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Das Weihnachtswunder

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Langsam begann die Morgendämmerung die Dunkelheit aus der kleinen Vorstadt zu vertreiben und die ersten Lichtstrahlen spiegelten sich in den schneebedeckten Hausdächern. Schneeflocken tanzten leise vom Himmel hernieder und legten sich wie ein Teppich auf die Straßen. Die Schaufenster der Läden waren mit bunten Lichtern geschmückt und festliche Weihnachtsbäume wurden in den Häusern für das Fest vorbereitet und herausgeputzt.

Überall, wohin man auch sah, waren die Menschen emsig dabei, die letzten Weihnachtsvorbereitungen zu treffen und Weihnachtsgeschenke für die große Bescherung zu besorgen. Jeder grüßte sich freudig auf der Straße und rief seinem gegenüber »Frohe Weihnachten« zu.

Es war der 24. Dezember.

In einer Straße standen in zerlumpten Kleidern ein junges Mädchen und ihr kleiner Bruder mit weit aufgerissenen Augen vor einem großen Schaufenster und betrachteten voller Wehmut die Spielsachen unter dem bunten Weihnachtsbaum.

»Das ist aber schön, das möchte ich gerne einmal haben!«, rief der Kleine ganz aufgeregt und deutete mit dem Finger auf ein Auto hin.

»Ach Peterl!«, seufzte seine Schwester die Vreni schwermütig, »Du weißt doch, dass wir uns das wahrscheinlich nie leisten können! Wir haben doch gar kein Geld!«

»Das weiß ich doch. Aber davon träumen wird man doch wohl noch dürfen, oder?«

«Ach Peterl, hätte unser Vater damals, als Du geboren wurdest, keinen Unfall gehabt, dann wäre das heutzutage ganz anders! Dann müssten wir nicht nur davon träumen, sondern hätten ein festes Dach über dem Kopf, einen Weihnachtsbraten im Rohr und eine richtige Bescherung!«, sinnierte Vroni voller Tränen in den Augen.

»Und das Christkind würde uns dann auch nicht vergessen - es würde uns bestimmt lauter Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen und wir wüssten gar nicht, was wir als erstes auspacken sollten!«, erwiderte Peter.

»Das wäre schön! - Komm Peterl, das träumen nutzt uns leider nichts, gehen wir weiter.« Mit diesen Worten nahm sie Peter - der sich gar nicht von den vielen Spielsachen satt sehen konnte - an der Hand und zog ihn vom Schaufenster weg.

Als sie sich auf den Weg machen wollten, kam ganz eilig ein Mann mit vielen Paketen aus dem Geschäft, vor dessen Schaufenster sie gerade gestanden hatten, heraus und überquerte im Laufschritt die Straße. Dabei fiel ihm eine Schachtel herunter und landete direkt vor Peters Füßen.

Dieser bückte sich sofort und hob es auf.

Noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sich der Mann, dem es aufgefallen war, dass ihm eine Schachtel fehlte, plötzlich um und sah den Jungen mit seinem Eigentum in der Hand am Straßenrand stehen.

Voller Wut und mit hochrotem Kopf kam er angestürmt und riss dem Kleinen die Schachtel aus der Hand. »Ihr Diebesgesindel wolltet mir wohl meine Sachen stehlen? Habt ihr geglaubt ich merke es nicht? Na wartet, dass setzt einige Tracht Prügel. Ihr Landstreichergesindel ihr...«, fauchte er und holte zum Fußtritt aus.

Vreni, die vor lauter Schreck erst gar nicht wusste, was los war, reagierte sofort und zog Peter gerade noch rechtzeitig zurück, so dass ihn der Tritt des Mannes nicht treffen konnte. Voller Angst liefen die Kinder davon und bogen um eine Ecke. Dort sahen sie eine offen stehende Türe, stürmten durch diese in den dahinter liegenden Raum und zogen sie ganz schnell hinter sich zu. Mit klopfenden Herzen und völlig außer Puste sahen sich die beiden in die Augen und schreckten im nächsten Augenblick schon wieder hoch, als sie neben sich eine Stimme vernahmen.

