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Kapitel 7 – Merit und Shokar

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Merit begann, sich auf die Abende zu freuen, wenn Shokar von seinen Unterweisungen zurückkehrte. Es war ihm streng verboten, darüber zu reden, noch nicht einmal mit den anderen Anwärtern. Die Schüler sollten damit lernen, absolutes Stillschweigen zu bewahren.

Deshalb konnte Shokar nichts von seinem Tagesablauf an Merit weiter geben. Dennoch ergab sich genügend Gesprächsstoff. Er berichtete gern über das Zusammenleben mit seiner Familie. Wie Merit schon vermutet hatte, vermisste er sie sehr. Das war nicht das Verhalten, das von einem Anwärter erwartet wurde, doch Merit schätzte ihn deshalb umso mehr.

Merit weigerte sich lange Zeit, mit Shokar gemeinsam zu essen. Als Dienerin sollte sie ihren Herrn unterhalten, während dieser seine Mahlzeit einnahm. Weil aber Shokar nicht nachgab, begann sie endlich, kleine Happen zu essen, damit er Ruhe gab. Niemand sah ihnen zu, deshalb war es wohl nicht so schlimm, wenn sie die Grenzen übertrat.

Shokar behandelte sie immer weniger wie eine Dienerin. Sie war seine Vertraute, seine Geliebte. Schließlich musste er sich eingestehen, dass er sich in sie verliebt hatte. Nach dem Willen der Priester war das jedoch streng verboten. Deshalb würde er ganz gewiss nicht darüber reden. Man würde ihm Merit sonst bestimmt wegnehmen. Schon der Gedanke daran war schrecklich. Er wollte nicht mehr ohne sie sein.

Merit hatte sich schon nach der ersten Nacht in Shokar verliebt. Auch sie wusste um die Gefahr, falls dies offenbar werden sollte. Aus diesem Grund blieb dieses Thema in ihren Gesprächen ausgespart. Sie genossen ihre gemeinsamen Nächte und lebten einfach in den Tag hinein.

Eines Tages kam Noala weinend zur Kochstelle gelaufen. Die Priester hatten entdeckt, dass sie und Farik Gefühle für einander hatten. Deshalb beschloss man, sie zu trennen. Noala durfte nicht mehr für Farik sorgen und es war ihr verboten, ihn zu sehen. Noala war verzweifelt. Bessara und Merit taten ihr Möglichstes, um sie zu trösten. Aber auch sie wussten keinen Rat.

Bessara meinte nur: „In meinem Fall hätte ich nichts dagegen, von diesem Grobian Kerlak getrennt zu werden. Er fühlt sich nur selbst gut, wenn er anderen seine Macht zeigen kann. Und das kann er am besten, wenn er jemandem Schmerzen zufügen kann.“

Die Mädchen sahen nicht, dass sich Fariks Lehrer Julak unbemerkt genähert hatte. Er wollte Noala zu einem anderen Dienst im Tempel einteilen, wo sie Farik nicht sehen würde. Die letzten Worte von Bessara hatte er gehört.

Er trat zum Feuer, woraufhin die Dienerinnen ihn endlich entdeckten und erschrocken verstummten. Noch nie war einer der Priester hierhergekommen. Daher hatten sie sich immer sicher gefühlt und deshalb sehr frei gesprochen.

Julak blieb zuerst stumm. Er war mit seinen Gedanken beschäftigt. Sollte es ein Fehler gewesen sein, jedem Anwärter eine persönliche Dienerin zuzugestehen? So, wie es gerade lief, war es nicht geplant gewesen.

Man wusste doch um die Entwicklung junger Männer. Von ihnen zu verlangen, dass sie sich in Enthaltsamkeit übten, hielt man für unmenschlich. Erst wenn ein Anwärter zum Priester geweiht wurde, begann man ihm Enthaltsamkeit nahezulegen. Man glaubte, so könne man die Rituale besser durchführen. Wenn ein Priester wusste, worauf er verzichtete, war dieses Opfer umso mehr wert.

Doch nicht alle Priester folgten diesem Vorschlag. Es lag in der Verantwortung jedes Einzelnen.

Das Beispiel von Farik und Noala zeigte aber auch, dass man ungebührliches Verhalten geradezu gefördert hatte. Und wenn Kerlak tatsächlich seine Dienerin benutzte, um Macht und Gewalt auszuüben, war dies ebenfalls ein Verhalten, das auf keinen Fall geduldet werden konnte. Die Einzigen, die ihre Aufgabe anscheinend so erledigten, wie sie gedacht war, waren Shokar und seine Dienerin.

Hätte Julak gewusst, wie sehr er falsch lag mit seiner Vermutung, wäre er bestürzt gewesen. Doch bisher gab es keine Beweise für ein Fehlverhalten.

Er begann zu sprechen und wies zunächst Noala eine neue Aufgabe zu. Noala nickte zaghaft, froh darüber, dass man sie nicht ganz aus dem Tempel entfernt hatte.

Als nächstes rief Julak Bessara zu sich. Er betrachtete die blauen Flecke auf den Armen, die ein unterschiedliches Heilungsstadium aufwiesen und damit anzeigten, dass nicht nur ein einzelnes Fehlverhalten Kerlaks vorlag. Dann wies er sie an, ihre Tunika abzulegen. Hier waren die Verletzungen noch viel schlimmer. Kerlak hatte offenbar darauf geachtet, dass man so wenig wie möglich sah.

Die Mädchen schnappten beim Anblick der großen blauen Male an Bauch und Rücken erschrocken nach Luft. Bessara hatte nie gesagt, wie schwer ihre Verletzungen waren.

