Читать книгу Immer weiter - Lloyd Bradley - Страница 9

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Die Single „Daddy Cool“ startete nicht sofort durch, aber wir präsentierten den Song fleißig auf unserer DDU-Tour, die eine gute Werbung für einen neuen Act wie Boney M. war. Allerdings war die Sache auch ganz schön mühselig, da wir nur wenig Geld damit verdienten. Die 400 Mark pro Show konnten nicht annähernd mit dem mithalten, was ich solo verdient hatte. Aber es war auch nicht so, dass ich draufzahlen musste, da ich auf Tour sehr sparsam mit meinem Geld umging. Für dieses erste Album hatte ich mich voll und ganz diesem Projekt verschrieben. Auch wollte ich mir stets einen nüchternen Blick auf alles bewahren, da ich nicht vergessen hatte, was echte schwere Arbeit war. Da wohnte man nicht im Hotel, wurde durch die Gegend kutschiert und stand auf der Bühne, um zu singen. Vielmehr musste man richtig schuften. Auch wenn ich erschöpft nach London zurückkehrte, vergaß ich nie, wie privilegiert ich eigentlich war.

Wir gingen auf Tour und absolvierten ein paar Auftritte in Clubs oder im Fernsehen, wenn die Plattenfirma etwas für uns organisieren konnte. Sobald Frank anrief, um uns mitzuteilen, dass er einen neuen Titel für uns hätte, unterbrachen wir die Tour, woraufhin Liz und ich zurück ins Studio pilgerten. Unsere Parts waren im Mai 1976 im Kasten, das Album kam im Juni darauf heraus und unsere Mühen zahlten sich langsam aus. So wurden wir in den Musikladen eingeladen, damals die größte Pop-Show im deutschen Fernsehen. Dort lieferten wir unsere bis dahin beste Show ab. Wir legten uns richtig ins Zeug und plötzlich war „Daddy Cool“ praktisch überall in Europa ein Hit. Es war fast so, als ob uns die Leute gesehen und gedacht hätten: „Moment mal, ist das nicht die Gruppe, die überall auftritt? Die sind eigentlich ganz gut, oder?“

Im Deutschland stürmte „Daddy Cool“ sofort an die Spitze der Charts. Als nächstes kletterte die Single in Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden und der Schweiz auf den ersten Platz der Hitparade. Sogar in Großbritannien schafften wir es in die Top Ten, obwohl das britische Publikum erst sehr spät auf den Geschmack zu kommen schien. Ab diesem Zeitpunkt schien alles einen Gang zuzulegen. Plötzlich wollten alle Boney M. Wir traten überall in Europa in Fernsehsendungen auf, gaben Interviews, posierten für Fotos und erschienen auf den Titelblättern von Magazinen. Wenn wir einen Laden oder ein Restaurant betraten und es lief „Daddy Cool“ im Radio, sahen wir uns an und mussten lachen: Das waren ja wir! Für Liz und mich bedeutete es sogar noch mehr, da wir wussten, dass die Leute uns singen hörten und liebten, was wir dazu beigesteuert hatten. Wir wurden auf der Straße angequatscht, vor allem in Deutschland, wo es zu Menschenaufläufen kam, sobald wir vor die Tür gingen.

Ganz egal, was jemand sagt, warum es ihn ins Popgeschäft verschlagen hat und was er dort erreichen will, hier ging es tatsächlich nur um einen Nummer-eins-Hit. Was bedeutet, dass das, was du abgeliefert hast, von den Leuten, für die es gemacht wurde, auch geschätzt wird. Natürlich kann man es sich dann nicht erlauben, sich die Sache zu Kopf steigen zu lassen und zu glauben, dass man etwas ganz Besonderes sei. Schließlich ist man von sehr vielen Faktoren abhängig, wenn man einen Hit zu landen versucht. Aber so wie in jedem anderen Beruf auch, hört man gerne, dass man gute Arbeit geleistet habe – und ein Nummer-eins-Hit bedeutet, dass du zumindest eine Woche lang besser bist als alle anderen. Wir waren jedenfalls aufgeregt wie kleine Kinder an Weihnachten und obwohl Boney M. noch etliche Nummer-eins-Hits haben sollten, hatte keine Platte mehr denselben Effekt für mich wie „Daddy Cool“.

