Читать книгу Nahrungsergänzung im Selbstversuch - Lorenz Borsche - Страница 8
Deutschland einig Mangelland
ОглавлениеAch, es mangelt uns an so vielem. An gutem Wetter, Fröhlichkeit der Menschen, Toleranz Andersdenkenden gegenüber, an Gerechtigkeit, sowohl sozial als auch juristisch – und an Gesundheit. Erstaunlich für ein Land mit einem der besten Gesundheitssysteme weltweit.
Sie wollen ja nicht in England krank werden, mit seinem maroden NHS-System, wo ein Bett auf dem Flur schon zum Normalfall geworden ist. Schon gar nicht in den USA, denn dort ist man dann auch gleich noch finanziell ruiniert, wie das Katja Kessler sehr humorvoll in Silicon Wahnsinn beschreibt. Ihr Sohn hatte sich auf der Rutsche in der Schule das Handgelenk gebrochen. Die Situation im Krankenhaus schildert Kessler so: „Zwei Stunden später hatten wir uns immerhin schon zu einem gelben Warndreieck vorgearbeitet: X-ray, Röntgen. Dafür hatte ich auch nur zehn Formulare ausfüllen und dreimal die Kreditkarte rausholen müssen. Aktuell waren wir, ohne dass groß was passiert wäre, bei einem vierstelligen Dollarbetrag. […] 60 Minuten und nochmal viele Dollars später wurden wir in einem winzigen Untersuchungszimmer mit Fernseher geparkt. […] Kurz nach halb zwölf steckte Caspars Arm […] in Gips.“ (EAN 9783547712018, S. 121 ff.)
Die Spitzenmedizin in den USA mag besser sein als unsere, ist aber leider nur von den oberen Zehntausend bezahlbar, und die breitenmedizinische Versorgung ist zum Ausgleich dafür eher schlechter als bei uns (weniger Ärzte pro Einwohner) und kostet trotzdem doppelt so viel (deutlich teurere Medikamente, hohe Arztgehälter, hohe Verwaltungsausgaben: (t1p.de/3b75)1. Aber: Bei uns sind trotz der guten medizinischen Versorgung die Krankheitszahlen und auch die Lebenserwartung leider nicht entsprechend gut. In Frankreich, Italien und Griechenland liegt Letztere nämlich ein bis zwei Jahre höher. Im Vergleich zu den Mittelmeerländern sind bei uns Herz- und Kreislauferkrankungen deutlich verbreiteter. Schuld daran soll vor allem die ungesündere Ernährung sein. Sie wissen schon, besser wäre Mittelmeerdiät und so. Da ist ja vielleicht etwas dran. Andererseits waren die deutschen Männer 2011 zu 16,6 Prozent adipös, also schwer übergewichtig mit einem BMI über 30. In Italien waren es nur 9,9 Prozent. Aber vielleicht ist die mediterrane Diät ja auch für beides verantwortlich? Brauchen wir also nur etwas Olivenöl statt Butter und Rotwein statt Bier? Sind wir mit allem Notwendigen versorgt? Bleiben wir gesund, wenn wir uns einfach nur ausgewogen ernähren (was auch immer das ist)? Die Wahrheit ist: Nein, das kann gar nicht klappen. Schon der tägliche Apfel, der doch den Doktor fernhalten soll („An apple a day keeps the doctor away“), tut das heute nicht mehr. Ja, zu Zeiten unserer Ururgroßeltern, da enthielt der Apfel noch viele Ballaststoffe und Vitamine und wenig Zucker, nämlich nur drei Prozent. Heute hat er mit 15 Prozent gut fünfmal mehr Fruchtzucker (das ist der, der die Fettflecken auf der Leber verursacht, siehe Zuckerbuch), und von Vitamin C ist nichts mehr zu finden: „Bis zu 12 Monate frösteln Äpfel nach der Ernte im Lagerhaus, um noch etwas nachzureifen und Zucker zu bilden. Auf Kosten der Vitamine? Oh nein, sagt der Südtiroler Bio-Genossenschaftsbauer. Die seien auch nach einem Jahr noch vollzählig vorhanden. [Sternekoch] Müller lässt trotzdem testen. Das Ergebnis: Nach einem Jahr Lagerung enthält der Apfel kein nachweisbares Vitamin-C mehr. Ein Apfel am Tag? Bringt offenbar auch nichts mehr“, heißt es in einem Artikel im FOCUS (t1p.de/2zm1)2. Ob die DGE das weiß? Noch nicht einmal, wenn wir uns richtig gesund, also zum Beispiel vegan und biologisch ernähren, können wir uns mit allen notwendigen „Betriebsstoffen“ ausreichend versorgen. Ich habe das für mich nur über Experimente herausgefunden, davon will ich im Folgenden mehr erzählen. Aber eines dieser Experimente ziehe ich vor, weil es, nun ja, ein wenig aus der Reihe fällt, nicht besonders aufregend war, auch etwas Durchhaltevermögen gebraucht hat, aber auch eine ganz wichtige Botschaft enthält: Auch wer wie ich meint, sich normal und ausgewogen zu ernähren, kann sehr wohl in Mangelzustände geraten. Denn die heutigen Lebensmittel sind selbst schon mangelhaft. Das sagt jedenfalls der Apotheker Uwe Gröber, der gemeinsam mit einigen Professoren einige Bücher über Mikronährstoffe geschrieben hat (t1p.de/paza)1: „Von 1914 bis 2018 haben Lebensmittel wie Kohl, grüner Salat, Tomaten und Spinat etwa 90 Prozent ihres Gehaltes an Magnesium, Kalzium und Eisen verloren.“
