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ОглавлениеKapitel 8
Trauer
Der Tod des Vaters
„Mein Vater wird immer bei mir sein. Er wird mir immer ein Vorbild sein.“
Es ist neun Uhr abends nach Moskauer Zeit. Cristiano ist auf seinem Zimmer und schaut einen Film, als Portugals Trainer Luiz Felipe Scolari ihn zu sich bestellt. Es ist Dienstag, der 6. September 2005. Am nächsten Tag soll Portugal gegen Russland antreten: ein Schlüsselspiel in der Qualifikation zur WM 2006. Wenn man gewinnt und die Slowakei Punkte liegen lässt, wird man der Turnierteilnahme einen Schritt nähergekommen sein.
Auch Portugals Kapitän Luís Figo befindet sich im Hotelzimmer des Trainers. Cristiano findet diese Zusammenkunft ein wenig seltsam, aber er schöpft keinen Verdacht. Er nimmt an, dass es um irgendeine taktische Angelegenheit geht, irgendetwas, was der Trainer und der Kapitän mit ihm besprechen wollen. Doch sie haben ihn rufen lassen, um ihm den Tod seines Vaters mitzuteilen. Dinis Aveiro ist in einer Londoner Klinik verstorben, nachdem er einige Monate zuvor erstmals in ein Krankenhaus eingeliefert worden war.
Bereits im Juli hatte man ihn mit schweren Leber- und Nierenkomplikationen als Notfall und mit eher vorsichtiger Prognose im Centro Hospitalario, dem Klinikzentrum von Funchal, aufgenommen. In dem Versuch, sein Leben zu retten, lässt Ronaldo ihn für eine Lebertransplantation nach England verlegen. Doch obwohl sich sein Zustand zunächst kurzzeitig verbessert, verstirbt Dinis bald darauf. Sein früher Tod ist auf den Alkohol zurückzuführen und macht Cristiano untröstlich. „Es war, als wenn um uns herum eine Welt zusammenbrach“, sagt seine Schwester Cátia.
Scolari und die Verbandsfunktionäre bieten Ronaldo an, sofort aus Moskau abzureisen, um bei seiner Familie zu sein. Doch der sagt Nein. Er will bei der Mannschaft bleiben und bittet Scolari, ihn spielen zu lassen. „Ich wollte auflaufen. Das wusste ich genau“, wird Cristiano später sagen. „Ich wollte allen zeigen, dass ich die Dinge voneinander trennen kann, dass ich ein Vollprofi bin und dass ich meine Arbeit ernst nehme. Ich wollte das Spiel zu Ehren meines Vaters spielen. Ich wollte ein Tor für ihn schießen. Ich wollte mich selbst auf die Probe stellen und auch alle Menschen, die mich lieben.“
„Ich hoffe, dass das Fußballspielen ihm helfen wird, mit seinen Gefühlen klarzukommen“, sagt Portugals Verbandspräsident Gilberto Madaíl. Und als die Presse ihn fragt, wie es dem Spieler gehe, antwortet er: „Ich habe einen 20 Jahre alten Mann gesehen, der wegen des Verlusts seines Vaters am Boden zerstört ist. Die Sache ist ja kompliziert. Auch wenn es abzusehen war, hatte nun mal niemand gedacht, dass es so plötzlich kommen würde. Es ist eine sehr schmerzhafte Trauer.“
Die endgültige Entscheidung über einen Einsatz Cristianos von Beginn an liegt bei Scolari, einem Mann, der ihm in einer schwierigen Zeit sehr nahesteht. Er erinnert Cristiano daran, dass die Familie oberste Priorität hat und der Fußball erst an zweiter Stelle kommt. Er sagt ihm, dass er stark sein müsse, er fühlt mit ihm und erzählt ihm vom Tod seines eigenen Vaters. Auch Eusébio, der die Mannschaft begleitet, tröstet den Star, indem er von dem Tag erzählt, an dem seine Mutter starb. Er bestritt am selben Tag ebenfalls noch ein Match und erzielte dabei drei Tore.
Die Mannschaft steht hinter ihm, und der ganze Stab versucht, ihm ein möglichst gutes Gefühl zu geben. Auch die Presse unterstützt ihn: „Portugal ist mit dir“, heißt es in A Bola. Dennoch herrscht am Spieltag eine ungewohnte Atmosphäre in der Umkleidekabine des Lokomotiv-Stadions. Die Trauer ist spürbar. Die Gesichter blicken nach unten, niemand spricht, niemand macht Witze, und auch die sonst vor einem wichtigen Spiel zu spürende Anspannung fehlt. Cristiano wird klar, was gerade vor sich geht. Er gibt sich einen Ruck und fängt an, wie vor allen seiner bisherigen Länderspiele Kunststückchen mit dem Ball zu machen. Er will zeigen, dass das Leben weitergehen muss. Doch kurz darauf, als er in einer Reihe mit der Mannschaft die Nationalhymne hört, kann er seine Gefühle nicht mehr unterdrücken.
