Читать книгу Magie aus Tod und Kupfer - Lisa Rosenbecker - Страница 9
Kapitel Drei
ОглавлениеMit einem tiefen Seufzen erhob ich mich, stieg aus der Wanne und streifte einen Bademantel über. Ein erneutes Klingeln trieb mich zur Eile an, als ich den Gürtel festzog. Ich riss die Badezimmertür auf und rief: »Eine Sekunde!«
Ich schlüpfte noch in meine Socken, dann lief ich die Treppe hinunter, griff nach der Klinke der Haustür und hielt inne. Ich spürte nichts. Ich konnte nicht sagen, wer hinter der Tür stand. Dabei bemerkte ich sonst jeden Besucher, noch bevor er das Grundstück betreten hatte. Auch damit schien es vorbei zu sein. Sollte ich fragen, wer es war? Oder offenbarte das meine Schwäche? Prompt kehrte der Schmerz zwischen meinen Schulterblättern zurück. Also doch der Stress …
»Ilena? Ist alles in Ordnung?«, klang es dumpf von der anderen Seite. Trotzdem erkannte ich die Stimme sofort. Erleichtert stieß ich die Luft aus und öffnete die Tür.
»Hallo, Rya.«
Sie erwartete mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihre braunen Augen strahlten, als sie mich sah, und sie fiel mir fast augenblicklich in die Arme. Ich drückte sie ebenfalls. Dann schob sie mich von sich und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ihre gute Miene bröckelte und ich wandte den Blick ab.
»Willst du reinkommen?«, fragte ich, ehe sie etwas zu meinem Zustand sagte. Es waren nur ein paar Kilo, die ich abgenommen hatte, nichts Dramatisches. Ich musste mich erst noch an die Umstellung beim Essen gewöhnen.
Sie setzte ein fröhlicheres Gesicht auf und nickte. »Gern. Ich bin allerdings nicht allein. Nick und Xanthos stellen noch den Wagen ab.«
Ich hob eine Augenbraue. »Und dazu braucht es zwei Personen?«
Rya zuckte mit den Schultern. »Neues Auto, neue Technik und tausend Begriffe, die ich nicht kenne. Angeblich kann das Auto von allein einparken und das wollen sie ausprobieren.«
»Also braucht es zwei Krieger und eine künstliche Intelligenz, um ein Auto in eine Lücke zu quetschen. Das nenne ich Fortschritt.«
Kichernd folge Rya mir auf den Flur und streifte die Schuhe ab. »Ich habe deinen Humor vermisst«, sagte sie. Ich zuckte zusammen, was Rya mit einem irritierten Ausdruck zur Kenntnis nahm. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja«, sagte ich zögernd. »Ich habe dich auch vermisst. Ich ziehe mir schnell was anderes an, bin gleich wieder da.« Den ganzen Weg die Treppe hinauf spürte ich ihren Blick im Rücken. Im Schlafzimmer ließ ich mich gegen die Wand sinken und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Es stimmte, ich hatte sie während ihrer Missionen sehr vermisst, aber Rya war es auch gewesen, die mich nach Hause geschickt hatte. Weil ich ohne Magie keine Hilfe war. Dieser Stachel saß noch tief und ich musste endlich darüber hinwegkommen. Oder meine Macht zurückbekommen, damit ich ihnen wieder eine Stütze statt einer Bürde war. Ich schlüpfte erst in meine Unterwäsche, dann in eine dunkle Jeans und einen schwarzen Strickpullover. Meine Haare fasste ich mit einem Gummiband zu einem Knoten zusammen. Mit Schminken hielt ich mich gar nicht erst auf, denn genau wie das Kochen war das eine Fähigkeit, die ich ohne Zauber nicht beherrschte. Puder und Wimperntusche befanden sich in meinem Repertoire, der Rest stellte mich vor ein Rätsel.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, waren die Krieger bereits eingetroffen. Aus dem Augenwinkel sah ich Xanthos rechts auf einem Sessel sitzen und widerstand dem Drang, ihn direkt anzusehen. Mein Puls beschleunigte sich, gleichermaßen aus Freude und Nervosität. In den letzten Wochen hatten wir nicht viel voneinander gesehen, aber in der Zeit, die wir zusammen gewesen waren, hatte sich etwas in mir verändert. Meine anfängliche Abscheu ihm gegenüber war verpufft, als er nach der folgenschweren Nacht im Museum kommentarlos mein Haus auf Vordermann gebracht und mir bei den alltäglichen Herausforderungen einer Normalsterblichen ohne Magie unter die Arme gegriffen hatte – ohne sich über mich lustig zu machen. Das hätte ich von Nick erwartet, bei Xanthos hatte es mich überrascht. Genauso wie seine Geduld, als ich den dreien bei den Missionen mit meinen unzähligen gescheiterten Zauberversuchen auf den Keks gegangen war. Dabei brachten wir uns sonst gegenseitig in fast jeder Unterhaltung zur Weißglut.
