Читать книгу Spuren im Strom der Zeit - Lisa Ravenne - Страница 7

Kapitel 2 - Gegenwart

Оглавление

Kayla nahm ihre Walking-Strecke wieder auf. Das Walken hatte einen festen Termin in ihrem Tagesablauf. Es half ihr, Kraft zu finden. Außerdem konnte man dabei wundervoll abschalten und den Gedanken freien Lauf lassen – sofern nicht besondere Umstände dies verhinderten.

Was war das gerade gewesen? Sie hatte einem fremden jungen Mann geholfen, aus einer persönlichen Krise herauszufinden und fertig. Eben nicht fertig! Irgendetwas schlich sich hartnäckig immer wieder in ihre Überlegungen ein.

Was hatte sie überhaupt dazu gebracht, einen Fremden anzusprechen? Wenn man in einer Stadt mit vielen Menschen lebte, gewöhnte man sich an, Abstand zu halten. Viele Menschen nahmen es einem übel, wenn man sich zu sehr für sie interessierte. Aber in diesem Fall hatte sie nicht anders handeln können. Etwas in ihrem Inneren hatte sie geradezu gedrängt, aktiv zu werden. Warum nur?

Stephens Gesicht tauchte von neuem vor ihrem inneren Auge auf. Es lag etwas Vertrautes darin, etwas lange Vermisstes. Es ließ ihr keine Ruhe. Doch sie kam nicht drauf. Vorerst musste sie es ruhen lassen. Wenn sie sich mit anderen Dingen beschäftigte, würde es ihr bestimmt irgendwann einfallen.

Kayla beendete ihren Lauf an ihrer Gartentür. Ein Wagen fuhr gerade vor. Nicht gerade das neueste Modell. Kayla wunderte sich immer wieder, wie Liz die alte Klapperkiste überreden konnte, noch einmal anzuspringen.

Gutes Timing jedenfalls! Liz hatte wieder einmal genau den richtigen Zeitpunkt für einen Besuch gefunden. Nun konnten sie sich einen Tee machen und gemütlich zusammensitzen.

Kayla und Liz waren schon lange die besten Freundinnen. Sie erzählten sich alles, hatten gemeinsame Interessen. Wenn sie Liz über das Vorgefallene berichtete, konnte sie vielleicht herausfinden, was das alles zu bedeuten hatte.

Liz stieg aus dem Wagen, eine kleine Kuchenschachtel in der Hand haltend und wandte sich an Kayla, nachdem sie den Blick registrierte, mit dem ihre Freundin ihren Wagen musterte.

„Sag keinen Ton über mein Auto! Ich kenne deine Meinung dazu. Mein Wagen spürt, dass ich ihn gern habe. Deshalb macht er auch alles, was ich von ihm will.“

Nach einem prüfenden Blick in Kaylas Gesicht stoppte sie den Redeschwall über ihr Lieblingsthema.

„Was ist denn mit dir los? Hast du einen Geist gesehen? Dich plagt doch was. Ich will alles darüber wissen. Krieg ich einen Tee?“ Liz griff sich in ihre kurzen blonden Haare und verwuschelte sie.

Das war Liz. Nur nicht lange um den heißen Brei herumreden, wenn man auch gleich zum Kern der Sache kommen konnte. Kayla war dankbar, dass Liz‘ Erscheinen sie vorerst von ihren Gedanken abhielt. Während sie Vorbereitungen für einen gemütlichen Nachmittagstee in ihrer Küche traf, fand sie wenigstens teilweise ihre innere Ruhe wieder. Liz wartete, bis der Tee fertig auf dem Tisch stand und sie beide saßen.

„Und jetzt erzählst du mir, was los ist. Was beunruhigt dich so?“

Kayla berichtete darüber, dass sie schon den ganzen Tag unruhig gewesen war. Sie hatte ständig das Gefühl gehabt, etwas Wichtiges zu verpassen. Liz hatte in der Vergangenheit schon einige Male erleben können, wie die Vorahnungen, die Kayla hatte, später eine Rolle spielten. Deshalb nahm sie Kaylas Gefühl ernst.

