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»Ich wollte im Grunde gar nicht mitfahren, wissen Sie«, sagte Clara, ohne Reine-Marie anzusehen. »Ich habe nur deshalb gesagt, ich komme mit, weil es Peter wichtig zu sein schien. So ist es wahrscheinlich besser.«

»Leisten Sie uns Gesellschaft, Sir?« Gamache ging zu Bert Finney, der hinaus auf den See sah. Finney wandte den Kopf und blickte Gamache an. Es war ein beunruhigender Blick, nicht nur wegen seines abstoßenden Gesichts und seiner merkwürdigen Augen, sondern weil es selten vorkam, dass einen jemand so lange so unverhohlen anstarrte. Gamache hielt dem Blick jedoch stand, und schließlich verzogen sich Finneys Lippen zu etwas, das vermutlich ein Lächeln sein sollte, und ließen eine Reihe schiefer gelblicher Zähne zum Vorschein kommen.

»Nein, danke. Ich glaube, ich bleibe lieber hier.« Er ging ans Ende des Stegs. »Sieben verrückte Morrows in einer verchère. Was soll da schon schiefgehen?«

Gamache nahm seinen Hut ab und spürte sofort, wie stechend die Sonne war. Das war wirklich der heißeste Tag seines Lebens. Dazu war es jetzt auch noch erdrückend schwül. Kein Lüftchen regte sich, nicht der kleinste Hauch, und die Sonne brannte gnadenlos auf sie herab, von der Wasseroberfläche reflektiert und verstärkt. Sein frisches Hemd klebte schweißnass auf seiner Haut. Er hielt dem alten Mann den Hut hin.

Bert Finney drehte sich sehr langsam zu ihm um, als hätte er Angst zu kentern. Dann streckte er seine Greisenhand mit den knorrigen, weißen Fingern aus und griff nach dem bunt gemusterten Sonnenhut.

»Das ist Ihr Hut. Sie brauchen ihn.«

»Ich betrachte ihn insgeheim als meinen Helm«, sagte Gamache und ließ den Hut los. »Und Sie brauchen ihn mehr als ich.«

Finney lachte leise und strich mit den Fingern über den Stoff. »Ein Helm? Ich frage mich, wer der Feind ist?«

»Die Sonne?«

»So wird es wohl sein.« Aber es klang nicht danach, als würde er das auch glauben. Er nickte Gamache zu, stülpte den Hut auf seinen kahlen Schädel und wandte sich wieder dem See zu.

Eine Stunde später war Peter zurück und gesellte sich im Garten zu ihnen, das Gesicht rot verbrannt, wie Clara mit Befriedigung feststellte. Sie hatte beschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Kühl und gefasst.

Gamache reichte ihm eine Flasche kaltes Bier, von der das Eis tropfte. Peter hielt sie an sein gerötetes Gesicht und rollte sie über seine Brust.

»Hat es Spaß gemacht?«, fragte Clara. »War’s nett mit der Familie?«

»Es war gar nicht so übel«, sagte Peter und trank einen Schluck von seinem Bier. »Wir sind nicht untergegangen.«

»Meinst du?«, erwiderte Clara und stolzierte davon. Peter sah Gamache an, dann lief er hinter ihr her, doch als er sich dem Manoir näherte, fiel sein Blick auf ein riesiges Stück Leinwand, das in der Luft zu schweben schien.

Die Statue war eingetroffen. Sein Vater war eingetroffen. Peter blieb stehen und starrte sie an.

»Lieber Himmel, du kannst dich nicht mal lange genug von deiner Familie losreißen, um mir nachzulaufen«, rief Clara von der anderen Seite des Manoir, ohne sich darum zu scheren, dass sie damit sämtliche Vorurteile der Morrows bestätigte. Sie war tatsächlich labil, gefühlsbetont, hysterisch. Verrückt. Aber die anderen auch.

Sieben verrückte Morrows.

»Clara, verzeih mir. Was soll ich sagen?«, sagte er, als er sie eingeholt hatte. Clara schwieg. »Ich mache heute wirklich alles verkehrt. Wie kann ich das wiedergutmachen?«

»Soll das ein Witz sein? Ich bin nicht deine Mutter. Du bist fünfzig und willst, dass ich dir sage, wie du das wiedergutmachen kannst? Du hast dir die Suppe eingebrockt, also löffel sie auch aus.«

»Es tut mir so leid. Meine Familie ist wahnsinnig. Wahrscheinlich hätte ich dir das schon längst sagen sollen.«

Er sah sie mit einem so jungenhaften Lächeln an, dass er ihr Herz zum Schmelzen gebracht hätte, wäre es nicht zu Marmor versteinert gewesen. Sie schwiegen beide.

»Das ist alles?«, fragte sie schließlich. »Das ist deine Entschuldigung?«

»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagte er. »Ich wollte, ich wüsste es.«

Er stand hilflos vor ihr. Wie immer, wenn sie wütend war.

»Es tut mir so leid«, wiederholte er. »Aber im Boot war kein Platz mehr.«

»Wird da jemals einer sein?«

»Das verstehe ich nicht.«

»Du hättest aussteigen können. Bei mir bleiben.«

Er starrte sie an, als hätte sie ihm soeben erklärt, er hätte sich Flügel wachsen lassen und davonfliegen können. Sie verlangte das Unmögliche von Peter. Das war ihr klar. Andererseits war sie davon überzeugt, dass Peter Morrow durchaus in der Lage war zu fliegen.

Lange Schatten

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