Am meisten Angst machte es mir, wie sehr mich das erste ehrliche Lächeln von ihm aus dem Konzept gebracht hatte. Deswegen wollte ich mich noch einen Moment fassen und in Sicherheit wiegen, bevor ich mich ihm und seinem durchdringenden Blick stellte. Der Tag hatte den Großteil meiner Kraftreserven bereits aufgebraucht, jede Sekunde Auftanken galt es zu nutzen.
Ich ging auf Nick zu, der zusammen mit Rya auf dem Sofa saß. Er stand auf und drückte mich zur Begrüßung überraschend fest, sodass mir die Luft wegblieb. Dann hob er mich ein Stück hoch und ein Lachen kämpfte sich aus mir heraus.
»Du Angeber«, murmelte ich und zupfte an seiner schwarzen Jacke, nachdem er mich wieder abgesetzt hatte. Er gab mich frei und grinste mich spitzbübisch an. Bei Hekate, Rya tat ihm so gut. Ich hatte ihn noch nie so glücklich und strahlend gesehen.
»Wie geht es dir?«, fragte Nick. Er wandte den Blick nicht von meinem Gesicht ab, doch mir war klar, dass er trotzdem sehr aufmerksam jede meiner Bewegungen abschätzte, wie ein Krieger im Kampf, der in Körpern las wie in Büchern.
»Gut, danke. Und selbst?«
»Auch. Es ist schön, dich wiederzusehen.« Nick trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf den Sessel frei. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Xanthos machte keine Anstalten, aufzustehen. Er nickte mir lediglich zu und musterte mein Gesicht. Mein Blick huschte über seinen Körper, der in einer dunkelblauen Jeans und einem khakifarbenen Pullover steckte. Die Musterung entging ihm natürlich nicht.
»Mágissa«, sagte er knapp. Sein rechter Mundwinkel zuckte.
»Idiot«, erwiderte ich die Begrüßung.
Es würde nicht lange dauern, bis es eskalierte. Jede Begegnung endete in einer Auseinandersetzung, mal mehr, mal weniger laut. Es war anstrengend, aber auch ein Ritual, das mich beruhigte und mir zeigte, dass manche Dinge sich nicht änderten. Mein Bauch kribbelte voll Vorfreude.
Doch diese sackte in sich zusammen, als mir die weiße Strähne auffiel, die von der rechten Schläfe aus Xanthos’ Haar durchzog. Ich legte den Kopf schief und musterte sie prüfend. Nein, die hatte er sich sicher nicht selbst gefärbt. Im Raum wurde es still, was meinen Verdacht bestätigte, dass etwas nicht stimmte. Ich ging auf Xanthos zu, der sich aufrichtete, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er hielt mich nicht auf, als ich an seiner Seite stehen blieb und meine Hand nach seinem Haar ausstreckte. An den Seiten trug er es kurz, dafür war es oben etwas länger als früher. Es stand ihm gut, verpasste ihm etwas Verwegenes. Aber diese Strähne …
Ich fuhr mit den Fingern hindurch. Das Prickeln auf meiner Haut verriet mir, was ich bereits geahnt hatte. Es war keine natürliche Verfärbung und auch kein Friseur hatte hier nachgeholfen. Ich fixierte die Stelle, konzentrierte mich auf die Energie, die …
Xanthos packte mich am Handgelenk und unterbrach die Verbindung.
