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3. Kapitel - Sinai, Halbinsel des Schreckens und der Folterknechte
ОглавлениеZusammen mit seinem Freund Jim Dorney, ein amerikanischer Journalist, flüchtete Peter entlang der mühsamen langen Strecke von Eritrea bis auf den Sinai, um von dort aus über Israel nach Europa zu kommen. Jim war ebenso ein Fürbitter der sogenannten “Gruppe der 15“, die sich aus ranghohen Mitgliedern der Regierungspartei: “Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit”, zusammensetzte. An der eritreischen Grenze trafen sie auf Mustafa, ein eritreischer Staatsbürger, der wie sie die Reise in die Freiheit wagte. Er war noch sehr jung und wollte nicht sein ganzes Leben in den Mühlen des strengen Militärregimes verbringen. Mit Gutheißen und dem Geld seiner Eltern suchte er sein Glück in der ersehnten Freiheit. Erschöpft und müde erreichten sie ihr Ziel in einem östlich gelegenen sudanesisches Lager für Flüchtlinge. Dort erhielten sie gegen bare Dollar frisches Wasser, etwas Brot und ein Feldbett in einem Durchreiselager für die Nacht.
„Ihr müsst vorsichtig sein. Versucht nicht zu fest zu schlafen. Am besten gar nicht, denn manchmal kommen nachts ägyptische Menschenhändler, Beduinen, unbemerkt hereingeschlichen, um solche Leute wie euch zu verschleppen”, sagte ein freundlich wirkender sudanesischer Helfer, der den Männern die Betten zuwies. „Keiner weiß, wie sie es schaffen über die bewachten Zäune hereinzukommen. Sie suchen bewusst Flüchtlinge aus Eritrea aus, um sie auf den Sinai zu verschleppen und um sie dort zu verkaufen, um dann von den Angehörigen in Europa Lösegeld zu erpressen.” „Was ist mit den ägyptischen Grenzbeamten?”, fragte Peter. „Die schauen weg. Warum, das könnt ihr euch sicher vorstellen.” Dabei zeigte er das internationale Zeichen für Geld. Er rieb den Daumen an den Zeigefinger. „Das gleiche gilt auch an der mehr als tausend Kilometer nördlich entfernten Qantara-Brücke, die vom Festland über den Suez-Kanal auf den Sinai führt“, warnte er. „ Wenn ihr genug Dollars bei euch habt, lassen euch die Sicherheitskräfte ohne Probleme passieren.” Beunruhigt legten sie sich auf die unbequemen Betten. Zum Vorteil, dass sie, trotz ihrer Müdigkeit nach dem langen Marsch, nicht zu tief einschliefen. Sorgenvoll dachte Peter an seine Familie. „Hoffentlich ist alles glatt gelaufen. Sie müssten jetzt auf dem Boot sein. Sanira hat genug Geld, um mit den Kindern reibungslos auf dem Boot aufgenommen zu werden. Auch Layla war finanziell gut versorgt. Wenn die Überfahrt über das Mittelmeer einigermaßen ruhig ist, werden sie die Überfahrt überstehen und es wird für sie bei Ankunft in Lampedusa nicht mehr schwierig sein, dass die Behörden sie zu meinen Eltern schicken.“, dachte er. „Mutter war ganz aufgeregt. Sie wollte alles von euch wissen. Sie wartet schon ungeduldig auf unsere Ankunft”, munterte er damals, seine zweifelnde Frau auf. Dieser Gedanke beruhigte ihn erst einmal. Gabi, seine Mutter war überglücklich, als er mit ihr telefonierte und ihr sagte, dass er bald mit seiner Familie zurück nach Deutschland kommen würde. Sie versprach ihm, dass sie vorher alles Notwendig tun würde, wenn Sanira mit den Kindern angekommen sei. Auf sie war Verlass. Das wusste er noch aus seiner Kindheit. Sie hatte einen starken Willen, den sie stur, wenn auch manchmal gegen den Willen ihres Mannes, durchsetzen konnte. Das Licht in dem riesigen Flüchtlingslager war erloschen. Es brannte nur schwach die Notbeleuchtung. Ein primitives Toilettenhäuschen war vor dem Lagereingang aufgestellt. Seinem