Читать книгу Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos - Страница 8
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Die Beschäftigung mit Filmen und Fernsehsendungen erfreut sich großer Beliebtheit, wie die Flut an Publikationen zu diesem Themengebiet zeigt. Essayisten, Journalisten oder Wissenschaftler äußern An- und Einsichten, die sie einerseits aus eigener Anschauung von Filmen und Fernsehsendungen, andererseits aus der Reflexion gewinnen, indem sie über das Gesehene nachdenken und es in theoretische, historische oder pragmatische Zusammenhänge einordnen. Mit anderen Worten: Sie stellen einen Film oder eine Fernsehsendung in einen Kontext. Ähnlich gehen auch die geneigte Kinogängerin und der geneigte Fernsehzuschauer vor, wenn sie sich mit dem, was sie gesehen haben, auseinandersetzen. In Gesprächen nach einem Kinobesuch wird das Gesehene bewertet und eingeordnet. Das Gleiche geschieht beim Austausch über eine Fernsehsendung. Den britischen Medienwissenschaftler Martin Barker hat das zu der Feststellung verleitet: »Jeder analysiert Filme« (Barker 2000, S. 1). Doch wenn jeder Filme analysiert, stellt sich die Frage, worin sich die wissenschaftliche Analyse von der alltäglichen unterscheidet.
Im Fremdwörter-Duden heißt es zum Stichwort »Analyse«: »systematische Untersuchung eines Gegenstandes od. Sachverhalts hinsichtlich aller einzelnen Komponenten od. Faktoren, die ihn bestimmen« (Duden 2010, S. 83). Auf Filme und Fernsehsendungen bezogen bedeutet dies, dass alle Komponenten oder Faktoren, die einen Film oder eine Fernsehsendung ausmachen, untersucht werden müssen, und zwar systematisch. Das unterscheidet die wissenschaftliche Analyse von der alltäglichen, die eher unsystematisch vorgeht und sich häufig auf einen gesamten Film bezieht, nicht aber seine einzelnen Komponenten untersucht. Im Alltag werden Filme und Fernsehsendungen zudem häufig inhaltlich interpretiert. Dabei wird ihnen ein subjektiver Sinn zugewiesen. Wissenschaft sollte aber nicht auf die Bildung von subjektivem Sinn, sondern auf die Produktion von objektivierter Erkenntnis, die intersubjektiv nachvollziehbar ist, abzielen. Ziel dieses Buches ist es daher, theoretisches Rüstzeug und methodisches Handwerkszeug für die systematische Untersuchung von Filmen und Fernsehsendungen zur Verfügung zu stellen.
Damit ist ein weiteres Ziel verbunden: Die Fähigkeit zur Analyse von Filmen und Fernsehsendungen trägt zur Entwicklung von Medienkompetenz in weiterem Sinn bei (vgl. Bienk 2006, S. 23 ff.; Frederking 2006; Henzler/Pauleit 2009; Kamp/Braun 2011; Mikos 2005 sowie die Beiträge in Barg u.a. 2006; Marotzki/ Niesyto 2006). Sie ist nicht nur eine »Schule des Sehens« (Schnell 2000, S. 1 ff.), sondern fördert auch »Prozesse des Mitbedenkens« (Boeckmann 1996, S. 37). Dazu gehört die Erkenntnis, dass »jede mediale Repräsentation eine subjektive Konstruktion ist, die aus einer Fülle möglicher Darstellungen herausgewählt wurde und die auch von Interessen bestimmt ist« (ebd., S. 36). Außerdem gehört die Einsicht dazu, dass sich Filme und Fernsehsendungen immer an ein Publikum richten, mal an ein unspezifisches, mal an ein genau definiertes in Form einer speziellen Zielgruppe. Bei Filmen und Fernsehsendungen sind die Prozesse des Mitbedenkens in dreifacher Weise zu leisten: erstens im Hinblick auf die Intentionen, die von Produzentenseite oder institutionell (z.B. Fernsehsender, Hollywoodstudio) hinter den Medienprodukten stehen, zweitens – die Struktur der Filme und Fernsehsendungen betreffend – im Hinblick darauf, welche Funktion die einzelnen Komponenten in Bezug auf den gesamten Film oder die gesamte Fernsehsendung haben, und drittens, welche Funktion diese Komponenten für das Publikum haben. Dieser letzte Aspekt weist darauf hin, dass die in diesem Buch vorgestellten Grundlagen der Film- und Fernsehanalyse auf einem Verständnis von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien basieren. Filme und Fernsehsendungen entstehen in diesem Sinn erst im Kopf ihrer Zuschauer. Denn nur wenn sie gesehen werden, treten sie in einen Kommunikationsprozess ein. Bereits der französische Regisseur und Filmkritiker François Truffaut (1972, S. 100) stellte einst fest: »Wenn ein Film einen gewissen Erfolg hat, ist er ein soziologisches Ereignis und die Frage seiner Qualität wird sekundär.