»Lass das«, sagte er streng und schob mich sanft, aber mit Nachdruck von sich. Seine stahlblauen Iriden strahlten Kälte aus, wie immer lag dieses herausfordernde Glitzern darin.
»Ein Katára. Du wurdest verflucht«, stellte ich feixend fest. Es konnte nur ein schwacher Fluch sein, denn Schlimmeres hätte ich gespürt und mich dann auch nicht darüber lustig gemacht. Xanthos kniff drohend die Augen zusammen, doch ich redete weiter. »Wie hast du das angestellt? Ach, was frage ich? Zu lange mit dir in einem Raum und auch mir juckt es in den Fingern.«
Xanthos starrte mich wortlos nieder, während Rya und Nick mit größter Mühe versuchten, ein Lachen zu unterdrücken. Ich drehte mich zu ihnen um. »Im Ernst, was hat er ausgefressen?«
Rya hob abwehrend die Hände und auch Nick schüttelte den Kopf.
»Das geht dich nichts an«, knurrte Xanthos neben mir und stand auf. Er überragte mich um fast einen Kopf, aber das schüchterte mich nicht ein. Ich wollte etwas erwidern, doch dann erkannte ich ihn – den Grund, aus dem sie hier waren.
Sie wollten meine Hilfe, um den Fluch zu brechen. Und ich musste sie enttäuschen, weil das aktuell nicht in meiner Macht lag. Wie so vieles andere auch.
Xanthos verschränkte die Arme und forderte mich mit finsterem Ausdruck dazu auf, ihm zu widersprechen. Ich wich seinem Blick aus und machte mich auf den Weg Richtung Küche.
»Ich mache Tee.«
Niemand sagte ein Wort, als ich das Wohnzimmer verließ. Doch sobald sie mich außer Hörweite glaubten, redeten die drei miteinander. Der Wortlaut war nicht zu verstehen, nur die Tonlage ließ darauf schließen, dass sie sich nicht einig waren, egal worum es ging. Während der Wasserkocher seine Arbeit verrichtete, lief ich in der Küche auf und ab. Ich bemühte mich darum, mich zu sammeln, damit ich zumindest versuchen konnte, den Fluch zu brechen. Doch meine Magie war nicht mehr als ein dumpfes Gefühl, ein schwacher Schatten in mir, der nichts würde ausrichten können.
Ich konnte nicht helfen. Wieder nicht. Ich hatte Rya und die anderen bereits ein Mal im Stich gelassen und ich würde es wieder tun. Der Preis für die schlechteste Mágissa auf der Welt ging an mich. Ich war nutzlos.
Das Klacken des Wasserkochers riss mich aus meinen Gedanken. Ich schüttete das kochende Wasser in die Kanne und hängte einen mit Darjeeling gefüllten Filter hinein. Rya und die anderen redeten noch immer hitzig miteinander. Es versetzte mir einen Stich, dass sie sich meinetwegen uneins waren. Sie hatten beileibe andere Probleme. Ich wollte nicht auch zu einem werden.
Mit geschlossenen Augen holte ich ein paarmal tief Luft und bemühte mich um Ruhe. Und um ein Lächeln. Ich rief mir schöne Erinnerungen ins Gedächtnis, um auf andere Gedanken zu kommen. Auf bessere. Als ich mich bereit fühlte, richtete ich die Kanne zusammen mit ein paar Tassen, einem Schälchen voll Zucker und einem kleinen Kännchen Milch auf einem Tablett an und brachte alles ins Wohnzimmer. Die Stimmen verstummten, als ich um die Ecke trat, doch die drei standen so eng beieinander, dass es keinen Zweifel gab, worüber sie geredet hatten.