»Na, was pressiert es Euch denn gar so? Ich habe meinen Laden schon noch ein paar Stunden offen - deswegen hättet ihr Euch doch nicht so abhetzen müssen! Was kann ich für Euch tun?«, schmunzelte eine ältere rundliche Frau in weißer Schürze und roten Pausbacken hinter einer Theke hervor.

Die Kinder sahen sich verwirrt um - sie waren in eine Bäckerei geflohen.

Zögernd begann Vreni zu erzählen. »Eigentlich sind wir auf der Flucht vor einem ganz bösen Mann, der uns schlagen wollte, weil er ein Päckchen verloren und mein Bruder es aufgehoben hatte und jetzt meint er, wir wollten es ihm klauen. Mit einem Fußtritt hat er nach uns geschlagen, gerade so, als wären wir irgendwelche Tiere, die auf der Straße nichts zum Suchen hätten - da sind wir dann davon gelaufen und hier gelandet!«

Die Frau musterte die beiden von oben bis unten, wobei ihr die Lumpenkleidung nicht entgangen war. »Und ich dachte, Euch pressiert es so, damit ihr noch ein paar warme Semmeln bekommt! Ihr wollt doch welche, oder nicht?«, lächelte sie.

»Wollen schon, aber...«, druckte sich Peter, dem das Thema offensichtlich peinlich war, da sie ja kein Geld besaßen. »...aber heute ist es gerade schlecht, weil wir unseren Geldbeutel zufällig zuhause vergessen haben!«, beendete Vreni ganz schnell den Satz, um der Verkäuferin ihre Armut nicht anmerken zu lassen.

Lächelnd nahm die Frau zwei Semmeln aus der Ablage und reichte sie den Kindern. »Ja wenn das so ist, dann muss ich halt heute auf die Bezahlung verzichten. Lasst es Euch schmecken!«

Mit strahlenden Augen nahmen die Kinder das Geschenk entgegen.

»Du Vroni«, platzte Peter freudig heraus, »ich glaube, das es besser ist, wenn wir uns eine Semmel teilen und die andere Mama und Papa mitbringen. Dann freuen die sich auch, dass sie etwas zum Essen bekommen!«

Vreni sagte nichts. Sie sah ihren Bruder nur streng in die Augen und wünschte sich, er hätte nicht voller Übermut ihre Armut vor der Verkäuferin hinaus posaunt.

Währenddessen packte die Frau ein paar Brote, Semmeln und Plätzchen in eine große Tüte hinein und drückte sie Vreni, die ganz ungläubig dreinschaute, in die Hand. »Ihr könnt ruhig beide Eure Semmel essen, da in der Tüte sind noch mehr drinnen. Und das«, grinste sie, als sie noch 2 Schokoladennikoläuse holte, »ist nur für Euch zwei!«

»Aber das können wir ja gar nicht bezahlen!«, jammerte Vreni. »Wir haben doch unseren Geldbeutel...« »Das passt schon.«, fiel ihr die Verkäuferin schnell ins Wort. »Warum soll das Christkind nicht schon in der Früh kommen? Ich wünsche Euch frohe Weihnachten!«

Die Kinder überschlugen sich förmlich mit Dankesworten und verließen die Bäckerei, nicht aber ohne sich vorher zu überzeugen, ob die Luft rein ist.

Die beiden schlenderten gemütlich den Gehsteig entlang, als Peter eine leere Zigarettenschachtel am Boden auffiel. Voller Eifer versuchte er sich sogleich als Fußballspieler und kickte diese mit dem Fuß weg. Vreni kam dabei sofort eine Idee.

»Du Peterl, weißt du was? Wir nehmen die Schachtel mit und kleben ein Taschentuch um diese, dann haben wir für die Mama eine Nadelkissenschachtel zu Weihnachten! Was hältst du davon?«

»Au ja, das machen wir!«, rief der Junge begeistert, hob die Schachtel auf und steckte sie in seine Jackentasche.

