Читать книгу Wiggerl's Weihnachtsgeschichten - Ludwig Khun - Страница 9
Der etwas andere Weihnachtsurlaub
Оглавление»Ui, ist das aber ein großes Schiff«, rief Franzl ganz aufgeregt, als er mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester und seinen Eltern über die Traverse an Bord eines Ozeanriesen marschierte.
»Und alles ist so schön weihnachtlich geschmückt!«, schwärmte Susi ganz verträumt.
Es war vier Tage vor Weihnachten - die Landschaft rings um den Hamburger Hafen war in tiefes Weiß gehüllt und die deutlich unter dem Gefrierpunkt liegende Temperatur ließ sehr zu wünschen übrig.
Aus diesem Grund hatte sich Familie Mosler in den Kopf gesetzt, Weihnachten und Silvester dieses Jahr anders als sonst zu feiern. Sie freuten sich bereits darauf, nach einer dreitägigen Atlantik-Kreuzfahrt, eine Woche in der Karibiksonne zu verbringen, bevor es mit dem Flugzeug wieder zurück nach Hause in die Kälte gehen würde.
Nachdem Franzl mit seinen 12 Jahren sowieso nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben wollte und auch seiner kleinen Schwester ständig einzureden versuchte, dass es sich dabei nur um ein Märchen handelte, kam es den Eltern sehr gelegen, die diesjährigen Weihnachtsvorbereitungen samt Bescherung ausfallen zu lassen.
Kurz vor der Abreise kamen Franzl dennoch Zweifel. Wenn er sich irrte und es den Weihnachtsmann doch geben sollte? Was würde passieren, wenn er am Heiligen Abend bei ihnen zu Hause vorbeikommen und sie nicht antreffen würde? Nachdem sie wegen der Reise keinen Christbaum im Wohnzimmer aufgestellt hatten, wüsste er dann nicht einmal, wohin er die ganzen Geschenke legen sollte. Um diesem Vorzubeugen, brachte der Junge vorsichtshalber einen großen Zettel, mit den genauen Anweisungen, die Geschenke auf ihren Betten zu platzieren, mit Klebeband an der Eingangstüre an. So, dachte er sich, wird er vom Weihnachtsmann auch wirklich gesehen. Bescherung konnten sie ja im neuen Jahr, wenn sie wieder zurück waren, immer noch nachholen.
Das gesamte Schiff war weihnachtlich dekoriert und im Speisesaal stand ein großer bunt geschmückter Christbaum. Überall auf und unter Deck ertönten dezent Weihnachtslieder aus den Deckenlautsprechern.
Nachdem sich die Moslers in ihrer Kabine einquartiert und mit dem Auspacken der Koffer begonnen hatten, machten sich die Kinder ganz neugierig auf Entdeckungstour.
Als sie an der Brücke vorbei spazierten, ertönte das Nebelhorn und der Ozeanriese stach in See. Ganz aufgeregt beobachteten die beiden, wie sich das Schiff immer weiter vom Hafen entfernte und Kurs aufs offene Meer nahm, wobei die Schneeflocken mit zunehmender Fahrt allmählich dichter wurden.
An den folgenden beiden Tagen an Bord, wurde die Temperatur von Stunde zu Stunde immer wärmer und man konnte die warme Kleidung durch Badekleidung ersetzen.
Am Mittag des zweiten Tages zogen wie aus dem Nichts dicke Wolken auf und es begann zu stürmen und zu regnen. Alle Passagiere flüchteten unter Deck, um dem ungemütlichen Nass zu entrinnen.
Die See wurde immer unruhiger und der Ozeanriese begann bedenklich hin und her zu schwanken.
Als plötzlich ein heftiger Blitz in einen Metallmasten des Schiffes einschlug, fielen durch den dadurch entstandenen Stromschlag sämtliche Computer, Funk- und Navigationsgeräte in der Kommandozentrale des Schiffes aus. Auch das Ruder wollte nicht mehr reagieren. Selbst der manuelle Kompass schien durch den Sturm verrückt zu spielen und drehte sich kontinuierlich im Kreis.
Obwohl sich die Mannschaft sofort bemühte, den entstandenen Schaden zu beheben, gelang es ihr nicht, die Steuerungsanlage wieder in Betrieb zu nehmen. Orientierungs- und steuerlos trieben sie auf dem Meer mit der Strömung dahin.
Der Sturm wurde nun von Stunde zu Stunde immer heftiger und der Regen begann langsam in Schneegestöber über zu gehen. Vereinzelt trieben bereits Eisschollen im Meer umher. Alle Versuche der Mannschaft, das Schiff endlich wieder auf den richtigen Kurs nach Südwest zu bringen, scheiterten an der blockierten Steuerung und dem nicht funktionierenden Kompass. Unentwegt ging die Blindfahrt durch die zunehmend stürmischer werdende See, die sich mit der Zeit immer mehr zu einem Eismeer verwandelte, weiter.
Plötzlich wurde der Schiffsrumpf durch einen furchtbaren Schlag erschüttert. Die Sirenen heulten los, als die Feuchtigkeitssensoren Wassereinbruch im unteren Teil des Maschinenraumes meldeten und sich das Unterdeck langsam mit Wasser zu füllen begann. Unter den Passagieren machte sich Panik breit. Einige begannen mit schriller Stimme wild durcheinander zu kreischen.
Als ein zweiter Schlag gegen den Rumpf das Schiff stark ins Wanken brachte und dieses schwankend von einer auf die andere Seite geworfen wurde, versagten die durch den Blitzeinschlag bereits beschädigten Stromaggregate endgültig. Das Heulen der Sirene brach schlagartig ab und auch die Heizung an Bord versagte seinen Dienst. Die Schreie der Passagiere an Bord verstummten. Keiner wagte mehr laut zu atmen. Es herrschte vollkommene Dunkelheit und Stille.
