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ОглавлениеKapitel 5
Le Festival
Das Jugendturnier von Toulon 2003
„Es ging ja nicht darum, der beste Spieler des Turniers zu sein.“
Das Festival International Espoirs de Toulon et du Var, in Deutschland als „Turnier von Toulon“ bekannt, ist neben der U21-EM der bedeutendste Junioren-Wettbewerb. Der Vorläufer dieses Turniers wurde bereits 1967 mit sechs Klubmannschaften ausgetragen, doch seit 1975 spielen dort nur noch die Junioren-Nationalmannschaften verschiedener Länder. Das Turnier ist zwar kein offizieller FIFA-Wettbewerb, doch bekommt man hier immer wieder Jungtalente zu sehen, die später groß herauskommen. Nur ein paar Beispiele:
1985: Jean-Pierre Papin vom FC Valenciennes wird Torschützenkönig und holt mit Frankreich die Trophäe.
1991: Zinédine Zidane, damals noch beim AS Cannes, begeistert mit seinem brillanten Spiel und gelangt bis ins Endspiel, wo die Franzosen dann gegen England verlieren. Alan Shearer vom FC Southampton ist mit sieben Toren in vier Partien der Star des Turniers.
1992: Benfica Lissabons Rui Costa wird mit einer außerordentlichen Leistung Spieler des Turniers und Torschützenkönig.
1997: Thierry Henry vom AS Monaco wird nicht nur bester Torschütze und Spieler des Turniers, sondern gewinnt auch mit Frankreich den Titel.
1998: Juan Román Riquelme von den Boca Juniors aus Argentinien wird zum Spieler des Turniers gekrönt, und die europäischen Vereine reißen sich um ihn.
Die 31. Auflage des Turniers, die zwischen dem 10. und 21. Juni 2003 stattfindet, macht da keine Ausnahme. Allen Vorhersagen zum Trotz wird Javier Mascherano Spieler des Turniers. Der Junge, der eines Tages zum Star beim FC Barcelona und in der argentinischen Nationalmannschaft werden soll, spielt zu der Zeit noch für River Plate Buenos Aires und verhilft Argentinien zu einem dritten Platz im Wettbewerb. Zwei Jahre später geht er zu den Corinthians São Paulo nach Brasilien, bevor er in die Premier League wechselt, wo er zunächst für West Ham United und dann den FC Liverpool antritt.
Ronaldo, der gemeinsam mit Italiens Silvio Pagano und Argentiniens Emanuel Rivas als Favorit gegolten hat, darf sich damit trösten, jüngster Finalteilnehmer gewesen zu sein. „Es ging ja nicht darum, Spieler des Turniers zu werden“, erklärt ein zurückhaltender Cristiano. „Es war wichtiger, dass die Mannschaft ganz oben steht – und das haben wir geschafft. Wir haben den Pokal geholt.“ Nach Siegen 1992 und 2001 dürfen die Portugiesen die Trophäe von Toulon zum dritten Mal in die Höhe stemmen. Sie schlagen Italien im Finale mit 3:1 und liefern eine fantastische Vorstellung ab. Gleichwohl zeigt sich Sportings Nummer 28 durchaus selbstkritisch: „In drei Partien habe ich wohl ganz gut gespielt, aber in den beiden anderen war ich ein bisschen müde“, gesteht er. „Das ist ja auch kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Spiele man hier in so kurzer Zeit zu absolvieren hat.“
In jeder Nationalauswahl hat Ronaldo gemeinsam mit etwas älteren Mannschaftskameraden gespielt. Er war 14, als er zur U15 kam, und 16, als er zur U17 ging. In der U20 in Toulon ist er 18 Jahre alt. Dort hinterlässt er bereits beim ersten Spiel am 11. Juni in Nîmes gegen England einen starken Eindruck. Portugals Trainer Rui Caçador hat eine offensive Aufstellung versprochen, und er steht zu seinem Wort. Er lässt Danny als Zehner spielen und Ronaldo und Lourenço auf den Flügeln, während der hünenhafte Hugo Almeida Löcher in die Verteidigung des Gegners reißen soll. Nach zehn Minuten sorgfältigen Abtastens nimmt Portugal die Zügel in die Hand. Auch wenn die drei Tore erst in der zweiten Halbzeit fallen, sind die Portugiesen doch über die gesamte Spieldauer ihrem Gegner hoch überlegen. Cristiano besiegelt mit seinem Tor den Endstand von 3:0. Er beeindruckt nicht nur den Trainerstab der Nationalmannschaft, sondern auch die zahlreichen Scouts von Topmannschaften, die in Toulon immer nach potenziellen Neuverpflichtungen Ausschau halten.
