Читать книгу Raku, der Kolkrabe - Lothar Streblow - Страница 11
Frühstück am Bach
ОглавлениеNach dem Morgengewitter blieb das Wetter schön. Die Sonne brannte fast sommerlich heiß von einem wolkenlosen Himmel. Raku bekam Durst. Mit ausgedörrter Kehle sah er sich nach Wasser um. Doch die Regenpfützen waren längst abgetrocknet. Und in der Nähe des Horstbaumes gab es weder einen Bach noch einen Tümpel.
Das wußten auch die beiden alten Raben. Zwar brachten sie ihren Jungen immer noch Futter, die Kleinen konnten sich aber auch schon ganz gut ein wenig selbst versorgen. Und es wurde allmählich Zeit für größere Ausflüge.
Raku hatte gerade ein Hölzchen versteckt, mit dem er eine Weile gespielt hatte, und wartete auf der Lichtung mit seinen Geschwistern auf die morgendliche Futterportion. Aber diesmal wurde er enttäuscht. Keiner der beiden alten Raben reagierte auf das vielstimmige Futtergeschrei.
Die Räbin landete nicht einmal bei ihren Jungen. Immer wieder flog sie von hinten dicht über ihre Köpfe hinweg, wackelte mit dem Schwanz und stieß Flugrufe aus. Sie wollte ihre Kinder zum Mitfliegen auffordern. Und das wirkte. Nalka und Luja begannen schon heftig zu flattern. Und Soku war bereits in der Luft. Jetzt hob auch Raku vom Boden ab. Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen holte er seine wartend kreisende Mutter ein. Und als der alte Rabe am Ende der Lichtung in einer kühnen Kurve zu ihnen stieß, flogen sie zu sechst dem Tal entgegen.
Hier war Raku noch nie gewesen. Und er genoß den Flug, die unter ihm dahingleitende Landschaft. Zwischen wuchernden Wiesenblumen glitzerte tief unten ein schmaler Bachlauf in der Sonne, umsäumt von Erlen und Weiden und niedrigem Gebüsch. Ein Rudel Rehe äste am Rand des Hangwaldes an frischen Trieben. Irgendwo im Wald warnte ein Eichelhäher. Und ein Stück talabwärts kreiste mit schrillem Schrei ein Mäusebussard.
Das schien dem alten Raben zu mißfallen. Mit einem volltönenden Angriffslaut jagte er auf den Bussard zu und stieß von oben auf ihn herab. Er wußte genau, daß er dem Greifvogel in der Luft überlegen war. Und der Bussard wußte es auch.
Fluchtartig versuchte er dem großen Raben zu entgehen. Und dem Raben gefiel das Spiel. Es machte ihm offensichtlich Spaß, den Bussard mit seinen Flugkünsten in die Enge zu treiben. Immer wieder kam er ihm um Haaresbreite nahe. Schließlich ging der Bussard auf der Wiese zu Boden. Hier fühlte er sich seinem Angreifer eher gewachsen. Und der alte Rabe strich krächzend ab und folgte seiner Familie.
Auch die Räbin war inzwischen tiefer gegangen, kreiste ein paarmal dicht über dem Bach. An einer seichten Stelle war ihr Badeplatz. Sie wartete noch, bis auch ihre Kinder am Bachufer landeten, und begann dann heftig planschend ihr Gefieder zu säubern.
Für Raku und seine Geschwister war solche Art Gefiederpflege neu. Im Bach hatte er noch nie gebadet. Und eigentlich spürte er nur Durst. Vorsichtig tappte er an das träge fließende Wasser, streckte erst mal einen Fuß hinein. Das fühlte sich kühl an und naß. Dann nahm er ganz behutsam einen Schnabel voll und trank.
Dabei spritzten ihm die Wassertropfen seiner planschenden Mutter um den Kopf. Raku schüttelte sich. Gleich darauf bekam er erneut eine Dusche: diesmal von Soku, der inzwischen ebenfalls badete.
Jetzt war Raku schon ziemlich feucht. Nun hatte er nichts mehr gegen ein Bad. Und er planschte mit offensichtlichem Vergnügen.
Durst spürte er aber immer noch. Er watete ein Stück durchs seichte Wasser, weg von seiner heftig spritzenden Familie. Mit einemmal bemerkte er, daß er auch hier nicht allein im Bach war. Ein Wasserläufer flitzte über die glitzernde Fläche dicht an ihm vorbei.
Verblüfft starrte Raku dem Käfer nach. Und als er seinen Schnabel ins Wasser tauchte, sah er einige dunkle kugelförmige, langgeschwänzte Kaulquappen herumwuseln, dazwischen ein paar Köcherfliegenlarven und Bachflohkrebse. Neugierig schnappte Raku zu. Die fremdartige Speise schmeckte ihm. Und so bekam er auch noch eine etwas ungewohnte Zwischenmahlzeit.
Diese Möglichkeit hatten Rakus Geschwister allerdings auch entdeckt. Nalka und Luja balgten sich gerade heftig um einen kleinen Frosch. Soku hockte auf einem Stein am Ufer und hackte auf einer Elritze herum, die er in der Kralle hielt. Auch die beiden alten Raben genossen in aller Ruhe ein ausgiebiges Frühstück.
Aufmerksam sah Raku zu, wie sein Vater einen größeren Fisch zerlegte. Raku mochte Fisch. Und als er bettelnd auf seinen Vater zuhüpfte, gab der ihm ein Stück ab.
Nun fühlte Raku sich erst mal gesättigt und nahm noch einen Schluck Wasser. Für die Bisamratte, die erregt knirschend bachaufwärts flüchtete und von der Räbin geschickt geschlagen wurde, interessierte er sich nicht mehr.
Raku flatterte hinter seinem Vater her zu einer alten Kopfweide, dem Ruhebaum der Raben. Hier putzte er sein Gefieder und striegelte dann andächtig seine Schwanzfedern mit dem Schnabel. Nach dem kühlen Bad fühlte er sich wohl in der wärmenden Sonne. Und er schloß schläfrig die Augen.