Der Schneesturm wurde nun so heftig, dass man keine fünf Meter weit mehr blicken konnte.
Nach einer kurzen Schreckminute wurde die Mannschaft vom Kapitän angewiesen, sämtliche Passagiere zu beruhigen und im Ballsaal in Sicherheit zu bringen.
Mit ziemlicher Schlagseite kämpfte sich der sinkende Dampfer durch immer mehr Eisschollen, bis er schließlich ganz vom Eis umgeben war und stecken blieb.
Die stetig zunehmende Kälte hatte aber auch ihr Gutes. Durch sie war das unter Deck einströmende Wasser zu Eis erstarrt, so dass das Schiff zumindest nicht mehr weiter sinken konnte.
Mittlerweile war auch der Befehl des Kapitäns umgesetzt und sämtliche Passagiere in den Ballsaal gebracht worden. Franzl und Susi machten sich nützlich, indem sie der Mannschaft halfen, Kerzen zu verteilen und anzuzünden.
»Wie geht`s jetzt weiter? Müssen wir ertrinken?«, riefen aufgeregte Stimmen.
»Nun mal halblang!«, versuchte der Kapitän zu beruhigen. »Bitte bewahren Sie Ruhe. Wir müssen nicht ertrinken! Das Wasser, welches im Schiffsrumpf eingedrungen ist, ist zu Eis erstarrt. Somit sinken wir zumindest nicht mehr. Meine Techniker arbeiten bereits auf Hochtouren, um wenigstens das Funkgerät wieder in Gang zu setzen. Dann können wir Hilfe herbei holen.«
Er bemerkte ein Aufatmen im Saal.
»Bis das soweit ist, sind wir allerdings auf uns alleine gestellt. Ich bitte Sie alle, mit meiner Mannschaft zu kooperieren und deren Befehlen absolut Folge zu leisten. Dann können wir...«
In diesem Moment stürmte ein Matrose mit keuchender Stimme in den Saal. »Kapitän«, rief er, »schnell kommen Sie auf die Brücke! Die Wolken haben sich auf einmal verzogen und der Schneesturm hat schlagartig aufgehört. Unser Kompass funktioniert jetzt auch wieder.«
»Und wie ist unsere Position?«, fragte der Kapitän vorsichtig.
»Wir sind hoch im Norden - weit hinter Island«, antwortete der Matrose voller unbehagen. »Unsere Abweichung von der ursprünglichen Route beträgt einige tausend Seemeilen!«
Während der Kapitän eilig auf die Brücke zusteuerte, pilgerten die Passagiere auf das Deck, um sich die Eislandschaft, in der sie feststeckten, anzusehen. Es herrschte eine sternenklare Nacht. Die Luft war kalt und frisch. Irgendwo am Horizont zog sich ein heller Streifen übers Firmament.
Staunend und andächtig blickten die Menschen auf das Naturschauspiel.
»Wer redet denn da?«, unterbrach Susi die Stille und löste sich aus den Händen ihrer Mutter.
Deutlich konnte man von irgendwo her aus der Ferne leise Stimmen vernehmen und es hatte den Anschein, als würde der helle Lichtschein am Horizont direkt auf das im Eis eingeschlossene Schiff zukommen.
Plötzlich begann das Eis, gar nicht weit vom Dampfer entfernt, zu verschwimmen und eine Stadt mit vielen bunten Lichtern und einem großen, offen stehenden Eingangstor, vor dem kleine Kobolde, Elfen und Wichteln standen, wurde sichtbar.
Mit schnellen Schritten kamen diese auf das Schiff zu. In ihren Händen hielten sie Laternen und Fackeln. Auf einem Schlitten zogen sie einen Stapel Decken hinter sich her.
Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder, darunter auch der Kapitän, der voller Staunen seine Brücke verlassen hatte, starrten ungläubig auf die Stadt und die sich nähernden Gestalten. Plötzlich brach lauter Jubel aus. Endlich war Rettung in Sicht.
Als die Truppe das Schiff erreichte, wurden sie mit einem donnernden Applaus empfangen. Die Kobolde begannen sofort, die warmen Decken an alle Anwesenden zu verteilen und den Schaden des Schiffes zu inspizieren.
Franzl konnte es gar nicht glauben. Kobolde, Wichteln und andere Märchenwesen - das konnte doch nur ein Traum sein. War er denn bei dieser Kälte etwa eingeschlafen? Nachdem ihn seine Schwester auf seine Bitte hin gezwickt hatte und er zu dem Entschluss kam, dass er wach war, klopfte er den am nächsten mit dem Rücken zu ihm stehenden Kobold auf die Schulter.
Als sich dieser umdrehte begann Franz sofort ohne Aufforderung ihm die ganze Geschichte vom Sturm und ihrem beinahe bevor gestandenen Untergang zu erzählen.
Der Kobold hörte stumm und aufmerksam zu. Nachdem Franz geendet hatte, zog der Angesprochene ein Handy aus seiner Jackentasche und begann zu telefonieren. »OK!«, sagte er zu dem Jungen, als er das Telefongespräch beendete, »ich habe alles Notwendige in die Wege geleitet!«
Er drehte sich um und stieg die nächstgelegene Erhöhung hinauf.