Harndrang folgend stand Peter auf, um die Toilette vor dem Zelt aufzusuchen. Hinter der verschlossenen Tür des Häuschens hörte er herankommende, schleichende Schritte. Ein winziges Guckloch an der Toilettentür erlaubte ihm einen eingeschränkten Blick auf das Lager. Erschrocken sah er, dass sich eine Gruppe von verkleideten Männern dem Lager näherten. Schwarze Mäntel mit schwarzen Kapuzen verbargen ihr Aussehen. Leise schlichen sie in den Schlafraum. Sie waren mit gebogenen Säbeln und Pistolen an ihren Gürteln bewaffnet. Peter ergriff die Panik, das Blut gefror in seinen Adern. „Ich muss ihnen helfen!”, dachte er, doch unfähig in seiner lähmenden Panik zu handeln. Sie waren auf der Suche nach gewinnbringenden Opfern für ihre grausamen Machenschaften. „Sie werden Menschen entführen. Ich muss Jim und Mustafa warnen”, hämmerte es in seinem Kopf. Doch auch er war in Gefahr. Seine Jacke mit dem Geld in der Jackentasche hatte er auf seinem Bett zurückgelassen. Dann sah er, wie einer der Verbrecher mit seiner Taschenlampe über die Gesichter der schlafenden Männer leuchtete. Er zog seinen Säbel hervor und packte Mustafa. Er zog seinen Kopf an den Haaren hoch und hielt ihm drohend den Säbel an seine Kehle. Mustafa verstand und blieb stumm vor Angst und Schrecken. Er wehrte sich nicht. Heftig und schnell drängte der Entführer Mustafa aus dem Zelt. Mittlerweile war ein anderer Scherge am Bett von Jim angelangt. Peter wollte ihn warnen und ihm zurufen. Doch der Entführer ließ von ihm ab. „Zu kompliziert. Ein Weißer, blonde Haare, womöglich ein Berichterstatter aus Europa. Das könnte große politische Schwierigkeiten geben.” Glück für Jim. Hinter dem Feldbett von Mustafa lag fest schlafend ein anderer junger Mann. Sein Atem war ruhig. Er schlief tief. Seinem Aussehen nach schien er ebenso aus Eritrea zu kommen. Auch diesem Mann drohte ein unglückliches Schicksal, als er unter Gewaltandrohung gezwungen wurde aufzustehen und fast lautlos weggezogen wurde. Widerstandslos und schreckensbleich ging auch er mit seinem Entführer seinem Elend entgegen. Peter konnte diese Szenen nicht weiter untätig mitansehen. Langsam löste er sich aus seiner Erstarrung. Mit seinen Fäusten hämmerte er gegen die geschlossene Toilettentür aus seiner vermeintlichen Sicherheit und schrie aus Leibeskräften:„Macht, dass ihr verschwindet. Wenn ihr die Gefangenen nicht freilasst, bringe ich euch um!” Jim wurde wach. Geistesgegenwärtig griff er unter seine Matratze und richtete drohend seine Pistole gegen die Vermummten. Eiligst verließen die Schergen mit ihren Gefangenen das Lager. Die anderen Menschen im Lager waren ebenso wach geworden und blickten ängstlich den Verbrechern hinterher. Draußen, vor dem Lager, startete ein Motor, der dem Klang nach von einem großen Fahrzeug stammen musste. Jetzt kamen verschlafene Wärter mit Gewehren aus ihren Schlafräumen des Lagers. Jedoch war keiner von dem Geschehen der Nacht überrascht. Peter rannte zu seinem Begleiter Jim. „Jim ich habe alles mitangesehen, ich war auf der Toilette, als sie kamen.” Jim war hellwach. Instinktiv suchte er in seiner Hosentasche nach seinem Geld. Es war noch da. Auch Peter suchte in seiner Jacke, die auf dem Bett lag, nach seinem Geld. Er hatte sie in der Hitze der Nacht ausgezogen und hatte auf ihr geschlafen. Auch sein Geld war noch in den Taschen. „Wir müssen Mustafa helfen. Komm! Noch ist es nicht zu spät!”, drängte Peter.„Wie stellst du dir das vor? Die sind gefährlich und bewaffnet. Wir haben keine Chance! Und wie sollen wir einem fahrenden Auto folgen?” „Wir werden sie finden und sie stellen. Schließlich gibt es auf der ganzen Welt eine Polizei! Wieso ruft denn keiner die Polizei?