Unter ihnen ist auch Barcelonas Scout Joan Martínez Vilaseca. Nachdem er Ronaldo spielen gesehen hat, erklärt er: „Das ist ein ungemein interessanter Spieler. Er hat einzigartige Qualitäten, die ihn zu einem vielversprechenden jungen Mann machen. Wenn er sich weiterhin auf seine Karriere konzentriert, wird er bald für einen der großen Vereine in Europa spielen können.“ Der junge Fußballspieler ist bei den fußballerischen Großmächten kein Unbekannter mehr. Vilaseca ist nicht der Einzige, der große Stücke auf ihn hält. Schon seit einiger Zeit machen ihm einige von Europas größten Klubs den Hof. Manchester United, Liverpool, Chelsea, Juventus, Parma, Atlético Madrid, Barça und Valencia haben allesamt Interesse an dem Jungen aus Madeira angemeldet.
So auch der FC Arsenal aus London. Gunners-Trainer Arsène Wenger hat Cristiano und seine Mutter persönlich eingeladen, im Januar 2003 nach London zu kommen, um über die Zukunft zu sprechen, den Verein zu besuchen und den Stürmer Thierry Henry kennenzulernen, den Ronaldo sehr bewundert. Der Kontakt reißt auch nach seiner Rückkehr nach Lissabon nicht ab, aber Wenger legt großen Wert darauf, dass er noch ein weiteres Jahr dort bleibt, bevor er den Sprung in die Premier League unternimmt.
Inter denkt ähnlich: Sie sind bereit, die Ablösesumme zu bezahlen, aber ebenfalls der Meinung, dass der Junge noch ein wenig länger in Lissabon bleiben und dort trainieren soll. Inters Scout Luis Suárez, einst Mittelfeldspieler bei Inter und Barça sowie Europas Fußballer des Jahres 1960, hatte den Tipp von einem Freund bekommen, dass es da einen wirklich guten Spieler in der Jugendakademie von Sporting gäbe. So hatte er Cristiano bereits ein- oder zweimal gesehen, bevor er sein Debüt in der Profimannschaft gab, und fand, man sollte so schnell wie möglich mit seiner Familie sprechen und ihn verpflichten. Insiderquellen zufolge soll Valencia bereits drei Millionen Euro geboten haben. Und der spanischen Presse zufolge befindet sich Ronaldo auch in Gesprächen mit Atlético Madrid.
Selbst Liverpools Trainer Gérard Houllier hat sich die Worte seiner Scouts über das Wunder von Madeira zu Herzen genommen und ist nach Frankreich geflogen, um das neue Phänomen aus Portugal höchstpersönlich in Augenschein zu nehmen. Als er ihn spielen sieht, hat er keine Zweifel mehr. Er ist überzeugt, dass Ronaldo einer der vielversprechendsten Nachwuchsspieler Europas ist, und will ihn an die Anfield Road holen. In der Presse wird gemunkelt, Liverpool böte für Ronaldo einen seiner Spieler plus 7,5 Millionen Euro. Es heißt, der Transfer soll in wenigen Tagen über die Bühne gehen. Cristianos Berater Jorge Mendes hat sich bereits mit den Vertretern Liverpools getroffen, und der Klub aus Lissabon ist bereit, seine Nummer 28 in die Stadt der Beatles ziehen zu lassen.
Cristiano sagt, dass er den englischen Fußball unheimlich bewundere. Allerdings ist er kein Fan der englischen Spielweise, er mag den spanischen Fußball lieber. Doch er gibt zu: „Liverpool gehört zu den besten englischen Vereinen. Dort zu spielen, wäre für jeden Spieler ein Traum.“ Auf der anderen Seite hat er eigentlich keinen Grund, Sporting überstürzt zu verlassen.