»Setzt euch doch«, sagte ich bemüht fröhlich. »Ihr müsst mir erzählen, wie es mit der Suche nach den Ágalmas läuft. Habt ihr schon alle gefunden?« Ich stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und setzte mich im Schneidersitz davor. Rya nahm auf dem Sofa Platz und zog Nick mit sich. Die beiden lächelten mich aufmunternd an und nahmen die Tassen entgegen, die ich ihnen reichte. Xanthos ließ sich in den Sessel fallen. Er wirkte angespannt. Nichts Neues also, nur gerade stresste mich das mehr, als es sonst der Fall war. Er war verflucht und ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte nicht das tun, wofür ich ausgebildet worden war, wofür ich lebte.
Meine Hände zitterten leicht, als ich auch ihm eine Tasse einschenkte. Er nahm sie wortlos entgegen und stellte sie auf seinem Knie ab.
»Wir haben ungefähr neunzig Prozent der Ágalmas gefunden«, begann Nick zu erzählen. »Luce und Cathy kümmern sich gemeinsam mit ein paar ehemaligen Gorgonen um sie und helfen ihnen bei der Akklimatisierung. Einige von ihnen haben sogar noch lebende Verwandte oder Familie, und wir helfen ihnen dabei, zu ihnen zurückzukehren. Es gibt noch einiges zu tun, aber wir sind sehr zuversichtlich, dass wir es schaffen.«
Ich goss mir selbst Tee ein, schüttete Milch und Zucker hinterher und rührte um. Plötzlich hustete Rya und ich sah auf. Sie fasste sich mit einer Hand an den Hals, in der anderen hielt sie noch die Tasse.
»Verschluckt«, röchelte sie, während Nick ihr sanft auf den Rücken klopfte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte sie sich gefangen. »Es geht wieder, danke.«
Nick ließ die Hand auf Ryas Rücken liegen und nahm selbst einen Schluck Tee. Er zögerte kurz, ehe er die Tasse wieder absetzte. Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst und er schluckte angestrengt, sagte nichts. Mochte er keinen Darjeeling? Was war noch mal sein Lieblingsgetränk? Ah ja, richtig. Ich hob eine Hand und wollte die Flüssigkeit in seiner Tasse mit einem Schnipsen in Kaffee verwandeln, als mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Ich hatte es schon wieder vergessen. Diesen Trick beherrschte ich ebenfalls nicht mehr.
Rya und Nick, die mit Sicherheit genau wussten, was ich vorgehabt hatte, starrten auf meine erhobene Hand, als wäre mir ein dritter Arm gewachsen.
»Ich habe auch Wasser da«, sagte ich in die Stille hinein.
»Danke«, antwortete Nick und nahm zögerlich noch einen Schluck. »Passt schon.«
Xanthos murmelte etwas Unverständliches, dann hob er seine Tasse. Er roch an dem Inhalt, zog die Brauen irritiert zusammen und probierte einen winzigen Schluck. Er verzog angeekelt das Gesicht.
»Das schmeckt ja grauenhaft.«
»In deinen Tee habe ich ja auch reingespuckt«, schoss ich zurück.
Er stellte die Tasse auf den Tisch. »Selbst wenn dem so wäre, würde das mit Sicherheit besser schmecken als dieses Zeug.«
»Stell dich nicht so an«, sagte ich.
Auch ich versuchte nun einen Schluck des Darjeeling und hätte ihn fast quer über den Tisch gespuckt. Er schmeckte wie schmutziges Spülwasser, in das man saure Milch hineingekippt hatte. Meine Zunge fühlte sich ganz pelzig an, als ich das Zeug hinuntergewürgt hatte.
Ich starrte auf den Tee, als wäre er schuld daran. Dann knallte ich die Tasse auf den Tisch und erhob mich. Ich nahm die Kanne mit, da ich dieses Zeugnis meines Versagens schnellstmöglich in den Abfluss befördern wollte.