“ Ein sudanesischen Helfer, der interessiert zugehört hatte, versuchte ebenso wie Jim, Peter von seinem Vorhaben abzuhalten. „Die Polizei schaut weg. Dabei rieb er wieder den Daumen mit dem Zeigefinger. Ihr ahnt nicht, wie gefährlich und brutal diese Entführer sind. Seid froh, dass ihr noch hier seid und sie nicht euch mitgenommen haben. Manchmal nehmen sie auch Weiße mit. Die bringen durch ihre Heimatregierung viel Lösegeld ein.” Darüber hatte Peter von seinen Kollegen in Deutschland erfahren. Der Handel mit Entführungen blühte für Terrorgruppen, die unter anderen mit „al Quaida“ verbündet sind. Unter den Opfern der gequälten Menschen seien außer Eritreer auch Äthiopier, Sudanesen und Somalier. Diese Vorfälle zählten zu einer der größten Tragödien Afrikas. Der Morgen kam, Jim zog schnell seine Kleidung an und forderte Peter auf, dies ebenso zu tun, um weiter zu reisen. Der Weg war noch weit bis zu ihrem Ziel. Die ersten Sonnenstrahlen leuchteten glutrot über die karge Landschaft. Den Männern wurde heißer Kaffee und eine Art von hartem, geschmacklosen Brot gereicht, bevor sie aufbrachen. „Wir müssen auf dem Sinai nach Mustafa schauen”, meinte Peter, als sie ihren Fußmarsch antraten. „Ich habe meine Pistole in meinem Rucksack”, sagte Jim.
„Ich habe einen scharfen Dolch von meinem lieben Freund Masuf im Gepäck. So können wir uns einigermaßen wehren.” Der Weg war meistens steinig und unbefestigt. Die Sonne stand bereits am Zenit und brannte erbarmungslos auf sie herab. Endlich, nach zwei Tagen Marsch, erreichten sie die ägyptische Grenze zu der Sinai-Halbinsel. Die Grenzbeamten empfingen sie wie Verbrecher. Ohne Notiz von ihnen zu nehmen ließen ägyptische Sicherheitskräfte sie über mehrere Stunden in der Polizeiwache sitzen. Peter sprach mehrmals den Sicherheitsmann an, um sie anzuhören und um sie durchzulassen. Während sie in dem Wachraum warteten, sahen sie unter den auf Einlass wartenden Menschen, verwundete Männer und Frauen, die von schlimmsten Folterqualen in Gefangenschaft, durch Beduinen, berichteten. Sie hatten überlebt. Einige saßen schon über Wochen vor den Polizeiwachen. Keiner kümmerte sich um ihre Rechte, die den Entführten internationalen Vereinbarungen zufolge zustanden. Die ägyptische Regierung scherte sich einen Teufel darum, obwohl sie 1951 die Flüchtlingskonvention ratifizierte. Gegenüber von Peter saß eine eritreische Frau in zerlumpten schmutzigen Kleidern und erzählte von ihrer schrecklichen Geschichte: „Vor meinen Augen hatten sie meinen Mann, erst durch Schläge mit Eisenstangen, dann durch Elektroschocks an den Genitalen, erpresst, die Telefon-Nummern von unseren Verwandten in Europa preis zu geben. Als mein Mann bewusstlos gewesen war, hatten sie ihn mit brühend heißem Wasser übergossen, bis er qualvoll an seinen Verbrennungen und Verletzungen gestorben ist.”Bei der Beschreibung dieser Grausamkeiten war sie nicht mehr in der Lage zu weinen. Ihre Augen waren stumpf und blickten ins Leere, während sie ihre traurige Geschichte erzählte. Sie sah wie eine Greisin aus, doch aus ihren Erzählungen zu schließen, musste sie um die dreißig sein. „Als sie bemerkt hatten, dass er tot war, hatten sie mich vergewaltigt. Meinen Mann schoben sie mit den Füßen zur Seite und mich legten sie auf einen Holztisch in der Zelle. Es waren sechs oder sieben. Ich weiß es nicht mehr. Sie waren sehr brutal und waren fast alle betrunken … Sie wollten von mir die Telefonnummern von unseren Verwandten in Europa.