Doch die Presse will wissen, wie der 18-Jährige darüber denkt, dass er den vielen Scouts in Toulon ins Auge gefallen ist und nun reihenweise Klubs um seine Aufmerksamkeit buhlen. „Ich fühle mich durch das Ganze nicht unter Druck gesetzt“, antwortet er. „Ich bin einfach nur begeistert und glücklich zu wissen, dass ich den größten Vereinen und bekanntesten Leuten aufgefallen bin. Das gibt mir Kraft und spornt mich an, mich jeden Tag weiter zu verbessern. Aber bislang habe ich noch mit niemandem geredet, und niemand hat Sporting ein konkretes Angebot gemacht. Ich weiß, dass in der Presse viel geschrieben wird, aber im Augenblick ist mein oberstes Ziel, die Mannschaft ins Finale zu bringen und ihr zum Sieg zu verhelfen. Darauf konzentriere ich mich.“
Und genau das tut er. Gegen Argentinien, das für viele der Turnierfavorit ist, liefert er erneut eine fantastische Leistung ab: Portugal schlägt die Männer um Mascherano mit 3:0. Als Nächstes trifft man in Fréjus auf Japan. Die Japaner allerdings halten eine böse Überraschung bereit. In dem Glauben, dass das schwierigste Spiel nun hinter ihnen liege, lassen Rui Caçadors Männer die Zügel schleifen und verlieren durch ein Tor von Hiroto Mogi mit 0:1. „Wir haben nicht so gespielt wie in den beiden anderen Partien“, lässt Ronaldo verlauten. „Wir waren nicht auf Zack, wir haben uns nicht durchsetzen können und eine Reihe von Chancen ausgelassen. Nun müssen wir die Türkei schlagen, wenn wir ins Endspiel kommen wollen.“ Tore von Nuno Viveiros und Danny machen Hackfleisch aus Raşit Çetiners türkischer Mannschaft und ebnen ihnen den Weg ins Finale.
„Ein McVictory, um die Spaghettis zu schlagen“, titelt am 21. Juni die portugiesische Zeitung Record. Der Trainer hatte beschlossen, die Spannung am Abend vor dem Endspiel gegen die Italiener zu bekämpfen, indem er seine 20 Spieler auf einen Big Mac ausführte. Sie hatten ihn bekniet, losziehen zu dürfen, und so konnte man sich ja schließlich auch bestens entspannen – und zudem dem langweiligen Hotelessen entgehen.
Es ist kein Spiel für Herzschwache, sondern 90 Minuten, die es in sich haben. Besonders die Portugiesen müssen bis an ihre Schmerzgrenze gehen. Schon in der 25. Minute sind sie nur noch zu zehnt, nachdem Hugo Almeida die Rote Karte gesehen hat. Danach kontrollieren die Azzurri den Ball. Unmittelbar vor der Pause, als es noch immer 0:0 steht, wird auch der Italiener Cesare Bovo wegen eines Fouls an Pedro Ribeiro des Feldes verwiesen. Bei der Zahl der Spieler herrscht jetzt also ebenfalls wieder Gleichstand. In der zweiten Halbzeit wird jedoch deutlich, dass die Italiener ausgeruhter sind – sie hatten nach ihrem Spiel gegen Polen 24 Stunden länger Pause. Sie haben das Spiel weiterhin unter Kontrolle. Nach einem Konter gehen die Azzurri in der 67. Minute durch Francesco Ruopolo in Führung. Nun wird es hart für Portugal, gegen die starke italienische Verteidigung noch einmal zurückzukommen. Es sieht so aus, als sei das Spiel endgültig verloren.
Doch das erweist sich als falsch. Es sind noch etwas über zehn Minuten zu spielen, da kommen zwei Leute von der Bank, die das Spiel drehen werden. João Paiva betritt das Feld und trifft mit seiner ersten Ballberührung. Fünf Minuten später stibitzt Danny seinem Gegner den Ball und erzielt die Führung. In der Nachspielzeit erhöht Paiva noch auf 3:1, und dann nehmen die Feierlichkeiten ihren Lauf. Das Siegerfoto zeigt einen spindeldürren Ronaldo – die Muskeln von heute muss er erst noch entwickeln – mit blondgefärbten Stirnfransen und freiem Oberkörper. Er strahlt nur so vor Freude und hat die Arme in die Luft gehoben. In der linken Hand hält er ein blaues Trikot – seine Siegesbeute.
„Es war ein schwieriges Spiel gegen ein äußerst gutes Team, das uns jede Menge Probleme bereitet hat“, sagt Cristiano. „Wir wussten vorher, dass die Italiener eine sehr starke Mannschaft haben. Wir haben gut gespielt und eine unserer besten Turnierleistungen gezeigt.“ Die portugiesische Presse bejubelt diese U20-Mannschaft und vergleicht sie gar mit der Generation von Figo und Rui Costa.
Das Team erhält bei seiner Rückkehr nach Lissabon einen triumphalen Empfang. In großen Scharen ziehen die Fans zum Flughafen Lissabon-Portela, um ihre Helden zu feiern. Cristiano ist nicht dabei. Er ist nicht mit der Mannschaft zurückgereist. Gemeinsam mit seiner Mutter und einer seiner Schwestern bleibt er für einen Urlaub in Frankreich – ein paar Tage im Süden und danach ein Abstecher nach Paris. Es ist eine wohlverdiente Auszeit, bevor die Saisonvorbereitung bei Sporting losgehen wird. Am 6. August, nach einem Freundschaftsspiel gegen Manchester United, wird sein Leben jedoch eine unerwartete Wendung nehmen.