Als er das Deck gut überblicken konnte, begann er mit lauter Stimme zu sprechen. »Alle mal herhören! Wie ihr sicher schon bemerkt habt, seid ihr bei uns in Sicherheit. Auf dem Schiff könnt ihr nicht bleiben. Darum habe ich ein paar Busse geordert, die gleich hier auftauchen werden. Steigt bitte alle ein, damit wir Euch in unsere Stadt bringen können. Alles andere erfahrt ihr dann später.«
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, konnte man auch schon das Brummen der Motoren hören. Drei große Transportmaschinen waren auf dem Weg zum Schiff, um die Gestrandeten abzuholen.
Es dauerte gar nicht lange, bis alle Menschen evakuiert waren und sich die Fahrzeuge wieder auf dem Rückweg befanden.
Staunend starrten die Ankömmlinge aus den Fenstern, als sie durch das Eingangstor zu einem großen freien Platz innerhalb der Stadt fuhren. Hier war bereits eine große Anzahl an Wichteln, Kobolden und Elfen versammelt.
Nachdem die Passagiere ausgestiegen waren, wurden sie mit sehr viel Neugierde begutachtet. Alle Augenpaare lasteten auf ihnen.
Plötzlich begann sich innerhalb der Menge eine freie Gasse zu bilden, aus der ein großer gut gebauter älterer Herr mit langem weißem Bart, einer Brille, schwarzen Stiefeln, rotem Gewand und roter Zipfelmütze hervor trat. Franzl und Susi fielen vor lauter Staunen die Kinnladen herunter und ihre Augen weiteten sich, als sie diesen Mann erblickten, der gezielt zu den Angekommenen schritt und sie freudig begrüßte.
»Herzlich willkommen in unserem bescheidenen Dorf. Mein Name ist Claus«, begann er. »Besser bekannt unter den Namen Santa Claus oder Weihnachtsmann. Ich habe von meinen Leuten schon erfahren, was Euch passiert ist. Es ist ein Wunder, dass ihr bei diesem heftigen Schneesturm, der jetzt schon seit zwei Tagen vor unserer Stadt herrscht, genau hierher zu uns gefunden habt.«
Traurig schaute er zum Himmel. »Obwohl der Sturm sich jetzt kurzzeitig ein wenig zurückgezogen hat, habe ich die Befürchtung, dass er noch einige Tage anhält. Und wenn das so ist, wird dieses Mal, sehr zum Leidwesen der Kinder, die Bescherung am Heiligen Abend ausfallen müssen. Bei so einem Schneegestöber komme ich unmöglich mit meinem Schlitten durch.«
Er wandte sich wieder an die Menschen. »Aber nichts desto trotz, werden meine Leute sich Euer Schiff vornehmen und wieder auf Vordermann bringen. Ich hab‘ ganz geschickte Handwerker hier - ihr werdet es schon noch sehen. Aber bis es soweit ist, wäre ich glücklich, Euch als meine Gäste begrüßen zu dürfen!«
Der Weihnachtsmann wendete sich an einen neben ihn stehenden Kobold, legte seine Hände auf dessen Schulter und raunte ihm Befehle zu, bevor er weiter sprach.
»Das hier ist Riddlesnik, mein Chefkobold. Ihr habt ihn ja bereits bei Eurer Evakuierung kennen gelernt. Er wird Euch in Eure provisorischen Unterkünfte führen. Und wenn ihr die Stadt ansehen wollt, braucht ihr ihn das nur zu sagen. Er wird gerne eine Führung organisieren.«
Lächelnd nickte er dem Kobold und den Menschen zu, wendete sich ab und verließ die Runde.
Riddlesnik ergriff sofort die Gelegenheit, weitere Elfen und Wichteln einzuteilen, die sich um die Unterbringung der Gäste kümmern sollten.
Diese machten sich sofort an die Arbeit und teilten die Menschen in Gruppen ein, zu denen sich je ein Elf oder Wichtel als Führer dazu gesellte.
Als Riddlesnik Franzl und Susi bemerkte, kam ihm eine Idee und er zwinkerte ihnen ganz spitzbübisch zu. »Na, wie sieht`s aus?«, raunte er. »Wollt ihr beiden mal was ganz Tolles sehen? Dann kommt gleich mal mit mir mit - ich bring Euch dann anschließend höchstpersönlich zu Euren Eltern!«
»Na klar«, riefen die beiden Kinder wie aus einem Mund.
»Die Weihnachtsstadt mit eigenen Augen sehen - man ist das toll«, schwärmte Franzl. »Das wird uns keiner von unseren Freunden glauben, wenn wir ihnen das erzählen!«
»Das ist wieder mal typisch mein Bruder!«, verzog Susi ihr Gesicht. »Und dabei hast Du immer versucht, mir den Weihnachtsmann auszureden. Und was ist jetzt? Glaubst Du nun endlich an ihn, oder ist er immer noch ein Märchen?«
»Ich gebe es zwar ungern zu, aber Du hast Recht!«, murmelte Franz ganz verlegen. «Ich hab mich halt getäuscht. Das kann ja mal vorkommen!«
Riddlesnik musste lachen.
Vorbei an Schneemännern, Rentieren, geschmückten Christbäumen und Weihnachts- und Lebkuchenbäckereien marschierten die drei direkt auf eine große Halle mit drei Schornsteinen zu.
»Das«, verkündete Riddlesnik stolz, »ist unsere Spielzeugfabrik. Ich habe mir gedacht, es würde Euch interessieren, wie die Weihnachtsgeschenke für die Kinder auf der ganzen Welt hergestellt werden. Hab ich mich da vielleicht getäuscht?« »Nein, ganz und gar nicht«, rief Franzl ganz aufgeregt mit einem Glanz in den Augen.