Unsere Aufgaben und die Anzahl der Orte, die wir besuchen mussten, nahmen enorm zu. Obwohl sich unsere Touren fortan deutlich komfortabler gestalteten, war der Aufwand für uns immer noch sehr groß. Unsere zweite Single „Sunny“ erschien später im selben Jahr. Als der Rummel rund um „Daddy Cool“ langsam zum Erliegen kam, wurden wir überall hingeschickt, um die nächste Single zu promoten. Gleichzeitig hatte sich auch das Album Take the Heat off Me in mehreren Ländern zum Hit gemausert und sich in ein paar von ihnen sogar an die Spitze der Hitparade gesetzt. Also wünschte sich die Plattenfirma, dass wir einen Nachfolger lieferten, solange wir noch richtig angesagt waren. Natürlich ließ sich Frank nicht lumpen. Noch bevor der September vorüber war und die Werbetrommel für „Sunny“ kräftig gerührt wurde, wurden Liz und ich nach Offenbach bestellt, um mit den Aufnahmen zum Album Love for Sale zu beginnen. Der erste Titel, an dem wir arbeiteten, war „Ma Baker“.

Das war eine zusätzliche Belastung für uns, da uns somit jene Freizeit verwehrt wurde, die Bobby und Maizie in Anspruch nehmen konnten. Aber was hätten wir, bitteschön, sagen sollen? „Sorry, Mister Farian, aber ich würde lieber Urlaub machen, statt den Job auszuüben, von dem ich fast mein ganzes Leben lang geträumt habe und der mir nun die Chance bietet, erfolgreich zu sein“? Hier ging es nicht nur darum, sich auf die Situation einzustellen, nein, vielmehr genoss ich alles, was geschah.

An einem neuen Album zu basteln, während wir noch die aktuelle Scheibe bewarben, war unsere übliche Vorgehensweise, solange wir mit Frank als unserem Produzenten arbeiteten. So riss die kontinuierliche Versorgung mit Singles nie ab und wir liefen nie Gefahr, dass uns das Publikum vergaß und jemand anderen favorisierte. Alle Gruppen aus dem Pop-Segment des Markts verfolgten diesen Ansatz. Frank begleitete uns nur sehr selten auf unseren Touren. Er kam nur zu den größten Konzerten und wichtigsten Fernsehshows. Er blieb lieber im Studio, um an den nächsten Tracks zu feilen, und da wir damals noch zu Musik vom Band auftraten, standen Musiker für die Sessions zur Verfügung.

Mir war es egal, auf welchem Album die Songs, die wir sangen, schließlich erschienen, solange sie so viele Leute wie möglich zu hören bekamen und sich an ihnen erfreuen konnten. Im Studio riefen wir immer unsere besten Leistungen ab. Frank und die Plattenfirma erledigten dann den Rest.

Aber unsere Musik auf diese Weise aufzunehmen, bedeutete auch, dass es schwieriger wurde, einen Überblick darüber zu bewahren, wie die Gruppe gerade ankam, da Liz und ich unser Augenmerk eher auf die Zukunft als auf die Gegenwart richteten. Wenn ein Song veröffentlicht wurde und wir ihn bewerben mussten, war er zwar noch völlig neu für Bobby und Maizie, doch wir hatten schon vor einer gefühlten Ewigkeit die Arbeit daran abgeschlossen und inzwischen schon ein paar weitere Songs produziert. Da wir also sehr vertraut mit diesen Nummern waren, waren sie im Gegensatz zu den anderen beiden Mitgliedern der Gruppe für uns nichts Neues oder Aufregendes mehr. Der Song, der jeweils am frischsten in unseren Köpfen verankert war, war jener, an dem wir zuletzt gearbeitet hatten. All dies lief praktisch simultan zu den abendlichen Auftritten in den DDU-Clubs ab. An einem Morgen waren wir hier und am Nachmittag schon wieder ganz woanders. Und am nächsten Morgen ging das Ganze wieder von vorne los. Es war auch nicht viel besser, wenn wir in Offenbach arbeiteten. Wir pendelten zwischen Studio und Hotel hin und her, wobei wir immer noch nicht ganz registrierten, wie sehr sich Boney M. auf unseren Alltag auswirkte.

