Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 48

»Was ich gemacht habe? Ich hab viel gerätselt«

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»Als ich heimkam, hab ich meinen Jugendfreund getroffen. Der war eigentlich meine große Liebe. Er war mein erster Mann. Da war nur meine Liebe, und sonst war da nichts. Ausgehen, Kino, das war wichtig. Wenn er da war, hab ich alles vergessen können. Doch dann kam der Einschnitt. Er war Dachdecker und ist abgestürzt. Dabei wollten wir heiraten, weil ich schwanger war. Das war wieder ein schwerer Einbruch in meinem Leben – das Lager und dann sein Tod. 1947 kam mein Sohn zur Welt

Ab 1949 verbrachte Elfriede Schneider lange Zeit in Sanatorien. »In einer Heilstätte hatte ich einen Arzt kennen gelernt. Der wollte alles ganz genau wissen und sagte, ich soll mich freireden, weil ich immer so verkrampft war. Mir stand das Weinen immer näher als das Lachen. Er sagte: ›Du wirst nie gesund, wenn du das nicht abbaust.‹ Da hab ich ihm alles erzählt, und es wurde mir leichter. Doch wenn ich dann zu Hause war, ging es von vorne los. Da hab ich dann wieder alles in mich reingefressen. Ich hab geglaubt, ich hab’s vergessen, aber ich hab’s nie vergessen

Elfriede Schneiders Mutter starb 1950. Nach einem Nervenzusammenbruch musste Elfriede wieder ins Sanatorium eingeliefert werden. 1950 heiratete sie einen ihrer ›Kurschatten‹. Mit ihrem Mann konnte sie anfangs über alles sprechen. Doch als er merkte, wie sehr sie die Erinnerungen aufwühlten, riet er ihr, alles zu vergessen. »Er hat nie geduldet, dass jemand mit dem Lager angefangen hat. Er hat immer gesagt: ›Lasst meine Frau in Ruhe. Das geht euch nix an. Das ist privat.‹ Auf die Art hat er mich abgeschirmt. Aber er wusste das. Innerhalb der Familie wussten es alle, aber man wollte das einfach vergessen. Ich hab nicht mehr gelacht. Auch meine Brüder haben mich irgendwie abgeschirmt. Da kam das Thema überhaupt nicht zur Sprache. Ich will dir sagen, was ich gemacht habe. Ich hab viel gerätselt, Rätselhefte gekauft und mich damit beschäftigt. Da konnte ich abschalten. Ich hab auch furchtbar viel gelesen, damit ich auf andere Gedanken komme. Ich hab manchmal am Tag drei, vier Bücher gelesen, doch danach kaum gewusst, was ich gelesen hatte. Dann hab ich wieder von vorne angefangen, um mich überhaupt auf irgendwas zu konzentrieren

Die Ehe ging in die Brüche, der Sohn geriet auf die schiefe Bahn. Darüber sprechen wollte sie nicht. Sie sagte nur, dass sie ihren Sohn nicht mehr gesehen habe, seit er im Gefängnis sitze. Ihr Leben sei ein einziger Kampf gewesen. »Ich bin krank aus dem Lager gekommen, krank bis zum heutigen Tag. Ich kämpfe bis heute um Wiedergutmachung. Ich sollte Zeugen bringen. Aber wo sollte ich die herholen? Sind doch alle tot. Dann hat man mich mit lächerlichen 5000 Mark abgefunden. Was ist das gegen meine Krankheiten? Aber für mich ist es eine große Erleichterung, dass ich sagen kann: ›Ich hab im Krieg nicht mitgeholfen.‹ Aber ich wollte über das, was ich erlebt habe, auch nicht sprechen. Ich war im Glauben, ich hab’s vergessen, bis es mir in Moringen klar wurde. Ich hab alles nur verdrängt. Da kam alles wieder hoch, als ob es gestern gewesen wäre. Das war dann noch schlimmer als damals, wo ich aus dem Lager kam. Von der Tagung in Moringen bin ich total erschöpft heimgekommen. Der Klaus12 hat nur gesagt: ›Was fehlt dir denn?‹ Ich hab nur gesagt: ›Lass mich in Ruhe.‹ Danach hab ich nächtelang vom Lager geträumt. Die ganzen Erinnerungen wurden in mir wach, als ob es gestern gewesen wäre

Die größte Angst von Elfriede Schneider war, dass ihr niemand Glauben schenken würde. Dass selbst die Kameradinnen in Moringen ihre Erinnerungen anzweifelten, verletzte sie sehr. »Ich dachte immer, dass das keiner glauben kann, der es nicht mitgemacht hat. Was dort geschehen ist, das war so unmenschlich. Ich hab mal angefangen, bei uns zu Hause davon zu erzählen, hinter dem Haus. Da sind wir immer gesessen und haben Karten gespielt. Meine Freundin war dabei. Sie sagte zu mir: ›Erzähl doch mal, wie ist es dir ergangen?‹ Da habe ich erzählt. Einer war dabei, der sagte: ›Mensch, du erzählst ja Märchen. Das gibt’s doch gar nicht.‹ Da hab ich mich schon wieder zurückgezogen und zu meiner Freundin gesagt: ›Weißt du, Hanne, es glaubt mir ja doch keiner.‹ Sie hat mir das geglaubt. Ich konnte ja in kein Schwimmbad mehr gehen wegen meiner Narben. Stell dir vor, ich wäre ins Schwimmbad gegangen, ich hab so lange Narben hier an den Beinen und am Rücken, ich hab regelrechte Komplexe gehabt, dass mich die anderen anstarren oder fragen, woher das kommt

Solange ihr Vater lebte, war er der einzige Mensch, mit dem sie sprechen konnte. »Meine Mutter hat kein Verständnis dafür gehabt. Die hat andere Sorgen gehabt. Ich musste alleine fertig werden. Noch heute, wenn ich alleine bin, muss ich zusehen, dass ich nicht darüber grüble. Dann geh ich viel im Garten oder im Wald spazieren. Da ist es mir, als ob mein Vater neben mir geht. Irgendwie schaff ich es dann wieder, führe Selbstgespräche im Wald und rede laut mit meinem Vater. Meine Lady, der kleine Hund, die steht dann neben mir und guckt mich an. Das gibt mir unheimlich viel Kraft. Die Hauptkraft gibt mir mein Vater

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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