»Genau!«, pflichtete ihm Susi bei. »Das wollten wir schon immer mal sehen!«
Nachdem sie die Fabrik betreten hatten, konnten die Kinder die großen, in der Halle installierten Maschinen begutachten. Überall bewegten sich Fließbänder auf denen sich Geschenke und Spielzeuge stapelten. Hier und da sah man ein paar Kobolde und Elfen an Computerbildschirmen sitzen und neugierig zu den dreien herüber schauen.
»Wow!«, rief Franzl ganz erstaunt. »Das läuft ja alles ganz von alleine! Ich hab immer gedacht, dass das Spielzeug von Hand angefertigt wird! So ist es zumindest in jedem besseren Weihnachtsfilm im Fernsehen!«
»Ja meinst Du denn, dass wir hier in der Steinzeit leben, nur weil man sich das in der Welt da draußen über unsere Stadt und den Weihnachtsmann so vorstellt?«, fragte Riddlesnik ganz spöttisch. »Was glaubt ihr denn, was wir hier für eine fortgeschrittene Technik besitzen? OK, früher haben wir alles noch selbst herstellen und zusammenbauen müssen, aber heute ist das anders. Wir haben Hochleistungscomputer und Maschinen, die diese Arbeiten für uns erledigen und jede Menge Ideen.« Er zwinkerte Franzl zu. »Oder glaubst Du, dass sich die Kinder heutzutage immer noch mit Puppen und hölzernen Schaukelpferden unter dem Christbaum abgeben? Alles muss heute ja schon elektronisch und computergesteuert sein, sonst landen die Sachen doch gleich wieder in einer Ecke!« Er deutete mit dem Finger auf eine Maschine auf der anderen Seite der Halle. »Schaut mal da hin! Sogar das Einwickeln der Geschenke mit Geschenkpapier und das Binden der Schleife wird automatisch erledigt.«
Voller Staunen liefen die Kinder umher und schauten sich alles ganz genau an.
»Sag mal!«, fiel es Susi ein. »Wie bekommt ihr eigentlich die Wunschzettel von den Kindern zugeschickt?«
Riddelsnik lächelte zufrieden und nickte. »Auf diese Frage habe ich gewartet. Kommt mal mit, dann zeig ich`s Euch!«
Die drei verließen die Fabrik und marschierten über den Marktplatz zu einem kleinen bunt beleuchteten Querbau.
»Das hier ist unser Postamt.«, erklärte Riddlesnik. »Hier kommen die Wünsche der Kinder per eMail bei uns an und werden anschließend nach Kategorien sortiert, bevor sie per Netzwerk von den Postcomputern an die Fabrikcomputer übermittelt werden. Das geht viel schneller und wir haben keinen Papierkram mehr. Vor einigen Jahren noch haben wir die Berge von Wunschzetteln und Briefen kaum mehr bewältigen können. Dann kam mir diese Idee. Seitdem geht alles nur noch per eMail und es ist viel leichter und übersichtlicher für uns geworden.«
»Toll!«, staunte Franzl ganz begeistert. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ihr so mit der Zeit geht!«
»Du hast doch nicht mal davon geträumt!«, stichelte Susi ihren Bruder auf. »Was hast Du immer gesagt? Den Weihnachtsmann und die Weihnachtsstadt...«
»Ist ja gut«, unterbrach sie Franzl genervt. »Über dieses Thema brauchen wir in Zukunft nicht mehr diskutieren. Ich hab`s ja eingesehen!«
Riddlesnik musste lächeln. Es war spät geworden und an der Zeit, die Kinder wieder zu ihren Eltern zu bringen.
In der Notunterkunft angekommen, verabschiedeten sich die Kinder von ihrem neuen Koboldfreund und konnten es kaum erwarten, ihren Eltern die Erlebnisse der letzten Stunden zu erzählen.
»Ich würde sehr gerne hier bleiben«, schwärmte Franzl mit einem Augenzwinkern. »Vor allem in der Spielzeugfabrik. Die ist ja tausend mal besser als Schule!«
»Das würde Dir so passen!«, lachte sein Vater. »Gerade Du, wo Du doch immer behauptet hast, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt? Jetzt hast Du ihn ja selbst mit Deinen eigenen Augen gesehen!«
»Jetzt fängst Du auch noch an!«, beschwerte sich der Junge. »Da hab ich mich halt getäuscht! Das kann schon einmal vorkommen!«
Am nächsten Tag holte Riddlesnik die beiden Kinder zu einer weiteren Weihnachtsstadt-Entdeckungstour ab. Als sie ihr Rundgang an den Rentierställen des Weihnachtsmannes am Rande des Dorfes vorbei führte, vernahmen sie ein leises Schluchzen hinter einem großen Tannenbaum.
»Psst! Hört mal!«, bemerkte Susi und legte ihren Finger an den Mund. »Da weint doch jemand!« Neugierig lief sie um den Tannenbaum herum, um herauszufinden, wer da so traurig war. Franzl und Riddlesnik folgten ihr.
»Ui, ist der aber süß!«, rief sie. »Der ist ja noch ganz, ganz jung!«
Am Boden lag ein kleines Rentier mit einer leuchtend roten Nase. Tränen standen in seinen Augen. Sie kniete nieder und schlang ihre Arme um das Tier. »Was fehlt Dir denn?«
»Das ist Rudolf - unser Jüngster! Dem fehlt überhaupt nichts.«, klärte sie Riddlesnik auf. »Er ist nur deshalb so traurig, weil er gerne am Heiligen Abend bei den anderen Rentieren dabei sein würde, um den Schlitten vom Weihnachtsmann und den Geschenken am Himmel zu ziehen. Allerdings ist er noch zu klein, darum darf er auch nicht mit. Aber das möchte er halt nicht akzeptieren. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten ist immer das gleiche Theater mit ihm. Er bewirbt sich beim Weihnachtsmann für den Job als Schlittenzieher und jedes Mal muss ihm der Chef eine Absage erteilen. Aber in ein paar Jahren ist er dazu endlich groß genug. Dann darf er mit.«
Rudolf schaute Susi und Franzl mit großen Augen an, als die Kinder begannen, ihn zu streicheln und zu trösten. Mit der Zeit beruhigte er sich und schleckte mit seiner Zunge ganz zärtlich über ihre Wangen. Dabei erstrahlte seine Nase noch heller und sah jetzt fast wie eine Glühbirne aus.