Im Rohmanuskript zu meinem Zuckerbuch stand unter anderem auch dieser Satz: „Zwei Dinge will ich noch in Zukunft testen: Selen und Lithium!“ Zum Selenmangel stand dort weiterhin: „Selen gehört zu den essentiellen Mineralstoffen, mit denen wir eigentlich durch die Nahrung gut versorgt sein sollten. Sollten! Wir brauchen Selen für ganz vielerlei, zur Synthese von Eiweißbausteinen und für unser Immunsystem. Äußerlich bemerken Sie einen Selenmangel vielleicht zuerst an brüchigen Nägeln und stumpfen, dünnen Haaren – aber warum Mangel?“ Tatsächlich begannen sich damals bei mir die Brüche und Risse in den Fingernägeln zu häufen. Was vorher vielleicht einmal im Jahr oder seltener vorgekommen war, wenn ich mit einem Fingernagel hart angestoßen war, gab es jetzt im Monats- oder Wochenabstand und die Anlässe wurden immer geringfügiger. Plötzlich sahen meine Nägel so aus wie die, die man früher in TV-Zeitschriften sehen konnte: mit einem dicken schwarzen Kreuz durchgestrichene lange Nägel einer Frau mit hässlichen Bruchrändern vorne dran. Daneben war dann der perfekte Nagel abgebildet, und das Ganze war Werbung für „Dr. Beautys Gesundheitspillen“ oder so. Und ich meinte mich zu erinnern, dass diese Pillen vor allem viel Selen enthielten. Also mal das Internet befragen. Eindeutig: Selenmangel und brüchige Nägel korrelieren stark. Selentabletten sind frei verkäuflich, und Selenase XL nicht gerade die billigsten. Aber was soll’s, probieren kann man das ja mal, oder? Gesagt, getan und brav jeden Morgen meine Selentablette geschluckt. Das Ergebnis war bei mir völlig eindeutig, auch wenn es einige Wochen oder eher Monate dauerte, denn so schnell wachsen Nägel ja nicht: Die Anfälligkeit für Brüche ließ immer mehr nach, die Nägel wurden elastischer und jetzt, nachdem ich seit gut drei Jahren regelmäßig Selen zu mir nehme, kann ich mich an den letzten Nagelbruch gar nicht mehr erinnern.
Na gut. Einzelfall, oder? Zumal man, wenn man nach „Selentabletten“ sucht, auch auf Artikel stößt, die verkünden: „Nahrungsergänzungsmittel mit Selen: Hilft nicht viel – schadet im Zweifel“ (t1p.de/wwlh)1. Und zwar von der Stiftung Warentest! Genauer heißt es dort: „Nahrungsergänzungsmittel mit Selen sollen Haut und Haaren gut tun, die Zellen schützen und sogar Krankheiten verhindern. Doch wissenschaftlich belegt ist der Nutzen nicht. Tatsächlich bestätigt jetzt eine große Studienauswertung, dass zusätzliche Selen-Zufuhr nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt. Und bei übermäßiger Einnahme kann es sogar schaden.“ Ah ja. Aber mit Herz-Kreislauf hatte ich doch gar nichts am Hut? Ich hatte brüchige Nägel – und dagegen hat es klar geholfen. Und dann heißt es weiter unten: „Normale Ernährung reicht meist zur Versorgung.“ Soso. Bei mir offenbar nicht. Sie merken schon, ich bin ein bisschen überkreuz mit diesem Bericht, aber das ist ja auch klar, denn da wird dann auch noch ausdrücklich gewarnt, es könne auch schaden! Mal sehen. Die Verbraucherzentrale sagt dazu: „Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt eine Tagesmenge von 45 Mikrogramm in Nahrungsergänzungsmitteln nicht zu überschreiten. Akute Symptome einer Überdosierung (möglich ab ca. 300 Mikrogramm pro Tag) sind […]“ (t1p.de/81l0)1. Ab 300 Mikrogramm? Das ist siebenmal mehr als der Tagesbedarf. Und wie viel hat eine von meinen Tabletten? Es gibt sie in Dosen von 50, 100 und sogar 200 Mikrogramm, das sind die oben erwähnten XL. Selbst mit den stärksten (und teuersten) Tabletten kann man sich also wohl kaum vergiften. Außer man nimmt mehrere davon, wie eine Frau, die, wie die Ärztezeitung berichtet, mit 50 fast blind und dement ins Krankenhaus gekommen ist: Sie hatte jahrelang die 200er-Tabletten genommen, und ihre früheren Selenwerte waren nur knapp über der normalen Obergrenze gelegen. Dann aber hatte sie sechs Monate lang täglich sechs bis sieben Stück eingenommen. Ihr im Krankenhaus gemessener Blutwert war um das 50-Fache erhöht. Es dauerte bei totalem Selenentzug immerhin zwei Jahre, bis alle Symptome wieder verschwunden waren und sich der Blutwert normalisiert hatte. Eine Hirnatrophie aber wird ihr bleiben (t1p.de/neq2)2. Also deshalb wird gewarnt. Na gut. Aber ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die versuchen, ein rohes Ei in der Mikrowelle zu garen, und sich über die Dampfexplosion wundern, die dann folgt und eine verdammte Schweinerei hinterlässt.