Auf dem Weg nach Hause beratschlagten sie, wie das Geschenk aussehen sollte.

Als sie in Ihrer armseligen Behausung, welche aus ein paar aufgehängten Decken unter einer Brücke, einen Tisch, einer Kommode, ein paar Matratzen und schäbigen Stühlen bestand, ankamen, frohlockte Peter gleich ganz aufgeregt die Nachricht vom Geschenk der freundlichen Bäckerin. Er verschwieg dabei aber die beiden Schokoladennikoläuse, die sie bekommen hatten, da diese, so hatten die beiden es unterwegs vereinbart, eine Überraschung für den Abend sein sollten.

Mit großen Augen nahm die Mutter die Tüte aus der Bäckerei fassungslos und überglücklich entgegen und Peter erzählte ihr von ihren Erlebnissen.

Vreni kramte währenddessen wie zufällig ein Taschentuch und eine Tube Kleber aus der Kommode und gab Peter heimlich zu erkennen, ihr zu folgen.

Während die Mutter ein spärliches Essen aus den Broten und Semmeln und was sie sonst noch fand zauberte, dekorierte der Vater den Tisch mit einem Tannenzweig, auf dem er eine Kerze befestigte und mit etwas Silberpapier einwickelte. Er stibitzte sich ein Plätzchen, welche die Kinder mitgebracht hatten, legte die restlichen auf einen Teller und stellte sie in die Mitte des Tisches. Auch für ein gemütliches Feuer, das er bereits angezündet hatte, hatte er genug Holz zusammen gesammelt.

Trotz ihrer Armut, ließen sie es sich nicht nehmen, den Weihnachtsabend so angenehm und gemütlich, wie nur irgendwie möglich, zu feiern. Und ein gewisses Weihnachtsambiente stellte sich ja schließlich auch schon bei den schlichten Sachen ein. Auch wenn es keine Geschenke geben würde, so wollten sie den Heiligen Abend doch im angemessenen Rahmen feiern.

Es setzte bereits die Dämmerung ein, als die beiden Kinder endlich wieder heimkehrten. Unterwegs fanden sie noch ein altes Zeitungspapier zum Einwickeln ihres Geschenkes und einen noch durchaus akzeptablen Krug für Ihren Vater.

Langsam begann es zu schneien. Ein leichter Wind blies vom Westen her und schien die Temperatur noch unangenehmer und kälter erscheinen, als es tatsächlich der Fall war.

Der Vater schürte mehr Holz ins Feuer um die Kälte damit zu vertreiben.

Alle setzten sich an den bereits gedeckten Tisch und die Mutter begann mit dem Servieren des Essens während der Vater ein ergreifendes Tischgebet sprach.

Nach einer Weile - die Familie war mitten in ihrem spärlichen Mahl - hörten sie von außerhalb eine männliche Stimme rufen.

Der Vater stand auf und sah hinaus.

Draußen stand ein alter Mann mit einem langen weißen Bart und seine Kleidung war genauso, wie seine eigene, sehr zerlumpt.

»Kann ich Ihnen helfen?”, fragte er freundlich.

»Ach, das wäre nett, wenn ich mich bei Ihnen ein bisschen aufwärmen dürfte.«, sagte der Mann freudig. »Ich laufe jetzt schon seit Stunden in der Gegend umher und friere ziemlich!«

»Aber das ist doch kein Problem«, erwiderte der Vater, «kommen Sie nur herein zu uns, da ist schon noch ein Platz frei.«

Das lies sich der Alte nicht zweimal sagen und betrat voller Dankbarkeit die Unterkunft der Familie.

»Setzen Sie sich ruhig hin!«, forderte der Vater ihn auf. »Wir haben zwar nicht viel zum Essen, aber wenn ich Sie so ansehe, dann glaube ich schon, dass Sie etwas Warmes vertragen könnten!«

Sofort stand die Mutter auf und brachte dem Mann einen Teller Suppe.