« Allerdings wird hier davon ausgegangen, dass es die Qualitäten der Textstrukturen sind, die den Erfolg eines Films wesentlich beeinflussen, denn sie sind für die Interaktion mit den Zuschauern zentral. Die Analyse zielt daher darauf ab, die Strukturen von Filmen und Fernsehsendungen funktional im Rahmen der Kommunikationsprozesse zu betrachten, in die sie eingebunden sind. Es geht also um eine kommunikationswissenschaftliche Fundierung der Film- und Fernsehanalyse. Das unterscheidet die hier vorgestellte Film- und Fernsehanalyse von anderen Einführungen und Lehrbüchern.
In der Filmanalyse wurde bisher angeregt durch die seit den 1960er Jahren starke theoretische Beschäftigung mit Film, vor allem aus der wissenschaftlichen Perspektive der Semiotik, in Anlehnung an die Linguistik versucht, grammatikalische, syntaktische und semantische Strukturen des Films – die »Sprache des Films« – zu untersuchen. Bereits frühe Filmtheoretiker wie Wsewolod Pudowkin (1928, S. 9) hatten die Art des Zusammenfügens der Filmbilder, die Montage, als »Sprache des Filmregisseurs« bezeichnet und verglichen die Kombination der Filmbilder mit dem Satz in der Sprache (ebd.). Dieser Ansatz wurde in den 1960er und 1970er Jahren durch Semiotiker wie Christian Metz (1972) weiterentwickelt und dann in den Einführungen zur Filmanalyse aufgegriffen. Allerdings hatte Metz (ebd., S. 148) bereits darauf hingewiesen, dass die filmischen Strukturen lediglich denen der Sprache ähneln. Von einer »Filmsprache« oder »Sprache des Films« zu sprechen hat dann lediglich metaphorischen Charakter. Der Literaturwissenschaftler Ralf Schnell folgert daraus: »Die Erzählformen des Films beruhen nicht auf linguistischen Strukturen, sondern entstehen aus technischen Mitteln, die ihrerseits Stiltraditionen generieren« (Schnell 2000, S. 183). Dennoch hat die Rede von der »Filmsprache« bzw. der »Fernsehsprache« weiterhin Konjunktur (vgl. Bienk 2006; Jost/Kammerer 2012; Marshall/Werndly 2002; Wharton/Grant 2007), und es wird davon ausgegangen, dass die Verwendung filmischer Codes auf Sprache basiert (Kuchenbuch 2005, S. 98 ff.), die Beschreibung von filmischen Darstellungsweisen auf linguistische Strukturen zurückgreift (Branigan 2006), und das »Zeichensystem des Films« (Beil u.a. 2012, S. 11) die Grundlage semiotischer Filmanalysen ist (vgl. Gräf u.a. 2011; Kanzog 2007). Im vorliegenden Buch geht es nicht darum, die »Filmsprache« oder die »Fernsehsprache« zu analysieren, sondern die Mittel, die ein Film oder eine Fernsehsendung einsetzt, um mit den Zuschauern zu kommunizieren. Dabei spielen inhaltliche, darstellerische, dramaturgische, erzählerische und ästhetisch-gestalterische Mittel ebenso eine Rolle wie die Kontexte, in die filmische Strukturen und Zuschauer eingebunden sind. Filmische Strukturen sind während einer Analyse immer auf dreifache Weise zu befragen: erstens im Hinblick auf die inhaltliche und erzählerische Kohärenz eines Films, zweitens im Hinblick auf die gestalterischen Mittel, die auf die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Zuschauer zielen, und drittens im Hinblick auf den kommunikativen Prozess und dessen Kontexte, denn der Sinn eines Films oder einer Fernsehsendung realisiert sich erst in der Rezeption durch Zuschauer. Die »Sinnhaftigkeit« von Filmen und Fernsehsendungen existiert nicht als quasi objektive faktische Gegebenheit, sondern wird erst während des Zuschauens vom Zuschauer hergestellt.