Zurück zu der Aussage, wir bekämen über die Nahrung genug Selen. Diese Feststellung ist sicher in vielen Fällen falsch, in meinem ganz besonders. Zum einen beziehen wir Selen bei normaler Ernährung vor allem aus Getreide, das heißt etwa aus dem Mehl im Brot, Kuchen etc. pp. Das Selen im Getreide kommt aus dem Boden, und die Böden in Mittel- und Nordeuropa gelten als selenarm, weil sie schon Millionen Jahre alt und entsprechend ausgewaschen sind. Die Finn*innen – dort sind die Böden noch etwas selenärmer – haben daraus ihre Schlüsse gezogen: Der Dünger, der auf die Felder ausgebracht wird, wird in Finnland mit Selen angereichert, so wie bei uns das Salz mit Jod. Bei uns passiert das nicht, deshalb ist unser Getreide und damit auch das Brot eher selenarm. Bei mir kommt noch dazu, dass ich nur noch wenig Brot esse, Kuchen schon gar nicht – kohlenhydratarme Ernährung halt, sonst nehme ich leider zu. Und relativ gesehen esse ich überhaupt wenig, denn der Kalorienverbrauch im Alter ist ein ganz anderer, als man uns immer weismachen will.
Was lesen wir immer? 2000 Kalorien (Kal = kcal) pro Tag für einen 70 Kilogramm schweren Durchschnittserwachsenen. Ja, manche gute BMI-Rechner berücksichtigen mittlerweile das Alter (t1p.de/r6xn)1, aber weniger als 1600 kcal (kcal) oder 1600 Kal (Kal = kcal; die Abkürzungen werden synonym verwendet und entsprechen jeweils 1000 calorien) habe ich auch dort für meine 65 Jahre noch nie gefunden.
Vor zwei Jahren habe ich mir den Spaß gegönnt und meinen Kalorienumsatz richtig messen lassen. Das ist ganz einfach: Man atmet eine Minute im Sitzen in eine Röhre, dann weiß der Computer, wieviel CO2 man ausgeatmet hat, und damit auch, wie viel Kalorien aus Kohlenhydraten, Eiweiß oder Fett verbrannt worden sind. Bei mir war der Grundumsatz 950 Kalorien plus 200 fürs Sitzen: 1150 Kalorien. Mehr braucht mein Körper nicht, leider. Würde ich die allgemein vorgegebenen 2000 Kalorien essen, also 850 mehr pro Tag, dann wären das 120 Gramm Körperfett pro Tag. 1,2 Kilogramm in zehn Tagen, über drei Kilo im Monat, die ich zunehmen würde. Selbst die Differenz zum altersangepassten BMI-Rechner mit 1600 kcal/Tag würde sich in nur einem Monat zu deutlich mehr als einem Kilo Gewichtszunahme addieren. Und jetzt wird mir klar, warum ich so viele ältere Menschen sehe, die sehr, sehr rundlich sind: Die essen die von früher gewohnten normalen Portionen – und brauchen doch nur noch die Hälfte davon!
Mit 16 konnte ich fünf Mahlzeiten am Tag verdrücken, gut 2500 Kalorien müssen das oft gewesen sein. Und ich war ein Spargel von 54 Kilogramm bei allerdings nur 1,69 Meter, trotzdem untergewichtig. Das hat sich mit 30 fast schlagartig geändert, jetzt wollte jedes Bierchen gleich zum Brauereigeschwür beitragen, und mit 53 war ich bei stolzen 81 Kilogramm angelangt. Deshalb die Umstellung auf Low Carb, und es hat auch wirklich geholfen. Binnen 15 Monaten war ich runter auf 66 Kilogramm, und über die letzten Jahre halte ich mich zwischen 68 und 71 Kilo, das heißt, bei meiner Größe pendele ich zwischen BMI 24,9 und 25,1. Das ist okay. Lieber wären mir die 66 Kilo und der BMI von 23, ich gebe es zu, aber dann zeigt es sich schnell im Gesicht, und man sieht gleich ein paar Jahre älter aus. Es ist nicht so einfach, weniger zu essen, wenn doch alles so lecker schmeckt … und auf Brot kann ich am ehesten verzichten. Womit wir wieder beim Selen wären: Wenn also die Böden, damit das Getreide und damit auch das Brot, schon selenarm sind, man sowieso wenig isst und überdies dann auch noch wenig Brot, dann ist ja wohl klar, dass die Selenversorgung unterdurchschnittlich ist. Und dann ist auch klar, warum ich mein Nägelproblem mit den Selentabletten recht schnell in den Griff bekommen habe. Mittlerweile nehme ich es nicht mehr hochdosiert als einzelne Tablette, sondern in Kombination mit anderen Mikronährstoffen, Vitaminen und Mineralsalzen in tagesüblichen Bedarfsmengen. Zusätzlich zu dem, was in der Nahrung steckt, nehme ich 45 Mikrogramm, also ungefähr 90 Prozent des normalen Tagesbedarfs, der damit gut gedeckt sein dürfte. Damit bin ich auch meilenweit von jeder Vergiftung entfernt. Und ich bin der festen Überzeugung, dass ich nicht der Einzige bin, der einen latenten Selenmangel hat (beziehungsweise: hatte). Ich verstehe zwar, dass man vor so irrwitzigen Vergiftungsaktionen wie der oben geschilderten warnen muss, aber das ist so wie mit dem Chow-Chow, den man zum Trocknen nicht in die Mikrowelle stecken sollte – ein bisschen abseitig. Und die wirkliche Botschaft, dass Deutschland ein Selenmangelgebiet ist und alle West- und Nordeuropäer, von den schlauen Finnen vielleicht abgesehen, im Durchschnitt einen Selenmangel aufweisen, die geht leider in solchen Warnungen komplett unter. Ja klar, man konnte keinen Zusammenhang finden zwischen Selenmangel und koronarer Herzkrankheit. Unser Körper ist eben doch komplexer als so ein Auto mit seinen gerade mal 40 000 Teilen. Womöglich hat man da das Falsche gesucht? Später werde ich auch noch von einem fast schon absurden Zusammenhang zwischen so einem Mikronährstoff und einem ganz anderen Blutwert erzählen. Absurd, weil offenbar kaum bekannt. Ich selbst werde jedenfalls nie mehr kein Selen zu mir nehmen, da kann mir die Stiftung Warentest erzählen, was sie will. Aber auch nicht mehr als den Tagesbedarf – wozu auch, das kostet doch Geld! Und was zusätzlich über die Nah-rung reinkommt, nehme ich gratis mit.
