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Kapitel 9

Eine Falle

Die Vergewaltigungsvorwürfe 2005

„Es war eine falsche Anschuldigung.“

Scotland Yard nennt keine Namen. Man bestätigt nur, dass sich ein etwa 20 Jahre alter Mann auf einem Londoner Polizeirevier gemeldet hat, nachdem eine Frau Anzeige erstattet hatte. Doch die britischen Medien glauben zu wissen, um wen es sich handelt. „Ronaldo wegen Vergewaltigung verhaftet. Fußballschönling Cristiano Ronaldo wegen unglaublichen Vergewaltigungsvorwurfs festgenommen“, heißt es am folgenden Tag auf der Titelseite der Sun. Die Titelstory vom 19./20. Oktober 2005 verbreitet sich rasch um die ganze Welt.

Was steckt dahinter? Eine französische Frau behauptet, am 2. Oktober in einer Suite im Londoner Sanderson Hotel sexuell missbraucht worden zu sein. Sie erklärt gegenüber der Polizei, dass sie und eine Freundin Ronaldo in der angesagten Diskothek Movida in der Nähe des Oxford Circus kennengelernt hätten.

Cristiano befand sich in der Hauptstadt, weil er am Nachmittag ein Spiel in der Premier League gegen Fulham absolviert hatte. United gewann 3:2. Vom Movida waren Ronaldo, ein Freund und die beiden Mädchen noch in die Long Bar des im West End gelegenen Sanderson Hotel weitergezogen. Dort hatten sie sich zwei Stunden lang unterhalten und etwas getrunken, um dann auf die Suite hinaufzugehen. Und dort soll nach Angaben der Mädchen auch die Vergewaltigung stattgefunden haben. Um fünf Uhr morgens verlassen die beiden das Hotel und begeben sich in ein Krankenhaus. Am Montag erstatten beide auf der Polizeiwache West End Central Anzeige. Nachdem man sie befragt und untersucht hat, beginnt die Polizei, die Aussagen der Damen äußerst ernst zu nehmen.

Am 19. Oktober erscheint Cristiano Ronaldo in Begleitung des Anwalts von Manchester United auf der Polizeiwache West Didsbury in London. Er hatte zuvor eine Vorladung der Polizei erhalten im Zusammenhang mit einer Ermittlung, die auf Berichten über einen schweren sexuellen Missbrauch in einem Hotel im Zentrum Londons basiert. Das „Sapphire Command“, also die „Abteilung Saphir“ von Scotland Yard, die sich in erster Linie mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt befasst, befragt darüber hinaus auch einen 30-jährigen Mann, der später jedoch wieder gehen darf. Ronaldo aber bleibt auf der Polizeiwache. Man nimmt seine Fingerabdrücke und eine Speichelprobe, und man verhört ihn. Er bestreitet kategorisch jeglichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs und wird nach knapp neun Stunden wieder entlassen.

Bei der Polizei überlegt man, ob man die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft übergeben soll, damit diese über eine Anklage gegen den Spieler entscheiden kann. „Momentan gibt es von uns keinen Kommentar“, sagt Phil Townsend, Mediendirektor von Manchester United. Reden tut nur einer, nämlich Co-Trainer Carlos Queiroz. In einem Telefoninterview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Rádio e Televisão de Portugal dementiert er, dass Cristiano verhaftet worden wäre. Er sagt, dass Ronaldo freiwillig auf die Polizeiwache gekommen sei, in Absprache mit Vertretern der Polizei und des Vereins.

„Er ist hingegangen, um eine gemeinsam vereinbarte Aussage zu machen. Auf Basis dieser Aussage werden die Behörden nun gerechte und korrekte Schlussfolgerungen ziehen. Cristiano ist ganz ruhig, auch wenn er natürlich sehr verärgert darüber ist, dass man ihn in diese unwahre Geschichte hineingezogen hat. Es gibt bei solchen Geschichten ja immer zwei Seiten, aber diese Beschuldigungen sind eine Schande.“ Zudem nutzt Queiroz die Gelegenheit und kritisiert die Sensationsgier der Medien. Auch, dass diese ohne jeden Beweis von einer „Verhaftung“ sprechen, prangert er an: „Sie erfinden offenbar gerne Skandalgeschichten ohne Fakten dahinter und schaden damit doch nur den Menschen“, meint Queiroz. „Verhaften sollte man eigentlich diejenigen Medienleute, die immer weiter die Tatsache ignorieren, dass ihre Worte unheimlich großen Schaden anrichten können.“

Cristianos Berater Jorge Mendes schaltet sich zur Verteidigung seines Klienten ebenfalls in die Diskussion ein. In einer Erklärung schreibt er, dass „die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Cristiano Ronaldo das Produkt von Einbildung und Fantasie“ seien und man sie „restlos und kategorisch“ zurückweise. „Die Ermittlungen werden zeigen, dass diese Anschuldigungen nicht auf Tatsachen basieren.“

Cristiano Ronaldo ist nicht der erste Spieler der Premier League, der sich Vorwürfen wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs ausgesetzt sieht. 2003 wurde Jody Morris von Leeds United wegen mutmaßlicher Vergewaltigung festgenommen. Die Anklage wurde später fallen gelassen. Im September des gleichen Jahres beschuldigte man sieben Spieler des FC Chelsea und von Newcastle United, im Grosvenor House Hotel in London eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Sie hatte ein Date mit einem weiteren Kicker von Chelsea gehabt, der mit den fraglichen Männern befreundet war. Das Verfahren löste in ganz England einen Skandal aus, wurde aber später eingestellt.

