das nur trinken können?

Shokar … Ihre Gedanken gerieten ins Träumen. Er hatte Gefühle in ihr erweckt, von denen sie niemals geglaubt hätte, dass diese in ihr ruhen würden. Er hatte erreicht, dass sie sich nicht wie eine Dienerin gefühlt hatte, als er all diese wunderbaren Dinge mit ihr getan hatte.

„Merit, bist du da drin?“ Die Stimme von Noala unterbrach ihre Tagträume. „Komm mit uns, wir wollen endlich unser Morgenmahl haben.“

Es war üblich, dass die Dienerinnen, nachdem ihre Herren gegangen waren, die Reste des Frühstücks für sich nutzten. Dazu gingen sie zu ihrer Kochstelle. Kein Priester würde sich herablassen, dort zu erscheinen. Deshalb blieben die Dienerinnen dort ungestört.

Hastig zog sich Merit an, griff nach dem Tablett und eilte zur Tür hinaus. Noala und Bessara musterten erst sie, dann das Tablett, das nicht nach Frühstück aussah. Dann sahen sich beide an und nickten bedeutungsvoll. Anschließend begannen sie zu grinsen.

„Was ist los?“, wollte Merit wissen, während sie versuchte, zu verbergen, was in ihr vorging.

„Du hast so ein Leuchten in den Augen.“ Es war unmöglich, vor Noala etwas geheim zu halten.

„Hat dich Shokar nun doch auf sein Lager geholt? Natürlich hat er das. Schau nur, Bessara, wie sie strahlt. Du musst uns alles erzählen. Wie war er? Hat er dir Freude bereitet? So wie du aussiehst, hat er nicht nur an sich selbst gedacht. Manche Männer tun das nämlich.“

Mit einem Seitenblick zu Bessara verstummte Noala plötzlich. Das war nicht sehr taktvoll gewesen, wenn man bedachte, wie Kerlak Bessara behandelte.

Merit schaute kurz zu Bessara hinüber und erkannte neue blaue Male auf ihren Armen. Arme Bessara! Während sie, Merit, zum ersten Mal die Freuden des körperlichen Zusammenseins genossen hatte, war Bessara wieder gequält worden. Schuldbewusst senkte sie ihren Blick.

Bessara richtete das Wort an sie: „Hör mal, du kannst nichts dafür. Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe. Es ist nur, ich fühle mich so hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Du warst nur der letzte Tropfen, der den Krug zum Überlaufen brachte Dann habe ich alles herausgelassen, was in mir am Kochen war. Verzeihst du mir?“

Merit setzte ihr Tablett auf den Boden, lief zu Bessara und umarmte sie. Die drei Mädchen hatten nur sich selbst, um sich umeinander zu kümmern. Niemand sonst hatte bisher Interesse an ihnen gezeigt. Ob es ihnen gut ging, ob sie Sorgen hatten, das schien bisher niemanden zu interessieren. Deshalb redeten sie viel miteinander und teilten ihre Gedanken.

Auch wenn sie einmal ärgerlich aufeinander waren, versuchten sie immer rasch, sich wieder zu vertragen. Sie waren Freundinnen, sie waren wie eine Familie.

Merit konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass sie über alles berichten würde, was in der letzten Nacht geschehen war. Schon bei dem Gedanken daran wurde sie rot im Gesicht.

An der Kochstelle ließen sich die Mädchen nieder und Bessara und Noala teilten ihr restliches Morgenmahl mit Merit, weil diese doch keine Zeit gehabt hatte, selbst eines zu richten. Merit sah mit einem Stirnrunzeln im Gesicht, dass ihre Freundinnen schon wieder grinsten. Nun erwarteten sie einen Bericht.

In dem Bestreben, möglichst wenig zu erzählen, gelangte Merit von einer Verlegenheit in die andere. Bessara und Noala bemerkten dies und drangen nicht weiter in sie.

Stattdessen begann Noala zu erzählen, wie es ihr mit Farik erging. Auch Noala erzählte nicht alles, das wusste Merit nach den Erfahrungen der letzten Nacht. Noala konnte dennoch ausdrücken, dass sie Farik zugetan war.

Merit lernte dadurch, wie sie ihre Worte in ähnlicher Weise wählen konnte. Das was im Inneren in ihr vorging, konnte sie als Geheimnis bewahren, es war ihr größter Schatz.



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