»Ich hole Wasser.«
Rya stand ebenfalls auf. »Ich helfe …«
Ich hob eine Hand und würgte sie ab. »Keine Sorge, ich zapfe es aus dem Hahn. Da kann nichts schiefgehen.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer. Als Rya jetzt die Stimme erhob und Xanthos anfuhr, verstand ich jedes Wort, doch ich hörte weg. In der Küche angekommen, stellte ich die Kanne ab und griff nach einem Handtuch, das ich quer durch den Raum schmiss. Mehrmals, so lange, bis die Wut auf mich selbst ein bisschen verraucht war.
Ich war zu unfähig, um Tee zu kochen. Tee! Das waren ein paar klägliche Pflanzenblätter, über die man heißes Wasser goss. Einfacher ging es nicht. Und trotzdem verbockte ich es.
»Das Handtuch ist unschuldig«, sagte eine Stimme hinter mir. Xanthos lehnte im Türrahmen und beobachtete mich mit ausdrucksloser Miene.
Ich seufzte. »Soll ich es lieber an dir auslassen?«
»Kannst du gern versuchen, weit wirst du aber nicht kommen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust – definitiv seine Lieblingspose – und ließ die fein definierten Muskeln seiner Arme spielen. Er zog die linke Augenbraue herausfordernd nach oben und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Vermutlich würde er mich mit nur einer Hand und nur einem Bruchteil seiner Kraft überwältigen können. Und das wussten wir beide. Verdammte Krieger.
»Du bist sicher nicht in die Küche gekommen, um meine Einrichtung vor mir zu retten, oder?«
»Nein. Rya hat mich geschickt, damit ich mich für meinen Kommentar entschuldige.«
»Und?«
»Ich werde es nicht tun«, sagte er und schnaubte, als wäre es töricht von mir, das überhaupt als Option in Betracht zu ziehen.
»Wieso nicht?«
»Weil ich nur die Wahrheit gesagt habe.«
»Auf ziemlich harsche Weise.«
Er zuckte zurück. Nach einem Moment des Zögerns biss er sich kurz auf die Unterlippe. »Es tut mir leid, wie ich es gesagt habe. Nicht was.«
Ich griff mir an die Brust. »Dass … Dass ich das noch erleben darf«, hauchte ich theatralisch. Ich zwinkerte. »Entschuldigung angenommen.«
»Sagst du ihr das auch?« Er deutete mit dem Daumen hinter sich.
»Natürlich.«
»Gut. Dann werde ich dir jetzt helfen.«
»Wobei?«
»Einen richtigen Tee zu machen.« Er stieß sich ab und ging auf die Dose mit dem Tee zu, die noch immer dort stand, wo ich sie zuvor hatte stehen lassen. Er öffnete sie, roch daran und verzog das Gesicht. »Wo genau hast du das Zeug her?«
»Aus einem Teeladen.«
»Stand der auf einer Müllhalde?« Xanthos räumte die Dose beiseite und öffnete dann alle Schränke auf der Suche nach einer Alternative. Ein Bild blitzte vor meinen Augen auf. Erst vor wenigen Monaten, kurz bevor wir Ryas wahnwitzigen Plan im Museumsgarten in die Tat umgesetzt hatten, hatten wir uns hier versammelt und ein gemeinsames Frühstück vorbereitet. Ich starrte auf den Herd, auf dem ich damals Apfelstücke karamellisiert hatte. Mithilfe von Magie.
»Xanthos?«
»Mh?« Er ließ sich bei seiner Suche nicht stören. Immer wieder zog er Dosen aus den Regalen, von denen ich nicht mal mehr wusste, wie sie da hingekommen waren. Ein paar davon kamen in die engere Auswahl, er stellte sie auf der Theke ab.
»Mir tut leid, was ich gesagt habe. Und das wie.«
Er hielt inne. Mit misstrauischem Ausdruck drehte er sich zu mir um. »Wovon redest du?«
Ich leckte mir kurz über die Lippen, was ihm nicht entging. Es sorgte dafür, dass er nur noch verwirrter dreinblickte und ein Stückchen näher kam.
