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Duschbad

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Die Aprilmitte brachte Regen und Sturm. Und es wurde kälter. Einzelne Schneeschauer peitschten gegen den Rabenhorst in der alten Kiefer. Und tagelang breitete sich naßkaltes Weiß über die Landschaft, verhüllte das sprießende Grün.

In dieser Zeit rührte die Räbin sich kaum noch von der Nestmulde, hielt Kälte und Schnee und von den Zweigen tropfendes Tauwasser von ihren Kindern ab. Nur bei der Fütterung sah Raku manchmal etwas von dem verspäteten Winter. Und er war froh, wenn der wärmende Leib seiner Mutter sich wieder schützend über ihn schob.

Doch lange währte der Kälteeinbruch nicht. Nach einer frostklaren Nacht stieg die Sonne durch den Morgendunst, leckte den Reif von Gräsern und Zweigen.

Hier am Hang des Bergkamms kam der Frühling spät. Und Tage später brachen die ersten Blüten auf, sprangen die Knospen der Laubbäume und Sträucher. Es wurde grün in den Wipfeln und am Boden zwischen den Stämmen. Bienen summten um die Haselkätzchen am Waldrand. Und Schlüsselblumen, Buschwindröschen und Waldveilchen wuchsen zwischen jungen Halmspitzen.

Der alte Rabe hatte jetzt kaum noch Mühe, geeignetes Futter für seine Jungen zu finden. Kreuzottern und Eidechsen verließen noch etwas träge ihre Winterquartiere. Käfer und Würmer krochen zwischen Wurzeln und Stengeln, an denen die ersten Heupferde saßen. Und mit sicherem Instinkt spürten die Raben jedes Mäusenest auf. Nun bekamen die Kleinen auch schon das festere Muskelfleisch, zunächst sorgsam aufgeweicht und ohne Knochen, bald aber schon unangerichtete Mäusebrut.

Raku schluckte begierig alles, was Mutter und Vater ihm in den roten Schlund stopften. Nur das Putzen nach den Mahlzeiten gefiel ihm nicht. Dann schrie er genauso wie seine Geschwister und fuchtelte aufgeregt mit seinen spärlich befiederten Flügelchen. Erst wenn das Gefiederkraulen drankam, hielt er genießerisch still.

Doch nicht nur nach jeder Mahlzeit wurde gründlich geputzt. Die Räbin sorgte unermüdlich für Sauberkeit im Nest und entfernte jedes Kotbröckchen, das die Kleinen absetzten. Und immer wieder lockerte sie die Polsterung auf, damit ihre Jungen es weich und warm hatten.

Der Rabenhorst bestand schon lange. Vor Jahren, als die damals noch junge Räbin der Werbung des Raben folgte, hatten sie beide die alte Kiefer nahe dem Waldrand ausgewählt, gemeinsam Nistmaterial herangetragen und kunstgerecht den Horst gebaut: das Außengeflecht aus fingerdicken Trockenästen, Zweigen und Halmen sorgfältig mit lehmiger Erde abgedichtet und die Mulde in der Mitte des Reisigbaus mit trockenem Gras, Flechten, Moos und Tierhaaren weich gepolstert.

Hier hatten die beiden schon manche Brut aufgezogen. Es war ein guter Platz, still und verborgen. Und der einsame Uhu, der ein Stück waldeinwärts in ihrem Revier hauste und ihren Jungen während der Nacht hätte gefährlich werden können, wußte aus Erfahrung, daß die beiden alten Raben ihre Brut nicht aus den Augen ließen.

Die Kleinen fühlten sich wohl in dem sicheren Heim. Sie wußten noch nichts von Gefahr. Selten nur verirrte sich ein Mensch an diesen abgelegenen Ort. Und doch war es nicht mehr ganz so wie früher. Saurer Regen ließ allmählich ringsum die Bäume absterben: zuerst die Tannen und Fichten und nun die Laubbäume. Auch die stattliche Horstkiefer wurde von Jahr zu Jahr lichter. Teile ihrer Nadeln vergilbten und fielen ab. Und als die Tage Ende April immer länger wurden und die Sonne heiß durch die nadelarmen Wipfelzweige brannte, wurde es den Nestlingen zu warm.