Meine Nachforschungen über Selen, vor allem aber das Erfolgserlebnis, dass mir binnen weniger Monate kein Nagel mehr anriss oder brach, löste ein allgemeines Interesse an allem, was der Körper so an Hilfsund Betriebsstoffen brauchen könnte, bei mir aus. Wenn schon an so etwas Einfachem wie Selen ein allgemeiner Mangelzustand herrscht, dessen Auswirkungen ganz konkret zu spüren sind, was ist dann mit den tausend anderen Vitaminen, Mikronährstoffen und Spurenelementen? Vor allem, wenn man älter ist, muss man sich über die Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen Gedanken machen, schon gar, wenn man insgesamt weniger isst. Bislang wird uns immer wieder gesagt, dass es uns bei ausgewogener Ernährung an nichts wirklich fehle und dass die Einnahme von Vitamintabletten überflüssig sei oder sogar schädlich sein könne. Wie einige Studien zu belegen scheinen, führt etwa das einstmals als Radikalenfänger hochgelobte Vitamin E (Tocopherol) bei erhöhter Zufuhr auch zu erhöhten Lungenkrebsraten bei Raucher*innen, während ein Mangel bei uns eher selten und nur in Verbindung mit bestimmten Krankheiten diagnostiziert wird. Auch Vitamin A wird in Überdosierung Schlechtes nachgesagt. Und dass Vitamin C keine Erkältung verhindert, hat sich ja nun auch herumgesprochen. Aber was ist eine ausgewogene Ernährung denn genau? Und ist dann wirklich alles drin, was ich brauche? Mal schauen: Da wäre zum Beispiel Vitamin B12. Schwangeren wird das empfohlen, genau wie B9 (Folsäure). Bitte? Wenn wir doch bei ausgewogener Ernährung angeblich alles bekommen, was wir benötigen? Und wie sagen die Frauen zu Recht: Ich bin schwanger und nicht behindert! Könnte es sein, dass wir vielleicht alle einen gewissen B12-Mangel haben, der sich allerdings nur bei Schwangeren beziehungsweise beim ungeborenen Kind besonders eklatant auswirkt? Und den allgemeinen Mangel nehmen wir vielleicht genauso wenig wahr, wie uns die rissigen Fingernägel zum Nachdenken bringen? Lästig, aber geht ja, oder? Genauso ist es offenbar. Die Vermutung, dass in der Bevölkerung ein allgemeiner B12-Mangel herrscht, liegt nahe. Und da B12 vor allem in tierischer Nahrung steckt, gilt das insbesondere für Veganer*innen. Die allerdings wissen das vermutlich alle und kontrollieren ihren B12-Spiegel regelmäßig. Aber auch wir Normalos sollten genau hingucken: „Vitamin-B12-Mangel ist weit verbreitet. Zu den Risikogruppen gehören ältere Personen, Vegetarier, Schwangere sowie Patienten mit Nierenoder intestinalen Erkrankungen. Die neurologischen Symptome des Vitamin-B12-Mangels sind unspezifisch und können irreversibel sein“, schreibt das Deutsche Ärzteblatt (t1p.de/l1pg)1. In einer der verlinkten Studien werden auch Zahlen angegeben: Fünf Prozent aller 65- bis 74-Jährigen hatten demnach einen B-12-Mangel und sogar zehn Prozent aller 75-Jährigen und Älteren.
B12 wird vom Körper nicht hergestellt, sondern nur von Mikroorganismen (Bakterien). Es kommt vor allem mit tierischer Nahrung in unseren Körper – oder eben mit Tabletten.