Langsam verging auch dieser Tag im Weihnachtsdorf und die Nacht senkte sich hernieder. Die Kinder mussten zu Bett und waren schon ganz aufgeregt, denn morgen war ja Heiliger Abend und der Weihnachtsmann würde dann mit seinem Schlitten und den Geschenken in den Himmel fliegen. Dieses Spektakel durften sie auf gar keinen Fall verpassen. Hoffentlich, so dachten sie sich, schaute er dann auch bei ihrem Haus vorbei. Nur gut, dass Franzl den Zettel mit den Anweisungen an die Tür geklebt hatte - es war also doch nicht umsonst.
Endlich war der sehnsüchtig erwartete Weihnachtstag da. Seit Sonnenaufgang herrschte im Dorf eine hektische Stimmung. Alle Wichteln, Elfen und Kobolde liefen hin und her und verstauten die Geschenke auf dem Schlitten, welcher auf dem großen freien Platz hinter dem Eingangstor stand. Die Rentiere wurden gestriegelt und gebürstet und für ihren großen Auftritt vorbereitet.
Franzl, Susi, die Moslers und alle anderen, welche sich die Weihnachtsvorbereitungen eigentlich nur in Ruhe ansehen wollten, wurden von Riddlesnik sofort zu ehrenamtlichen Helfern ernannt und mit Aufgaben und Arbeit überschüttet.
Als sich die Sonne langsam dem Horizont zuneigte, waren alle Pakete sicher und fest auf dem Schlitten verpackt. Nun wurden die Rentiere eingespannt, bevor der Weihnachtsmann seinen großen Auftritt hatte.
Gehüllt in einen dicken roten Mantel und einer warmen Zipfelmütze schreitete dieser erhobenen Hauptes stolz zu seinem Gefährt.
»Wie ist das Wetter da draußen?«, fragte er skeptisch in die Menge, als er den Schlitten bestieg und seinen Platz einnahm.
»Miserabel!«, wurde seine Frage von einem Wichtel beantwortet. »Vor dem Dorf toben schwere Schneestürme und die Sicht ist gleich null!«
Mit einem Kopfnicken nahm der Weihnachtsmann die Aussage zur Kenntnis und wendete sich an seine Rentiere.
»Alles klar bei Euch da vorne?«, rief er diesen zu. Die Tiere begannen zu schnauben und nickten mit ihren Köpfen.
»Na dann«, rief er in die Menge und begann zu winken, »Frohe Weihnachten alle miteinander!«
Mit diesen Worten gab er die Zügel frei und das Gespann setzte sich unter donnernden Applaus aller Anwesenden in Bewegung.
Nach ein paar Metern hoben der Schlitten und die Rentiere vom Boden ab, wendeten und zogen in der Luft eine Schleife um den großen Marktplatz, bevor sie im Dunkel der Nacht Kurs auf den Rest der Welt nahmen.
In der Stadt herrschte mittlerweile eine richtige Partystimmung. Von überall her erklangen Weihnachtslieder. Alle waren vergnügt und begannen zu singen und zu tanzen.
Plötzlich ertönte ein lauter Knall. Alle verstummten erschrocken - schlagartig herrschte absolute Stille. Aus der Richtung, in die der Weihnachtsmann vor ein paar Minuten abgeflogen war, sah man ihn wieder auf das Dorf zukommen. Große Besorgnis machte sich unter den Bewohnern breit, als der Schlitten wieder auf dem großen Platz aufsetzte und der Weihnachtsmann ganz verdrossen von seinem Gefährt stieg.
»Bei diesem Schneesturm ist kein Durchkommen möglich.«, verkündete er enttäuscht.
»Man sieht ja da draußen die Hand nicht mehr vor den Augen und meine Laternen am Schlitten sind viel zu schwach, um den Weg für meine Rentiere zu erhellen. Wenn uns nicht gleich etwas einfällt, gibt es dieses Jahr keine Bescherung!«
Alle waren betroffen und ratlos. Was konnten sie jetzt noch unternehmen?
»Ich hätte da eine tolle Idee!«, meldete sich Susi nach kurzer Überlegung zu Wort und zog sämtliche Blicke auf sich.
»Was haltet ihr davon, wenn der Rudi mit seiner roten Nase ganz vorne an das Gespann angehängt wird. Er könnte doch dann alles ausleuchten - so quasi als Lampe. Oder nicht?«
»Ja genau!«, pflichtete ihr Franzl begeistert bei. »Wir haben gestern ganz genau gesehen, dass die Nase von ihm ganz hell leuchten kann.«
Der Weihnachtsmann sah die beiden Kinder ganz verdutzt an. »Der Rudolf?«, überlegte er nachdenklich. Plötzlich hellte sich seine Miene auf und er begann zu lachen. »Natürlich, das ist die Lösung. Warum bin ich denn da nicht selber drauf gekommen. Der Rudolf! Wie konnte ich den nur vergessen? Wo ist er denn!«
»Hier ist er«, riefen einige Elfen und Kobolde durcheinander, als Rudolf sich aus der Menge löste und überglücklich auf den Weihnachtsmann zu marschierte.