»Erinnerst du dich daran, wie wir hier zusammen gekocht haben? Also Nick und ich, und wie du nur danebengestanden und uns gedrängelt hast?« Xanthos lächelte schwach und sah zum Ceranfeld, als sähe er dasselbe Bild wie ich. Er nickte und ich fuhr fort. »Damals habe ich dich angefahren und dich damit aufgezogen, dass du wahrscheinlich gar nicht kochen kannst. Tja, es stellt sich heraus, dass ich ohne meine Magie darin wohl fast genauso schlecht bin wie du, und deswegen sage ich: Es tut mir leid.«
Er schüttelte amüsiert den Kopf. Dann streckte er mir die Hand hin. »Quitt?«
Ich schlug ein. »Quitt.« Sein Händedruck war so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Fest und mit Nachdruck, und mit einem klitzekleinen Hauch einer Drohung. Meine Finger wirkten neben seinen dünn und zerbrechlich, aber ich gab mir alle Mühe, die Kraft zu erwidern.
»Mittlerweile kann ich es übrigens«, sagte er, während er erst den Wasserkocher anmachte und dann neuen losen Tee in einen Filter füllte.
»Was?«, hakte ich nach und beobachtete seine Bewegungen genau. Er nahm für eine Kanne fünf Löffel Tee aus der roten Metalldose.
»Pfannkuchen machen.«
Ich versuchte mir vorzustellen, wie er dabei aussah. Ob er dabei genauso konzentriert und bestimmt dreinblickte wie gerade? Oder ganz anders? »Trägst du eine Schürze dabei? Mit Rüschen?«
»Nein«, sagte er trocken. »Ich koche ausschließlich nackt.« Mir klappte der Mund auf. Dann schoss mir ein Bild in den Kopf, das ich meinen Lebtag wohl nicht mehr vergessen würde. Xanthos, der Mistkerl, wusste es genau. Mit einem süffisanten und äußerst zufriedenen Grinsen goss er das heiße Wasser in die Kanne. »Atmen nicht vergessen«, neckte er mich und sah auf seine Armbanduhr, um die Ziehzeit im Blick zu behalten. Mir fiel partout nichts ein, was ich darauf antworten sollte. Allein die Vorstellung … Sie erheiterte mich nicht nur auf eine Art. Ich betrachtete Xanthos von der Seite und mein Herz zog sich zusammen, als ich die weiße Strähne in seinem Haar entdeckte. Ich hatte sie schon fast wieder vergessen.
»Ich kann dir nicht helfen«, sagte ich. Xanthos drehte sich zu mir um und hatte schon eine mit Sicherheit anzügliche Antwort parat, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte und ihm klar wurde, wovon ich redete. Von einer Sekunde auf die andere verflüchtigte sich der Schalk in seinen Augen. Der heitere Moment war vorbei.
»Mein Fluch, mein Problem.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Deswegen seid ihr doch hier, oder? Weil ihr meine Hilfe braucht?«
»Ja, aber nicht wegen des Fluchs.«
»Nicht? Warum dann? Und was genau bewirkt der Fluch?«
Er zuckte mit den Schultern, als er den Filter aus der Kanne holte. »Keine Ahnung.«
Ich stieß mich von der Theke ab und erhob die Stimme. »Keine Ahnung?! Ist das dein Ernst? Mit so etwas ist nicht zu spaßen.« Er blickte mich vorwurfsvoll an, zu Recht, denn ich hatte mich selbst darüber lustig gemacht.
»Schon klar. Trotzdem weiß ich es nicht. Bisher schränkt es mich nicht ein, daher ist es mir gerade egal. Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen.« Er nahm die Kanne und ging mit ihr ins Wohnzimmer zurück, ohne darauf zu achten, ob ich ihm folgte.
Was bitte war wichtiger als ein Fluch?