In Wahrheit ist es komplizierter, auch unser Darm stellt B12 her, nur leider zu spät:
„Wenn Pflanzen kein B12 haben, wie überlebt ein Menschenaffe dann vegan? […] Ganz einfach: Schimpansen fressen auch Fleisch (sie jagen aktiv kleine Tiere), und die reinen Pflanzenfresser, also die Gorillas, substituieren B12. Glaubst du nicht? Beobachte mal Gorillas: Sie halten ihre Hand unter ihr Hinterteil, fangen ihren eigenen Kot auf und fressen den. Das nennt man Koprophagie. Im Dickdarm von Säugetieren leben nämlich Bakterien, die B12 herstellen. Nur nützt das uns nichts, denn unser Dickdarm kann keine Nährstoffe absorbieren. Also wird das B12 zunächst ungenutzt ausgeschieden. Man muss es essen, damit es wirkt. Weidetiere koten auf ihre Weiden und nehmen so nebenbei B12 auf, und Gorillas fressen eben ihren eigenen Kot.“ (t1p.de/tnxn)1
Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass B12 bei der Gärung von zum Beispiel Sauerkraut oder Brottrunk auch entstehen und so in den Körper gelangen kann: „Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs können nach bakterieller Gärung Spuren von Vitamin B12 enthalten. Dazu zählen beispielsweise Sauerkraut und Bier. Darüber hinaus liefern Meeresalgen wie Nori und Shiitake-Pilzen schwankende Mengen an Vitamin B12. Nahrungsmittel dieser Art sind die einzigen natürlichen Vitamin-B12-Quellen für Veganer. Zudem ist nicht gesichert, ob und wie gut der Körper das Vitamin in diesen Produkten verwerten kann.“ (t1p.de/kxcu)2 Das dürfte analog für den Brottrunk gelten, wobei die Auflistung der Inhaltsstoffe für dieses in Russland auch als Kwass bekannte, uralte Getränk schon beeindruckend ist: Selen und Zink, Kupfer, Eisen, Mangan, Magnesium, Kalzium, Vitamin E, Vitamin B6 und Vitamin B12 (t1p.de/xfh1)1. Das ist zweifelsfrei gesünder als Cola. Mittlerweile kann man Brottrunk auch fast überall kaufen – nur geschmacklich ist das wohl nicht jederfrau Sache. Auch in bei Veganer*innen beliebten Spirulina-Algen soll B12 enthalten sein, die Verbraucherzentrale warnt aber davor (t1p.de/3qb3)2. Es soll sich nur um ein chemisches Analogon, also etwas chemisch Gleiches mit anderer Struktur, handeln, das nicht verstoffwechselt werde. Schlimmer noch, es besetze die Andockstellen für echtes B12 und könne so selbst bei ausreichender B12-Versorgung einen B12-Mangel verursachen: „Sogar die Vegan Society rät darum mittlerweile generell davon ab, sich auf pflanzliche B12-Quellen zu verlassen, und empfiehlt stattdessen Vitamin-B12-Präparate, die das Vitamin B12 in naturidentischer Form enthalten.“ (t1p.de/av3g)3
Ein B12-Mangel kann enorme Auswirkungen haben, zum Beispiel Blutarmut (Anämie), aber auch allgemeine Antriebsarmut und viele andere physische und psychische Symptome. Selbst das gehäufte Auftreten von Demenz wird direkt damit in Verbindung gebracht. Bei der Diagnose ist eher hinderlich, dass wir nur sehr, sehr wenig davon benötigen, andererseits aber in der Leber einen Vorrat speichern können, der über mehrere Jahre vorhält. Man merkt also erst mal gar nichts. Der alternde Mensch, bei dem die Aufnahme von B12 eingeschränkt ist und dessen Speicher langsam, aber sicher leerläuft, wohl erst recht nicht. Außerdem kann man in Frage stellen, ob die unteren Grenzwerte, die von den Laboren beim Bluttest angenommen werden, wirklich gesund sind, denn einerseits können wir mit einem gewissen Mangel durchaus leben (nur eben nicht so gut), und andererseits sind die üblichen Tests auf B12 nicht unbedingt voll aussagekräftig – selbst bei einem guten B12-Spiegel kann nämlich auch eine B12-Verwertungsstörung vorliegen, und die ist nicht so selten. Es gibt einen Test dafür – die 60 Euro dafür muss man leider selber zahlen –, der exakt feststellt, wie es hinsichtlich des Vitamins B12 um Sie bestellt ist: der Test auf die Methylmalonsäure-Konzentration, MMA-Test genannt.
Überdies kann man B12 – im Gegensatz zu Vitamin A und E – kaum überdosieren. Es kann also nichts schaden, regelmäßig Vitamin B12 zuzuführen. Denn: Bestimmte Medikamente verhindern oder mindern die Aufnahme von B9 (Folsäure), zum Beispiel Protonenpumpenhemmer (gegen Sodbrennen), Antihistaminika (gegen Heuschnupfen und Juckreiz), Antibabypillen, Antibiotika etc. pp. Vitamin B9 ist aber für die Aufnahme und Verwertung von B12 wichtig. Wenn davon zu wenig da ist, ist das also auch hinderlich. Auch das Rauchen soll die Verwertung von B12 deutlich herabsetzen. Und möglicherweise ist der Bedarf an B12 von Mensch zu Mensch auch sehr unterschiedlich, denn es dient auch zur Entgiftung, also zum Unschädlichmachen bestimmter Stoffe, die je nach der Art der Ernährung mehr oder weniger stark anfallen. Es könnte also sein, dass Veganer*innen davon weniger benötigen, Fleischesser*innen und Raucher*innen mehr.