Die Bücher zur Filmanalyse, die seit den 1980er Jahren erschienen sind (vgl. Beil u.a. 2012; Faulstich 1988; Faulstich 2002/2013; Hickethier 1993/2012; Kamp/Braun 2011; Keutzer u.a. 2014; Korte/Faulstich 1988; Korte 1999/2010; Kuchenbuch 2005; Monaco 1980/2009), verfolgen zwar einen etwas weiteren Ansatz und greifen auch auf neuere Filmtheorien aus dem angelsächsischen Raum zurück (vgl. Beil u.a. 2012; Kuchenbuch 2005; Kurwinkel/Schmerheim 2013), doch der kommunikative Aspekt des Films wird nur am Rand berücksichtigt. In der angelsächsischen Literatur orientieren sich die Einführungen in erster Linie an theoretischen Positionen, die eine Filmanalyse leiten können (vgl. Berger 1982/2013; Gledhill/Williams 2000; Hill/Church Gibson 1998; Hollows/Jancovich 1995; Nelmes 1996), sie stellen Einzelanalysen von Filmen in den Mittelpunkt, die verschiedene Aspekte der Analyse betonen (vgl. Barker 2000; Cardullo 2015; Carroll 1998; Elsaesser/Buckland 2002), oder sie gehen von unterschiedlichen theoretischen Standpunkten aus auf die Filme ein (vgl. exempl. die Beiträge in Collins u.a. 1993; Geiger/Rutsky 2005; Gibbs/Pye 2005). Die wenigen Ausnahmen, in denen die Techniken des Filmemachens auch im Hinblick auf die Konsequenzen für die Zuschauer genauer dargestellt werden, bestätigen die Regel (vgl. Bordwell/Thompson 1979/2013; Caldwell 2005/2010; Gillespie/Toynbee 2006; Phillips 1999; Wharton/Grant 2007 und zum Teil Salt 1983/1992; Salt 2006). Im romanischen Raum steht weiterhin die Semiotik hoch im Kurs (vgl. Bellour 1979/1995; Mitry 2000). Allerdings gibt es auch Ausnahmen (Casetti/di Chio 1990/1994; Goliot Lété/Vanoye 1992/2012), die über eine rein semiotische Analyse hinausgehen.
