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4. Kapitel - Esmeralda

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Nachdem sich Esmerald a einigermaßen von den körperlichen Strapazen erholt hatte, besuchte sie ein Beamter von der italienischen Einreisebehörde. Die freundliche Krankenschwester half ihr zuvor in die für Flüchtlinge zur Verfügung gestellten Kleidungsstücke.„Wo sind meine Kleider?”, fragte sie in Erinnerung daran, dass darin ihr Geld und ihre Papiere eingenäht waren. Dann wusste sie von Dr. Fontane, dass man die Formulare in ihrem Rock gefunden hatte. Was war mit dem Geld? „Deine eigene Kleidung liegt sicher aufbewahrt in einer dafür vorgesehenen Station. Dein Geld ist sicher in unserer Abteilung für Besitztümer von Flüchtigen aufbewahrt. Dr. Fontane wird es dir, wenn deine Reise weiter geht und du es wünschst, aushändigen. Er wird persönlich dafür sorgen, dass du bald sicher bei deiner Familie in Deutschland sein wirst.” Esmeralda atmete erleichtert durch. „Du hast großes Glück. Die meisten anderen Menschen, die hier angekommen sind, kamen ohne Papiere in unser Lager. Alle behaupten, dass sie europäische Verwandte hätten. Doch viele haben niemanden. Dann wissen die Beamte nicht, was sie mit ihnen anstellen sollen. Fast keiner der europäischen Staaten will sie aufnehmen.Wir erleben hier sehr viel Elend. Es ist zu traurig.“ Zusammen mit einem Beamten der Einwanderungsbehörde betrat Dr. Fontane das Zimmer. Aufmerksam hörte er dem Beamten bei seiner Befragung zu. Er wollte eingreifen, falls dieser Esmeralda mit seinen Fragen überfordern oder sogar verletzen würde. Zu viel hatte das arme Mädchen erleiden müssen. Sie tat ihm leid. Esmeralda berichtete von der Flucht, von dem Tod ihres kleinen Bruders und von ihrer noch immer vermissten Mutter. Auch über das ungewisse Schicksal von Layla. Der Beamte schien mit ihr mitzufühlen. „Es tut mir sehr leid, dass wir deine Mutter und deine Freundin nicht gefunden haben. Aber es wird immer noch nach Überlebenden gesucht. Vielleicht konnte sich deine Mutter selbst retten. Gib die Hoffnung nicht auf”, sagte Dr. Fontane und drückte dabei ihre Hand. Der Beamte nickte zustimmend. „Wir schicken dich rüber aufs Festland. In Mailand wird eine italienische Dame von der Einreisebehörde im Flughafengebäude für dich und alles weitere sorgen. Sie organisiert dir den Flug nach Frankfurt und wird deine Großeltern über deine Ankunft unterrichten.” „Dein Geld gebe ich dir zurück, wenn alles veranlasst ist. Davon bezahlen wir deinen Flug nach Mailand. Den Rest zahlen wir dir aus”, sagte Dr. Fontane.„Was wird, wenn meine Mutter gefunden wird? Sie hat doch keine Papiere mehr?” „Daran haben wir auch schon gedacht. Wir haben deine Papiere kopiert und amtlich beglaubigt. Wenn wir sie gefunden haben, werden wir dafür sorgen, dass sie sicher zu deiner Familie nach Deutschland kommt.” Dies glaubhaft auszusprechen fiel Dr. Fontane schwer. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass Sanira lebend gefunden wird. „Sie hat doch kein Geld!”, Esmeralda war den Tränen nahe. Sie wollte nicht ohne ihre Mutter weiter reisen. „Auch darüber musst du dir keine Sorgen machen. Es ist üblich, dass Flüchtlinge von unserer Regierung ein paar hundert Euro und befristete “Schengen-Aufenthaltspapiere” ausgestellt bekommen. Sie wird es in Frankfurt vorlegen und deine Großeltern können ihr dann weiterhelfen.” Der Beamte schien überzeugt, dass er seine Pflicht getan hat und ließ die traurige Esmeralda mit Dr. Fontane zurück. Danach trat die Schwester mit einem kleinen Bündel ihrer verpackten Kleidung ein und überreichte ihr einen Umschlag mit ihrem restlichen Geld in Dollarnoten.