Am Verwirrendsten beim B12 ist aber die Frage der Dosierung. Wir brauchen am Tag nur winzigste Mengen, wenige Millionstelgramm reichen normalerweise. Und es gibt deshalb Tabletten mit zum Beispiel fünf Mikrogramm Methylcobalamin (das ist das vom Körper bevorzugte Cobalamin, also Vitamin B12). Aber es gibt auch welche mit 1000 Mikrogramm, also der 200-fachen Menge. Das ist doch toll, eine solche Tablette müsste dann für 200 Tage reichen, oder? Leider nicht. Für die Aufnahme von B12 stellt der Körper eine Andockstelle bereit, den sogenannten „Intrinsic Factor“. Der ist aber nur in sehr begrenzter Menge vorhanden, mit den fünf Millionstelgramm ist er voll bedient. Und dann dauert es drei bis fünf Stunden, bis im Darm wieder genug Intrinsic Factor vorhanden ist, um erneut B12 aufzunehmen. Man könnte also drei solcher 5er-Tabletten den Tag über verteilt schlucken, um leere Speicher aufzufüllen – das macht aber kein Mensch. Es gibt noch einen zweiten Weg der Aufnahme: einfach per Diffusion durch die Darmwand. Dabei allerdings wird nur circa ein Prozent der Menge verwertet. Im Falle unserer 1000er-Tablette also zusätzliche zehn Mikrogramm, zusammen dann der dreifache Tagesbedarf. Sind Ihre B12-Speicher aber richtig leer, dann wird die Ärztin eher eine Spritze setzen. Aus diesem Depot mit 1000 und mehr Mikrogramm werden dann Ihre B12-Speicher wieder gefüllt. Da warte ich doch lieber nicht, bis die Speicher leer sind, sondern greife rechtzeitig zu den Tabletten. Denn ein totaler B12-Mangel kann extreme Folgen haben, wie in einer Folge der SPIEGEL-Serie „Ein rätselhafter Patient“ beschrieben wurde: „Vor vier Wochen war der 61 Jahre alte Mann noch komplett gesund, jetzt tragen ihn seine Beine nicht mehr richtig. Er hat Schwierigkeiten, alleine aufzustehen. Wenn er geht, schlurfen die Füße über den Boden, und er schwankt. Hinzu kommen Taubheitsgefühle in seinen Händen und Füßen, es kribbelt. In der Notaufnahme im Brigham and Womens’ Hospital in Boston erzählt die Familie des Mannes, dass auch sein Gedächtnis in letzter Zeit nachgelassen habe. Im Schnitt muss der Mann um jedes vierte Wort ringen […] Im Bereich von Brust und Hals entdecken die Mediziner Stellen, an denen das Rückenmark beschädigt ist. In Kombination mit den Gedächtnisproblemen kommen mehrere Diagnosen infrage. So könnte es sich etwa um eine fortgeschrittene Syphilisinfektion handeln, bei der die Krankheit auf das zentrale Nervensystem übergegriffen hat. […] Aufgrund der Blutwerte schließen sie jedoch auf eine andere Erkrankung: Sie vermuten, dass ihr Patient unter einem extremen Vitamin-B-12-Mangel leidet. Ein Bluttest bestätigt die Vermutung. Der Wert des Vitamins ist so niedrig, dass das Labor nicht einmal kleinste Mengen findet. […] Ohne Vitamin B 12 kann der Mensch auf Dauer nicht überleben. […] Um die Speicher wieder aufzufüllen, spritzen die Ärzte dem Mann fünf Tage lang 1000 Milligramm des Vitamins, anschließend folgen wöchentliche Injektionen. Zum Schluss kommt der Patient mit monatlichen 1000-Milligramm-Spritzen aus. Seine Probleme sind gelöst. Zwei Monate später kreisen wieder genug Blutkörperchen durch seinen Körper, sein Gedächtnis funktioniert und auch die Nervenprobleme sind verschwunden.“ (t1p.de/mlj4)1
Und eine weitere Fallgeschichte schafft es unter dem Titel „Dement auf Zeit“ in die Serie: „Schon mit 56 Jahren erkrankt eine Frau aus Kap Verde an Demenz. Erst Jahre später finden Ärzte die Ursache.“ Mangelnde B12-Resorption durch eine chronische Magenentzündung war die Ursache, die Folgen dramatisch: „Sie spricht undeutlich, selbst ihre Schwester kann manche Aussagen nicht verstehen. Aus ihrem Verhalten lässt sich ablesen, dass sie Dinge sieht und hört, die nichts mit der Realität zu tun haben. Die Mediziner diagnostizieren eine fortschreitende Demenz, verbunden mit einer entweder daraus resultierenden oder unabhängig auftretenden Epilepsie. Auch die Wahnvorstellungen können unabhängig von Demenz und Epilepsie oder als Folge der beiden Krankheiten aufgetreten sein.“ Nach Behebung des B12-Mangels „verwandelt sich [die 61-Jährige] zurück in den Menschen, den ihre Verwandten aus der Zeit vor der Erkrankung kannten“ (t1p.de/zz71)2.
Praktischerweise enthalten Tabletten für B12-Mangel oft auch das Vitamin B9, besser bekannt als Folsäure. Wie schon oben ausgeführt auch ein wichtiges Vitamin, wie alle Schwangeren lernen. Ein Mangel an Folsäure kann drastische Auswirkungen auf das Ungeborene haben, die Symptome in Einzelfällen – Missbildungen bei Babys: Spina bifida (offenes Rückgrat) und offene Gaumenspalte – sind sehr, sehr traurig, deshalb gehört zur Schwangerschaftsberatung der dringliche Rat, zusätzlich Folsäure zu sich zu nehmen. Das Zusammenspiel von Folsäure und Vitamin B12 ist aber erst richtig komplex, B12 kann bei einem Mangel an Folsäure nicht richtig verwertet werden, und beide zusammen bauen das körpereigene Homocystein ab: Ein zu hoher Homocysteinspiegel gilt als Risikofaktor für Herz- und Kreislaufprobleme bis hin zum Schlaganfall. In mittlerweile 67 Ländern wird deshalb Folsäure bestimmten Grundnahrungsmitteln zugesetzt, allerdings nicht in Europa. Ich jedenfalls nehme vorsichtshalber Kombitabletten, die B12 und B9, also Folsäure, enthalten. Beide Werte waren beim letzten Bluttest top, Folsäure sogar over the top.