Aber die Räbin wußte, was zu tun war. Mit abgewinkelten Flügeln stellte sie sich über ihre Jungen, hielt die sengenden Strahlen ab und spendete Schatten. Und der Rabe, der auf einem Seitenast sein Gefieder geputzt hatte, hockte sich auf den Rand des Horstes und stach mit seinem starken Schnabel kleine Löcher in den Nestboden, damit von unten kühlende Luft durchwehen konnte. So wurde die Hitze im Nest erträglicher. Und die vier Jungraben genossen die nächste Fütterung mit gutem Appetit.

Gegen Mittag aber schlief der leichte Wind ein. Die Luft stand flirrend heiß und unbeweglich über der Lichtung am Waldrand. Rakus Kehle wurde trocken. Er spürte Durst, machte einen langen Hals und hechelte. Auch von seinen Geschwistern ertönten klägliche Hechellaute.

Als der Rabe das nächstemal den Horst anflog, brachte er weder Heuschrecken noch Mäusebrut. Aus seinem Kehlsack tränkte er die Jungen fürsorglich mit Wasser. Und er strich gleich noch einmal ab, um eine neue Ladung zu holen. Dann stellte er sich als Schattenspender über die Kleinen, während die Räbin ihre Schwingen ausbreitete und den schmalen Waldbach am Ende der Lichtung ansteuerte. Neugierig betrachtete Raku die riesigen Schwanzfedern seines Vaters. Und einem unwiderstehlichen Drang folgend, begann er vorsichtig daran herumzuzupfen. Dem alten Raben aber schien das weniger zu gefallen. Er wandte seinen Kopf mit dem mächtigen Schnabel und musterte streng seinen vorwitzigen Sohn.

Raku machte sich vor Schreck ganz klein und dünn, duckte sich demütig, sperrte seinen Schnabel auf und gab einige ängstliche Fistellaute von sich. Offenbar stellte den Alten Rakus kindliches Gebaren zufrieden. Er zwinkerte einmal kurz. Und Raku atmete auf.

Außerdem hatte der Rabe inzwischen die Räbin entdeckt, die sich in elegantem Flug dem Nest näherte. Er begrüßte sie schon von weitem mit eifrigen Verbeugungen und stieß ein wohltönendes „Krrooa“ aus. Dann räumte er seinen Platz.

Erwartungsvoll öffnete Raku seinen Schnabel. Doch es gab nicht noch einmal einen kühlenden Trank. Die Räbin schob sich mit ihrem klitschnassen Bauch über ihre Jungen. Und bevor Raku begriff, was das bedeuten sollte, schüttelte seine Mutter ihr Gefieder. Und Raku bekam mit seinen Geschwistern ein wild spritzendes Brausebad.

Raku legte seinen Kopf schief und äugte verdutzt nach oben. So was war neu für ihn. Aber die Dusche hatte ihm gefallen: Das wirkte sehr erfrischend bei der Hitze. Nur sah er mit seinem naßgespritzten Gefieder ein bißchen merkwürdig aus. Doch das störte ihn nicht weiter. Er hatte immer noch Durst. Und allmählich bekam er wieder Hunger. Geräuschvoll meldete er seine Wünsche an. Und das half.

An diesem Tag kamen die Rabeneltern kaum zur Ruhe. Unermüdlich schleppten sie Raupen, Käfer und Würmer, Heuschrecken und Mäuse heran, manchmal vermischt mit etwas Pflanzenkost. Die Räbin und auch der Rabe träufelten Wasser in ihre fordernd aufgesperrten Schnäbel. Und als die Räbin ihre Jungen das nächstemal mit einem Duschbad versorgte, reckte Raku seinen kleinen Körper so hoch wie möglich, damit ihm ja kein Tropfen entging.

Raku, der Kolkrabe

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