»Na, worauf wartet ihr noch. Spannt ihn ganz vorne an - aber macht schnell, es eilt, wir haben heute Nacht noch sehr viel zu erledigen.«
Eiligst machten sich ein paar Kobolde daran, den überglücklichen Rudolf ganz vorne an das Gespann anzuhängen und die Zügel zu verlängern.
»Und ihr beiden«, wendete sich der Weihnachtsmann grinsend an Franzl und Susi, »könnt gerne mit mir mitkommen, wenn ihr wollt. So eine gute Idee muss ja schließlich auch belohnt werden!«
Die Kinder schauten mit großen Augen erst ihre Eltern, die ihnen aufmunternd zunickten und dann den Weihnachtsmann an.
»Na klar wollen wir mit!«, riefen sie begeistert und sprangen schnell auf den Schlitten auf.
Dann war es wieder soweit. Das Gespann mit Rudolf an der Spitze, dem Weihnachtsmann und den beiden Kindern war startbereit. Wieder wurden die Zügel gespannt und der Schlitten hob nach ein paar Metern in den Himmel ab.
»Rudolf, lass Deine Nase leuchten!«, befahl der Weihnachtsmann seinem neuen Mitglied. »Wir zählen auf Dich!«
»Komm schon Rudi«, drängte nun auch Susi. »Du musst unbedingt Weihnachten retten! Denk an die Kinder auf dieser Welt!«
Voller Stolz brachte das kleine Rentier seine Nase zum Leuchten. Und diesmal, so schien es, viel heller als jemals zuvor in seinem Leben.
Bevor sie sich versahen, peitschte ihnen der Wind wie wild um die Ohren und sie befanden sich mitten im Schneesturm. Die Fahrt wurde nun recht ungemütlich. Immer dichter fielen die Flocken und man konnte die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Unbeirrt dessen hielt der kleine Rudolf weiterhin seinen Kurs bei und die anderen Rentiere folgten ihm immer weiter in das Unwetter hinein.
Plötzlich wurde es ruhig. Der Sturm hatte aufgehört und ein sternenklarer Himmel machte sich breit.
Die Kinder brachen in lauten Jubel aus. »Rudi, Du bist ein Held!«, riefen sie überglücklich ihrem Leitrentier zu. Auch der Weihnachtsmann war begeistert.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Deine Nase so einen Lichtstrahl aussenden kann, hätte ich Dich schon viel früher in meinem Team aufgenommen.«
Bei diesen Worten konnte sich das kleine Rentier vor lauter Übermut und Stolz gar nicht mehr beruhigen. Hoch erhobenen Hauptes ging die Fahrt weiter.
Bald schon tauchten unter ihnen die ersten Häuser auf. Die Arbeit des Weihnachtsmannes konnte beginnen.
Voller Staunen beobachteten die beiden Kinder, wie geschickt und schnell er die Geschenke auslieferte.
Schnell verging die Zeit und der Berg an Geschenken neigte sich langsam dem Ende zu, als der Schlitten ein weiteres Mal vor einem Haus anhielt.
»Das ist ja unser Haus«, staunte Susi. »Wir bekommen dieses Jahr auch etwas von Dir?«
»Natürlich«, bestätigte der Weihnachtsmann. »Ihr seid doch Kinder. Und jedes Kind bekommt Weihnachten ein Geschenk von mir!«
»Ja, aber wir sind doch gar nicht zu Hause!«, konterte sie.
Der Weihnachtsmann lächelte. »So - wo seit ihr denn dann, wenn ich fragen darf?«
»Na hier! In Deinem Schlitten«, antwortete sie irritiert.
»Und wo steht dieser Schlitten?«, wollte er wissen, während er abstieg.
»Vor unserem Haus!«, strahlte Franzl. »Dann sind wir ja doch zu Hause. Susi, der Weihnachtsmann hat Recht. Wir sind zu Hause, obwohl wir eigentlich ganz wo anders sind!«
Nun war Susi wirklich durcheinander. Das sollte verstehen wer will. Aber bevor sie etwas erwidern konnte hörte sie den Weihnachtsmann laut auflachen.
Mit einem Zettel in der Hand, welchen er von der Haustüre abgenommen hatte, stand er da und hielt sich den Bauch, der im gleichmäßigen Rhythmus auf und ab wanderte.
»Ja was ist denn das?«, lachte er noch immer. »So etwas habe ich noch nie erlebt! Also wirklich... Das ist gut!«
Mit - vor lauter lachen - feuchten Augen wandte er sich an Franzl. »Also ich muss schon sagen junger Mann - Du hast ganz schön Humor! Mir einen Zettel an die Haustüre zu kleben mit genauen Anweisungen, wo ich die Geschenke zu platzieren habe, weil ihr erst in ein paar Tagen wieder nach Hause kommt und darum keinen Christbaum aufgestellt habt. Der Witz ist gut!«. Er wischte sich die Augen. »Glaubst Du etwa, ich brauche immer einen Weihnachtsbaum, damit ich weiß, wo ich die Geschenke hinlegen soll?«
Franzl`s Ohren liefen vor Verlegenheit rot an.
»Na ja«, wehrte er sich kleinlaut. »Ich habe mir gedacht... Also weißt Du... Es war so... Ich wollte ja nur...«
»Lass gut sein«, beruhigte ihn der Weihnachtsmann. »So gelacht habe ich schon lange nicht mehr. Aber falls ihr wieder einmal Weihnachten nicht zu Hause sein solltet, kannst Du Dir das sparen. Ich weiß auch so, wo ich die Geschenke hinlegen muss.«
Noch bevor eines der Kinder etwas erwidern konnte, war der Weihnachtsmann auch schon im Haus verschwunden.