Freudestrahlend setzte sich dieser.

Während er seine Suppe schlürfte, musterten Vreni und Peter den Mann von oben bis unten und kamen schließlich zu dem Entschluss, dass er dem Nikolaus doch recht ähnlich sehe. Wenn auch seine Kleidung zerlumpt und verschlissen war, passten zumindest der Bart und die rundliche Figur zum typischen Nikolaus-Outfit.

Nach dem Essen wurden die Plätzchen herumgereicht und die Mutter begann ein Weihnachtslied zu singen. Vreni und Peter stimmten als erstes mit ein.

Auch der Vater und der alte Mann beteiligten sich an der musikalischen Darbietung.

Und obwohl auch nicht alle unbedingt den richtigen Ton trafen, sangen sie nun ein Lied nach dem anderen.

Weihnachtsgeschichten wurden erzählt und auch der Mann wusste etliches zu berichten.

Vreni ging kurz nach draußen, um heimlich die »Geschenke«, die sie in ihren Taschen verstaut hatte, am Boden zu verteilen. Sie legte zu jedem Gegenstand einen Zettel mit den Namen. Auch die beiden Nikoläuse fanden, nachdem sie noch die beiden zugehörigen Zetteln ausgebessert hatte, ihren Platz. Auf dem einen schrieb sie ihren Namen unter den ihres Bruders und auf den anderen »Gast« darauf. Nun schob sie diese unter je einem Schokoladenmann.

Wie, als wenn nichts geschehen wäre, kam sie wieder herein stolziert und stimmte sofort in das gerade gesungene Weihnachtslied mit ein. Alle waren fröhlich.

Als nun von weit her die Kirchturmuhr mit ihrem Sechsuhrschlag die bevorstehende Bescherung ankündigte, fragte Peter ganz scheinheilig: »Du Mama, glaubst Du, dass dieses Jahr vielleicht das Christkind zu uns gekommen ist und etwas vor die Türe gelegt hat?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete die Gefragte. »Sollen wir mal nachschauen? Aber sei bitte nicht zu sehr enttäuscht, wenn es uns dieses Jahr auch wieder vergessen hat!«

Peter und Vreni zwinkerten sich vergnügt zu, während alle aufstanden.

»Ui! Da schau her! Da steht ja was! Ich glaube, dass das Christkind doch da war und uns dieses Jahr mal nicht vergessen hat!«, rief Peter ganz vergnügt, als alle im Freie standen und mit großen Augen die Sachen im Schnee betrachteten.

Vreni bückte sich und hob ganz scheinheilig ein Geschenk auf.

»Mama, das ist für Dich!«, rief sie künstlich aufgeregt, als sie ihren selbst geschriebenen Zettel, auf dem MAMA stand, inspizierte. Sie überreichte ihrer Mutter die in Zeitungspapier eingewickelte Nadelkissenschachtel. »Und das ist für Dich, Papa«, seufzte Peter zufrieden, als er seinem Vater den im Schnee stehenden Krug aufhob.

»Wow - sogar für unseren Gast ist ein Schokoweihnachtsmann da!«, grinste Vreni und übergab dem Mann einen Nikolaus, der diesen dankbar und schelmisch lächelnd annahm. »Und schau Peterl, für uns zwei ist auch einer da!«. Als Peter sich bückte, um den Schokoladenmann an sich zu nehmen, fiel sein Blick plötzlich auf einen verschlossenen Brief, der neben ihm im Schnee lag.

»Wo kommt denn der auf einmal her?«, fragte er ganz erstaunt und schaute zu seiner Schwester, die ratlos mit den Schultern zuckte, hinüber. »Da steht FÜR ALLE! drauf!«

Er gab den Brief seinem Vater, der ihn sogleich öffnete.

