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Vorbeugen ist besser als Heilen

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Im Internet kursiert ein netter Sinnspruch von Ashley Montagu: The idea is to die young – as late as possible.“ Ich würde ihn etwas frei so übersetzen: „Die Kunst ist, jung zu sterben – aber reich an Jahren“, und meinerseits ergänzen: „Wenn du krank bist – geh zur Ärztin. Wenn du gesund bleiben willst, musst du dich selbst darum kümmern.“

„Warum so viele Menschen den größten Unsinn glauben“, titelt der SPIEGEL in einem Artikel über Verschwörungstheorien und führt unter anderem als Beispiel für solch abstruse Ideen an: „‚Big Pharma‘ zerrüttet aus Profitgier die Volksgesundheit, gedeckt von höchsten Kreisen!“ Später heißt es dazu: „In der Realität wäre keine Verschwörergruppe imstande, die arglose Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg nach sinistren Plänen zu steuern. Vollends unmöglich wäre es, solche Umtriebe auch noch die ganze Zeit geheim zu halten.“ (t1p.de/og1p)1. Völlig richtig, aber: Das hat „Big Pharma“ gar nicht nötig. „Big Pharma“ ist auch nicht per se böse, jedenfalls normalerweise nicht – die meisten „bösgläubigen“ Aktionen (so nennt der Jurist das) kommen ja über kurz oder lang auch raus, man denke an Contergan oder – sehr aktuell – an Oxycontin und andere Medikamentenskandale. Die sind zum Glück die seltene und große Ausnahme. Aber Pharmafirmen wollen und müssen Geld verdienen. Und das ist auch völlig legitim. Ärzte auch. Die häufig kolportierte Geschichte von den chinesischen Barfußärzten, die nur bezahlt wurden, solange die Menschen gesund blieben, aber nicht, wenn sie krank wurden oder waren, zeigt, wie man ein „Belohnungs-system“ richtig ansetzt. Dem Arzt wurde Gesundheit vergütet, sodass er ein hohes Interesse daran hatte, die Menschen gesund zu erhalten. Von unseren Ärzten müssen wir das als moralische Verpflichtung erwarten, aber „belohnt“ werden sie dafür nicht. Besser gesagt: Richtig entlohnt werden sie leider nur, wenn wir krank sind. Dazu hat der Dichter Eugen Roth, scharfzüngig wie sonst auch immer, Folgendes gereimt:

Gleichgewicht

Was bringt den Doktor um sein Brot?

a) die Gesundheit, b) der Tod.

Drum hält der Arzt, auf daß er lebe,

uns zwischen beiden in der Schwebe.

Das ist natürlich sehr bösartig, beschreibt aber doch das Dilemma der Ärzte in Bezug auf Vorbeugung deutlich. Solange an Krankheit verdient wird, solange Krankheit ein „Umsatzbringer“ ist, müssen wir uns nicht wundern, dass auch manchmal der Profit dem allgemeinen Wohlergehen im Wege steht. Oder gar der Profit für einige Wenige das Wohlergehen Vieler schädigen kann und „die Medizin“ oder „Big Pharma“ hierbei Vorschub leisten.

Wer erinnert sich noch an die famosen Margarine-gegen-Butter-Kampagnen aus den Siebzigerjahren? Bestens unterstützt von einigen geltungssüchtigen Kardiologen, die in der bösen Butter die Ursache für Herzinfarkt und Arterienverkalkung gefunden haben wollten? Dass sie für ihre „Studien“ – inzwischen samt und sonders widerlegt – fürstlich bezahlt wurden, wen wundert das denn wirklich? Und wie war das mit den Eiern und dem zu hohen Cholesterinspiegel? Alles Mumpitz, wie wir inzwischen wissen, mit dem man aber famos die teuren Cholesterinsenker verkaufen kann. Nein, wie in jedem Bereich unseres Lebens menschelt es eben auch im Gesundheitsbereich, und Boris-Johnson-Lügenbarone gibt es eben überall – leider. Man muss auch kein blanker Egoist sein, um zu verstehen, dass uns allen das Hemd näher ist als der Rock (altertümlich für Jacke/Jacket, sonst stimmt’s ja noch nicht mal für Frauen oder Schotten). Dass niemand gerne an dem Ast, auf dem er sitzt, sägt. Dass das lobenswerte Credo der ganzen Medizinbranche zwar ist, Menschen bestmöglich zu heilen, aber nicht unbedingt, sie gar nicht erst erkranken zu lassen. Es ist also leicht nachzuvollziehen, dass „billige Gesundheit“ nichts ist, was der medizinisch-wissenschaftliche Komplex unbedingt und zuallererst befördern möchte. Mehr als wiederkehrende Aufrufe zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung können wir nicht erwarten.