Liz und ich lebten in einer Boney-M.-Blase, was Frank wohl ganz gut passte. Die Gruppe verkörperte praktisch alles, was er sich immer gewünscht hatte: eine geschlossene Einheit, bei der er die Fäden in der Hand hielt, während wir von ihm abhängig waren und uns in der Welt zurechtfinden mussten. Von Anfang an war er das Bindeglied zwischen uns und der Plattenfirma. Wir hatten einen Deal mit ihm, und er lieferte der Plattenfirma Boney M. als fertiges Produkt – Songs, die veröffentlicht werden konnten, und Leute, die sie im Fernsehen performten. Es war egal, wer sich hinter dem Namen verbarg und wer tatsächlich eine Rolle spielte. Das war keineswegs außergewöhnlich. In Europa, und besonders in Deutschland, gab es einen Trend hin zu Pop/Disco-Acts, die eigentlich nicht wirklich existierten. Moderne Technik erlaubte es, dass Musik von Produzenten oder anonymen Session-Musikern eingespielt wurde und bezahlte Sänger dazu ihren Gesang beisteuerten. Falls nötig wurde jemand engagiert, der den Song im Fernsehen performte. Manchmal waren das sogar unterschiedliche Leute in den jeweiligen Shows. Das hing ganz von deren Verfügbarkeit ab.

Frank hätte sicherlich nichts dagegen gehabt, für jeden Song neue Session-Sänger zu engagieren. Es sagt eine Menge aus, dass er uns auf der Plattenhülle von Take the Heat off Me nicht als Sängerinnen aufführte. Dort standen bloß die Namen der Musiker, der Autoren und des Arrangeurs – aber nicht unsere. Doch „Daddy Cool“ und „Ma Baker“ wurden mit unseren Stimmen zu großen Hits und für die Öffentlichkeit verkörperten Liz und ich den Sound von Boney M. Klugerweise ließ sich Frank daraufhin auf kein Risiko ein, indem er uns ersetzte. Vielleicht hätte sich sonst ja der Sound verändert und die Hits wären ausgeblieben.

Als wir uns auf Boney M. einließen, besaß keiner von uns ein professionelles Management. Persönlich hatte ich bis dahin keinen Bedarf dafür gehabt. Als ich nach Deutschland gekommen war, hatten sich die Agenturen, bei denen ich unter Vertrag stand, um alles gekümmert, und ich hatte ihnen vertraut. Schrittweise lernte ich, die Verträge für meine Auftritte zu verstehen und um was ich mich diesbezüglich kümmern musste. Dabei handelte es sich um ziemlich simple Werkverträge. Nun hatten wir aber jemand, der unsere Interessen vertrat. Frank war der Produzent von Boney M., was nicht dasselbe ist wie ein Manager, und profitierte von der Kreativität der Gruppe. Allerdings war er in einer Position, in der er alles, was uns betraf, entschied – und in der Regel tat er das zu seinem eigenen Vorteil. Daraus ergaben sich mitunter heikle Situationen, und wenn wir einen Manager gehabt hätten, der sich für uns eingesetzt hätte, wäre sicherlich alles ein wenig angenehmer für uns gewesen. Aber so schien alles immer sehr spontan und improvisiert. Hätte ein Plan dahintergesteckt, hätten wir mehr Zeit gehabt, unsere Lage richtig einzuschätzen.

Es lief ja bei Boney M. nicht wie bei den meisten Gruppen ab, deren Mitglieder sich in jungen Jahren kennenlernten und sich dann gemeinsam, als Menschen und als Künstler, entwickelten. Wir wurden von jemandem zusammengestellt, als wir bereits erwachsen waren. Ich war 27, als ich der Gruppe beitrat. Tatsächlich war ich die Älteste und drei oder vier Jahre älter als Liz und Maizie. Alle vier waren wir ausgereifte Persönlichkeiten und vertraten unsere eigenen Meinungen. Jeder verfolgte mit Boney M. auf individuelle Weise eigene Ziele. Oftmals wurden wir über längere Zeiträume regelrecht zusammengepfercht. So viel Zeit miteinander zu verbringen, war nicht gerade einfach.

