Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 49

»Meine Narben, die sieht man nicht, aber deine …«

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»Als ich vom Lager heimkam, war der Hass furchtbar. Hauptsächlich der Hass auf Deutsche, weil die immer gesagt haben, ich hab nicht ›Heil Hitler‹ geschrien. Keiner hat von was gewusst. Da wurde der Hass so groß, ich wurde richtig rebellisch. Das hat Monate gedauert, bis ich diesen Hass verloren habe. Mein Vater hat mir geholfen, weil er immer sagte, die hätten alle Angst gehabt. Irgendwann hab ich ihm Recht gegeben, aber nur innerlich, äußerlich nicht

Ein halbes Jahr nach ihrer Heimkehr traf Elfriede Schneider in Heilbronn die Lagerpolizistin, die sie in Ravensbrück wegen der Seife verraten hatte. »Der hab ich schon im Lager angedroht: ›Wenn Gott will, dass ich hier wieder rauskomme, ich bring dich um, wenn ich dich erwische!‹ Ich hatte sie schon vergessen. Im ersten halben Jahr, wo ich noch keine Haare hatte, bin ich nicht raus. Doch dann waren meine Haare schon vier Zentimeter lang, da hat mein Bruder gesagt: ›Komm mit, du hast genug getrauert, jetzt gehen wir mal tanzen.‹ Und da sind wir gegangen. Plötzlich klopft mir jemand auf die Schulter und sagt: ›Na, Elfriede, hast du’s doch überlebt? Gott sei Dank.‹ Das war sie. Da hat mich mein Bruder schon gehalten. Der wusste sofort, was los war. Er hat mich richtig von ihr ferngehalten. Doch dann hab ich meinem Vater das Rasiermesser geklaut. Ich ging nicht mehr in Röcken, sondern nur in Hosen. Das Rasiermesser hab ich immer in der Tasche gehabt. Ich hab die gesucht wie eine Stecknadel. Ich wollte mich an ihr rächen, ich hab so richtig Wut auf die gehabt. Und an einem Sonntag war sie wieder da. Da bin ich zu ihr hin: ›Du, ich muss mit dir reden, kommst du mit raus?‹ Da ist sie mit mir raus. Hat sich nichts dabei gedacht. Drinnen haben sie mich vermisst, aber bis sie was gemerkt hatten, war’s schon zu spät. Ich hab das Rasiermesser genommen – so schnell konnte die gar nicht gucken – und bin ihr kreuz und quer durchs Gesicht gefahren. Ich hab bloß gesagt: ›Meine Narben, die sieht man nicht, aber deine sieht man.‹ Ich hab eine Erleichterung gespürt, das kann ich gar nicht beschreiben. Dann hat sie mich angezeigt, und es kam zur Gerichtsverhandlung. Mein Bruder hat gleich die Spuren verwischt, und alle sind zu mir gestanden, obwohl sie es wussten. Ich glaube, wenn mein Bruder nicht dazwischengegangen wäre, ich hätte die kaltblütig ermordet, so einen Hass hatte ich. Das hat kein Mensch gesehen, dass ich das war. Bei der Verhandlung sind alle dabei geblieben, dass wir an dem Tag nicht dort waren, und aus Mangel an Beweisen bin ich freigesprochen worden. Nach der Verhandlung hat der Richter zu mir gesagt: ›Jetzt kannst du’s mir ja sagen.‹ Doch ich hab gesagt: ›Nein, ich war es nicht, und wenn ich es gewesen wäre, würde ich es nicht zugeben.‹ Erst zehn Jahre später hab ich den Richter wiedergesehen, als ich mit meinem Vater beim Pferdemarkt war. Da hat er zu meinem Vater gesagt: ›Gell, das war deine Tochter?‹ Mein Vater sagte ihm, dass ich es war, und warum ich es getan habe. Daraufhin sagte der Richter: ›Dann war das noch viel zu wenig.‹«

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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