Ein Belohnungsprinzip für gesunde Patient*innen, wie bei den Barfußärzten, wäre ideal. Wir hingegen zahlen stattdessen regelmäßig in die Krankenversicherung ein, um im Zweifel halt auch mal krank sein zu dürfen, ohne gleich wirtschaftliche Not zu leiden. Trotzdem: Krank sein macht nicht wirklich Freude, und die meisten Menschen wären wohl, wenn sie wählen könnten, lieber gesund. Und sie hätten gerne lange gelebt, bevor sie „jung“ sterben – jung im Sinne von: körperlich und geistig gesund geblieben. Wer das wirklich will, muss sich aber ein bisschen kümmern. Ich tue das, und ich fühle mich mit 65 besser, als ich mich mit 45 gefühlt habe, körperlich meine ich. Im Kopf ist man doch sowieso ewige 35, oder? Wer in späteren Jahren aber auf der Treppe ächzt, mal wieder schlecht geschlafen und dafür morgens auch noch „Rücken“ hat, dem wird auf drastische Weise klar, dass Altern wohl doch ein Massaker ist, wie Philip Roth es in seinem Buch Jedermann formuliert hat: „Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker.“ Und: „Was man alles bekommen kann, selbst wenn man sich fünfzig Jahre gesund gehalten hat. Was alles nachlässt. Wie sich das anfühlt, das ganze Elend, das sich Alter nennt“, zitiert – stark verkürzt – die WELT in einer Rezension des Bestsellers. (t1p.de/hfhm)1

Das muss aber nicht so sein, das ist meine feste Überzeugung. Um das besser erklären zu können, muss ich kurz über Autos reden. 99 Prozent haben noch einen Verbrennungsmotor, und der braucht Sprit. In einen Benzintank darf man keinen Diesel füllen. Der Kühler braucht Wasser, das ist klar, und die entsprechende Anzeige darf man nicht ignorieren, sonst geht der Motor kaputt. Das Gleiche gilt für den Ölstand, da sollte man das Aufleuchten der Warnlampe gar nicht erst abwarten. Und dann noch der Reifendruck. Das wären mal die wichtigsten Dinge. Und wir kümmern uns darum, weil wir das teure Auto ja nicht vorzeitig ruinieren wollen. Wir fahren in die Werkstatt zum Check, und auch die kümmert sich vorsorglich um alles, was vielleicht schadhaft werden könnte.

Die Reifen sollten normalerweise mindestens zwei Bar Druck haben. Wenn man mit nur noch einem Bar durch die Gegend rollt, kann man die Reifen nach 20 000 oder 30 000 Kilometern wegschmeißen, weil sie dann an den Rändern innen und außen total abgefahren sind. Und wenn wir vier Bar Druck draufgeben, ist es umgekehrt, die Mitte der Lauffläche wölbt sich nach außen und nutzt sich schneller ab als die Ränder des Profils. Genau deshalb kontrollieren wir den Reifendruck. Natürlich ist auch das Fahrverhalten beim Notbremsen und in schnell gefahrenen Kurven deutlich schlechter, wenn der Druck falsch ist, aber man müsste schon über ein sehr empfindliches Popometer verfügen, um einen abweichenden Reifendruck durch das Fahrverhalten des Autos zu erspüren. Ich bin schon mit nur einem Bar auf einem Hinterreifen gefahren, der sich ein winziges Stückchen Stahldraht einverleibt und über Wochen den Druck verloren hatte. Obwohl ich eine kurvige, einsame Waldstrecke, die ich gut kenne, sehr schnell gefahren bin, habe ich nichts bemerkt. Und auch im Stand hat man nichts gesehen. Aber dieser Reifen hätte, von dem Loch mal abgesehen, eben nur halb so lange gehalten wie die anderen, wäre also doppelt so schnell verschlissen. Wenn man den Motor dauernd kalt und immer unter dem Mindeststand an Öl durch die Gegend prügelt und mit zu wenig Kühlwasser Höchstgeschwindigkeiten fährt, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Maschine mit 60 000 Kilometern das Zeitliche segnet. Ein gut gepflegtes Auto dagegen kann in zehn Jahren locker 300 000 Kilometer zurücklegen, und alles funktioniert noch wie ehedem.

Das Auto kaufen wir, und es ist teuer, also soll es bitte lange halten, 200 000 Kilometer mal wenigstens. Damit es das tut, pflegen wir es. Das alles ist Vorsorge, und die ist für uns selbstverständlich. Und wenn dann trotzdem mal was kaputt geht, dann wird die Werkstatt das natürlich auch reparieren. Aber besser, es geht erst gar nichts kaputt, denn die Vorsorge ist deutlich billiger als die Reparatur.