Als er ihn durchgelesen hatte schüttelte er ungläubig den Kopf. »Das gibt es doch gar nicht! Das kann doch gar nicht sein!«

»Was steht denn da drin?«, wollte die Mutter wissen. »Ist was Schlimmes passiert?«

»Nein! Im Gegenteil! Da steht drin, dass wir zwei mit unseren Kindern auf eine Weihnachtsfeier heute am Heiligen Abend in der Rosenstrasse 35 eingeladen sind. Wenn wir Gäste haben, sollen wir diese auf alle Fälle mitbringen.«

»Aber wir können doch nicht einfach auf eine Weihnachtsfeier zu fremden Leuten gehen. Schau nur, wie wir aussehen. Wir haben doch gar nichts passendes zum Anziehen! Nein, ich geh da auf gar keinen Fall hin!«, verkündete die Mutter entschlossen.

»Aber warum denn nicht?«, mischte sich der Mann mit einem Grinsen auf den Lippen ein. Sein langer weißer Bart bauschte sich dabei mächtig auf. »Man kann doch einfach mal hinschauen und wenn es nichts ist, dann kann man auch gleich wieder gehen!«

»Au ja!«, riefen die beiden Kinder wie aus einem Mund. »Lasst uns doch einmal zu einer richtigen Weihnachtsfeier gehen!«

»Komm schon!«, setzte jetzt auch der Vater hinzu. »Wir verlieren doch nichts, wenn wir zu der Adresse gehen. Das ist gar nicht weit weg von hier. Und außerdem können wir das ja als weihnachtlichen Abendspaziergang auslegen!«

Nach langem Hin und Her lies sich die Mutter endlich überreden und alle zogen sich warme Jacken an, um dieser mysteriösen Einladung Folge zu leisten.

Kurze Zeit später bogen die Fünf in die Rosenstraße ein.

Vor dem Haus mit der Nummer 35 - das Letzte in der Straße - stockte ihnen der Atem. Sie standen vor einer kleinen Villa mit einem wunderschön weihnachtlich geschmückten Vorgarten und einer großen, mit Lichter übersäten Tanne. Auf den Giebeln des Hauses lag der unberührte Schnee wie Zuckerwatte verteilt, der Kamin rauchte und aus den hell erleuchteten Fenstern drang leise weihnachtliche Musik.

»Ich hab doch gleich gesagt«, bekräftigte die Mutter, »dass wir da nicht reingehen können! Das Beste ist, wir kehren wieder um!«

»Ach was!«, sagte der alte Mann und hatte bereits die Gartentür geöffnet. »Es hat doch ausdrücklich in dem Brief gestanden, dass alle eingeladen sind und kommen sollen! Also worauf wartet ihr noch - lasst uns hinein gehen!«

Peter war der Erste an der Haustür. »Da hängt ja ein Zettel mit lauter goldenen Buchstaben dran!«, rief er ganz erstaunt.

Vreni, die hinter ihm heran geeilt war, begann laut zu lesen. »Liebe Freunde! Geht ruhig schon einmal hinein, setzt Euch in die Stube zum Weihnachtsbaum und den Geschenken und wärmt Euch richtig auf. Im Zimmer nebenan steht ein voller Kleiderschrank! Sucht Euch aus, was Euch gefällt! Das Badezimmer ist im ersten Stock! Der fertige Braten steht im Rohr und wartet darauf, gegessen zu werden. Außerdem erwartet Euch noch eine große Überraschung!«

Alle sahen sich verwundert an. Wer war dieser unbekannte Wohltäter? Es schien gerade so, als ob er sie ganz genau kannte, obwohl sie aufgrund ihrer Armut und ihrer schäbigen Kleidung kaum Kontakt zu anderen Menschen hatten. Im Gegenteil, sie wurden von den Meisten gemieden und verachtet!

»Das gibt`s doch gar nicht«, wunderte sich der Vater. »Uns kennt doch niemand. Aber wenn man das liest, könnte man meinen, die wissen über uns ganz genau Bescheid!«

»Meinst Du, dass sich da jemand einen üblen Scherz mit uns erlaubt?«, warf die Mutter ganz skeptisch ein! »Nicht, dass wir da jetzt hineingehen und dann rufen sie die Polizei und lassen uns als Einbrecher verhaften?«

»Nein! Das kann ich mir nicht vorstellen!«, lächelte der alte Mann ganz vergnügt und öffnete die Tür. »Kommt rein! Wir machen einfach genau das, was da auf dem Zettel steht!«

Mit diesen Worten trat er über die Türschwelle in die warme Stube. Vreni und Peter folgten ihm. Nur die Mutter und der Vater zögerten.