Noch ein Wort zu den Tests auf B12: Im Blutbild wird das B12 zwar ausgewiesen, dieser Wert ist aber leider nur für völlig gesunde Otto Normalverbraucher wirklich aussagekräftig, oder wie das Ärzteblatt formuliert: „Gesamt-Vitamin-B12 im Serum ist ein später, relativ unsensitiver und unspezifischer Biomarker des B12-Mangels. Holotranscobalamin (Holo-TC), auch als aktives B12 bezeichnet, ist der früheste Laborparameter des B12-Mangels. Methylmalonsäure (MMA) ist ein funktioneller B12-Marker, der bei leerem B12-Speicher ansteigt. […] Die diagnostische Verwendung von Holo-TC erlaubt therapeutische Schritte, bevor irreversible neurologische Schäden auftreten.“ (t1p.de/l1pg)1. Das heißt, wer es wirklich genau wissen will, muss den MMA-Test (t1p.de/5qof)2 oder den Holo-TC-Test (t1p.de/vjhx)3 machen. In beiden Fällen darf vorher zehn Tage lang kein Extra-B12 per Tabletten zugeführt werden. Natürlich müssen Sie beide Tests aus eigener Tasche zahlen. Ja, Vorsorge wird leider nicht honoriert und im Zweifel auch nicht bezahlt. Wenn es dann zu Krankheiten kommt, zahlt die Kasse lieber die „Reparatur“, sprich die vermeintliche Heilung, nur dass wir keine Autos sind und Ersatzteile nicht im Regal liegen: Irreversible neurologische Schäden wie oben beschrieben sind eben nicht rückgängig zu machen.
Viele von Ihnen werden die Geschichten von den Seefahrern kennen, die nach monatelanger Fahrt ganz schrecklich unter Skorbut litten, denen die Zähne ausfielen, die schweres Fieber bekamen und was noch alles. Und wie die Einführung von Sauerkraut auf den Schiffen diesen Mangel beseitigt hat – das Vitamin C im Sauerkraut. Folgt man allerdings dem Journalisten Gary Taubes, der mit Good Calories – Bad Calories ein Standardwerk zum Thema Zucker und Kohlenhydrate geschrieben hat, dann war der eigentliche Grund die fast ausschließliche Ernährung mit Schiffszwieback, also schnellen Kohlenhydraten. Nur unter dem Einfluss einer kohlenhydratreichen Kost erleiden wir einen lebensgefährlichen Vitamin-C-Mangel, so Taubes. Davon abgesehen findet sich Vitamin C nicht nur in Früchten oder Gemüse, sondern auch in Fleisch und Fisch, vor allem in den Innereien zum Beispiel der Leber (dort auch das oben angeführte B12 und andere Vitamine). Extra Vitamin C ist also vor allem dann angesagt, wenn man viel Zucker (schnelle Kohlenhydrate) zu sich nimmt. Da ich das nicht tue, lebe ich gut mit dem kleinen Extra von über 300 Prozent, das in Multivitamin- oder anderen Tabletten mitgeliefert wird.
Bei Vitaminen, aber auch Mineralstoffen, ganz allgemein Mikronährstoffen, sollte man immer wissen, in welcher Dosierung man sie nehmen darf, ohne sich zu gefährden. Hilfreich dabei sind die Angaben in Prozent des Tagesbedarfs. Vitamin C kann man kaum überdosieren, da es wasserlöslich ist und ein Überschuss bei gesunden Menschen einfach über die Nieren wieder ausgeschieden wird. Aber ob es mit 200 oder 300 Prozent des Bedarfs auch besser wirkt, das dürfte ewig umstritten bleiben. Der Tagesbedarf eines Erwachsenen wird üblicherweise mit circa 100 Milligramm angegeben, bei Raucher*innen eher 135 Milligramm. Der Nobelpreisträger Linus Pauling soll zeitweise mehrere Gramm (!) pro Tag genommen haben, da er der Meinung war, damit ein Allheilmittel auch gegen Krebs gefunden zu haben. Es scheint ihm nicht geschadet zu haben, er wurde immerhin 93. Den Krebs verhindert hat es letzten Endes aber auch nicht, Pauling starb an Prostatakrebs.
Beim B12 schützt uns der Intrinsic Factor vor einer zu hohen Aufnahme, und auch bei den anderen B-Vitaminen ist eine Überdosierung kaum oder nur schwer möglich, da sie wasserlöslich sind und ein Überschuss, wie beim Vitamin C, einfach ausgeschieden wird. Und billig scheinen sie auch zu sein, denn ich finde auf einer Dose mit einem Vitamin-B-Komplex, die ich mal als Probe geschenkt bekommen habe, alle B-Vitamine in vollkommen verrückten Mengen bezogen auf den Tagesbedarf. B1 wird da zum Beispiel mit 4545 Prozent (ja, über 4000 Prozent!) angegeben, B2 mit 7143 Prozent und nur ein Einziges unter 500 Prozent: B3 (Niacin) mit 188 Prozent. Wären diese absurden Mengen irgendwie gefährlich, würde sich der Hersteller mit der Empfehlung, jeden Tag eine Kapsel zu nehmen, wohl strafbar machen.