Die Fernsehanalyse hat im Gegensatz zur Filmanalyse bisher kaum Interesse gefunden und schlägt sich dementsprechend selten in einführenden Publikationen nieder. Die deutschsprachigen Publikationen zur Fernsehanalyse versammeln Aufsätze, die sich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven auf Einzelaspekte des Fernsehens konzentrieren (Hickethier 1994) oder setzen sich pauschal mit verschiedenen Sendungsformen auseinander, ohne spezifische Analyseschritte zu vollziehen (Faulstich 2008). Das trifft auch auf die in Großbritannien und Italien erschienenen Bücher zu (Allen/Hill 2004; Casetti/di Chio 1997/2000; Creeber 2006; Geraghty/Lusted 1998; McQueen 1998; Miller 2002). Lediglich Knut Hickethier geht in seinem Buch »Film- und Fernsehanalyse« (1993/2012) neben dem Film explizit auf das Fernsehen ein. Im englischsprachigen Raum bieten Jonathan Bignell (2004/2012), Graeme Burton (2000), Karen Lury (2005) und Phil Wickham (2007) eine umfassende Einführung in die Fernsehanalyse. Letztere geht dabei auf Bild und Ton sowie Zeit und Raum ein.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Filme und Fernsehsendungen nicht nur im Kino und im klassischen linearen Fernsehen verfügbar, sondern auch auf Online-Plattformen, und sie können auch mobil auf dem Tablet oder dem Smartphone genutzt werden. Die Entwicklung digitaler und mobiler Medien hat neue Möglichkeiten entstehen lassen, die Angebote auf verschiedene mediale Plattformen zu verteilen, um so das Publikum über verschiedene Nutzungsformen einzubinden. Dabei ist nicht nur am Beispiel des Fernsehens, sondern auch am Beispiel des Films zu beobachten, dass es »verschwimmende Grenzen zwischen verschiedenen Medien- und Kommunikationsanwendungen« (Hasebrink 2001, S. 105) gibt.
Diese Grenzen verschwimmen sowohl in technischer, ökonomischer, inhaltlicher und ästhetischer Hinsicht als auch mit Blick auf die Nutzung von Medienangeboten. Menschen handeln in »konvergierenden Medienumgebungen« (Hasebrink u.a. 2004, S. 10). Damit ist »die Gesamtheit der Phänomene der Konvergenz auf den verschiedenen Ebenen sowie der zunehmend ausdifferenzierten Formen von Crossmedialität« (ebd.) gemeint. In ökonomischer Hinsicht kann Konvergenz als eine »Ausweitung der kommerziellen Reichweite einzelner Filme oder Unterhaltungsangebote durch die Verbindung mit anderen Absatzmärkten« (Keane 2007, S. 2) gesehen werden, »deren ultimatives Ziel es ist, den gleichen Markeninhalt über verschiedene Medien zu verbreiten« (ebd.). Auf der Seite der Mediennutzer kommt dem das Bedürfnis entgegen, beliebte Inhalte auf verschiedenen Medienplattformen zu suchen. Das gilt offenbar besonders für Angebote, die der Unterhaltung dienen, wie Henry Jenkins bemerkt:
»Unter Konvergenz verstehe ich die Ausbreitung von Inhalten über verschiedene Medienplattformen, die Kooperation zwischen verschiedenen Medienindustrien und das nomadische Verhalten von Medienpublika, die auf der Suche nach den Unterhaltungserlebnissen, die sie wünschen, nahezu überall hingehen« (Jenkins 2006, S. 2).
Dabei zeigen sich allerdings unterschiedliche Muster der konvergenten Medienaneignung (vgl. Wagner u.a. 2006; siehe auch Göttlich 2006, S. 194 ff.; Groebel 2014, S. 79 ff.). Die Verbindung zwischen den Angeboten und der Mediennutzung wird durch eine Ästhetik transmedialen Erzählens hergestellt (vgl. Kapitel II-5.2). Für Filme und Fernsehsendungen, die auf mehreren medialen Plattformen verbreitet werden, hat sich der Begriff »Franchise« durchgesetzt (vgl. Johnson 2013) und ist am Beispiel von »Der Herr der Ringe« (Mikos u.a. 2007; Thompson 2007; Wasko 2008), »Matrix« (Jenkins 2006, S. 101 ff.) und »Star Wars« (Kapell/Lawrence 2006) untersucht worden. Bei solchen Franchise-Produkten können zwar noch die einzelnen Filme analysiert werden, doch müssen sie im Kontext der anderen medialen Ausprägungen gesehen werden. Denn der Erfolg eines Films oder einer Fernsehsendung hängt zunehmend von der Einbettung in die konvergierenden Medienumgebungen ab.