Kayla erzählte, wie sie Stephen getroffen hatte und ihm helfen konnte. Seitdem hatte sie ständig Stephens Augen vor sich. Sie hatte das Gefühl, sie müsste ihn kennen und wusste doch nicht, woher. Ständig zerbrach sie sich den Kopf darüber und konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken.

Wenn sie dem Inline-Skater nicht hätte ausweichen müssen, hätte sie Stephen auf der Bank gar nicht gesehen.

Liz sah sie nachdenklich an. „Und wenn du ihn gar nicht aus diesem Leben kennst, sondern aus einem anderen davor? Vielleicht suchst du in der falschen Richtung.“

Kayla wollte den Gedanken erst als nicht passend abwehren, kam dann aber doch darauf zurück.

Liz hakte nach. „Du könntest eine Meditation machen. Du wünschst dir, herauszufinden, woher du Stephen kennst. Vielleicht können die Spirits dir helfen.“

Kayla dachte über den Vorschlag nach. Was konnte ein Versuch schon schaden?

„Soll ich dir helfen? Ich könnte dich durch die Meditation führen.“

Manchmal war es besser, wenn eine außenstehende Person die Übersicht behielt, während die innere Sicht durchgeführt wurde. Kayla vertraute Liz bedingungslos und stimmte zu. Liz war, genau wie sie selbst, eine erfahrene Meditationslehrerin.

Die beiden Frauen setzten sich ins Wohnzimmer auf den Teppich und Kayla nahm ihre Meditationshaltung ein. Liz begann, leise und beruhigend zu sprechen und Kayla überließ sich ihrer Führung. Nach den ersten Schritten bat Liz ihre Freundin, ihre inneren Führer zu rufen und ihre Frage zu formulieren. Dann machte sie eine kurze Pause, damit Kayla dies ausführen konnte.

„Wenn du etwas siehst, gib mir Bescheid, damit ich dich weiter leiten kann“, meinte sie nach einer Weile.

Kayla begann zu sprechen. „Ägypten … ein Tempel … ein junger Mann … braune Augen … kahl rasierter Kopf …es ist Shokar!“ Kaylas Stimme wurde aufgeregter.

Liz beruhigte sie sofort. „Sieh es dir in Ruhe an. Der Anfang ist gemacht. Du wirst es nicht wieder vergessen. Du musst nicht alles gleich erfahren. Hör auf, wenn es zu viel wird.“

Kayla gelang es nicht, wieder völlig ruhig zu werden. „Ich hab ihn gefunden! Wie konnte ich ihn nur vergessen? Ich liebe ihn doch!“

Liz fand es an der Zeit, die Meditation zu beenden.

„Kayla, es ist gut. Genug für den Augenblick. Komm zurück!“

Den letzten Satz sagte sie mit Nachdruck. Sie wusste, dass es nicht einfach war, in einer solchen Situation einfach aufzuhören. Der Drang, mehr zu erfahren, ließ einen nicht mehr los. Liz sprach weiter, führte Kayla aus der Meditation heraus, ließ ihr dabei keine Pause, damit Kayla nicht wieder zurückglitt.

Als Kayla wieder vollständig klar war, stellte Liz ihr eine Schachtel mit Taschentüchern zurecht und verschwand in der Küche, um erneut Tee zu kochen. Kayla brauchte ein paar Momente, um dem Erlebten nachzuspüren und ihre Gedanken zu ordnen.

Nach einer Weile kam sie zurück mit zwei Bechern Tee in der Hand. Kayla hatte sich inzwischen auf die Couch gesetzt. Sie wischte sich die Augen. Liz stellte einen der Becher vor ihr ab und wartete. Kayla würde reden, sobald sie soweit war. Es bestand kein Grund, sie zu drängen. Sie hatten Zeit.

Kayla nahm einen Schluck Tee. Ihre Worte klangen noch halb abwesend.

