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2.3 Figuren und Akteure

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Personen spielen in Filmen und Fernsehsendungen eine im wahrsten Sinn des Wortes wichtige Rolle. Nur in Natur- und Tierfilmen werden sie zu Randerscheinungen, wenn sie denn überhaupt vorkommen. In Spielfilmen und Fernsehserien haben sie eine wesentliche Funktion als Handlungsträger. Game- und Rateshows sind ohne Showmaster und Kandidaten nicht denkbar. Nachrichten und Magazine werden von Moderatoren präsentiert, und in den Beiträgen geht es häufig um menschliche Schicksale. Vor allem Talkshows wären ohne die Moderatoren und die auftretenden Gäste nicht denkbar. Personen, die in Film und Fernsehen auftreten, stellen etwas dar. Ihrer Darstellung liegt eine Inszenierung zu Grunde (vgl. Eder 2008, S. 325 ff.). Sie werden von Schauspielern oder realen Personen verkörpert.

Die Analyse der Personen, Charaktere und Figuren in den audiovisuellen Medienprodukten ist aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Zum einen sind die auftretenden Personen als Handlungs- und Funktionsträger für die Dramaturgie und die narrative Struktur der Film- und Fernsehtexte wichtig, denn die zu erzählende Geschichte wird oft aus der Perspektive einer der Figuren dargestellt, und es sind gerade die Interaktionsstrukturen und Rollenzuweisungen, die im Zentrum von Game- und Talkshows stehen. Zum anderen hängt die Wahrnehmung der auftretenden Personen durch die Zuschauer von den in der Gesellschaft und der Lebenswelt der Zuschauer kursierenden Bedeutungen und Konzepten von Selbst, Person und Identität ab. Mit und durch die Film- und Fernsehfiguren verständigt sich die Gesellschaft u.a. über ihre Identitäts- und Rollenkonzepte. In diesem Sinn haben die Figuren und Akteure eine wesentliche Funktion im Rahmen der Repräsentation für die Subjektpositionierung und Identitätsbildung der Zuschauer.

Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Figuren und Charakteren, die in fiktionalen Film- und Fernsehtexten auftreten, und Akteuren, die vor allem im Fernsehen spezifische mediale Funktionsrollen wie Moderator oder Showmaster übernehmen oder in dokumentarischen Film- und Fernsehformen vorkommen. Die Inszenierung von Figuren und Akteuren ist grundsätzlich zu dem Wissen und den Emotionen, der kommunikativen Aneignung und dem praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet. Die kulturellen, lebensweltlichen Konzepte, die in der Wahrnehmung von menschlichen Wesen als Personen eine Rolle spielen, sind auch für die Wahrnehmung von Figuren und Akteuren in Film- und Fernsehtexten bedeutsam. Anhand welcher Kriterien und Merkmale werden menschliche Lebewesen als Personen wahrgenommen? Bereits in dieser Formulierung ist ein Kriterium enthalten: Es handelt sich bei Personen offenbar um menschliche Lebewesen. Doch allein das genügt nicht, denn auch künstliche Menschen, Außerirdische, Cyborgs und Roboter, die in Filmen oder Fernsehsendungen auftreten, werden als Personen wahrgenommen und identifiziert.

Um ein Wesen als Mensch wahrzunehmen, muss es einen individuellen, menschlichen Körper haben, der durch Zeit und Raum einheitlich bleibt – es sei denn, er verändert sich durch biologische, chemische oder technische Prozesse, die auch im Film erklärt werden. Es muss ferner ein wahrnehmendes Wesen sein, das Gefühle und intentionale Zustände wie Überzeugungen oder Wünsche hat und zur Selbstwahrnehmung fähig ist. Außerdem muss es eine natürliche Sprache benutzen und verstehen können und die Fähigkeit zu eigenen Handlungen und zur Selbstinterpretation haben. Schließlich muss es ein Potenzial an Charaktereigenschaften und unveränderbaren Merkmalen besitzen (vgl. Eder 2008, S. 61 ff.; Smith 1995, S. 21). Um diesen Menschen als eine Person wahrzunehmen, bedarf es weiterer Kriterien: Er oder sie muss einen Namen haben, ein Geschlecht und ein Alter, eine Herkunft und eine Nationalität. All dies macht ihn oder sie von anderen unterscheidbar und identifizierbar, eben in der Differenz zu anderen. Diese Differenz macht sich auch in einigen der allgemeinen Kriterien für menschliche Wesen bemerkbar, z.B. in unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Gefühlen und Wünschen und nicht zuletzt in unterschiedlichen Körpern.

Lebensweltliches Wissen über soziale Typen, Persönlichkeitsprofile, Lebensstile usw. stellt die Muster bereit, die zur Interpretation der Figuren und Akteure sowie ihrer Einordnung in lebensweltliche Verweisungszusammenhänge beitragen. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass Fernsehzuschauer das ständige Personal von Familienserien und Daily Soaps als Nachbarn oder »gute Freunde« (Gleich 1996, S. 128 ff.) betrachten, muss vorausgesetzt werden, dass die Zuschauer genau wissen, was gute Freunde oder Nachbarn auszeichnet, und dass sich in dem Verhältnis zu den Serienfiguren offenbar ähnliche Merkmale wiederfinden. Es gibt ein lebensweltliches Wissen darüber, was die soziale Rolle »Nachbar« bzw. »guter Freund« in einem bestimmten kulturellen Kontext ausmacht. Dieses Wissen wird sowohl von Zuschauern, die Serienfiguren als Nachbarn oder gute Freunde bezeichnen, angewendet als auch von Kritikern und Wissenschaftlern, die das Verhältnis von Zuschauern zu den Fernsehfiguren mit diesen Begriffen kennzeichnen. David Bordwell (1992, S. 13 f.) hat Personen- und Rollenschemata, die auf Handlungsträger im Film bezogen werden, als ein wesentliches Element von Kognition und Verstehen herausgearbeitet. Das Personal in Film- und Fernsehtexten steht immer in Bezug zu den jeweiligen Vorstellungen von Selbst und Identität sowie zu dem Wissen über Personen- und Rollentypisierungen, das im Rahmen spezifischer kultureller Kontexte in den lebensweltlichen Zusammenhängen zirkuliert.

Wenn von einem Verständnis von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien ausgegangen wird, dann ist für die Film- und Fernsehanalyse ein entscheidendes Moment, dass die Inszenierung von Figuren und Akteuren nicht nur für Kognition und Verstehen von Bedeutung ist, sondern gerade auch für die emotionalen Prozesse in der Rezeption und Aneignung. Die für die Analyse wichtigen Ansätze werden in Kapitel 3 in Teil II ausführlicher dargestellt. Vor allem über die Figuren und Akteure wird das Verhältnis von Nähe und Distanz der Zuschauer zum Geschehen auf der Leinwand oder dem Bildschirm bestimmt. In der Analyse muss daher herausgearbeitet werden, über welche Beziehungsangebote die Film- und Fernsehtexte dieses Verhältnis zwischen Figuren bzw. Akteuren und Zuschauern vorstrukturieren. Denn die Beziehungen, die Zuschauer zu Filmfiguren und Fernsehakteuren aufbauen, spielen nicht nur bei der Identitätsbildung eine wesentliche Rolle, sondern sind auch für das Fanverhalten und die sozial-kommunikative Konstruktion von Filmstars und Fernsehpersönlichkeiten bedeutsam.

Film- und Fernsehanalyse

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