Manchmal kam es mir so vor, als ob wir so wenig gemeinsam hätten, dass wir uns nur auf der Bühne richtig verstanden. Aber es stimmt nicht, dass wir gar nicht miteinander konnten oder andauernd gestritten hätten. Wir gerieten nie verbal aneinander. Das versuchte ich stets zu vermeiden. Ich kam ja nicht aus einer Straßengang! Manchmal herrschte jedoch eine unbehagliche Atmosphäre, die viel lauter als ein handfester Streit sein konnte. Natürlich hatten wir unsere Differenzen. Aber wir lernten, sie beiseite zu schieben und das Beste aus der Gelegenheit zu machen, die man uns bot. Natürlich gingen wir uns mitunter auch auf die Nerven. Ein paar meiner Eigenschaften irritierten die anderen wohl ebenso, wie ihre Schrullen mich nervten. Aber wir wussten, dass wir uns dieses Leben nun einmal ausgesucht hatten. Wir waren Profis. Vier Schwarze aus der Karibik, die in Deutschland und der restlichen Welt unterwegs waren und sich sehr schnell einen Namen machten. Ich freute mich sehr für uns alle und ich glaube, dass die anderen das anfangs ebenso empfanden.

Selbstverständlich hatten wir auch Spaß. Man muss schon ein ganz besonders betrübter Mensch sein, um die Situationen, die sich uns eröffneten, nicht genießen zu können. Die Fototermine und Video-Dreharbeiten verliefen immer sehr amüsant, da sie uns die Möglichkeit gaben, uns zu entspannen. Wenn uns beim Fotografieren irgendwelche Szenarien vorgeschlagen wurden, erkannten wir darin stets die lustigen Aspekte. Wir wussten zwar, dass das eine ernste Angelegenheit war und es dazugehörte, zu vermitteln, worum es bei Boney M. ging, aber wenn man ein paar dieser Kostüme zum ersten Mal sah, musste man einfach lachen. Als wir an unserem ersten Album arbeiteten und nur mit einer sehr kleinen Truppe auf Tour gingen, machte uns das Reisen großen Spaß. Nichts macht eine Fahrt auf der Autobahn kurzweiliger als ein paar gute Witze. Damals herrschte immer großes Gelächter bei uns im Wagen. Überall – egal, wohin wir fuhren – erwartete uns immer etwas Neues. Deshalb fragten wir uns stets, was wohl als nächstes auf uns zukäme. Wir kamen aus dem Staunen kaum heraus.

Wir hatten alle viel Spaß, aber wenn uns Boney M. nicht zusammengebracht hätte, hätte sich wohl keiner aus der Gruppe mit den anderen Mitgliedern abgegeben. Das ist nicht weiter tragisch oder schrecklich – wir waren eben alle sehr unterschiedliche Charaktere. Auch wenn Liz und ich beide aus Jamaika stammten, trug das nicht viel zur Kameraderie zwischen uns bei. Das spielte vielleicht eine Rolle, wenn wir uns in jamaikanischem Dialekt unterhielten, wenn wir besonders aufgeregt waren oder nicht wollten, dass irgendwer verstand, was wir besprachen. Anfangs fühlte ich mich ihr noch näher als den anderen, da wir beide die Leadsängerinnen waren, und so verbrachten wir viel Zeit zusammen. Wir verstanden uns soweit recht gut, unterhielten uns und lachten viel. Aber das spielte sich fast immer im Rahmen unserer Arbeit ab. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass sie sich mir gegenüber distanziert gab und sich eher Maizie als mir anvertraute. In vielerlei Hinsicht war Liz ebenso eigenständig wie ich. Wir verstanden es beide, auf uns aufzupassen. Ich, weil ich mich bereits in jungen Jahren um meine Mutter und meine Schwester hatte kümmern müssen. Liz ging es hingegen mehr darum, voranzukommen – sie dachte einfach mehr an sich selbst. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich für niemand hielt, der ihr bei ihrer Karriere sonderlich hilfreich sein könnte.

Maizie war ein echter Scherzkeks und kannte jede Menge Witze. Man konnte es gut in ihrer Gesellschaft aushalten, da sie immer so witzig drauf war. Sie war stets in der Lage, unsere Stimmung aufzuhellen oder die Blase von jemandem, der sich besonders wichtig vorkam, platzen zu lassen. Da sie nicht so viel Gesangsarbeit zu bewältigen hatte wie Liz und ich, konnte sie vielleicht auch besser ausspannen und alles ein bisschen mehr genießen. Allerdings war sie auch ziemlich clever und aufgeweckt. Zwar hatte sie keine überragende Gesangsstimme, aber war sich dessen auch stets bewusst. Allerdings hatte Frank sich mit ihr über die Songtexte unterhalten, woraufhin sie sich die Mühe machte, sich von mir ein paar der Zeilen eines der einfacheren Songs, „Got a Man on My Mind“, beibringen zu lassen. Da wir alle gemeinsam auf der Bühne standen, war ich der Meinung, dass es doch nett wäre, wenn sie ein bisschen mehr in den Gesang involviert wäre. Auf Tour besuchte ich sie in ihrem Zimmer, um die Texte einzustudieren: „Walk around in circles/without peace and little sleep … la, la, la, la, la, la, la …“ Wir machten auch tatsächlich Fortschritte, aber das war auch schon das Ende von Maizies Gesangsstunden.