Die Partie gegen Russland endet mit einem 0:0-Unentschieden. Ronaldo schafft es nicht, das Tor zu schießen, das er seinem Vater widmen wollte. Das wird ihm erst bei der Weltmeisterschaft in Deutschland gelingen, als er den letzten Elfmeter gegen England verwandelt und Portugal ins Halbfinale bringt. Er wird daraufhin seine Hände zum Himmel erheben und sagen: „Der ist für dich, Vater.“ Immerhin ist er am 7. September im Lokomotiv-Stadion der beste Mann auf dem Platz. Mannschaftskamerad Deco erklärt das später so: „Ich glaube, dass er sich in unserem Kreis wohlgefühlt hat. Wir haben an dem Tag nicht allzu viele Worte über die Sache verloren. Wir wussten, dass es ihm besser gehen würde, sobald er auf dem Platz ist. Fußball macht ihm Freude. Aber ich werde auch nie vergessen, wie er mit diesem Schmerz umgegangen ist. Es war bewundernswert, besonders, wenn man sein junges Alter und den Druck, unter dem er stand, bedenkt.“
Nach dem Spiel kehrt Cristiano Ronaldo nach Madeira zurück. Die Beerdigung seines Vaters findet auf dem Friedhof Santo António in Funchal statt. Die Nachricht vom Tod Dinis Avereiros hat die engverbundene Gemeinde geschockt. Freunden und Nachbarn zufolge war Ronaldos Vater ein „bescheidener Mann, der mit allen gut ausgekommen ist und niemals Schwierigkeiten mit irgendwem hatte“. Ein einfacher Mann, der sich trotz des Erfolges eines seiner Söhne nicht veränderte. Er pflegte die gleichen Gewohnheiten und dieselben Freundschaften wie vor der Zeit, als sein Name bekannt wurde.
Obwohl Cristiano ihm ein wunderschönes Haus mit Blick auf den Atlantik gekauft hatte und ihm jeden nur erdenklichen Luxus verschaffen konnte, stand Dinis auch weiterhin mit dem Morgengrauen auf, um dem Zeitschriftenhändler von Santo António zu helfen. Es war ein Hobby, das er niemals aufgab. Den Morgen verbrachte er dann mit Freunden in der Bar oder bei CF Andorinha, dem Verein, wo einst die fußballerische Karriere seines Sohnes ihren Anfang nahm. Nachmittags fuhr er dann mit dem Bus inklusive einmal Umsteigen wieder nach Hause.
Hunderte Menschen sind bei der Beerdigung anwesend – Freunde, Nachbarn aus dem Viertel, Verwandte, Vertreter verschiedener lokaler Institutionen wie auch aus der Welt des Fußballs. Unter ihnen befinden sich Luiz Felipe Scolari, Paulo Bento von Sporting Lissabon (Cristianos früherer Manschaftskollege und nun Trainer im Verein) und die Vorstände von Andorinha.
Cristiano trägt ein schwarzes Hemd und eine Sonnenbrille. Seine Familie und sein Berater Jorge Mendes sind die gesamte Zeit über in seiner Nähe, und er schafft es, die Fassung zu wahren. Auch wenn er keine Tränen vergießt, so sieht man seinen Augen dennoch an, dass er viel geweint haben muss. Die Familie bittet darum, während der Trauerfeier keine Fotos zu machen. Etwas später äußert sich Cristiano selbst zum Umgang der portugiesischen Medien mit dem Tod seines Vaters, der für vier Tage in Folge Schlagzeilen für die Titelseiten lieferte. „Das hat mir und meiner Familie wirklich weh getan. Wir hätten eigentlich Ruhe und Frieden gebraucht, und am Ende wurde so ein Wirbel darum erzeugt.“
Auf dem kleinen Friedhof in Funchal nimmt Cristiano zum letzten Mal Abschied von dem Mann, der für seine persönliche und berufliche Entwicklung eine Schlüsselfigur gewesen ist. „Mein Vater hat mir immer Mut gemacht“, sagt Ronaldo. „Er hat mir immer gesagt, dass ich ehrgeizig sein soll, und er war stolz auf meine Leistungen als Fußballer. Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben. Mein Vater wird immer bei mir sein. Er wird mir immer ein Vorbild sein. Ich glaube, dass er sehen kann, was ich tue und was ich erreiche, wo auch immer er sein mag.“
Dinis mochte die Kameras und das Blitzlicht nicht. Er blieb lieber im Hintergrund. Dennoch war seine Beziehung zu seinem Sohn jederzeit eng. Bevor die „kleine Biene“ auf das portugiesische Festland übersiedelte, um bei Sporting Lissabon zu spielen, waren die beiden unzertrennlich. Sie blieben sich auch nahe, als Ronaldo nach Manchester wechselte. Dinis war häufig bei ihm, besuchte ihn, unterstützte ihn und machte ihm Mut – bis sein Krankheitszustand es nicht mehr zuließ. Immer wieder versuchte Cristiano seinen Vater davon zu überzeugen, eine Klinik aufzusuchen und seine Alkoholabhängigkeit behandeln zu lassen. Doch er konnte ihn nicht retten. Dinis trank weiter, und schließlich konnten nicht einmal mehr Englands beste Krankenhäuser etwas für ihn tun.