“ Nun konnte sich nicht mehr weiter sprechen. Peter war zutiefst berührt und machte sich darüber Notizen. Er war wütend und sich sicher, dass er der Welt über diese Niedertracht berichten würde. Nein, er würde die Welt dafür anklagen, weil sie tatenlos wegschaute. Wenn ihm keiner zuhören wollte, würde er diese Abscheulichkeiten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in die Welt hinausschreien. Dazu fühlte er sich als Reporter verpflichtet! Während er seine Notizen machte, kreisten seine Sorgen um Sanira, Jonas und Esmeralda. Eine andere somalische Frau berichtete von weiteren Gräueltaten. „Kindern wurden sogar Gliedmaßen abgetrennt, das vor den Augen der eigenen Familie. Es wurden ihnen Organe herausgeschnitten, um sie zu verkaufen, wenn die Eltern oder Angehörige aus dem Ausland nicht zahlen konnten.” Auch diese Frau sah erbärmlich aus. Ihre geschwollenen, blau geschlagenen Augen lagen tief in dunklen Augenhöhlen. Jim wollte den Raum verlassen, da es ihm schlecht wurde. Doch erst nach Erlaubnis des anwesenden Sicherheitsbeamten und unter Begleitung eines anderen Beamten durfte er die Toilette aufsuchen. Peter hörte weiter gebannt zu. Die eritreische Frau hatte sich wieder beherrscht und erzählte ihre Geschichte zu Ende: „Meine Peiniger hatten mich blutend und geschunden in der Zelle zurückgelassen und mein toter Mann lag immer noch neben mir auf dem Fußboden. Dann hatte ich das Bewusstsein verloren. Irgendwann bin ich wieder wachgeworden. Ich rief meine Folterknechte , um ihnen alle Telefon-Nummern oder Adressen meiner Familie zu nennen. Die Nummern und Adressen, die mir eingefallen waren. Erst nachdem sie alles überprüft hatten, und wohl ihr Geld hatten, konnte ich gehen, um dann hier zu landen in einem Ort ohne Weiterkommen”, fuhr sie traurig mit schwacher Stimme fort. „Meine Familie zahlte für meine Freilassung 30000 Dollar. Ich weiß nicht, woher sie das Geld hatten.” Sie brauchte Zeit, um weiter sprechen zu können. Peter hörte weiter zu und notierte sich jede Einzelheit. „Jetzt sitze ich hier in der Polizeistation und warte auf ein Wunder. Ich will endlich zu meiner Familie!” „Ja, du hast einen sehr hohe Preis bezahlt, mit dem Leben deines Mannes und die Schändung deiner Person und deiner Seele”, dachte Peter mitleidig. Die anderen Wartenden hörten teilnahmslos zu. Ab und zu erhob einer der Misshandelten den Kopf und nickte zustimmend zu den Schilderungen. Jim war inzwischen wieder zurückgekehrt. „Ich habe eben mit einem Grenzbeamten vor der Toilettentür gesprochen. Er wird uns helfen. Kostet uns zusammen 2000 Dollar. Hast du die Hälfte bei dir?” Peter nickte und Jim nickte diesem Beamten zu, der wartende an der Tür stand und lauerte. Er forderte die beiden Journalisten auf den Raum mit ihm zu verlassen. Peter und Jim folgten ihm durch den Flur. In einem der spärlich eingerichteten Büros saßen zwei weitere Grenzbeamte. Ohne Worte legte Jim die abgezählten 2000 Dollar auf den Schreibtisch. Lächelnd nahm der Leiter der Polizeistelle das Bündel Geldscheine und steckte es in seine Hosentasche. „Meine Herren, es tut mir unendlich leid, dass Sie beim Passieren der Grenze hier in Ägypten Unannehmlichkeiten erleben mussten. Durch die Vielzahl der ankommenden Flüchtlinge, sind unsere Möglichkeiten leider eingeschränkt. Doch nun sind alle Einreisepapiere für Sie beide ausgestellt. Sie können die Grenze problemlos passieren. Viel Glück bei ihrer Weiterreise.” Schweigend, ohne zu antworten, verließen Jim und Peter, mit den notwendigen, zur Ausreise gestempelten Papiere, die Station.