Maizie besaß auch einen tollen Geschmack, was Klamotten betraf. In der Regel war sie makellos zurechtgemacht. Ich würde gerne behaupten, dass sie sich ein bisschen was bei mir abgeguckt hatte, doch damit würde ich mich wohl ein wenig überschätzen.

Beim Dating beriet ich sie aber tatsächlich: Sie sollte ultra-vorsichtig und diskret sein – und das war sie auch. 1976 konnten die Medien sehr voreingenommen sein, vor allem gegenüber schwarzen Frauen, und besonders in Deutschland.

Und Bobby war einfach Bobby. Er war so, wie er tanzte: Spontan und überlebensgroß – und er gab sich immer die größte Mühe, für Unterhaltung zu sorgen. Ihm fiel fast zu allem etwas Lustiges ein, und manchmal brüllten wir regelrecht vor Lachen. Aber er konnte auch anders: Wenn er etwa verschlief, was nicht selten vorkam, und man an seine Tür klopfte, um ihn zu wecken, bekam man eine Kanonade von Schimpfwörtern zu hören. Ich ließ dann aber auch nichts anbrennen, was er immer amüsant zu finden schien.

Obwohl Frank Bobby beim ersten TV-Gig in den Niederlanden hatte auftreten lassen, hatte er ihn, als er anfing ernsthaft nach Leuten für Boney M. zu suchen, noch vor Liz und mir unter die Lupe genommen und ihm einen Korb gegeben. Ich habe keinen blassen Schimmer wieso. Vielleicht suchte Frank ja nach jemandem, der singen konnte. Vielleicht wollte er auch Mike zurück, der auf dem ersten Foto zu sehen gewesen war. Irgendwann begriff er aber doch, wie viel Bobby beizutragen imstande war und wie gut er mit uns anderen zusammenarbeitete. Also akzeptierte er die Tatsache, dass er einfach nur tanzte.

Zwischen uns gab es nur ganz selten einmal eine einstudierte Choreographie. Wir alle gingen jedes Mal einfach auf die Bühne und stimmten uns erst dann ab. Manchmal besprachen wir Mädels, was wir bei „Ma Baker“ oder „Brown Girl in the Ring“ machen wollten. Das taten wir aber nur für bestimmte Fernsehsendungen. Nicht einmal in solchen Situationen konnte man sich mit Bobby absprechen. Er war ganz auf sich allein gestellt, und wenn er etwas machen wollte, tat er das einfach. Das passte wirklich gut zum Image von Boney M.: Wir Mädels wirkten mitunter sehr kultiviert, während der Typ um uns herum völlig durchdrehte. Wenn irgendetwas, was er auf der Bühne trieb, besonders großen Applaus erntete, oder wenn er selbst damit besonders zufrieden war, baute er es am nächsten Abend gleich wieder ein. Oder auch nicht. Niemand konnte vorab wissen, was er wohl machen würde.