„Er hat eine andere Augenfarbe. Sie waren früher braun. Jetzt sind sie blau. Deshalb habe ich ihn nicht gleich erkannt.“

„Du meinst, du kennst ihn aus Ägypten? Als du Merit warst? Du meine Güte! Jetzt erinnere ich mich. Du hast mir von Shokar erzählt. Und du meinst, Stephen ist Shokar? Kein Wunder, dass du so aufgeregt bist.“

Liz dachte einen Moment darüber nach. „Was wirst du mit diesem Wissen anfangen?“

Kayla sah ihre Freundin etwas hilflos an. „Das muss ich erst mal verdauen. Ich meine, sieh mich an. Jetzt habe ich Shokar gefunden. Aber es passt nicht zusammen. Er ist jung, er hat sein Leben noch vor sich. Ich bin alt.“

Sie wollte weiter reden, aber Liz unterbrach sie sofort. „Unsinn, du bist nicht alt, gerade mal fünfzig. Das ist noch kein Alter.“

„Du weißt, was ich meine, Liz. Ich muss ihn sein eigenes Leben führen lassen und darf mich nicht einmischen. Diesmal ist etwas schief gelaufen.“

Kaylas Stimme klang so trostlos, dass Liz nach einer Möglichkeit suchte, sie aufzuheitern.

„Hast du deine Erinnerungen jemals aufgeschrieben? Du erinnerst dich an so viele Leben. Vielleicht hilft es dir, einige Dinge klar zu sehen. Möglicherweise erkennst du ein Muster, einen Grund für alles, was geschehen ist.“ Liz sah Hoffnung in Kaylas Gesicht aufleuchten.

„Ich könnte sie in meinen Laptop schreiben. Dann kann ich ergänzen, was mir erst später einfällt. Oder etwas verbessern, wenn ich nicht gleich die richtigen Worte finde. Das ist eine gute Idee! Du bist ein Schatz! Danke!“ Kayla strahlte ihre Freundin an.

Es tat gut, sie so froh zu sehen. Mit dieser Aufgabe würde für eine Weile vergessen können, was sie sonst noch belastete.

Liz verabschiedete sich bald darauf. Sie konnte Kayla jetzt beruhigt allein lassen. Liz war zuversichtlich, dass sie die Geschichten lesen durfte, wenn Kayla sie beendet hatte. Sie freute sich schon darauf. Noch nie war ihr jemand wie Kayla begegnet, die sich an so viel aus vorangegangenen Leben erinnern konnte. Es war spannend, zu erfahren, wie sie gelebt und welche Erfahrungen sie gemacht hatte.

Als Liz weg war, holte Kayla ihren Laptop. Sie schätzte die Möglichkeiten, die sie mit dem kleinen Gerät hatte. Das Ding ersetzte eine ganze Bibliothek. Es befanden sich schon Ordner über Heilpflanzen oder Meditationstechniken darauf, die sie mit Schülern durchführen konnte. Und verschiedene weitere Ordner.

Darren hatte ihr beigebracht, wie man Inhalte schützen konnte, die nicht jeder lesen sollte. Tatsächlich ergaben sich immer weitere Möglichkeiten, den kleinen Computer einzusetzen. Man musste mit der Zeit gehen, auch bei ihren speziellen Fähigkeiten. Sie legte einen neuen Ordner an und suchte den Anfang ihrer Geschichte.

Wo hatte alles begonnen? In Ägypten, ganz sicher. An ältere Zeiten konnte sie sich nicht erinnern. Damals war sie Merit gewesen. Bisher hatte sie in der Rückschau aber noch nicht Merits gesamtes Leben überblicken können. Sie würde einige Sitzungen benötigen, um mehr zu erfahren. Bis das geschehen war, konnte sie nur Bruchstücke aufschreiben. Aber als Einstimmung auf ihr damaliges Leben war das hier genau richtig. Sie begann zu schreiben.




Spuren im Strom der Zeit

Подняться наверх