Mit der Digitalisierung sind neue Möglichkeiten der Verbreitung von Filmen und Fernsehsendungen entstanden (vgl. Aigrain 2012; Allen-Robertson 2013; Cunningham/Silver 2013). So findet man auf dem Videoportal YouTube vor allem Ausschnitte aus Fernsehshows, aber auch ganze Sendungen und einzelne Folgen von Fernsehserien. Einige historische Filme können ebenfalls dort angesehen werden. Die neuen Verbreitungswege ändern auch die Produktionsweisen und die Ästhetik. Wenn die Video-on-Demand-Plattform Netflix eigenproduzierte Fernsehserien nicht mehr Folge für Folge, sondern alle Episoden auf einmal onlinestellt, dann müssen einerseits alle Folgen auch bereits fertig produziert sein, und andererseits bedarf es keiner Cliffhanger mehr, um die Spannung zur nächsten Episode aufzubauen, ebenso wie die sogenannten Recaps – eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse aus den vorherigen Folgen – entfallen. Die in den USA übliche Praxis, spätere Episoden der Staffel einer Fernsehserie noch zu produzieren, während die ersten Episoden schon gesendet werden, ist dann nicht mehr möglich. Außerdem macht die veränderte Ästhetik die Fernsehserien für das klassische Fernsehen in gewisser Weise unbrauchbar, da sie sich nicht mehr an dessen Gesetzen und Gewohnheiten der Zuschauerbindung orientiert.
Im Kontext der Medienkonvergenz werden Filme und Fernsehformate als medienübergreifende Marken etabliert. Die Geschichte im Kopf der Zuschauer entsteht dann nicht mehr allein über einen Film oder eine Fernsehsendung, sondern die verschiedenen Angebote, die sich um einen Film- oder Fernsehtext gruppieren, tragen ihren Teil dazu bei. Trailer in Kino, Fernsehen, Internet und mobilen Endgeräten, Fanseiten, Merchandising-Artikel, Comics, Computerspiele, Bücher, Film- und Fernsehkritiken, Presseberichterstattung usw. formen die aktuelle Rezeption vor. In diesem Sinn kann bei all diesen Ausprägungen auf verschiedenen Plattformen in Bezug auf einen einzelnen Film oder ein spezifisches Fernsehformat von »präfigurativem Material« gesprochen werden (vgl. Biltereyst u.a. 2008). In der Film- und Fernsehanalyse müssen daher zunehmend die Kontexte der Filme und Fernsehsendungen ebenso Berücksichtigung finden wie deren Ausweitungen auf anderen medialen Plattformen.
Auch wenn das Fernsehen und Video-on-Demand-Plattformen zu Beginn des 21. Jahrhunderts der überwiegende Konsumort für Filme sind, müssen Film und Fernsehen als zwei Medien betrachtet werden, die unterschiedlich strukturiert sind. Gemeinsam haben sie, dass sie mit bewegten Bildern arbeiten. Aber bereits die bildliche Auflösung einer Szene ist bei einem Kinofilm anders als bei einem Fernsehfilm – und bei einem für ein Portal wie YouTube hergestellten Film konzentriert sie sich vorwiegend auf Nahaufnahmen. Ganz allgemein kann man sagen, dass die Kamera umso näher am Objekt bzw. der Person der Darstellung sein muss, je kleiner der Bildschirm ist, auf dem der Film angeschaut wird. Daher werden Film und Fernsehen im vorliegenden Buch auch nicht gleich behandelt, sondern dort, wo es Konsequenzen für die Analyse hat, werden die Unterschiede hervorgehoben.