»Was ist jetzt?«, fragte der Alte. »Von draußen kommt`s kalt rein. Kommt rein, damit wir die Türe endlich schließen können. Wir haben bis jetzt genug gefroren!«

Zögerlich drückte der Vater die Hand der Mutter und beide betraten das Haus.

»Na also! Es geht doch!«, lachte der Alte und schloss die Türe hinter ihnen.

Alle sahen sich mit großen Augen um! Es war noch viel schöner, als sie es sich erträumt hatten. Mitten in der Stube stand ein großer, bunt geschmückter Christbaum, unter dem eine Vielzahl an Geschenken lag.

Durch das Haus zog ein herrlicher Duft von frischem Braten und im Kamin knisterte ein behagliches Feuer.

»Wow - ist das schön!«, rief Peter begeistert. »So was hab ich ja noch nie gesehen!”

»Das ist ja tausendmal schöner, als in dem Schaufenster, welches wir heute früh gesehen haben!«, schwärmte Vreni überglücklich mit Tränen in den Augen.

Kurze Zeit später, als sich die Familie - wie auf dem Zettel an der Tür geschrieben stand - umgezogen, gewaschen und gegessen hatte, meinte der alte Mann schließlich, dass es nun Zeit für die Geschenke wäre.

»Aber wir können doch nicht einfach die Pakete aufmachen!«, stutzte der Vater. »Die gehören uns doch gar nicht!«

»Doch doch! Das geht schon in Ordnung! Da steht doch überall Euer Name drauf!«, erwiderte der Mann fröhlich und begann die Geschenke anhand der Beschriftungen zu verteilen.

Während sich die Pakete für die Kinder zu einem ganzen Berg stapelten, bekamen Mutter und Vater nur eine kleine Schachtel und einen Brief in die Hand gedrückt.

»Ui, das ist ja genau das Auto, welches ich mir heute früh vor dem Laden angesehen habe«, rief Peter voller Freude, als er das erste Geschenk ausgepackt hatte. »Und das gehört jetzt wirklich mir?«

Voller Eifer wurde nun von den Kindern ein Paket nach dem anderen geöffnet. Mit jedem Geschenk wurden die Augen und Begeisterungsrufe der beiden immer lauter und glücklicher.

Den Eltern, welche sich erst lachend an den kindlichen Glücksgefühlen erfreut hatten, stockte der Atem, als sie ihren Brief öffneten und lasen.

Völlig verunsichert, Tränen in den Augen und mit zittrigen Händen sahen sie zu dem alten Mann hinüber, der die beiden die ganze Zeit über beobachtete und sich sichtlich über ihren Zustand amüsierte. Mit einem Lächeln nickte er den beiden zufrieden zu, bevor er sich an die Kinder wandte.

Mit einem Griff in seine Manteltasche förderte er den Schokoladennikolaus zu Tage und überreichte in Vreni. »Das ist doch Deiner, wenn mich nicht alles täuscht. Ich habe noch nie so einen gutmütigen, bescheidenen Menschen kennen gelernt, der mir zuliebe auf sein eigenes Weihnachtsgeschenk verzichtet hat!«

Das Mädchen sah ihn ganz verdutzt an. Das kann doch gar nicht sein. Woher wusste er das?

Jetzt erst sah sie die Gesichter ihrer Eltern, die immer noch stumm und ungläubig an ihrem Platz standen. Tränen liefen ihnen über das Gesicht.