Das Beispiel Auto deutet auf zwei Dinge hin: Höchstbelastungen sind eher funktionszeitverkürzend – Sie dürfen diese Metapher gerne auf Hochleistungssportler übertragen, die schon mit Anfang 30 massive körperliche Wehwehchen haben. Und dauerhafte Mangelzustände wie zu geringer Druck im Reifen, zu wenig Wasser im Kühler und zu wenig Öl im Motor sind auch nicht hilfreich, wenn der Gegenstand des Interesses möglichst lange überdauern soll. Und auch das dürfen Sie als Metapher für unseren Körper beziehungsweise seine Versorgung mit den nötigen Hilfs- und Betriebsstoffen verstehen.

Wie gehen wir mit unserem teuersten Gut, dem eigenen Körper, um? Manche Menschen machen ab 50 gewisse Gesundheitsprüfungen, Blutbild, EKG, Darmspiegelung. Aber normalerweise gehen wir doch erst zum Arzt, wenn wir krank sind, und kümmern uns sonst nicht darum, ob unser Körper genug Reifendruck, Kühlwasser, Motoröl oder Bremsflüssigkeit hat. Wir scheinen zu glauben, dass wir das a) sowieso immer haben. Wir essen und trinken ja normal, da ist doch alles drin, was wir brauchen, oder? Und b) schon merken würden, wenn uns was fehlt. Das ist aber leider der größte Trugschluss. Wenn Sie kein Rennfahrer mit nervösem Popometer sind, merken Sie einen zu niedrigen Reifendruck so gut wie gar nicht – bis es zu spät ist. Bis Sie schlimmstenfalls entweder aus der Kurve geflogen sind oder bestenfalls die Reifen total abgefahren sind. Und dann heißt es Reparatur respektive Ersatz. Körperorgane, die durch stetigen Mangel geschädigt werden, können Sie aber nicht einfach mal so durch neue ersetzen. Eine Schilddrüse, die durch ständigen Jodmangel wuchert oder irgendwann den Betrieb einstellt, muss raus. Aber es gibt leider kein Ersatzteillager dafür. Und dann müssen Sie für den Rest Ihres Lebens Schilddrüsenhormone schlucken. Aber vorher haben Sie von dem Jodmangel nichts bemerkt. Der Körper ist nämlich eine verdammt schlaue Maschine, in der fast alles ein bisschen redundant ausgelegt ist. Das heißt, die meisten Mangelzustände können für eine ganze Weile vom Körper ausgeglichen und mit Gegenstrategien kompensiert werden. Aber genau wie Ihr Auto, das ohne Service und ohne ständige Kontrolle von Luftdruck, Ölstand und Kühlwasser locker 30 000 bis 40 000 Kilometer zurücklegen kann, machen sich Mangelzustände im Körper in den ersten 30 bis 40 Jahren bei den meisten Menschen eher selten bemerkbar. Dass diese Zipperleinsfreiheit ungefähr so lange anhält wie die Reproduktionsfähigkeit, finde ich lustig und aus Sicht der Natur (bloß kein vermeidbarer Aufwand!) durchaus plausibel. Die genetisch besonders gut ausgestatteten Exemplare dürfen ja auch gerne, wie schon in der Bibel stand, 70 oder 80 Jahre alt werden. Die anderen? Na ja.

Noch mal in Kürze: Beim Auto betreiben wir sehr diszipliniert Vorsorge, weil sich die Wenigsten teure Reparaturen leisten können oder wollen. Gegenüber unserem Körper verhalten wir uns anders. Die ersten 40 Jahre tun wir so, als wären wir fabrikneu, und wenn dann die Zipperlein auftreten, unser Motor ächzt und stöhnt und die Reifen auf der letzten Rille laufen, dann glauben wir, das müsse so sein, wir sind ja schließlich schon über 50. Und der Onkel Doktor soll’s dann richten. Das tut er auch, so gut er kann. Aber würde er auch einem 20-Jährigen erzählen, dass er mal Ölstand, Kühlwasser und Luftdruck kontrollieren und in Ordnung halten soll?

Merke also: Wenn du krank wirst, hilft dir – die Ärztin. Wenn du gesund bleiben willst, musst du dich selbst darum kümmern! Und zwar frühzeitig! Also schauen wir doch mal, was wir so alles checken könnten.

1 t1p.de/og1p

1 t1p.de/hfhm

Nahrungsergänzung im Selbstversuch

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