Ausgangspunkt für die hier vorgestellten Grundlagen der Film- und Fernsehanalyse ist die Auffassung, dass Filme und Fernsehsendungen als Kommunikationsmedien zu begreifen sind: Sie kommunizieren mit dem Publikum, wobei ihre Gestaltungsmittel und Techniken die kognitiven und emotionalen Aktivitäten der Zuschauer vorstrukturieren. Um diesem gedanklichen Ausgangspunkt gerecht zu werden, wird nicht von einer einzigen theoretischen Perspektive aus auf die Filme und Fernsehsendungen geschaut, sondern in einer inter- und transdisziplinären Zugangsweise werden theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen berücksichtigt (Interdisziplinarität) und im Hinblick auf die Analyse zusammengeführt (Transdisziplinarität).
Letztlich bedeutet das für die Analyse von Film- und Fernsehtexten, dass ihre textuellen Strategien verstärkt daraufhin zu untersuchen sind, wie mit den unterschiedlichen Wissensbeständen und Gefühlsstrukturen sowie dem an konkrete lebensweltliche Kontexte gebundenen praktischen Sinn und der sozial-kommunikativen Aneignung verschiedener Publika unterschiedliche Lesarten gebildet werden können. Wenn Filme und Fernsehsendungen sinntragende Diskurse sind, dann muss die Analyse ihr Sinnpotenzial entfalten und es in die Kontexte der Film- und Fernsehkommunikation einbinden, auch und gerade wegen der zunehmenden Bedeutung konvergierender Medienumgebungen. Film- und Fernsehtexte stellen nach wie vor symbolisches Material bereit, mit dem die Zuschauer in soziokulturellen Kontexten den sinnhaften Aufbau ihrer Lebenswelt betreiben. Sie sind aber zunehmend als transmediale Erzählungen in ein Netz verschiedener Medien eingebunden. Gegenstand der Analyse müssen die strukturellen Bedingungen der Texte und der Kontexte sein, welche die Geschichten in den Köpfen der Zuschauer entstehen lassen. Die Film- und Fernsehanalyse trägt dazu bei, an einzelnen Werken die Strukturen offenzulegen, die in der gesellschaftlichen Zirkulation von Bedeutung eine Rolle spielen.
Zum Aufbau des Buches: In Teil I werden die theoretischen und methodischen Grundlagen gelegt, wobei in Kapitel I-1 das Verstehen und Erleben von Filmen und Fernsehsendungen als Zielhorizont der Analyse begründet wird. Kapitel I-2 behandelt die Frage, wie ein Erkenntnisinteresse der Untersuchung gewonnen werden kann. Dabei wird auf fünf Ebenen eingegangen, die eine Analyse leiten können: Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie, Figuren und Akteure, Ästhetik und Gestaltung sowie Kontexte. In Kapitel I-3 werden die Arbeitsschritte der Analyse von der Operationalisierung des Erkenntnisinteresses in konkrete Analysewege über die Datensammlung und Auswertung bis hin zur Präsentation der Ergebnisse beschrieben und die möglichen Hilfsmittel vorgestellt. In Teil II steht die eigentliche Film- und Fernsehanalyse im Mittelpunkt, d.h. die Techniken und Gestaltungsmittel in ihrer Struktur und ihrem funktionalen Bezug sowohl zum Film bzw. zur Fernsehsendung als Ganzes als auch zu den Zuschauern. Es gliedert sich nach den in Kapitel I-2 beschriebenen Ebenen, die das Erkenntnisinteresse der Analyse leiten. Das hat den Vorteil, dass Leser, die sich grundlegend in alle Aspekte der Film- und Fernsehanalyse einarbeiten möchten, den gesamten Teil II lesen können; wer lediglich Hinweise sucht für die dramaturgische Analyse eines Films, braucht sich nur mit Kapitel II-2 zu beschäftigen. Die Kontexte, in die Filme und Fernsehsendungen und ihre Zuschauer eingebunden sind, bilden den Schwerpunkt in Kapitel II-5. Denn im Gegensatz zu Hans J. Wulff (1999, S. 18), der »eine klare Gegenposition gegen einen Kontextualismus« einnimmt, weil er auf dem Sinn einer Mitteilung und auf der Autorität des Textes besteht, wird hier davon ausgegangen, dass der Sinn eines Films erst im Zusammenspiel von Text, Zuschauer und den Kontexten, in die beide eingebunden sind, entsteht. Dazu gehören sicher ein als sinnhaftes Ganzes konzipierter Film (oder eine Fernsehsendung) und ein Zuschauer, der als ein sinnhaft Handelnder zu begreifen ist. Daneben spielen die Produktionsbedingungen, die institutionellen Strukturen der Film- bzw. Fernsehindustrie ebenso eine Rolle wie die Biografie, soziale Situation und psychische Befindlichkeit sowohl der Regisseurin oder des Drehbuchautors bzw. im Fall von Fernsehserien des Showrunners als auch des Zuschauers oder der Zuschauerin sowie der kulturelle Kontext, in dem Film und Zuschauer stehen. In Teil III werden Beispielanalysen von Filmen und Fernsehsendungen vorgestellt, die einem spezifischen Erkenntnisinteresse folgen. Leider können sie aus Platzgründen nur kursorischen Charakter haben.