2004 wurde Terrell Forbes, Abwehrspieler von Grimsby Town, zusammen mit vier Freunden in den Vergewaltigungsfall eines 15-jährigen Mädchens hineingezogen. Alle fünf Männer sprach man frei. Im spanischen Cartagena wurden ebenfalls 2004 drei Spieler von Leicester City beschuldigt, drei Frauen vergewaltigt zu haben. Auch sie wurden am Ende freigesprochen. Der letzte Fall war der des Niederländers Robin van Persie, Stürmer beim FC Arsenal. Nach einer Anzeige wegen Vergewaltigung wurde er im Juni 2005 in Rotterdam verhaftet. Zwei Wochen später ließ man ihn ohne Anklage wieder frei.

Es gibt sicher viele Vergewaltigungsfälle, doch mag niemand glauben, dass Ronaldo wirklich schuldig sein könnte. Warum nicht? Weil der Portugiese trotz seines prahlerischen und provokativen Verhaltens auf dem Feld neben dem Platz als „the Quiet One“, der Ruhige, bekannt ist. Doch dieser Umstand heizt die Gerüchte und Theorien in den britischen Medien eher noch weiter an. Zum Glück erhält Cristiano jede Menge Unterstützung durch den Verein, die Fans und den portugiesischen Fußballverband.

Anfang November gibt es neue Entwicklungen in seinem Fall. Der Sun zufolge hat man Cristianos Cousin Nuno Aveiro festgenommen und auf demselben Polizeirevier verhört, auf dem auch Cristiano seine Aussage gemacht hat. Die Frau, die den Spieler beschuldigt, behauptet, dass Nuno sie in der Nacht im Sanderson Hotel festgehalten habe, damit Cristiano sie vergewaltigen konnte. Nuno Aveiro bestreitet die Vorwürfe und wird auf Kaution freigelassen. In der Zwischenzeit ist die zweite Frau nach Frankreich zurückgekehrt und hat ihre Aussage zurückgezogen.

Am 25. November schließt man den Fall. Cristiano Ronaldo wird nicht wegen Vergewaltigung angeklagt werden. „Die Metropolitan Police hatte der königlichen Staatsanwaltschaft in Folge von Anschuldigungen bezüglich eines sexuellen Übergriffs in einem Hotel im Zentrum Londons am 2. Oktober eine Akte übersandt“, so ein Sprecher von Scotland Yard. „Man hat uns heute seitens der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass für eine Anklage nicht genügend Beweise vorliegen. Demzufolge werden die beiden Männer, die man im Zuge dieser Ermittlungen festgenommen hat, keinerlei weiteren Maßnahmen in dieser Angelegenheit unterzogen werden.“

Cristiano Ronaldo reagiert mit einer weiteren Erklärung: „Ich habe stets ausdrücklich meine Unschuld beteuert und bin froh, dass diese Sache ein Ende hat. Nun kann ich mich darauf konzentrieren, für Manchester United zu spielen.“ Cristiano hatte seinen engsten Freunden immer gesagt, dass die Vorwürfe haltlos wären und er das Opfer einer Falle geworden sei. Diese Theorie wird auch von der mittlerweile eingestellten Boulevardzeitung News of the World gestützt. Dort heißt es, dass die Anschuldigungen das Werk einer Prostituierten gewesen seien, die sich darauf spezialisiert habe, reiche und berühmte Personen zu verführen. Die Geschichte nimmt also ein gütliches Ende. Trotzdem betont der Spieler: „Alle Zeitungen hatten die Beschuldigungen gegen mich dick und fett auf ihren Titelseiten stehen. Aber als die Wahrheit herauskam, da haben sie die irgendwo ganz klein auf einer Innenseite gedruckt.“

Doch Cristiano hat sich zuletzt nicht nur mit juristischen Problemen herumschlagen müssen. Im Derby gegen Manchester City ist er mit Rot vom Platz geflogen. Im Training ist er mit Ruud van Nistelrooy aneinandergeraten. Und in der Champions League hat er den Fans von Benfica den Finger gezeigt, als er bei einem Spiel in Lissabon ausgewechselt wurde. Es sieht so aus, als läge er gerade mit der ganzen Welt im Streit.

„Die Vergewaltigung war eine falsche Anschuldigung. Das zählt nicht“, erklärt Cristiano einige Monate später in einem Interview mit dem portugiesischen Journalisten und Autor Joel Neto. „Aber es ist ja offensichtlich, dass mich bei den ganzen anderen Vorfällen der Tod meines Vaters irgendwie beeinflusst hat. Von einem auf den anderen Moment erwische ich mich dabei, wie ich Leute unfair behandele. Manchmal denke ich dann einfach: ‚Der geht mir gegen den Strich, und ich will jetzt nicht der nette Junge sein!‘ Ich wollte doch nie Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich wusste ja, dass das sowieso passieren würde, und das Wichtigste in meinem Leben war, weiterhin hart zu arbeiten. Aber es war eine schwierige Zeit in meinem Leben. Klar weiß ich, dass man lernen muss, mit schwierigen Zeiten umzugehen, aber das ist nun mal leichter gesagt als getan. Besonders, wenn es um Fußball geht. Es ist verdammt schwer zu spielen, wenn man sich nicht gut fühlt.“

Ronaldo

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