Читать книгу Die Krone der Schöpfung - Lola Randl - Страница 26
VIREN II
ОглавлениеVor Hunderten von Millionen von Jahren hat das Urvirus den Körper eines Lebewesens verlassen und schwebt seitdem auf der Suche nach neuen Körpern frei herum. Der Mann hat das irgendwo gelesen, weiß aber nicht mehr, wo. Das Urvirus soll aus der DNA eines anderen Lebewesens hervorgegangen sein, möglicherweise aus der eines Dinosauriers. Es hatte während der Zellteilung einen Fehler gegeben und ein einzelner kleiner Schnipsel schaffte es, der DNA zu entkommen und sich fortan, so unvollständig wie er war, in das Zentrum des Kopierens zu stellen. Das war dann Virus i und er ließ sich immer wieder und wieder kopieren. Im Internet konnte ich nichts zu dieser Theorie finden. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich den Mann richtig verstanden hatte. Er wirft mir so etwas beim Mittagessen hin, geht danach einfach wieder auf seine Baustelle und denkt, ich könnte dann noch weiter arbeiten.
Dieser kleine Schnipsel, der seiner Zelle entkommen ist, liebt die Veränderung, und mit jeder fehlerhaften Kopie hat er die Chance, neues Unheil anzurichten. So schweben die Viren in Tausenden von Variationen unaufhaltsam durch die Welt. Sie sind maximal frei, lassen sich treiben und lieben das Chaos. Aber noch mehr lieben sie es, in scheinbar geordnete Systeme einzudringen. Das System hat keine Vorstellung davon, was es tut, wenn es diese Information, also den Bauplan aus dem Virus, wohlwollend aufnimmt. Die Hüllen von Virus und Zelle verschmelzen und die Erbinformationen werden übertragen. Dann wird das Virus von der gekaperten Wirtszelle kopiert und weiterkopiert. Solange das Virus von der Wirtszelle beherbergt wird, geht es ihm gut und alle sind zufrieden. Aber natürlich vernachlässigt die Wirtszelle dabei ihre normalen Aufgaben, und allzu lange kann man seine normalen Aufgaben nicht vernachlässigen, zumindest nicht, ohne dass es jemand merkt. Spätestens dann, wenn das Immunsystem mitbekommt, dass da etwas nicht nach Plan läuft, beginnt der Kampf. Das Immunsystem erstellt über die individuelle Eiweißkennzeichnung ein Fahndungsbild und die Soldaten des Immunsystems können losziehen und alles und jeden, der zu dem Bild passt, kurz und klein schreddern. Wenn das Immunsystem das Virus bereits kennt, ist das eine Sache von Tagen. Wenn das Immunsystem das Virus aber noch nicht kennt, muss erst ein neues Fahndungsbild erarbeitet werden. Der Virus gewinnt Zeit und der Körper gehört ihm.