»Um Himmelswillen, was ist denn mit Euch los?«, rief Vreni erschrocken. »Ist was passiert?«

Der Vater war der Erste, der seine Fassung wieder fand. »Ja Kinder, wenn das alles stimmt, was in diesem Brief drin steht, ist wirklich was passiert!«

»Das darfst Du schon glauben, was da steht! Das ist nicht gelogen!«, schmunzelte der Alte.

»Und was steht da jetzt drin?«, mischte sich nun auch Peter ganz neugierig ein?

»Da steht drin, dass unsere Armut endlich vorbei ist und dass wir heute auf alle Fälle noch in die Kirche gehen sollen, dann werden wir verstehen!«, rief die Mutter überglücklich.

»Hä? Und was ist jetzt so Schlimmes passiert, dass ihr gleich weinen müsst!«, fragte Peter ganz verunsichert.

»Es hat doch niemand gesagt, dass etwas Schlimmes passiert ist.«, berichtigte ihn der Vater. »Ich habe nur gesagt, dass etwas passiert ist - aber nichts Schlimmes. Im Gegenteil - das sind Freudentränen von der Mama und mir! Passt mal auf, ich lese Euch den Brief einmal vor:

Liebe Freunde,

ich hoffe, Euch hat der Braten geschmeckt und den Kindern die Geschenke gefallen!

Die Freude und Hilfe, die Ihr mir heute Abend trotz Eurer Not zukommen lassen habt, möchte ich hier und jetzt an Euch zurückgeben.

Ich habe Euch auf die Probe gestellt und bemerkt, dass Ihr würdig seid.

An diesem Heiligen Abend soll Euer Leiden endlich vorüber sein!

In dem kleinen Paket befindet sich ein Schlüssel.

Dieser passt in die Eingangtür dieses Hauses,

welches vom heutigen Tage an Euch gehören soll.

Geht heute Abend unbedingt in die Kirche, damit alle Hindernisse von Euch genommen und Ihr verstehen werdet!«

Die Kinder bekamen vor lauter staunen den Mund gar nicht mehr zu. Alle Blicke wanderten nun in die Ecke, wo gerade noch der alten Mann gestanden hatte.

Doch zum Erstaunen der Familie, war der Platz leer. Wo war er hin?

Plötzlich ertönte leises Glöckchengeläut von irgendwoher durch den Raum und man konnte noch einmal die Stimme des Alten vernehmen: »Frohe Weihnachten und werdet glücklich!« Dann wurde es still. Das Glöckchengeläut verstummte.

Während den Eltern noch immer die letzten Worte des alten Mannes im Kopf herumgeisterten, fing Vreni zum juchzen an: »Juhu! Ich hab mir`s doch gleich gedacht! Das war der Weihnachtsmann - er ist mir gleich so bekannt vorgekommen, mit seinem langen weißen Bart!«

»Oder das Christkind!«, verbesserte sie Peter.

»Ihr habt ganz recht Kinder! Da hat der Herrgott seine Hände im Spiel gehabt!«, bestätigte die Mutter überglücklich mit einem Blick aus dem Fenster.

Gerade, als sie ihren Blick vom Himmel abwenden wollte, sah sie eine Sternschnuppe über den Horizont streifen. Jetzt erst erinnerte sie sich daran, dass sie ja noch etwas Wichtiges vergessen hatte. Sie drehte sich um und wandte sich an die Kinder.

»Ach, jetzt habe ich vor lauter Aufregung ganz vergessen, Euer Geschenk auszupacken. Ich hab es vorher in meine Manteltasche gesteckt. Da bin ich aber jetzt gespannt, was das ist!«

»Äh, wir wissen aber nicht, ob Dir das, was da drin ist, nach all dem noch gefallen wird!«, befürchtete Vreni, die auf einmal skeptisch an ihr schlichtes Geschenk dachte.

Die Mutter lies sich durch die Worte ihrer Tochter nicht beirren und angelte sich das Päckchen aus ihrer Manteltasche.

Voller Spannung begann sie mit dem Auspacken!

»Ui - das ist aber eine schöne Nadelkissenschachtel! Die habt ihr ganz toll gebastelt!«, rief die Mutter voller Freude aus und umarmte ihre Kinder.