Es war schon spät in der Nacht, als das weihnachtliche Trio wohlbehalten wieder im Weihnachtsdorf zur Landung ansetzte. Während sie ausstiegen und mit großem Jubel und donnernder Applaus empfangen wurden, eilte ein kleiner Kobold eiligst herbei und flüsterte dem Weihnachtsmann aufgeregt etwas ins Ohr.
Siegessicher hob dieser seine Hände in die Höhe und deutete an, etwas sagen zu wollen.
»Frohe Weihnachten Euch allen! Wir haben es geschafft!«, verkündete er ganz vergnügt. »Außerdem habe ich auch noch drei gute Nachrichten für alle!«
»Aber davor möchte ich den beiden Kindern und Rudolf danken, denn ohne sie wäre die Bescherung am heutigen Abend ausgefallen.«
Es brach erneut donnernder Applaus aus.
Mit einer weiteren Geste verschaffte er sich wieder Ruhe und fuhr fort.
»Die erste gute Nachricht lautet, das sich der Sturm, der vor unserer Stadt tobte, endlich gelegt hat. Die zweite betrifft unseren Rudolf!« Er deutete auf das kleine Rentier an der Front seines Gespannes. «Er gehört ab sofort fest zu meinem Team und wird mir in Zukunft den Weg erleuchten!«
Das Rentier war überglücklich. Sein größter Traum ging endlich in Erfüllung. Zärtlich schleckte es Susi und Franzl, die neben ihm standen, über die Wangen, bevor es wie auf Kommando seine Nase - zur Erheiterung aller - zum Erleuchten brachte.
»Und als drittes«, wendete er sich an die Menschen, »habe ich für unsere Gäste eine große Weihnachtsüberraschung!« Er machte eine kleine Pause und blickte in die Runde, bevor er mit erwartungsvoller Stimmer fort fuhr. «Meine Helfer haben in der Zwischenzeit Euer Schiff aus dem Eis befreit und wieder auf Vordermann gebracht. Sämtliche Schäden sind beseitigt und sogar der richtige Kurs schon vorprogrammiert. Eurer Weiterfahrt steht somit nichts mehr im Wege.«
Großes Staunen ging durch die Runde, bevor dieser erneut in Applaus umschlug. Die Schäden wurden trotz dem ganzen Trubel alle in nur zwei Tagen behoben? Das konnte doch gar nicht sein - das grenzte doch schon an ein Wunder!
Der Kapitän löste sich aus der Menge, schritt auf den Weihnachtsmann zu und streckte ihm seine rechte Hand entgegen. »Ich weiß gar nicht, wie wir Ihnen Danken sollen«, begann er.
»Ist schon gut«, erwiderte der Weihnachtsmann mit einem festen Händedruck. »Wenn ihr jedes Jahr friedliche und besinnliche Weihnachten feiert und den Weihnachtsgedanken tief in Eurem Herzen trägt, ist dies schon Dank genug! Aber jetzt beeilt Euch, damit ihr wieder auf See seit, bevor das Schiff noch einmal im Eis stecken bleibt.«
Er drehte sich zu den Kindern, die immer noch Rudolf streichelten.
»Franzl, Susi, kommt mal her zu mir«, lächelt er. »Obwohl für Euch ja schon ein Geschenk zu Hause liegt, habe ich da noch etwas ganz Besonderes als kleines Andenken an Euren Ausflug mit mir.« Er kramte aus seinen Taschen zwei kleine Weihnachtsmann-Figuren hervor und überreichte sie den Kindern. »Behaltet das Weihnachtswunder tief in Eurem Herzen, damit es noch lange fortbestehen kann. Und vergesst mich nicht ganz!«
Die Kinder fielen ihm um den Hals.
»Danke lieber Weihnachtsmann«, seufzte Franzl. »Ich werde immer an Dich glauben!«
»Ich auch«, meldete sich Susi und drückte ihm einen dicken Kuss auf seine Wange. »Ich freue mich schon jetzt auf nächstes Jahr. Dann sehe ich Dich bestimmt wieder!«
Der Weihnachtsmann war gerührt.
»Ich habe Euch für Eure Hilfe zu Danken. Sonst wäre Weihnachten wohl ausgefallen. Und dass wir uns nächstes Jahr wiedersehen, dass möchte ich doch schwer hoffen!«
Nach einer langen Umarmung war es nun endgültig an der Zeit, Abschied zu nehmen. Während sie sich von Rudolf und Riddlesnik verabschiedeten, wurden die großen Transportbusse vorgefahren und die Menschen stiegen ein.
Einige Zeit später hatte die Besatzung ihren Dienst auf dem Dampfer wieder aufgenommen und die Passagiere drängten sich auf dem Deck zusammen, um noch einmal einen letzten Blick auf die Weihnachtsstadt und ihre Bewohner werfen zu können.
Langsam setzte sich das Schiff mit einem lauten, lang anhaltendem Ton aus dem Nebelhorn in Bewegung.
Noch während alle Menschen den unter dem großen Eingangstor versammelten Weihnachtshelfern zuwinkten, begann die Stadt zu flimmern und zu verschwimmen. Immer mehr schien sie sich in Luft aufzulösen, bis sie schließlich ganz verschwunden war. An ihrer Stelle erschien ein heller Lichtschein, der langsam dem Horizont entgegen wanderte und schließlich im Nichts verblasste.
Endlich steuerte das Schiff wieder auf den richtigen Kurs zu.