Der Flug war ruhig. Esmeralda war viel zu aufgeregt, um Angst vor dem unbekannten Gefühl, in einem Flugzeug zu fliegen, zu spüren. Gleich nach ihrer Ankunft in Mailand führte ein italienischer Einreisebeamte Esmeralda in einen Nebenraum des Flughafengebäudes. Dort erwartete sie eine freundlich aussehende Dame. Sie war in den mittleren Jahren, hatte ihre schwarzen Haare zum Knoten im Nacken zusammengebunden und trug eine schwarz umrandete Brille auf ihrer Nasenspitze. Als Esmeralda mit ihrer Begleitung den Raum betrat, blickte Signoreia Murano über ihren Brillenrand auf sie. Vor ihr lagen ausgebreitete Akten. „Komm setz dich auf den Stuhl.” Italienisch verstand Esmeralda. Dabei deutete sie auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Zögerlich und schüchtern setzte sich Esmeralda. „Erst einmal herzlich willkommen in Italien. Ich bewundere deinen Mut und freue mich, dass du es geschafft hast hierher zu kommen. Ich kenne deinen Weg. Die Akte liegt vor mir”, dabei schaute sie das Mädchen mit wachen klugen Augen mitfühlend an. Esmeralda nickte etwas erleichtert und langsam lösten sich die in ihr aufgestauten Spannungen. Sie verlor ihr Misstrauen. „Sie scheint wirklich sehr freundlich und hilfsbereit zu sein”, dachte sie erleichtert. „Deine Eineispapiere sind fertig. Dein nächster Flug nach Frankfurt ist für den Nachmittag gebucht und deine deutsche Familie wird dich noch heute, spät am Abend, nach deiner Landung in Frankfurt abholen. Was sagst du dazu?” Esmeralda konnte es nicht fassen. „Meine deutsche Familie wird mich erwarten?” Wie unwirklich klang das für sie. Wildfremde Menschen. Wie kann sie ohne ihre geliebte Mutter all das ertragen? „Komm mein liebes Kind, wir gehen erst mal was Ordentliches Essen. Das Essen im Flugzeug ist oft ungenießbar. Wir Italiener legen sehr großen Wert auf gutes Essen und bieten die beste Küche der Welt. Hier im Flughafen gibt es ein sehr gutes Pasta-Restaurant. Du magst doch Spaghetti – oder?”, dabei dachte sie, dass alle Kinder Spaghetti mögen. Esmeralda nickte. Sie kannte die italienische Küche aus Eritrea. Nur stand Pasta selten auf dem Speiseplan. Nudeln waren Mangelware und, falls man sie überhaupt kriegen konnte, sehr teuer. Sie nickte. Noch immer hatte sie nicht gesprochen. Signoreia Murano stand auf, klappte die Unterlagen zusammen und klemmte den Ordner unter ihren Arm. Brav folgte ihr Esmeralda. Jetzt erst bemerkte sie bewusst die Umgebung im Flughafen. Das hektische Treiben und die Geräusche waren ihr vollkommen fremd. Viele Menschen rasten durch die Gänge, begleitete von rollendem Gepäck, klappernden Schritten, elektronischen Durchsagen von Lautsprechern und leuchtenden riesigen Tafeln mit Angaben von Anreise- und Abreiseflügen drangen an ihre Sinne. Das alles war neu und fremd und schwer für sie zu verarbeiten. Signoreia Murano nahm das eingeschüchterte Mädchen an die Hand und führte sie in ein Restaurant. Auch hier verschlug es Esmeralda die Sprache. Sie erblickte eine für sie edle Einrichtung. Teakhölzerne Bodenbeläge, chromfarbene Sessel zu chromfarbenen Tischen, so etwas hatte sie noch nie gesehen. Platzdeckchen und gefaltete Servietten mit hübschem Besteck zierten die Tische. Als sie Platz genommen hatten, nahmen sie von einem freundlichen, gutaussehenden Kellner die Speisekarte entgegen. Was Esmeralda zu lesen bekam, erschien ihr wie aus einem Märchenbuch. Sanira hatte ihr in ihrer Kindheit oft vor dem Schlafengehen aus alten italienischen Büchern vorgelesen. Da gab es auch solche Speisen. Man trank roten Wein dazu, erinnert sie sich. Der Kellner konnte bei der Aufnahme der Bestellung seinen Blick von Esmeralda nicht abwenden. „Diese Augen von diesem Mädchen, sie leuchten unbeschreiblich schön”, dachte er, als Frau Murano die Bestellung aufgab. Wieder saß sie in einem Flugzeug. Dieses Mal war sie nicht mehr so verängstigt und unsicher. Neugierig sah sie aus ihrem Fenster, als der Flugzeugkapitän die Landung in Frankfurt ankündigte und das Flugzeug sich im Landeanflug befand. Unter ihr glitzerte und funkelte es, wie über einem Meer von aufgereihten Diamanten, als das Flugzeug über Frankfurt kreiste. Dann sah sie die Lichterketten über den Straßen. Das Flugzeug sank langsam zu Boden. Dann leuchteten die Anzeigen über den Sitzen mit dem Anschnallzeichen auf. „Jetzt bin ich gleich bei der Familie meines Vaters”, dachte sie voller Erwartung und mit klopfendem Herzen. Auch dieses Mal wurde sie von zwei Grenzbeamte direkt am Flugzeugausgang erwartet. Sie führten sie zur Passkontrolle. Zwei deutsche Männer in Uniform saßen vor ihr in zwei Schaltern in einem Panzerglaskasten. Die Passagiere vor ihr liefen ungehindert mit vorgehaltenen Pässen durch die Kontrollen. Die Beamten schauten aufmerksam auf jeden passierenden Reisenden. Ihre Begleiter legten die Papiere von Esmeralda vor. Der Beamte sah sich sie sich an und nickte. Nach der Passkontrolle schaute sie erwartungsvoll in das hektische Geschehen vom Flughafen. Zielstrebig gingen ihre Begleiter zu einem älteren Paar, das wartend auf Ledersesseln in der Ankunftshalle saß. „Das müssen sie sein”, dachte sie. Als das Paar, sie eine schlanke blonde Frau, er etwas untersetzt mit braunen Haaren, auf sie zutraten, war sie sicher, „das ist meine neue Familie!”

Flucht aus Eritrea

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