Mit einem Blick auf die Kaminuhr unterbrach der Vater die freudige, weihnachtliche Stimmung. »Kommt, wir müssen noch in die Kirche gehen.«

Kurze Zeit später kamen die vier gerade noch rechtzeitig zur Messe und suchten sich einen Platz in der vorderen Reihe aus. Nachdem sie nun frisch gewaschen und mit anständiger Kleidung ausgestattet waren, brauchten sie sich nicht mehr schämen und konnten sich ganz normal unter die Leute wagen.

In dem Moment, als der Pfarrer vom Wunder vor 2000 Jahren berichtete, wie die Hirten und Armen durch die Geburt Jesu von all ihren Leiden erlöst wurden, erregte plötzlich das große Kreuz über dem Altar die Aufmerksamkeit der Eltern. War es nur Einbildung, oder hatte die Christusfigur ihnen wirklich für den Bruchteil einer Sekunde zugenickt und zugelächelt? Sie sahen sich um, aber es schien keinen der weiteren Anwesenden aufgefallen zu sein. Jetzt ergab der Satz in dem Brief, welcher für sie unter dem Weihnachtsbaum gelegen hatte, einen Sinn und sie glaubten zu verstehen, warum ihnen am heutigen Abend auch so ein Weihnachtswunder zuteil geworden ist. Mit liebevollem Blick legte die Mutter ihre Hand in die des Vaters und lächelte ihm zu.

Nach der Andacht, als die Familie sich bereits wieder auf dem Heimweg befand, überkam den Vater ein kribbelndes Gefühl in seinen Armen. Ohne Vorwarnung packte er Peter und hob in hoch in die Luft.

Alle schauten ihn mit verwunderten Augen an.

»Aber... Ich habe gedacht... So ein Wunder!«, stammelte die Mutter verblüfft.

»Papa, Du hast ja plötzlich Kraft und kannst Deine Arme wieder gebrauchen!«, schrie Vreni freudig auf.

»Ja«, frohlockte der Vater, »heute Abend geschehen wirklich viele Wunder! Ein eigenes Dach über dem Kopf und wieder gesunde Arme zum Arbeiten! Hoffentlich ist das nicht nur ein schöner Traum und es ist alles wieder beim Alten, wenn ich aufwache!«

»Dann wollen wir aber nie wieder aufwachen, weil das der tollste Weihnachtsabend ist, den wir je erlebt haben«, riefen Vreni und Peter gleichzeitig. »Wir haben in unserem ganzen Leben noch nie so viele Spielsachen besessen.«

»Ich weiß gar nicht, mit was wir das alles verdient haben!«, seufzte die Mutter und wandte sich an die Kinder. »Aber trotz dieser wundersamen Heiligen Nacht, in der sich unser Leben für immer verändert hat, bin ich auf Euch zwei ganz besonders stolz.

Nicht nur, dass ihr uns mit der Nadelkissenschachtel und dem Krug eine ganz besondere Freude gemacht habt, nein ihr habt sogar auf eines Eurer eigenen Geschenke verzichtet und dieses ohne zu zögern mit einem fremden Menschen geteilt, um auch ihn eine besondere Freude zu machen.«

Sie nahm die beiden Kinder in ihre Arme und drückte sie ganz fest an sich.

»Was nutzt einen der ganze Reichtum, wenn man keinen Menschen um sich hat, der einen akzeptiert, gerade so wie er ist - ganz egal, ob arm oder reich und mit dem man seine Sachen und seine Liebe teilen kann?«, fügte sie schmunzelt mit einem Augenzwinkern hinzu. »Und das nicht nur in der Weihnachtsnacht!«

Gerade in diesem Augenblick nickten sich hoch im Himmel droben der Weihnachtsmann und das Christkind ganz erfreut zu und wussten, dass sie in diesem Jahr die richtige Familie glücklich gemacht hatten.


Wiggerl's Weihnachtsgeschichten

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