Die Verbraucherzentrale ist hinsichtlich des B3/Niacin der Meinung, dass Mengen über 30 Milligramm pro Tag zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Hautrötungen, Hitzegefühl sowie Nesselsucht mit stark juckenden Quaddeln führen könnten. Sie schreibt unter anderem: „Die Zufuhrmenge [die nach EU-Verordnung empfohlene Tagesdosis] wird bei der in Deutschland üblichen Ernährung erreicht bzw. überschritten und eine zusätzliche Ergänzung bringt in der Regel keine gesundheitlichen Vorteile. […] In Deutschland trägt speziell der Konsum von Kaffee und Brot zur Versorgung bei.“ (t1p.de/9n03)1 Der offiziell für mein Alter festgelegte Tagesbedarf (EU-Verordnung) soll bei 14 Milligramm B3 liegen. Ob da eine Tasse Kaffee am Tag reicht? Und was, wenn man kein Brot isst? Mit den 24 Milligramm B3/Niacin, die in meinen Multivitamin-Kapseln drin sind, liege ich bei circa 170 Prozent. Geschadet hat es mir bislang offenbar nicht. Und mir würden auch 100 Prozent oder weniger reichen, ein paar Nüsse hier und da esse ich ja auch.
Die Kapseln, die ich heute nehme (t1p.de/aewo)1, enthalten alle oben erwähnten B-Vitamine mit angeblich jeweils 150 Prozent des Tagesbedarfs. Ich verstehe daher die Verzehrempfehlung von bis zu zwei Kapseln nicht ganz, wenn doch zumindest bei den B-Vitaminen schon eine Kapsel 150 Prozent abdeckt. Ich nehme also nur eine, und die kostet circa 16 Cent. Sie enthält Vitamin B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B3 (Niacin), B5 (Pantothensäure), B6, B7 (Biotin, auch Vitamin H genannt), B9 (Folsäure) und B12. Außerdem enthalten diese Kapseln noch: Magnesium mit 45 Milligramm oder 15 Prozent des Tagesbedarfs eines Erwachsenen (300 mg), Selen mit 100 Prozent, Vitamin E mit 150 Prozent und 50 Milligramm Q10. Für dieses Coenzym gibt es keinen Referenzwert, es ist ein körpereigener Stoff, auf den ich später noch eingehen werde.
Die B-Vitamine also kann ich für mich abhaken, dito Vitamin E, Selen ganz und Magnesium zum Teil. Das alles für läppische 16 Cent, und ich muss nicht drauf achten, ob meine Nahrung ausgewogen ist, so wie sich die DGE und die Verbraucherzentrale das in ihrem idealen Lebensmittelwarenkorb vielleicht vorstellen. Denn selbst wenn sie das wäre, wäre ja nicht genug von dem drin, was ich brauche, Calcium, Eisen, Magnesium, Selen, Vitamin C etc. – falls Uwe Gröber recht hat. Und er ist ja nicht der Einzige, der darauf hinweist, dass unser hoch gedüngtes Turbogemüse zwar immer frisch aussieht, aber leider viel weniger Geschmack und auch viel weniger Mikronährstoffe enthält als die noch unverzüchteten Ursorten. Ich kann also auch mal gar nichts essen oder einen fast nährstofffreien und mit Billigstkäsescheiben überbackenen Toast oder einen Wintersalat, in dem nichts drin ist, außer Nitrat vielleicht – ich mache mir um meine Vitaminversorgung keine Sorgen mehr. Zumal ich dann ja noch eine zweite Kapsel nehme: Vitamin C+Zink (t1p. de/lu78)2 mit – hui – 375 Prozent des Tagesbedarfs an Vitamin C und immerhin 50 Prozent des Bedarfs an Zink. Zink werden alle möglichen gesundheitlich vorteilhaften Eigenschaften nachgesagt. Vor allem soll es helfen, wenn der Körper die bösen Rhinoviren bekämpfen muss, denn wenn er die nicht wegkriegt, dann gibt es einen Schnupfen. Deshalb wird Extra-Zink gegen Erkältungen gerne in der Winterzeit empfohlen. Und Zinkmangel scheint insgesamt auch in Deutschland verbreitet zu sein: „Wer denkt schon an Zink, wenn die Nägel brüchig werden oder ständig Infekte quälen? Ein niedriger Zinkspiegel könnte aber an beidem schuld sein“, schreibt FOCUS-Redakteurin Monika Preuk. Und weiter: „[…] in Deutschland leiden rund 20 Prozent der Erwachsenen an einem Zinkmangel. ‚Die Nationale Verzehrstudie spricht sogar von 17 bis 44 Prozent‘, sagt Dieter Loew, Pharmakologe aus Wiesbaden. Die Symptome eines Zinkmangels sind sehr unterschiedlich. Denn das essentielle Spurenelement hat ein breitgefächertes Spektrum an Einzelwirkungen. ‚Zink ist Cofaktor von rund 300 Enzymen, damit an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt und wichtig für die Aktivierung des Immunsystems, der Hormone, des Knochenstoffwechsels und vielem mehr‘, erklärt der Professor.“ (t1p.de/upoi)1 Na, bei so breitgestreutem Wirkungsbereich, da will ich doch einem Zinkmangel definitiv vorbeugen. Deshalb also das Vitamin C+Zink. Kostet läppische fünf Cent, daran soll es nicht fehlen.
Und ich nehme auch noch extra Magnesium, dazu komme ich später. Mit eventuellen Muskelkrämpfen hat das übrigens nichts zu tun. Es scheint eher eine fromme Mär zu sein, dass man diese mit etwas Extra-Magnesium alleine in den Griff bekommt. Erst seitdem ich mich um (hoffentlich) alle sogenannten Mikronährstoffe kümmere, habe ich solche Krämpfe absolut nicht mehr. Ja, ich kann sie noch nicht mal mehr provozieren. Früher ging das, wenn ich einen Fuß auf gewisse Weise angespannt und überstreckt habe. Das schaffe ich heute nicht mehr, meine Muskeln weigern sich zu krampfen. Nicht, dass ich darüber unglücklich wäre …
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