Thematisch geordnete Hinweise zur zitierten und weiterführenden Literatur sowie Register mit wichtigen Sachbegriffen und den erwähnten Filmen und Fernsehsendungen dienen zur Erleichterung der Arbeit mit diesem Buch.
Abschließend sei noch auf einige formale Dinge hingewiesen. Wenn hier von Filmen und Fernsehsendungen die Rede ist, sind in der Regel einzelne Filme oder Fernsehsendungen gemeint (zu Letzteren zählen auch Fernsehserien). Auch wenn sich die zu analysierenden Texte als diskrete, d.h. von anderen unterscheidbare Werke im Hinblick auf die Lektüren des Publikums immer schwerer bestimmen lassen, da oft von Filmen nicht nur eine, sondern mehrere Versionen auf DVD zugänglich sind, muss weiterhin in der Analyse von einzelnen Werken ausgegangen werden (vgl. Mikos u.a. 2007, S. 79 ff.; Mikos 2008). Denn es geht hier darum, eine Anleitung für die konkrete Film- und Fernsehanalyse zu bieten, indem deren Grundlagen systematisch dargestellt werden. Im Wesentlichen wird bei den Beispielen, die in den einzelnen Kapiteln genannt werden, sowie bei den Beispielanalysen auf populäre Filme und Fernsehsendungen eingegangen, die leicht zugänglich sind, sei es über die Verfügbarkeit auf DVD, auf Video-on-Demand-Plattformen oder im Fernsehen. Wenn im Folgenden manchmal von Filmen und Fernsehsendungen als Texten die Rede ist, so ist damit nicht gemeint, dass ihre Struktur mit der von geschriebenen Texten identisch ist. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass in der Folge der poststrukturalistischen Debatte in den Geisteswissenschaften Kulturprodukte und -objekte generell als »Texte« bezeichnet werden, die produziert und rezipiert werden und für die Produktion von Bedeutung wichtig sind (vgl. McKee 2003, S. 4). Dem Lehrbuchcharakter des Buches wird dadurch Rechnung getragen, dass die Sprache zwar wissenschaftlich, aber möglichst leicht verständlich ist. Außerdem finden sich am Ende jedes Kapitels Fragen, die einerseits auf das Verständnis des jeweiligen Kapitels zielen und die andererseits die Analyse der im jeweiligen Kapitel behandelten Aspekte leiten können. Darüber hinaus wird am Ende jedes Kapitels die zitierte Literatur aufgeführt. Die Nummerierung der zitierten Literatur von einzelnen Autoren aus dem gleichen Erscheinungsjahr (z.B. Meier 1988a; Meier 1988b) in den Kapiteln bezieht sich lediglich auf das Verzeichnis der zitierten Literatur am Ende des jeweiligen Kapitels, nicht aber auf das thematisch geordnete weiterführende Literaturverzeichnis im Anhang.