Wir Mädchen tüftelten oft kleine Einlagen aus, die wir mit ihm abstimmen wollten, schließlich waren wir alle gute Tänzerinnen. Es konnte also vorkommen, dass Bobby einer von uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand und wir die Bewegungen des jeweils anderen kopierten. Am nächsten Abend brachte man sich dann erneut bei einem bestimmten Part eines Songs in Stellung, doch Bobby befand sich plötzlich auf der anderen Seite der Bühne. Er hatte sich in irgendetwas anderes, das ihm eingefallen war, so hineingesteigert, dass er die kleine Einlage komplett vergessen hatte. Zudem bestand auch immer die Gefahr, sich beim Tanzen mit Bobby blaue Flecke und Schrammen zu holen, wenn es mit ihm durchging und seine Tanzschritte zu heftig und enthusiastisch ausfielen. Mein Mann und ich suchen, wenn wir uns Wiederholungen unserer TV-Auftritte ansehen, mit Vorliebe nach Stellen, an denen wir fast aus dem Takt geraten, weil wir so überrascht von einer von Bobbys Einlagen sind. Ich denke dann: „Wenn wir schon überrascht waren, wie muss es dann erst auf das Publikum gewirkt haben?“ Er versuchte, auf der Bühne mitzusingen. Da ich am Ende unserer Bühnenaufstellung stand, stellte er sich neben mich. Ich gab ihm den Ton vor, indem ich ihm die Töne, die er singen sollte, vorsummte. Manchmal traf er sie auch, dann wieder nicht – und mitunter gab er sich auch keine Mühe. Aber darin bestand eben Bobbys Beitrag – in einem Gefühl vollkommener Freiheit.

Das Publikum liebte ihn jedenfalls. Vielleicht war es am einfachsten, sich mit ihm als einzigen Mann in der Gruppe zu identifizieren. Anfangs dachten die Leute wohl auch, er sei dieser ominöse Boney M. – und wir wären bloß seine Begleitsängerinnen. Er wirkte auf der Bühne wie ein Pulverfass, das jederzeit explodieren konnte. Niemand wusste genau, was er geboten bekommen und wann es wirklich zur Sache gehen würde. Er war eine große Bereicherung für die Gruppe, weil wir über eine hingebungsvolle Anhängerschaft verfügten, die sich jede Show ansah. Wir wussten somit, dass sie jedes Mal etwas Neues geboten bekäme.

Frank fand heraus, wie beliebt Bobby tatsächlich war, als er ihn 1981 feuerte und zu ersetzen versuchte: Das war dann einfach nicht mehr dasselbe und das Publikum, das wir erobert hatten, war alles andere als glücklich darüber. Die Tatsache, dass Frank der sturste Mensch sein konnte, den ich je getroffen habe, und Bobby erst drei Jahre später wieder zurückholte, spricht dafür, dass er irgendwann verstand, wie wichtig Bobby für Boney M. war. Warum er ihn überhaupt in die Wüste geschickt hatte, war allerdings auch verständlich. Ein Teil von Bobbys Spontaneität bestand nämlich darin, dass er nie ein Blatt vor den Mund nahm. Gegenüber niemandem und zu keinem Zeitpunkt. Er hielt sich nie zurück und erteilte Frank ständig Anweisungen, und zwar vor wirklich jedem. Frank muss das total gehasst haben.

In meinen Augen war Bobby jedoch ein herzensguter Typ mit einer sanften Seite. Trotz seiner Angeberei und seiner Scherze machte er sich wohl immer Sorgen, dass seine Rolle in der Band nicht ausreichend geschätzt würde. Nach meinem Ausstieg aus der Gruppe sah ich ihn nur noch selten. Wir führten ein paar längere Telefonate, bei denen er dann in Tränen ausbrach, was mir sehr an die Nieren ging. Ich glaube nicht, dass er wirklich begriff, was Boney M. eigentlich bedeuteten, als wir unseren Zenit erreichten, und wofür er als Teil dieses Ganzen im Musikbusiness stand. Das ist wirklich jammerschade, aber ich werde ihn immer als sehr natürlichen, großherzigen und witzigen Typen in Erinnerung behalten.

Zu jener Zeit bei Boney M. dabei zu sein, war einfach ein herrliches Gefühl. Als das zweite Album das erste ablöste und sich die Dinge kontinuierlich steigerten, begriffen wir langsam, dass wir uns wirklich auf einem sehr guten Weg befanden. Mein Gefühl sagte mir, dass ich Teil von etwas Großem war – und niemand würde mich aufhalten können. Ich war schon eine starke Frau gewesen, bevor ich der Gruppe beitrat – noch bevor ich überhaupt nach Deutschland gekommen oder ins Musikgeschäft eingestiegen war. Doch nun verfügte ich über das richtige Vehikel, um das volle Potenzial meiner Stärke auszuschöpfen. Jedes kleine Hindernis, jede kleine Verzögerung war nichts weiter als genau das: klein. Mir ging es, wie es unser Song „Sunny“ vom ersten Album beschreibt: The dark days are gone and the bright days are here …

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mir absolut sicher, dass ich meine Träume wahr werden lassen könnte.

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