Bessara durfte sich wieder ankleiden.

„Du wirst nicht mehr zu Kerlak gehen. Wenn ihm Essen gebracht werden muss, wird es in Zukunft vor seiner Tür abgestellt. Niemand von euch reinigt sein Zimmer.“

Julak verließ die Kochstelle, um sich mit den anderen Priestern zu beraten. Er ließ drei junge Frauen zurück, die jede aus einem anderen Grund zutiefst verstört waren. Deshalb war es ihnen auch nicht möglich, sich richtig auszusprechen. Jede war mit den eigenen Gedanken beschäftigt.

Noala trauerte Farik nach, den sie richtig lieb gewonnen hatte. Gleichzeitig schämte sie sich, dass sie Bessara nicht gefragt hatte, was denn Kerlak mit ihr trieb.

Merit ging es ähnlich. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen Bessara. Wenn sie doch nur gewusst hätte, wie schlecht es ihrer Freundin ging. Aber was hätte sie schon tun können, als Dienerin? Bestimmt hätte sie es Shokar mitgeteilt. Vielleicht hätte er etwas unternehmen können.

Shokar! Wenn man herausfand, wie sehr sie sich zugetan waren! Dann würde man auch sie trennen! Das durfte auf keinen Fall geschehen!

Merit murmelte etwas Unverständliches. Mit traurigem Blick wandte sie sich ab und trug ihr Tablett zu Shokars Unterkunft.

Shokar war schon da. Als er ihre verstörte Miene sah, verzichtete er darauf zu fragen, warum sie nicht früher gekommen war. Er nötigte Merit, sich zu setzen und wollte wissen, was los war. Stockend begann Merit zu erzählen.

Anschließend fing er an, auf und ab zu gehen, um besser nachdenken zu können, wobei er sich immer wieder mit einer Hand über den rasierten Kopf fuhr. Damit versetzte er allerdings Merit in Unruhe. Sie befürchtete, dass er sich nun zurückziehen könnte.

Als Shokar ihr kurz ins Gesicht blickte, sah er, wie verzweifelt sie war. Sofort eilte er zu ihr hin und zog sie in seine Arme.

„Sei ganz ruhig, noch ist für uns nichts verloren. Wir müssen nur noch viel vorsichtiger sein als bisher. Keiner darf wissen, dass wir uns lieben. Wir werden den Anschein wahren, auf den sie hier so sehr Wert legen.“

Merit war erleichtert. Shokar hatte nicht vor, sie aufzugeben. Er hatte sogar von Liebe gesprochen. Shokar zog sie zum Lager. Sie stürzten sich mit der Leidenschaft der Verzweiflung aufeinander. Alle Vorsicht war vergessen. Das Abendmahl blieb unberührt.

Unterdessen waren die Priester zu einem Ergebnis ihrer Beratungen gekommen.

Es gab im Tempel eine ältere Dienerin, Mesut, die man nicht fortgeschickt hatte, als ihr viele der Aufgaben zu anstrengend wurden. Sie war dazu eingeteilt, die Plätze vor den Tempelgebäuden zu fegen. So konnte sie eine sinnvolle Aufgabe erfüllen. Angesichts des vielen Sandes, der ständig durch den leichten Wind herangeweht wurde, konnte sie ihre Aufgabe auch nie beenden. Damit war sie ständig beschäftigt.

Mesut sollte nun den beiden Anwärtern Farik und Kerlak das Essen bringen und ihre Räume sauber halten. Die anderen Dienerinnen würden das Essen zubereiten und die gebrachte Kleidung reinigen.

Nur Merit würde weiterhin als persönliche Dienerin Shokars tätig sein, da es bisher keine Anzeichen für ein Fehlverhalten gegeben hatte. Man wollte allerdings ein strenges Auge auf die Beiden richten, um sofort einschreiten zu können, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte.

Sunit, Kerlaks Lehrer, begab sich zu seinem Schützling. Er machte ihm klar, dass man von seinem Fehlverhalten zutiefst enttäuscht war. Es hatte auf der Kippe gestanden, ob man ihn aus dem Tempel ausschließen würde. Man wollte ihm jedoch eine Möglichkeit geben, sich zu ändern. Bei der nächsten Verfehlung, sei sie auch noch so gering, würde Kerlak den Tempel verlassen müssen. Es war ihm nicht gestattet, sich einer Dienerin zu nähern. Er musste zeigen, dass er sich unter Kontrolle hatte. Sonst war er als Priester ungeeignet.

Kerlak war bestürzt, dass es bekannt war, wie er Bessara behandelt hatte. Warum machten sie bloß so viel Aufhebens um eine Dienerin? Dennoch, nach Hause zurück konnte er nicht, sein Vater hätte ihn wegen dieser Schmach aus dem Haus geprügelt, oder ihm Schlimmeres angetan. Deshalb versprach er eilig, sein Verhalten zu bessern und alles zu tun, was man von ihm erwartete.

Sunit verfolgte seine Äußerungen mit Misstrauen. Er nahm ihm diesen neuen Eifer nicht ab. Jemand, der zuvor so verwerflich gehandelt hatte, würde sich nicht schlagartig ändern. Sunit würde Kerlak unter strenger Beobachtung halten.

Sunit seufzte. Drei Anwärter hatte es in diesem Jahr gegeben. Nun hatten bereits zwei davon eine Schwäche gezeigt. Aber standen sie nicht alle erst am Anfang ihrer Ausbildung? Man musste sie eben erst formen, sich entwickeln lassen. Das war die Aufgabe der Lehrer.




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