Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 47

»Ja, wo hast du dich denn rumgetrieben?«

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Allein und noch immer geschwächt, zog sie von Ort zu Ort. Inmitten der Flüchtlingsströme, überfüllter Bahnhöfe und Züge gelang es ihr oftmals nicht, den Zug zu erwischen. So musste sie tagelang auf den nächsten warten. »Du kannst dir kein Bild machen, wie die den Zug gestürmt haben. Die haben dich einfach umgeschmissen. Ich war ja sowieso so schwach auf den Beinen. So stand ich wieder da und hab den Zug nicht gekriegt. Dann kamen mir die Tränen. Ich wollte nur heim. Ich hab Hunger gehabt und überhaupt nur das, was ich auf dem Körper hatte, sonst nichts

Zwei Soldaten zogen sie irgendwann auf einen Güterwaggon voller Kohlen, der nach Stuttgart fuhr. »Einer hat mir ein Stück Brot in die Hand gegeben. Ich hab das Brot unterm Arm gehabt und immer nur ein Stück gegessen. Mir kamen immer wieder die Tränen, und so schwarz, wie ich war, kam ich in Stuttgart an. Im Wartesaal lagen alle und haben geschlafen

Sie erfuhr, dass Heilbronn völlig zerstört sei und keine Züge dorthin fuhren. Ihr bliebe nur der Fußmarsch in die sechzig Kilometer entfernte Stadt. Voller Sorge um die Familie, wusste sie keinen Ausweg, brach zusammen und wurde von französischen Soldaten versorgt. Heilbronn lag im amerikanischen Sektor, die Grenze befand sich zwanzig Kilometer entfernt. »Dann haben die Franzosen mich mit einem Jeep an die Grenze gebracht, von da aus musste ich zu Fuß gehen. Ich hab ausgesehen wie ein Schwein. In der Julihitze hatte ich den Wintermantel an und das warme Kleid vom KZ. Ich ging immer auf den Schienen, bis zum Neckar. Da sind die Wunden wieder aufgebrochen, und das Blut lief runter. Das waren fünfzehn Kilometer, die läufst du normal in zweieinhalb Stunden. Ich hab zwei Tage dafür gebraucht

Amerikanische Soldaten griffen die verwahrloste Frau auf, brachten sie in ein Lazarett. »Die Sanitäter vom Roten Kreuz haben mich gleich dabehalten. Ich hab ausgesehen … durch mich konnte man ja durchblasen. Irgendwann haben die mich heimgebracht. Da stand der Schwarze in Uniform neben mir und noch ein deutscher Polizist. Ich hab geklingelt, meine Mutter ist rausgekommen und hat gesagt: ›Tut mir Leid, ich kann Sie nicht aufnehmen, sonst werde ich bestraft. Sie müssen weiter.‹ Da hab ich zu meiner Mutti gesagt: ›Erkennst mich nicht mehr?‹ Da ist sie in Ohnmacht gefallen, und das Erste, wo sie wieder zu sich kam, war: ›Ja, wo hast du dich denn rumgetrieben?‹ Da hab ich wieder geheult und ihr gesagt, wo ich herkomme. Am liebsten hätte ich mich sofort wieder umgedreht und wäre gegangen

Erst als ihr jüngerer Bruder und der Vater heimkamen, sei sie wirklich zu Hause angekommen. »Das war eine Riesenfreude, als ich meinen Vater gesehen hab. Mein Bruder hat mich umarmt und immer wieder gesagt: ›Du lebst! Du lebst!‹ Dann kam die ganze Verwandtschaft, bis auf zwei, die hab ich nie wiedergesehen. Das waren Nazis. Dann hab ich vierzehn Tage lang Brei gegessen, bis ich wieder auf der Höhe war. Und dann kam der Kampf um die Existenz

Sie erfuhr, dass ihre Mutter nie darüber gesprochen hatte, dass sie im Lager war. »Vielleicht hat meine Mutter das nicht bewusst getan, aber wenn die Rede drauf kam, sagte sie immer: ›Elfriede war im Arbeitsdienstlager.‹ Doch ich hab kein Pardon gekannt und hab frei und offen gesagt, wo ich war. Meine Mutter musste sich schließlich dazu bekennen. Sie hatte immer Angst, sie wird selbst eingesperrt. Aber nach dem Krieg hätte sie doch sagen können: ›Meine Tochter war da und da, und ich steh dazu. Ich hab ihr Pakete geschickt.‹ Heute wissen sie alle, wo ich war

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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