Lange noch standen die Passagiere an Deck und genossen den Ausblick auf einen sternenklaren Himmel, bis einer nach dem anderen todmüde und erschöpft in seinen Kabinen verschwand und in Tiefschlaf fiel.
Als die Kinder am nächsten Morgen erwachten, stellten sie ganz erstaunt fest, dass auf Deck bereits ein großer Menschenauflauf stattgefunden hatte.
Es war ein schöner, sonniger, warmer Tag und das Meer plätscherte ruhig in kleinen Wellen dahin. In der Ferne zeichneten sich bereits Landstriche ab und von Eisschollen war weit und breit keine Spur mehr zu entdecken.
Sie liefen auf ihre Eltern zu, die gemütlich an der Reling lehnten und den Ausblick genossen.
»Was ist denn los, dass gar so viele Leute da stehen?«, wollte Franzl wissen.
»Wir legen bald an und jeder möchte zusehen, wie wir einfahren”, antwortete sein Vater froh gelaunt.
»Was?«, wunderte sich der Junge. »Wir sind schon fast da? Aber das kann doch gar nicht sein, dass wir in nur einer Nacht vom Nordpol bis hierher gefahren sind!«
»Was redest Du denn da?«, lächelte der Vater. »So ein Unsinn. Natürlich kann man in einer Nacht nicht vom Nordpol bis hierher fahren.« Er schüttelte belustigt den Kopf. »Ich befürchte fast, dass Du auf See dein Zeitgefühl und Deinen Orientierungssinn verloren hast. Darum möchte ich Dich gleich mal aufklären! Wir sind schon drei Tage unterwegs und einen Umweg über den Nordpol haben wir sicher nicht gemacht! Das müssten wir doch wissen, oder nicht? Aber erklär` mir mal, wie Du darauf kommst?«
»Aber Papa!«, schaltete sich Susi ein. »Wir waren doch am Nordpol in der Weihnachtsstadt. Und mit dem Weihnachtsmann haben wir die Geschenke am Heiligen Abend ausgefahren. Und Rudi, das Rentier haben wir dort auch kennen gelernt!«
»Ja stimmt!«, pflichtete ihr Franzl bei. »Nachdem unser Schiff vom Sturm total kaputt war und halb versunken im Eis festgesteckt ist, haben uns der Weihnachtsmann und seine Helfer doch gerettet! Und dafür haben wir dann Weihnachten gerettet!«
Die Eltern mussten laut auflachen. »Was habt ihr euch denn da wieder für eine Geschichte ausgedacht?«, kicherte die Mutter. »Wir sind doch niemals in einen Sturm gekommen und gekentert. Keine Angst, das Schiff ist absolut in Ordnung!«
Sie zwinkerte den Kindern zu. »Außerdem könnt ihr gar nicht mit dem Weihnachtsmann die Geschenke ausgefahren haben. Heute ist erst der 23. Dezember und der Weihnachtsmann kommt somit erst morgen!«
»Und Du glaubst doch eh nicht mehr an den Weihnachtsmann«, zog der Vater den Jungen auf. »Du sagst doch immer, er wäre nur ein Märchen.«
Völlig irritiert schauten sich die Kinder an. Hatten sie alles nur geträumt?
Aber das zwei Menschen den gleichen Traum in der gleichen Nacht hatten war doch unmöglich.
Sie wendeten sich von ihren Eltern ab und machten sich daran, andere Passagiere nach den Ereignissen der letzten Tage zu befragen.
Zu ihrem großen Erstaunen, konnte sich niemand an irgendeinen Sturm, einen Schaden oder eine Weihnachtsstadt erinnern.
»Du Franzl, ich hab da eine Idee!«, fiel es Susi ein. »Wir haben doch vom Weihnachtsmann ein Geschenk bekommen und es unter unser Kopfkissen gelegt. Wenn es noch da ist, wissen wir wenigstens, dass wir nicht phantasieren!«
»Natürlich!«, stimmte ihr Franzl bei. »Da schauen wir doch gleich mal nach!«
Sofort stürmten die beiden auf ihre Kabine zu, rissen die Türe auf und schauten unter ihr Kopfkissen. Voller Erleichterung stellten sie fest, dass das Geschenk wohlbehalten an seinem Platz lag.
Nun hatten sie die Gewissheit, dass es kein Traum war. Der Weihnachtsmann existierte also tatsächlich.
»Ich werde nie mehr behaupten, dass der Weihnachtsmann nur ein Märchen ist!«, seufzte Franzl ganz erleichtert. »Ich werde immer an ihn glauben!«
»Ich auch!«, stimmte Susi bei. »Aber wie hat der das bloß gemacht, dass er die Zeit gleich um zwei Tage zurück gedreht hat und die Erwachsenen von nichts mehr wissen - wir aber schon?«
Sprachlos zuckte Franzl mit der Schulter.
Gleichzeitig - irgendwo hoch im Norden, in einer bunt geschmückten Stadt, wurden gerade in diesem Moment viele Geschenke von Wichteln, Elfen und Kobolden auf einen Schlitten gepackt und ein großer, gut gebauter, älterer Mann mit langem weißem Bart, einer Brille, schwarzen Stiefeln, rotem Gewand und roter Zipfelmütze lächelte vergnügt vor sich hin. »Das war doch ein Meisterstück von mir!«, dachte er sich. »Auch wenn ich jetzt die Geschenke noch einmal ausliefern muss, war es das auf alle Fälle wert. Hoffentlich denken die beiden Kinder noch lange an mich!«
Tief in Gedanken versunken kraulte er den Kopf eines kleinen neben ihn stehenden Rentieres mit einer roten Nase, welches dieses Jahr endlich seinem ersten großen Auftritt entgegen fieberte.